Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit EUR 1.049,74 (darin enthalten EUR 174,96 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit EUR 752,58 (darin enthalten EUR 96,28 USt und EUR 174,90 Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 4. 7. 2000 gegen 6.52 Uhr ereignete sich in Bregenz im Kreuzungsbereich Rheinstraße (B 202)/Heldendankstraße ein Verkehrsunfall zwischen dem von der Klägerin gelenkten und gehaltenen PKW Mazda 323 und einem vom Erstbeklagten gelenkten und von der zweitbeklagten Partei gehaltenen Bus M 3. Beide Fahrzeuglenker fuhren aus Bregenz/Zentrum kommend in Richtung Hard, wobei der Erstbeklagte seine Fahrt mit dem Bus der zweitbeklagten Partei nach Abzweigung der Heldendankstraße auf der B 202 fortzusetzen gedachte, während die Klägerin mit ihrem Fahrzeug von der B 202 nach rechts in die Heldendankstraße einbiegen wollte. Im Bereich der Unfallstelle ist auf der Rheinstraße eine Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h verordnet. Die Unfallstelle befindet sich im Bereich der Kreuzung, die durch eine Ampelanlage geregelt ist. Nähert man sich der Unfallstelle von Bregenz/Zentrum kommend weist die B 202 mehrere Fahrstreifen auf. Auf der rechten Straßenseite an den Gehsteig anschließend ist ein Radfahrstreifen markiert, der eine Breite von 1,2 m aufweist; links davon liegt ein mit der Aufschrift "Bus" markierter Fahrstreifen, der eine Breite von 3 m aufweist. Links der Busspur befindet sich ein weiterer Fahrstreifen für den übrigen Verkehr und zwar für Geradeausfahrer und Rechtsabbieger, wobei entsprechende Bodenmarkierungen und Pfeile auf der Fahrbahn aufgebracht sind. Dieser Fahrstreifen ist ebenfalls 3 m breit. Vor der Ampelanlage sind Haltelinien markiert; unmittelbar hinter der Ampel führt ein Schutzweg über die Rheinstraße. Auch über die rechts abzweigende Heldendankstraße befindet sich im Kreuzungsbereich ein Schutzweg. Die an den Gehsteig anschließende Busspur setzt sich hinter der Kreuzung Richtung Hard fort. Im unmittelbaren Kreuzungsbereich befindet sich kein besonderer Hinweis auf das Vorhandensein einer Busspur. Die Klägerin fuhr auf dem links neben der Busspur liegenden Fahrstreifen und musste ihr Fahrzeug an der Kreuzung mit der Heldendankstraße wegen Rotlichts anhalten. Sie befand sich als erstes Fahrzeug vor der Ampel. Hinter ihr blieben weitere Fahrzeuge, deren Größe und exakte Fahrlinie nicht mehr festgestellt werden kann, stehen, wobei am Fahrzeug der Klägerin der rechte Blinker eingeschaltet war. Als die Ampelphasen wechselten, blickte sie in den Innenspiegel und über die rechte Schulter zurück, sah aber kein Fahrzeug, das sich auf der Busspur näherte. Nachdem die Ampel auf Grün geschaltet hatte, fuhr sie los und wollte nach rechts in die Heldendankstraße einbiegen. Zur gleichen Zeit näherte sich der Erstbeklagte mit dem Bus der zweitbeklagten Partei; er benützte die "Busspur" und hielt eine Geschwindigkeit von ca 40 km/h ein. Er erkannte, dass sich wegen des Rotlichts der Ampel auf dem Fahrstreifen links der Busspur ein 7 bis 8 Fahrzeuge umfassender "Rückstau" gebildet hatte. Bereits aus einiger Entfernung erkannte der Erstbeklagte aber auch, dass die Ampelphase von Rot auf Grün zu wechseln begann, weshalb er seine Fahrt mit unverminderter Geschwindigkeit fortsetzte. Während des Abbiegemanövers der Klägerin kam es zu einer Kollision zwischen den beiden Fahrzeugen, wobei sich die Kollisionsstelle ungefähr auf dem Zebrastreifen, der über die B 202 führt, und in der gedachten Verlängerung der "Busspur" befindet. Der Erstbeklagte fuhr mit dem linken vorderen Eck seines Busses gegen die Beifahrertür des klägerischen PKWs.
Die Klägerin befand sich zum Kollisionszeitpunkt im Beschleunigungsvorgang, nachdem sie von ihrem Stillstandsplatz vor der Ampel normal beschleunigend angefahren war. Vom Standplatz bis zu Kollisionsstelle benötigte sie ca 2 bis 2,5 Sekunden. Der Erstbeklagte hat in Annäherung an die Kollisionsstelle den in Tätigkeit befindlichen rechten Blinker am Klagsfahrzeug nicht erkannt. Er erkannte die Gefahr erst auf Grund der Schrägfahrt des Klagsfahrzeuges, die für ihn ca 1 bis 1,5 Sekunden vor der Kollision ersichtlich war. Unter Berücksichtigung einer Reaktionszeit von einer Sekunde konnte er vor der Kollision eine Verringerung der Geschwindigkeit von höchstens 5 km/h erzielen oder noch nach rechts ausweichen, was er auch tat. Durch einen Blick in den rechten Außenspiegel unmittelbar vor dem Abbiegen nach rechts wäre für die Klägerin erkennbar gewesen, dass sich auf der Busspur ein Bus nähert. Die Klägerin hatte aber nicht in den rechten Außenspiegel geblickt. Der Seitenblinker am klägerischen Fahrzeug wäre für den Erstbeklagten sicher aus einer Entfernung von ca 25 bis 30 m unter der Voraussetzung erkennbar gewesen, dass hinter dem Klagsfahrzeug ein PKW rechts versetzt stand. Unter der Voraussetzung, dass ein LKW oder Minivans hinter dem Klagsfahrzeug standen, war der Seitenblinker für den Erstbeklagten erst unmittelbar vor dem Passieren des LKWs bzw Minivans erkennbar. Unter der Voraussetzung, dass die Fahrzeuge hinter der Klägerin in einer Flucht zueinander standen, war der Seitenblinker für den Erstbeklagten bereits aus großer Entfernung erkennbar.
Die Klägerin begehrt die Zahlung von S 149.867,-- (EUR 10.891,26). Sie habe wegen eines den Schutzweg von links nach rechts passieren wollenden Fußgängers angehalten. Der Erstbeklagte sei offensichtlich aus Unaufmerksamkeit weitgehend ungebremst in das stehende Fahrzeug der Klägerin geprallt.
Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Der Erstbeklagte habe sich bei Grünlicht auf der Busspur mit einer Geschwindigkeit von 40 km/h der Kreuzung genähert. Als er sich unmittelbar vor der Einmündung der Heldendankstraße befunden habe, sei die Klägerin plötzlich und völlig überraschend vom normalen Fahrstreifen der B 202 nach rechts abgebogen. Die nachfolgende Kollision sei für den Erstbeklagten unvermeidbar gewesen. Das Alleinverschulden treffe die Klägerin, die es unterlassen habe, sich vor dem Abbiegemanöver über den Nachfolgeverkehr zu vergewissern. Das Erstgericht schränkte das Verfahren auf den Grund des Anspruches ein und wies letztlich das Klagebegehren zur Gänze ab. Ausgehend vom oben wiedergegebenen Sachverhalt erörterte es rechtlich, dass sich der Erstbeklagte auf einem Fahrstreifen für Omnibusse im Sinne des § 53 Abs 1 Z 25 StVO der späteren Unfallstelle genähert habe, während die Klägerin einen "normalen" Fahrstreifen benützt und von dort rechts abbiegen habe wollen. Der Erstbeklagte habe mit dem Bus der zweitbeklagten Partei am angehaltenen Fahrzeug der Klägerin vorbeifahren wollen. Nach § 11 Abs 1 StVO, der auch beim Einbiegen nach § 13 StVO zur Anwendung komme, dürfe ein Lenker eines Fahrzeuges die Fahrtrichtung nur ändern oder den Fahrstreifen wechseln, nachdem er sich davon überzeugt habe, dass dies ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer möglich sei. Der seine Fahrtrichtung beibehaltende Erstbeklagte habe im Sinne des § 3 StVO darauf vertrauen dürfen, dass die Klägerin, unbeachtlich des an ihrem Fahrzeug tätigen Blinkers, mit ihrem Einbiegemanöver erst nach dem Passieren beginnen werde. Den Erstbeklagten treffe daher kein Verschulden. Demgegenüber habe die Klägerin nicht die gehörige Sorgfalt walten lassen, weil durch einen Blick in den rechten Außenspiegel der Bus der zweitbeklagten Partei jedenfalls erkennbar gewesen wäre. Die Klägerin treffe daher das Alleinverschulden am Zustandekommen des Unfalls.
Das von der Klägerin angerufene Berufungsgericht sprach mit Teil- und Zwischenurteil aus, dass die Klagsforderung dem Grunde nach zur Hälfte zu Recht und die Gegenforderung ebenfalls dem Grunde nach zur Hälfte zu Recht bestehe. Ein Mehrbegehren von EUR 5.445,63 sA wies es ab. Die Kostenentscheidung und die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens behielt es der Endentscheidung des Erstgerichtes vor.
Das Berufungsgericht sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, änderte diesen Ausspruch über Antrag nach § 508 ZPO dahin ab, dass die Revision doch zulässig sei. Es beurteilte das Vorbeifahren des Erstbeklagten mit dem von der zweitbeklagten Partei gehaltenen Omnibus an den am "normalen Fahrstreifen" stehenden oder fahrenden Fahrzeugen grundsätzlich zulässiges Vorbeifahren im Sinne des § 17 StVO, das allerdings dann besondere Vorsicht und Aufmerksamkeit erfordere, wenn an einer angehaltenen Fahrzeugkolonne vorbeigefahren werde (ZVR 1981/84). Die vom Erstbeklagten eingehaltene Geschwindigkeit von 40 km/h sei im Ausmaß von 100 % relativ überhöht. Der Klägerin sei ein Verstoß gegen § 11 Abs 1 StVO vorzuwerfen.
Bei Abwägung der den Lenkern der beiden Unfallsfahrzeuge anzulastenden Verschuldenskomponenten sei von einem etwa gleichteiligen Verschulden auszugehen.
Die ordentliche Revision sei zulässig, weil Rechtsprechung fehle, mit welcher Geschwindigkeit ein erlaubter Benützer einer Busspur im Ortsgebiet an auf der Normalspur stehenden oder sich gerade in Bewegung setzenden Fahrzeugen vorbeifahren bzw nebeneinander fahren dürfe.
Die beklagten Parteien beantragen in ihrer Revision die gänzliche Abweisung des Klagebegehrens.
Die Klägerin beantragt die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Nach den Feststellungen der Vorinstanzen näherte sich der Erstbeklagte mit einem Omnibus auf einem nach § 53 Abs 1 Z 25 StVO gekennzeichneten Fahrstreifen für Omnibusse mit einer Geschwindigkeit von 40 km/h und hielt diese Geschwindigkeit bei, als er bemerkte, dass die vor ihm befindliche Verkehrsampelanlage für ihn grün zeigte. Auf dem links daneben liegenden Fahrstreifen befand sich eine aufgestaute Fahrzeugkolonne, die im Begriff war anzufahren. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit betrug in diesem Bereich 60 km/h. Nicht feststellbar war, ob der rechte Blinker am Fahrzeug der Klägerin für den Erstbeklagten erkennbar war. Diese Feststellung ist zu Gunsten des Erstbeklagten dahin auszulegen, dass er den rechten Blinker wegen hinter dem Fahrzeug der Klägerin befindlicher versetzter Fahrzeuge für den Erstbeklagten nicht erkennen konnte. Zu § 53 Abs 1 Z 25 StVO wurde bereits ausgesprochen, dass der Gesetzgeber einerseits die Gefahr des zulässigen Überquerens von Busspuren und auch andere Gefahren im Interesse der Beschleunigung des öffentlichen Verkehrs in Kauf genommen hat (ZVR 1995/83; ZVR 1988/85).
Danach wäre die Klägerin verpflichtet gewesen, vor Überqueren des "Fahrstreifens für Omnibusse" sorgfältig darauf zu achten, ob dies auch ohne Gefährdung des auf diesem Fahrstreifen befindlichen Verkehrs möglich ist. Nach den Feststellungen wäre es ihr auch möglich gewesen, vor Durchführung ihres Einbiegemanövers den Omnibus durch einen Blick in den rechten Außenrückspiegel wahrzunehmen. Ihr Einbiegemanöver ohne Vergewisserung, ob dies auch gefahrlos möglich sei, ist ihr daher als Verschulden vorzuwerfen.
Hingegen kann dem Erstbeklagten ein Verschulden am Zustandekommen des Unfalls nicht vorgeworfen werden. Er durfte zunächst darauf vertrauen, dass andere Fahrzeuglenker vor Überqueren der Busspur darauf achten, ob auf dieser kein Fahrzeug fährt. Die Einhaltung einer Geschwindigkeit von 40 km/h im Stadtgebiet wurde bereits in der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung ZVR 1981/84 nicht als überhöht und daher nicht als verschuldensbegründend angesehen. Hier kommt noch dazu, dass eine Geschwindigkeit von 60 km/h erlaubt war, weshalb die Fahrweise des Erstbeklagten nicht als verschuldensbegründend beurteilt werden kann. Die zweitbeklagte Partei hätte allenfalls für gewöhnliche Betriebsgefahr einzustehen. Nach ständiger Rechtsprechung spielt aber die gewöhnliche Betriebsgefahr in der Sphäre des Beteiligten gegenüber dem Verschulden in der Sphäre eines anderen Beteiligten regelmäßig keine Rolle (Danzl EKHG7 E 298 zu § 11; Apathy EKHG Rz 22, 23 zu § 11; Schauer in Schwimann ABGB2 Rz 29 zu § 11 EKHG jeweils mwN). Mangels Verschuldens des Erstbeklagten war daher das Ersturteil wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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