Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben und die Freiheitsstrafe auf viereinhalb Jahre erhöht.
Die Angeklagte wird mit ihrer Berufung wegen Strafe auf diese Entscheidung verwiesen.
Der Berufung der Angeklagten gegen den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390a StPO fallen der Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde die Angeklagte (1 und 2) der Verbrechen der Tötung eines Kindes bei der Geburt gemäß § 79 StGB schuldig erkannt.
Danach hat sie (zusammengefasst wiedergegeben) jeweils ein von ihr lebend geborenes Kind während der Geburt oder solange sie noch unter der Einwirkung des Geburtsvorganges stand, durch Ertränken getötet, und zwar
1) im Juli 2001 in Übersee am Chiemsee/Deutschland und
2) im Juli 2002 in Innsbruck.
Die Geschworenen haben die (anklagekonform) jeweils auf das Verbrechen des Mordes (§ 75 StGB) gerichteten Hauptfragen 1 und 2 im Stimmenverhältnis 6:2 (Hauptfrage 1) bzw 5:3 (Hauptfrage 2) verneint und die für diesen Fall gestellten, auf das Verbrechen der Tötung eines Kindes bei der Geburt nach § 79 StGB gerichteten Eventualfragen 1 und 3 im Stimmenverhältnis 5:3 (Eventualfrage 1) bzw 7:1 (Eventualfrage 3) bejaht.
Rechtliche Beurteilung
Die Staatsanwaltschaft legt ihrer auf Z 6 und 8 des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde die Rechtsansicht zu Grunde, ein von einer Schwangeren bereits (lange) vor der Geburt gefasster Vorsatz, das Kind bei oder unmittelbar nach der Geburt zu töten, schließe die Anwendbarkeit der (nur) die Mutter privilegierenden Strafbestimmung des § 79 StGB aus.
Demzufolge verweist die Beschwerde in der Fragestellungsrüge (Z 6) auf zahlreiche in der Hauptverhandlung vorgekommene, im Rechtsmittel detailliert aufgelistete Tatsachen, die ihrer Ansicht nach auf einen "vorgefassten Tötungsvorsatz" der Angeklagten bei beiden Tathandlungen hindeuten, sodass die auf die Verbrechen nach § 79 StGB gerichteten Eventualfragen nicht indiziert gewesen seien.
Damit übersieht die Beschwerdeführerin, dass Eventualfragen (als Alternative zur angeklagekonformen Hauptfrage) ua (wie hier) stets dann zu stellen sind, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht wurden, nach denen - wenn sie als erwiesen angenommen werden - die dem (der) Angeklagten zur Last gelegte Tat unter ein anderes Strafgesetz fiele, das nicht strenger ist als das in der Anklageschrift angeführte (§ 314 Abs 1 StPO).
Im vorliegenden Fall bot das (schon der Anklage wegen Mordes zu Grunde gelegte) in der Hauptverhandlung vorgekommene Sachverhaltssubstrat zureichend Anhaltspunkte dafür, dass die Angeklagte in beiden Fällen ihr Kind entweder während der Geburt oder solange sie noch unter der Einwirkung des Geburtsvorganges stand vorsätzlich getötet hat. Eine derartige (durch das Beweisverfahren indizierte) Tatsachengrundlage erfüllt sämtliche objektiven und subjektiven Tatsachenvoraussetzungen des Verbrechens der Tötung eines Kindes bei der Geburt nach § 79 StGB. Demgemäß musste den Geschworenen mit von den (anklagekonformen) Hauptfragen abweichenden weiteren Schuld- (= Eventual-)fragen die Gelegenheit zur Entscheidung geboten werden, ob die Angeklagte anstelle der ihr vorgeworfenen Verbrechen des Mordes (§ 75 StGB) die ihr letztlich angelasteten mit geringerer Strafe bedrohten Verbrechen zu verantworten hat. Der von der Staatsanwaltschaft vertretene, oben wiedergegebene Rechtsstandpunkt war fallbezogen (unabhängig von der noch zur Instruktionsrüge zu erörternden Frage seiner Rechtsrichtigkeit) in diesem Zusammenhang ohne Belang, weil die Angeklagte einen "vorgefassten Tötungsvorsatz" stets in Abrede gestellt hat (vgl S 93, 151, 153/III; 197/IV; 121 ff/V), sodass das allfällige Vorliegen eines derartigen Vorsatzes ohnehin nur von den Geschworenen abschließend beurteilt werden durfte.
Die Instruktionsrüge (Z 8) bekämpft jenen (der Rechtsansicht der Beschwerdeführerin zuwiderlaufenden) Teil der schriftlichen Rechtsbelehrung als unrichtig, wonach (zusammenfassend) die Anwendbarkeit des § 79 StGB dadurch nicht ausgeschlossen werde, dass die Schwangere schon vor der Geburt die Tötung des Neugeborenen geplant und vorbereitet hat (vgl S 16, 19 bis 22 der dem Hauptverhandlungsprotokoll ON 148 angeschlossenen Rechtsbelehrung). Die Belehrung entspreche wohl den beiden hiezu ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidungen (13 Os 124/82 = SSt 53/59 = ÖJZ-LSK 193/2; 13 Os 3/94) und der herrschenden Lehre (vgl Moos in WK2 § 79 Rz 28 f, 32 und die dort zitierten weiteren Belegstellen; Fabrizy StGB8 § 79 Rz 1; Leukauf/Steininger StGB3 § 79 Rz 5), stehe aber zum Privilegierungszweck des § 79 StGB im Widerspruch und bringe eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung allenfalls an der vorsätzlichen Tötung Beteiligter zum Ausdruck.
Auch die Instruktionsrüge verfehlt ihr Ziel.
Ob die vom Vorsitzenden erteilte Rechtsbelehrung "die richtige" war, ist davon abhängig, ob sie - auf den Zeitpunkt der Belehrung bezogen - der Rechtsansicht des über die Instruktionsrüge entscheidenden Obersten Gerichtshofes entspricht (vgl Ratz, WK-StPO § 345 Rz 60).
Die Beschwerdeführerin räumt - wie erwähnt - selbst ein, dass die Rechtsbelehrung den hiezu bisher ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidungen entspricht.
Das Verbrechen der Tötung eines Kindes bei der Geburt nach § 79 StGB ist formal ein eigenes Delikt, der Sache nach eine zum Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB speziellere privilegierende Strafbestimmung. Auf Grund dieses Verhältnisses scheinbarer Konkurrenz wird in Ansehung der Strafbarkeit der Mutter wegen vorsätzlicher Tötung ihres neugeborenen Kindes § 75 StGB verdrängt, wenn sämtliche Merkmale des § 79 StGB vorliegen, zu denen außer dem Mutter-Kind-Verhältnis auch die Begehung in einer bestimmten Zeitspanne zählt.
Die für die Privilegierung wesentliche Zeitspanne der Begehung ist in § 79 StGB durch Anführung von zwei Abschnitten beschrieben, nämlich erstens "während der Geburt", die mit dem Einsetzen der Eröffnungswehen beginnt und (aus der deliktsspezifisch maßgeblichen Warte der Mutter und nicht der des Kindes erst) mit den Ausstoßen der Nachgeburt endet, und zweitens solange die Mutter darüber hinaus "noch unter der Einwirkung des Geburtsvorganges steht". Die Feststellung, ob ihre Tathandlung - gleich welcher Tätschaftsform (§ 12 StGB) sie zu subsumieren ist - in der beschriebenen Zeitspanne liegt, also im genannten Sinn während der Geburt oder danach zu einem Zeitpunkt gesetzt wurde, in dem die Mutter noch unter dieser Einwirkung stand, obliegt als Tatfrage dem erkennenden Gericht, im gegebenen Fall den Geschworenen. Für die dabei anzustellende Beweiswürdigung hinsichtlich der Dauer der Einwirkung kann auch ein schon vor der Geburt gefasster Tötungswille bedeutsam sein (zum Ganzen Moos in WK2 § 79 Rz 26, 30 bis 32, Kienapfel/Schroll BT I5 § 79 Rz 11, 20 f, je mwN; 13 Os 3/94).
Weshalb eine Tat trotz nach dem Gesetzeswortlaut (selbst bei dessen engstmöglicher Bedeutung) gegebener Erfüllung aller Merkmale des § 79 StGB nicht dieser Bestimmung, sondern der mit höherer Strafdrohung versehenen des § 75 StGB zu unterstellen und eine dieser Auffassung entsprechende Belehrung der Geschworenen geboten gewesen sein soll, legte die Beschwerde nicht methodengerecht dar.
Das Vorbringen der Staatsanwaltschaft, die der Instruktion zugrunde liegende Rechtsansicht - wonach ein vorgefasster Tötungsvorsatz die Privilegierung nach § 79 StGB nicht ausschließt - stehe im Widerspruch zu "Privilegierungszweck" des § 79 StGB, eine Mutter, die ihr Kind während der Geburt töte, komme nur deshalb in den Genuss einer massiv herabgesetzten Strafdrohung, weil ihr der Gesetzgeber "zum Zeitpunkt der Geburt, der hier stets auch dem Tatzeitpunkt entspricht, eine generell zu vermutende, erheblich verminderte Schuldfähigkeit infolge des geburtsbedingten psychischen und physischen Stress- und Ausnahmezustandes zubilligt", was auf eine Mutter, die den Tötungsvorsatz bereits (lange) vor der Geburt gefasst habe, nicht zutreffe, ist ersichtlich nur auf den ersten in § 79 StGB genannten Zeitabschnitt ("während der Geburt") bezogen und stellt der Sache nach eine Kritik am Gebrauch eines objektivierten Schuldmerkmals durch den Gesetzgeber dar (Moos aao Rz 25, Kienapfel/Schroll aaO Rz 20 f), die zudem unschlüssig ist.
Eine (von der Beschwerde ersichtlich) im Ergebnis angestrebte teleologische Reduktion der gegenüber § 75 StGB privilegierenden Bestimmung des § 79 StGB (durch Ausschluss selbst vom engstmöglichen Gesetzeswortlaut erfasster Fälle von ihrer Anwendung) verstieße als Lückenschließung zu Lasten des Angeklagten gegen § 1 StGB (Burgstaller, JBl 1999, 545 f). Ist im Urteil - wie im gegebenen Fall durch den Wahrspruch der Geschworenen - festgestellt, dass die Tathandlung der Mutter während der Geburt oder solange sie noch unter der Einwirkung des Geburtsvorganges stand begangen wurde, ist ihr daher die vorsätzliche Tötung ihres Neugeborenen auch dann nach § 79 StGB und nicht als Mord anzulasten, wenn sie schon vor der Geburt zur Tötung entschlossen war (13 Os 124/82 = SSt 53/59, 13 Os 3/94). Ein vorgefasster Tötungswille der nach § 79 StGB straffällig gewordenen Mutter kann aber bei der Strafbemessung als erschwerend ins Gewicht fallen (Kienapfel/Schroll aao Rz 21).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur und der sich dem Standpunkt der Generalprokuratur anschließenden Äußerung der Verteidigung gemäß § 35 Abs 2 StPO - zu verwerfen.
Das Geschworenengericht verhängte über die Angeklagte nach § 79 StGB unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von dreieinhalb Jahren und ordnete gemäß § 21 Abs 2 StGB die Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher an.
Dabei wertete es als erschwerend die Wiederholung des Verbrechens sowie den zumindest bei dem im Juli 2002 geborenen Kind "vorgeplanten Tötungsvorsatz" (§ 32 Abs 2 StGB), als mildernd die Unbescholtenheit sowie eine über das übliche Maß bei Geburten hinausgehende Verminderung der Zurechnungsfähigkeit bei der Geburt im Juli 2002. Die Gewährung bedingter Strafnachsicht nach § 41 Abs 3 StGB lehnte es zum einen im Hinblick auf das nicht beträchtliche Überwiegen der Milderungsgründe über die Erschwerungsgründe und zum anderen mangels günstiger Prognose ab und ging davon aus, dass nach den Sachverständigengutachten zu befürchten sei, die Angeklagte werde unter dem Einfluss ihrer Abartigkeit zumindest eine strafbare Handlung mit schweren Folge begehen und erachtete somit das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 Abs 2 StGB als gegeben.
Weiters sprach es dem Privatbeteiligten Frank Karim A***** gemäß § 369 Abs 1 StPO einen Betrag von 1.049,71 Euro samt 4 % Zinsen seit 4. Juni 2003 als Ersatz für die von ihm bezahlten Begräbniskosten zu.
Dagegen richten sich die Berufungen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft. Die Angeklagte begehrt mit ihrer Berufung wegen Strafe die Herabsetzung der Freiheitsstrafe, in eventu deren (teil-)bedingte Nachsicht und/oder die bedingte Nachsicht der Unterbringung in der Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher sowie mit derjenigen gegen den Privatbeteiligtenzuspruch die Verweisung auf den Zivilrechtsweg; die Staatsanwaltschaft hinwieder strebt die Erhöhung der Freiheitsstrafe an.
Nur die Berufung der Staatsanwaltschaft erweist sich als begründet.
Wenn auch entgegen der darin vertretenen Ansicht der über den vom Gesetzgeber angenommenen Regelfall hinausgehende besondere psychische Zustand zusätzlich als mildernd ins Kalkül gezogen werden kann (vgl Mayerhofer StGB5 § 79 Rz 4) und dieser Milderungsgrund nach der Aktenlage im Sinn der Begutachtung von Dris. Karin T***** (ON 75/III, S 355/V ff) und Prim. Univ. Doz. Dr. Reinhard H*****, ON 143/V und S 11/VI) vom Geschworenengericht zutreffend herangezogen wurde, so ist ihr zum einen beizupflichten, dass die überaus rasche (Tatwiederholung binnen eines Jahres) nicht berücksichtigt wurde und als erschwerend hinzukommt. Unter richtiger Bewertung der solcherart korrigierten Strafzumessungstatsachen, insbesonders des überaus hohen Tatunrechtes - wobei vor allem der vorgefasste Tötungsvorsatz ins Gewicht fällt - und der ersichtlich ablehnenden Einstellung der Angeklagten gegen das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit, war die Höhe der Freiheitsstrafe auf das im Spruch angeführte Ausmaß zu korrigieren.
Die Angeklagte war mit ihrer Berufung wegen Strafe auf diese Entscheidung zu verweisen. Im Hinblick auf § 45 Abs 1 zweiter Satz StGB erübrigte sich, auf deren Vorbringen zur bedingten Nachsicht des - ansonsten von der Angeklagten nicht bekämpften - Einweisungsausspruches einzugehen.
Letztlich erweist sich auch die Berufung gegen den Privatbeteiligtenzuspruch als nicht berechtigt. Dem Berufungsvorbringen zuwider wurde die Angeklagte in der Verhandlung vor dem Geschworenengericht mit dem Begehren des Privatbeteiligten konfrontiert und im Sinn des § 365 Abs 2 StPO vernommen. Inwiefern diese Vernehmung "nicht ausreichend" gewesen sein soll, legt die Berufung nicht dar, sondern spekuliert über Sinn und Zweck des Privatbeteiligtenzuspruches sowie dessen Motiv. Im Hinblick auf den in der Verhandlung erbrachten Nachweis der Bezahlung der Begräbniskosten (deren Höhe inhaltlich nicht bestritten wurde), ist der Schwurgerichtshof berechtigt davon ausgegangen, dass diese demjenigen, der sie getragen hat, zu ersetzen sind (§ 366 Abs 2 StPO, § 1327 ABGB, vgl 4 Ob 204/99z), sodass der Zuspruch zu Recht erfolgte.
Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)