OGH 6Ob152/03a

OGH6Ob152/03a23.10.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Manfred Ainedter und Dr. Friedrich Trappel, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Alexander S***** und 2. Andreas E*****, beide vertreten durch Mag. Markus Stender, Rechtsanwalt in Wien, wegen Mietzinsrückstands und Räumung, über die außerordentliche Revision und den Rekurs der beklagten Parteien gegen das Teilurteil und den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 19. März 2003, GZ 39 R 83/03z-23, womit über die Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Josefstadt vom 10. Dezember 2002, GZ 17 C 511/02h-19, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1. Der Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss wird zurückgewiesen;

2. der Revision gegen das Teilurteil wird Folge gegeben und das Teilurteil aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird in diesem Umfang eine neuerliche Entscheidung über die Berufung der klagenden Partei aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Klägerin vermietete am 7. 6. 2001 den Beklagten ein für Geschäftszwecke mit Kundenverkehr geeignetes, repräsentatives Mietobjekt zu einem monatlichen Mietzins von 2.783,37 EUR. Die Beklagten reklamierten schon am 1. 9. 2001 Schäden am Parkettboden und in der Folge verschiedene andere Mängel des Mietobjektes und machten mehrfach, insbesondere auch nach einem Wasserschaden, eine Mietzinsminderung geltend. Die Klägerin erklärte, dass der Schaden am Parkettboden auf übermäßige Heizung zurückzuführen sei, erklärte sich aber zur Sanierung einiger Mängel bereit. Die Beklagten forderten die Sanierung aller von ihnen behaupteten Mängel. Zu einer konkreten Terminvereinbarung über die Mängelbehebung kam es nicht.

Mit ihrer am 23. 5. 2002 beim Erstgericht eingelangten Mietzins- und Räumungsklage begehrt die Klägerin die Zahlung eines Mietzinsrückstandes für die Monate April und Mai 2002 von 2.233,73 EUR und die Räumung des Mietobjektes.

Die Beklagten wandten Mietzinsminderung wegen verschiedener Mängel des Mietobjektes ein. Die Klägerin replizierte, dass die Beklagten Handwerker nicht in das Objekt gelassen und dadurch die Verbesserungsarbeiten vereitelt hätten.

Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. Von seinen Feststellungen ist hervorzuheben:

Bereits seit der Anmietung durch die Beklagten, zumindest aber seit März 2002 wies das Bestandobjekt Mängel auf (ua Risse in den Türleibungen und im Deckenstuck; Ausbrechungen im Parkettboden). Es kann nicht festgestellt werden, dass die Schäden des Parkettbodens auf übermäßige Raumheizung zurückzuführen sind. Die Feststellungen über die Korrespondenz der Parteien können dahin zusammengefasst werden, dass die Klägerin mehrmals um Terminvereinbarung für die Mängelbehebung ersucht und die Sanierung einiger Mängel zugesagt hat, die Beklagten aber die vollständige Sanierung verlangten. Ein konkreter Termin für die Besichtigung des Mietobjektes oder die Reparatur wurde von keiner Seite dem anderen genannt. Ein von der Klägerin geschickter Sachverständiger, der im Mietobjekt unangekündigt erschienen war, konnte erst beim zweiten Besuch eine Begehung durchführen. Per 3. 5. 2002 bestand (rechnerisch) ein Mietzinsrückstand von 2.233,73 EUR.

Das Erstgericht hielt wegen der festgestellten Mängel des Mietobjektes eine Mietzinsreduktion von 20 % für angemessen und verneinte damit das Bestehen einer offenen Mietzinsforderung der Klägerin und eines Räumungsanspruchs nach § 1118 ABGB.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin in nichtöffentlicher Sitzung teilweise Folge und verurteilte mit Teilurteil die Beklagten zur Zahlung des begehrten Mietzinsrückstands. Das Ersturteil über die Abweisung des Räumungsbegehrens hob das Berufungsgericht mit Beschluss zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung auf, weil die Räumung die Rechtskraft des Teilurteils voraussetze und dem Mieter die Möglichkeit der Nachzahlung des Mietenrückstands eingeräumt werden müsse.

Das Berufungsgericht ging aufgrund der vom Erstgericht getroffenen Feststellungen und der vorgelegten Korrespondenz der Parteien (die Echtheit der Urkunden wurde zugestanden) davon aus, dass die Beklagten ihre Mitwirkungspflicht im Sinne der Entscheidung 7 Ob 195/00b (wobl 2001, 150/91) verletzten, weil sie mit der leistungsbereiten Vermieterin keinen Termin für die Reparaturarbeiten vereinbart hätten.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Gegen das Teilurteil und den Aufhebungsbeschluss richten sich die gemeinsam eingebrachten Rechtsmittel der Beklagten, nämlich

1. die außerordentliche Revision mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass das Ersturteil wieder hergestellt werde (hilfsweise wird die Aufhebung wegen Nichtigkeit oder die Aufhebung zur Verfahrensergänzung beantragt) und

2. der Rekurs, mit dem Antrag, den Aufhebungsbeschluss als nichtig aufzuheben, hilfsweise, den Beschluss ersatzlos oder zur Verfahrensergänzung aufzuheben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss ist mangels Zulassung eines Rechtsmittels durch das Berufungsgericht jedenfalls unzulässig (§ 519 Abs 1 Z 2 ZPO).

Die Kläger beantragen mit der ihnen freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen oder dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig und im Sinne des gestellten Aufhebungsantrages zur Verfahrensergänzung auch berechtigt.

Die Revision ist trotz des unter 4.000 EUR liegenden Wertes des vom Teilurteil erfassten Entscheidungsgegenstandes nicht jedenfalls unzulässig, weil der Mietzinsrückstand für den gemäß § 502 Abs 5 Z 2 ZPO jedenfalls revisiblen Räumungsanspruch (über den das Berufungsgericht mit seinem Aufhebungsbeschluss entschied) präjudiziell ist. Das Teilurteil ersetzt den Sachbeschluss nach § 33 Abs 2 MRG, der unabhängig von der Höhe des Zinsrückstands anfechtbar ist. Die Zerlegung der Entscheidung kann hier nicht die Unanfechtbarkeit bewirken (6 Ob 160/01z).

Die Revisionswerber erblicken in der Vorgangsweise des Berufungsgerichtes, das aus den auch vom Erstgericht als Beweismittel herangezogenen Urkunden (der Korrespondenz der Parteien) ergänzende Feststellungen traf, eine Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO, weil von den Feststellungen des Erstgerichtes abgegangen und den Beklagten das Gehör entzogen worden sei. Bei der beabsichtigten Abänderung des Ersturteils hätte den Beklagten entsprechend § 473a ZPO Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden müssen. Dazu ist Folgendes auszuführen:

Es liegt kein Fall des § 473a ZPO vor, weil die im Verfahren erster Instanz obsiegenden Beklagten sich ja gerade nicht durch die erstinstanzlichen Feststellungen für beschwert erachten, ihnen also nicht Gelegenheit zu geben war, diese in der Rechtsmittelgegenschrift zu bekämpfen. Das Berufungsgericht hat vielmehr die erstinstanzlichen Feststellungen über die Korrespondenz der Parteien aufgrund der vorgelegten Urkunden ergänzt, sodass sich die Frage stellt, ob es dies ohne mündliche Verhandlung und Zustimmung der Parteien tun durfte (§§ 488 und 281a ZPO). Beide Gesetzesstellen zielen auf die Vermeidung der Überrumpelung der Parteien ab (Kodek in Rechberger ZPO2 Rz 3 zu § 488) und haben Beweisaufnahmen über strittige Tatsachen zum Gegenstand. Um solche handelt es sich hier aber nicht, weil die Echtheit der Urkunden zugestanden worden war und die "Beweisaufnahme" des Berufungsgerichtes lediglich in der Wiedergabe des Urkundentextes über einen Sachverhalt bestand, der unstrittig stattfand, nämlich derjenige, dass die Parteien einander die Schreiben mit den unstrittigen Texten übermittelten. Unstrittige Tatsachen bedürfen aber keiner Beweisaufnahmen (§ 266 ZPO). Es wäre demnach ein überflüssiger Formalismus, hier eine Verfahrensergänzung in mündlicher Verhandlung zu verlangen, bei der nichts anderes geschehen könnte, als die Urkunden zu verlesen und ihren Text - soweit entscheidungswesentlich - zum Gegenstand der Feststellungen zu machen. Selbst wenn man in der Vorgangsweise des Berufungsgerichtes einen Verfahrensmangel erblickte, wäre er für die Sachentscheidung nicht erheblich. Eine Nichtigkeit oder ein relevanter Verfahrensmangel liegen demnach nicht vor.

Zur Verletzung der Mitwirkungspflicht der Mieter bei der Behebung von Mängeln des Mietobjektes, die ihre Mietzinsreduktion rechtfertigen könnten:

Nach Lehre und Judikatur führt eine Störung des vereinbarten Gebrauchs des Mietobjekts unabhängig von einem Verschulden des Vermieters zu einer Zinsminderung nach § 1096 ABGB. Diese Gewährleistungsfolge tritt kraft Gesetzes vom Zeitpunkt der Beeinträchtigung bis zu deren Beendigung ein (Würth/Zingher, Miet- und Wohnrecht20 Rz 11 zu § 1096 mwN). Die Entscheidung 7 Ob 195/00b (wobl 2001, 150/91 [Prader]) schreibt die schon in der Entscheidung 1 Ob 225/60 vertretene Rechtsansicht fort, dass der Mieter, der die Wiederherstellung des Bestandobjektes verhindert, keinen Anspruch auf Zinsminderung habe. Der Entscheidung des 7. Senates lag zugrunde, dass die erschienenen Professionisten trotz mehrfacher Versuche beim Mieter keinen Zutritt zum Mietobjekt erreichen konnten.

Die Revisionswerber bezweifeln grundsätzlich nicht die in der Entscheidung angeführten Rechtsfolgen einer Verhinderung von Reparaturarbeiten durch den Mieter, stehen aber auf dem Standpunkt, dass ihnen eine Verweigerung der Mängelbehebung nicht vorzuwerfen sei. Dem kann hier schon deshalb gefolgt werden, weil feststeht, dass keine der Parteien in den zahlreichen Schreiben und Gegenschreiben jemals der Gegenseite einen konkreten Termin für eine Besichtigung oder die Aufnahme der Reparaturen nannte und keinerlei Fristen für die Bekanntgabe eines konkreten Termins gesetzt wurden. In einem solchen Fall kann nicht eine der Parteien einseitig mit Verzugsfolgen belastet werden. Die Beseitigung der Schäden am Mietobjekt steht im Interesse beider Parteien. Das Mietverhältnis begründet vertragliche Nebenpflichten zugunsten des Vertragspartners, die hier in der Mitwirkung an der Beseitigung der Schäden besteht, damit der vertragsgemäße Zustand sobald als möglich wieder hergestellt wird. Um den Fortbestand der schon eingetretenen Zinsminderung zu beenden, hätte die Vermieterin den Beklagten daher eine Frist für eine Terminbekanntgabe setzen müssen, um sie so in Verzug zu setzen. Erst dann könnte in der Nichtbekanntgabe eines Termins eine der Verweigerung des Zutritts zum Mietobjekt gleichzuhaltende Verletzung der Mitwirkungspflicht des Mieters erblickt werden.

Die Stattgebung des Begehrens auf Bezahlung des Mietzinsrückstandes kommt hier aber auch schon deshalb nicht in Frage, weil die Zinsreduktion schon ab Eintritt der Gebrauchsminderung zusteht und - wie ausgeführt - kraft Gesetzes eintritt, sodass die Verletzung der Mitwirkungspflicht wegen Verhinderung der Reparaturarbeiten erst ab der Verhinderungshandlung des Mieters in voller Höhe den Mietzins wieder aufleben lässt (in diesem Sinne Prader, Entscheidungsanmerkung wobl 2001, 150 [152]). Eine Rückwirkung des Verlustes einer schon entstandenen Zinsminderung im Sinne der Entscheidung des Berufungsgerichtes käme einer Verwirkung eines schon entstandenen Anspruchs gleich, die sich aus dem Gesetz nicht ableiten lässt. Ein allgemeiner Verwirkungstatbestand durch positives, insbesondere rechtswidriges Tun kennt das österreichische Recht nicht (Rummel in Rummel ABGB3 Rz 24 zu § 863 mwN). Für eine Ableitung aus dem Vertragsverhältnis fehlt jeder Anhaltspunkt.

Das Berufungsgericht hat dem Zahlungsbegehren ausschließlich aufgrund der nicht zu teilenden Rechtsansicht über die Verletzung der Mitwirkungspflicht der Mieter stattgegeben. Damit ist die Sache noch nicht spruchreif, weil der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt über die Schäden am Mietobjekt und deren Ursachen von der Klägerin in ihrer Berufung mit Beweis- und Tatsachenrügen bekämpft wurde. Darüber wird das Berufungsgericht im zweiten Rechtsgang zu entscheiden haben.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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