OGH 9Ob53/03i

OGH9Ob53/03i8.10.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Wolfgang P*****, vertreten durch Dr. Remigius Etti und Mag. Maximilian Kocher, Rechtsanwaltspartnerschaft in Brunn am Gebirge, gegen die beklagte Partei S*****bank AG, *****, vertreten durch Dr. Hans Kulka, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert EUR 35.000) über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 21. Jänner 2003, GZ 5 R 162/02h-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 24. April 2002, GZ 34 Cg 10/02f-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Erstgerichtes wird im Umfang der Entscheidung über das Eventualbegehren, das Urteil des Berufungsgerichtes wird zur Gänze aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Nach rechtskräftiger Abweisung des Leistungsbegehrens sowie des Feststellungs-Hauptbegehrens ist nur noch ein Feststellungs-Eventualbegehren Gegenstand des Verfahrens. Damit begehrt der Kläger festzustellen, dass die Beklagte dem Kläger für alle künftigen Schäden aufgrund der fehlerhaften Anlageberatung vom 21. 3. 2000, insbesondere in Form von allfälligen geringeren Kurswerten der Fonds J. Baer Multistock SICAV - Fonds (Kennnummer 986012), INVESCO GT Pan European Fund (Kennnummer 973788), JPMorgan Pacific Fund (Kennnummer 971609), SKWB Schoellerbank Global Portfolio Fonds (Kennnummer 80117) und SKWB Schoellerbank Aktienfonds (Kennnummer 82037) per 21. 3. 2004 gegenüber dem Wert zum Zeitpunkt der Zeichnung dieser Fonds am 21. 3. 2000 hafte.

Dazu brachte der Kläger vor: Er sei im Feber 2000 an einen Mitarbeiter der beklagten Partei mit dem Ersuchen herangetreten, sich Gedanken über eine Kapitalveranlagung zu machen, welche der Kläger vornehmen wollte. Der Kläger habe darauf hingewiesen, dass er ab März 2000 Kapital verfügbar hätte, welches er für einen Zeitraum vom drei bis vier Jahren - mit etwas mehr Rendite als bei einem Sparbuch und Anleihen - veranlagen wolle. Den Veranlagungszeitraum von drei bis vier Jahren habe er damit begründet, dass er nach diesem Zeitraum in Pension gehen wolle und die Rendite eine Zusatzpension darstellen solle. Anlässlich eines Gespräches vom 21. 3. 2000 habe der Kläger gegenüber dem Mitarbeiter der beklagten Partei Bedenken hinsichtlich einer Veranlagung in Aktienfonds geäußert, zumal er entsprechend kritische Artikel über eine derartige Veranlagung gelesen und dies auch dem Mitarbeiter mitgeteilt habe. Damit sei dem Mitarbeiter der beklagten Partei klar gewesen, dass der Kläger an einer sicheren Veranlagung seines Kapitals interessiert gewesen sei. Dessen ungeachtet habe der Mitarbeiter der beklagten Partei aber die Veranlagung in diverse (aus dem Spruch hervorgehende) risikoreiche Aktienfonds vorgeschlagen, ohne dies dem Kläger entsprechend zu erläutern. Vielmehr habe er dessen Bedenken zerstreut. Im Vertrauen auf die Richtigkeit der Beratung habe der Kläger Effektenaufträge unterschrieben, aus denen nicht hervorgegangen sei, was in den einzelnen Fonds enthalten sei. Seitens der beklagten Partei sei weder ein Kundenprofil des Klägers erstellt worden, noch seien entsprechende Risikohinweise getätigt worden. Wäre der Kläger auf das Kursverlustpotential der von der beklagten Partei empfohlenen Fonds aufmerksam gemacht worden, hätte er diese Fonds mit Sicherheit nicht gezeichnet. Tatsächlich seien bis zum Ende des Jahres 2001 Kursverluste aus den Beteiligungen an diesen Fonds entstanden, welche sich auf EUR 35.077,43 belaufen hätten. Ausgehend vom vereinbarten Veranlagungszeitraum von zumindest drei Jahren sei nicht auszuschließen, dass noch weitere Kursverluste eintreten werden, sodass ein rechtliches Interesse des Klägers an der Feststellung der Haftung der beklagten Partei für derartige künftige Schäden bestehe. Künftige Schäden könnten darin liegen, dass die Kurswerte der angeschafften Fonds im März 2004 noch erheblich niedriger liegen als im Anschaffungspunkt März 2000. Außerdem drohe dem Kläger ein Rechtsnachteil, weil unter Umständen bei einer Klagsführung nach Schadenseintritt bereits Verjährung eingetreten sein könnte. Das Feststellungsinteresse liege auch darin, dass die Beklagten jegliche Schäden des Klägers schon dem Grunde nach bestreite.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Veranlagungsstruktur sei mit dem Kläger genau besprochen worden, es sei die bisherige Entwicklung dieser Fonds aufgezeigt worden, auch in der Folge hätten sich die Fonds marktkonform entwickelt. Der Veranlagungsvorschlag habe genau dem Kundenprofil des Klägers entsprochen, der bisher ertragsorientiert mit begrenzter Risikobereitschaft investiert habe. Abgesehen davon, dass der Kläger vor der gegenständlichen Anschaffung Veranlagungsformen mit ähnlichem Risiko gewählt und daher über entsprechende Fachinformationen verfügt habe, sei er umfassend und ausreichend belehrt worden. Darüber hinaus sei ein Feststellungsbegehren auch deshalb verfehlt, weil ein Schaden weder eingetreten, noch absehbar sei. Der Kläger habe einen Veranlagungszeitraum zwischen vier und sieben Jahren gewählt, vor Ende des Veranlagungszeitraumes könne daher aufgrund der Kursentwicklung ein Kursverfall nicht prognostiziert werden.

Das Erstgericht wies die Klage ohne Durchführung eines Beweisverfahrens ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass die Frage eines Beratungsfehlers nur Vorfrage für das Haftungsbegehren sein könne. Die Bestreitung der Haftung allein begründe daher kein solches Interesse. Auch die bloße Möglichkeit eines späteren Schadenseintritts begründe für sich noch kein Feststellungsinteresse. Eine Verjährungsgefahr bestehe noch nicht, da ein Schaden überhaupt noch nicht eingetreten sei und frühestens von diesem Zeitpunkt an eine Verjährungsfrist zu laufen beginne. Ob ein Schaden eintrete, werde vielmehr erst nach Ablauf des Veranlagungszeitraums feststehen können.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes. Es verwies wohl auf die neuere Judikatur, nach welcher Feststellungsklagen auch schon vor Schadenseintritt möglich sind, doch könne nicht übersehen werden, dass die Mehrzahl der einschlägigen Entscheidungen Unfälle und Unfallfolgen betreffe und in diesem Zusammenhang von Schadensereignissen bzw schadensträchtigen Vorfällen auszugehen sei. Selbst wenn man von einem Beratungsfehler ausgehen wolle, sei jedoch im vorliegenden Fall die Entwicklung der gewählten Anlagefonds völlig ungewiss, insbesondere, ob überhaupt je ein Schaden eintreten werde. Übereinstimmend mit dem Erstgericht verneinte das Berufungsgericht eine drohende Verjährung allfälliger Schadenersatzansprüche des Klägers. Darüber hinaus fehle es aber auch in der Voraussetzung eines rechtlichen Interesses an der alsbaldigen Feststellung im Sinn des § 228 ZPO. Da der Kläger an der gewählten Veranlagungsform festhalte, erwecke er den Eindruck, sich einerseits die Option eines Kursgewinnes offen zu halten, andererseits sich aber gegen das Risiko eines Kursverlustes absichern zu wollen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil das Feststellungsinteresse von der Judikatur teilweise sehr weit ausgelegt werde.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers aus dem Grund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben.

Die beklagte Partei beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht zwar die neuere Judikatur aufzeigt, dann aber zu einer früheren Judikaturlinie zurückkehrt; sie ist auch berechtigt.

Während die frühere Judikatur (siehe die ersten Entscheidungen in RIS-Justiz RS0040838) das Interesse an der Feststellung für die Haftung künftiger Schäden nur dann zuerkannte, wenn bereits ein (Teil-)Schaden eingetreten war, wurde in der Folge (SZ 56/38) darauf abgestellt, dass zwar der Eintritt eines Schadens nicht erforderlich sei, aber schon derart schadensträchtige Vorfälle vorgekommen sein müssten, dass der Schadenseintritt eher zufällig unterblieben sei und sich derartige Vorfälle mit möglichen Schäden jederzeit wiederholen könnten. In jüngerer Zeit wurde ein Feststellungsinteresse auch ohne Vorliegen besonders schadensträchtiger Ereignisse - neben deliktischer Haftung nach § 1330 ABGB oder nach dem Urheberrechtsgesetz - auch bei Vertragspflichtverletzungen (Beratungsfehler: 6 Ob 288/98s; unberechtigter Vertragsrücktritt: 6 Ob 335/00h, jeweils RIS-Justiz RS0040838) anerkannt. Insbesondere wurde zu 6 Ob 335/00h ausgeführt: "Dass Klagen auf Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden selbst dann zugelassen werden, wenn noch kein feststellbarer Schade eingetreten ist und nur die Möglichkeit besteht, dass das schädigende Ereignis einen künftigen Schadenseintritt ermöglichen kann, entspricht ständiger Rechtsprechung (es folgen weitere Zitate). In diesen Fällen bejaht die Rechtsprechung das Feststellungsinteresse aus prozessökonomischen Gründen, obwohl streng genommen ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis noch nicht vorliegt (Fasching Lehrbuch2 Rz 1093). Lehre und Rechtsprechung bejahen ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung dann, wenn ein aktueller Anlass zur präventiven Klärung des strittigen Rechtsverhältnisses besteht, was insbesondere dann der Fall ist, wenn das Rechtsverhältnis durch eine ernsthafte Unsicherheit gefährdet erscheint, etwa wenn der Beklagte ein Recht des Klägers hartnäckig bestreitet (Fasching aaO Rz 1096, 1098; Rechberger/Frauenberger in Rechberger ZPO2 Rz 7). Die Feststellungsklage dient nicht nur den Ausschluss der Gefahr der Anspruchsverjährung, sondern auch der Vermeidung späterer Beweisschwierigkeiten und der Klarstellung der Haftungsfrage. Sie soll vorbeugenden Rechtsschutz gewähren und ist daher immer schon dann zulässig, wenn aufgrund des Verhaltens des Beklagten eine erhebliche objektive Ungewissheit über den Bestand des Rechts entstanden ist und diese Ungewissheit durch die Rechtskraftwirkung des Feststellungsurteils beseitigt werden kann (RdW 1986, 81; RdW 1990, 407; SZ 70/84)."

Diese Erwägungen sind auch auf den hier vorliegenden Fall anwendbar, soferne man das Vorbringen des Klägers - mangels Verifizierung hypothetisch - zugrundelegt. Soferne der Kläger tatsächlich eine "sichere" Anlage gewünscht hätte und im Glauben gelassen worden sei, das dies mit den dann gewählten Aktienfonds der Fall sei, könnte ein gegen Vertragspflichten verstoßender und schuldhafter Beratungsfehler vorliegen. Die beklagte Partei bestreitet sowohl einen Beratungsfehler als auch den Eintritt künftiger Schäden und verweist auf die "Marktkonformität" der bisherigen Entwicklung der gewählten Fonds. Sowohl im Hinblick auf diese Bestreitung als auch in Anbetracht künftiger Beweisschwierigkeiten (der Kläger beruft sich nicht nur auf die eigene Einvernahme, sondern auch eines Mitarbeiters der beklagten Partei) ist die Aktualität des rechtlichen Interesses zu bejahen. Hinweise der beklagten Partei auf die Möglichkeit eines Beweissicherungsverfahrens sind insoweit nicht überzeugend, als ein solches Verfahren auf ganz spezielle Voraussetzungen abstellt. Da sich der Kläger nicht nur auf die mögliche Verjährung als Grundlage eines rechtlichen Interesses berufen hat, liegt im Aufgreifen des möglichen weiteren Interessengrundes zu befürchtender Beweisschwierigkeiten keine unzulässig Neuerung.

Der Erwägung des Berufungsgerichtes, der Kläger könne nicht einerseits auf die Feststellung der künftigen Schadenshaftung dringen und andererseits die seiner Meinung nach risikobehafteten Wertpapiere mit der Option eines doch eintretenden Kursgewinns behalten, ist folgendes entgegenzuhalten: Folgt man dem Vorbringen des Klägers, dass ein erheblicher Kursverlust schon jetzt eingetreten sei, würde ein Abstoßen der Wertpapiere konsequenterweise zu einem schon jetzt eintretenden Schaden im Vermögen des Klägers führen. Zum anderen wurde eine derartige allfällige Schadensminderungspflicht gar nicht eingewendet, sondern von der beklagten Partei vielmehr auf die positive Entwicklung bei Einhaltung des vereinbarten Veranlagungszeitraums verwiesen.

Da die Vorinstanzen, ausgehend von ihrer vom Revisionsgericht nicht geteilten Rechtsauffassung keine Feststellungen getroffen haben, aus denen auf ein vertragskonformes oder vertragswidriges Verhalten der beklagten Partei geschlossen werden könnte, erweist sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig (§ 496 Abs 1 Z 3 ZPO).

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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