OGH 12Os90/03

OGH12Os90/0311.9.2003

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. September 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber und Dr. Habl als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Bauer als Schriftführer, in der bei dem Landesgericht für Strafsachen Graz zum AZ 12 Hv 114/02m anhängigen Strafsache gegen Andreas G***** (geborener S*****) wegen des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz vom 10. Juli 2003, AZ 11 Bs 294,296/03 (= ON 311), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Andreas G***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit dem - infolge Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung des Angeklagten sowie der Berufung der Staatsanwaltschaft nicht rechtskräftigen (noch nicht ausgefertigten) - Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 28. März 2003, wurde der Angeklagte Andreas G***** des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB schuldig erkannt und zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

Inhaltlich des Schuldspruchs hat er in Graz und an anderen Orten von März 1997 bis September 1998 als Geschäftsführer der S***** Consulting Vermittlungs GmbH und als Hauptaktionär sowie ab 18. Dezember 1997 auch als Verwaltungsrat der G***** Management AG mit dem Vorsatz, sich durch die wiederkehrende Begehung schwerer Betrügereien eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, l39 (in der Anklageschrift aufgelistete) Anlagekunden durch Täuschung über Tatsachen, nämlich durch die Vorspiegelung, bei der G***** Management AG handle es sich um eine renommierte Investmentfirma mit mehr als 125-jähriger Tradition, enormem Einlagevolumen und äußerst positiver Ertragsentwicklung, hinter welcher der Schweizer Bankverein stehe und die unter den strengsten Richtlinien der Eidgenössischen Bankenkommission geführt werde, bzw um eine österreichische Privatbank, ferner, dass er für eine sichere kostengünstige und profitable Anlage der Gelder durch Investition in Investmentfonds bei Eröffnung gesonderter kundenbezogener Depotkonten beim S*****verein Sorge tragen werde, daraus erzielbare Erträge nach § 30 EStG steuerfrei seien, er bzw die von ihm beherrschten Unternehmen über die erforderlichen Konzessionen nach schweizerischem und/oder österreichischem Recht und die notwendigen sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen für die Durchführung von Bank- oder Finanzdienstleistungsgeschäften sowie er selbst über die entsprechende Qualifikation und langjährige Erfahrung verfügten und er den akademischen Grad eines "Doktors" durch ein ordentliches Studium erlangt habe, wobei er seinen Handelsakademieabbruch ebenso wie seine fehlende Ausbildung, seine eigene Überschuldung sowie seine vorangehenden beruflichen Misserfolge, die sich in einem Privatkonkurs und einer Vorverurteilung wegen fahrlässiger Krida niederschlugen, verschwieg, und schließlich, dass die von ihm gebotene Gegenleistung in einer für die Kunden tauglichen und wertsteigernden Veranlagung von Vermögenswerten bestünde, wobei er sich teilweise zur Kundenakquisition vorsatzlos handelnder Mitarbeiter bediente, zum Abschluss von treuhänderischen Verwaltungsverträgen mit der G***** Management AG und zur Übergabe oder Überweisung von Geldbeträgen und somit zu Handlungen, die die Genannten durch die infolge fehlender Berechtigung gemäß § 100 Abs 1 BWG bzw § 26 Abs 2 WAG gesetzwidrige Einbehaltung aller mit den Bankbzw Finanzdienstleistungsgeschäften verbundenen Spesen und Verwaltungsgebühren in Höhe von zumindest 491.412,44 EUR an ihrem Vermögen schädigten, verleitet.

Der nach der Urteilsverkündung gestellte Antrag der Staatsanwaltschaft, gegen den Angeklagten einen Haftbefehl zu erlassen und ihn wegen Flucht- und Tatbegehungsgefahr in Untersuchungshaft zu nehmen, wurde vom Schöffengericht abgelehnt (ON 296).

Der dagegen erhobenen Beschwerde gab der Gerichtshof zweiter Instanz Folge und trug dem Erstgericht bei unveränderter Sachlage die Erlassung eines Haftbefehls gemäß § 175 Abs 1 Z 2 und Z 4 StPO und die Verhängung der Untersuchungshaft über Andreas G***** aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a und lit b StPO auf (ON 299).

Hierauf erließ die Vorsitzende den auf die beiden genannten Haftgründe gestützten Haftbefehl vom 19. Mai 2003 (ON 300), verhängte allerdings bei gleichzeitiger Beurteilung des Tatverdachts hinsichtlich der vom Schuldspruch verfassten Fakten als dringend sowie unter Hinweis darauf, dass gegen den Beschwerdeführer zum AZ 18 Ur 24/02 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz abermals eine Voruntersuchung wegen Verdachtes des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betruges mit Tatzeiten nach dem 2. November 1998 und einer Schadenssumme von mehr als 2,1 Mio S anhängig ist, am 21. Mai 2003 über den Angeklagten die Untersuchungshaft (bloß) aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit a und lit b StPO (ON 306).

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobenen Grundrechtsbeschwerde kommt keine Berechtigung zu.

Mit der substanzlosen Behauptung, „die in dieser Verurteilung liegenden Rechtsfragen sind in höchstem Maß komplex" bzw „bei derart komplexen Sachverhalten und dem Vorliegen von völlig ungewöhnlichen Konstellationen kann das Vorliegen einer erstinstanzlichen Verurteilung für die Annahme der Anlasstat nicht ausreichen", werden keine einer sachbezogenen Erwiderung zugänglichen Argumente gegen den angenommenen dringenden Tatverdacht vorgebracht (§ 3 Abs 1 GRBG). Denn bei einem - wenngleich nicht rechtskräftigen - Schuldspruch entspricht der Tatverdacht jedenfalls der vom Gesetz geforderten Dringlichkeit. Die Beurteilung, ob das angefochtene Urteil mit formellen und/oder materiellen Mängeln behaftet ist und allfällige vom Beschwerdeführer in Aussicht genommene Einwände der (hier) angemeldeten Nichtigkeitsbeschwerde erfolgreich sind, bleibt dem Rechtsmittelverfahren vorbehalten; darauf bezughabende Einwände sind einer Erörterung im Grundrechtsbeschwerdeverfahren entzogen (Hager/Holzweber GRBG § 2 E 19).

Im Übrigen wurden die Kursverluste der Anleger, die der Beschwerdeführer ausschließlich auf die "schwierige Marktlage" zurückführt, ohnedies nicht als Betrugsschaden gewertet, sondern ausschließlich die gesetzwidrige Einbehaltung von Spesen und Verwaltungsgebühren.

Der Beschwerde zuwider wurde der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nicht auf "vage Vermutungen" gegründet. Denn das Beschwerdegericht konnte aus der gewerbsmäßigen Verübung schwerer Betrügereien über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren mit einem Schaden von ca einer halben Million Euro zutreffend die "Neigung des Angeklagten zu vermögensschädigender Delinquenz" (S 10 in ON 299) ableiten. In Anbetracht dieses - nach dem nicht rechtskräftigen Schuldspruch anzunehmenden - gravierenden Charaktermangels kommt der Frage, ob die Gefahr besteht, dass der Beschwerdeführer künftig abermals im Rahmen seiner Tätigkeit für die V*****com AG und die G***** Management AG gegen fremdes Vermögen gerichtete Taten mit schweren oder nicht bloß leichten Folgen verüben wird - und damit der Frage, ob das Dienstverhältnis des Angeklagten zur V*****com AG bloß formal beendet wurde, keine entscheidende Bedeutung zu. Indizieren nämlich Ergebnisse des Verfahrens eine - wie hier - ausgeprägte persönlichkeitsinhärente kriminelle Täteranfälligkeit und eine manifeste Tendenz zu (gewerbsmäßiger) Vermögensdelinquenz, dann tritt die Änderung solcher einzelner tatbegünstigender Umstände bedeutungsmäßig in den Hintergrund, die ungeeignet erscheinen, den Täter an der konsequenten und nachdrücklichen Verfolgung seiner kriminellen Ziele zu hindern (12 Os 19/02). Bei dieser Sachlage ist die Verwirklichung von strafbaren Handlungen gegen fremdes Vermögen mit nicht bloß leichten aber auch mit schweren Folgen auch bei anderen - nicht weiter einzugrenzenden - Gelegenheiten naheliegend. Somit gehen sämtliche gegen die von den Untergerichten vorgenommene nähere Konkretisierung der Prognosetat(en) erhobenen Einwände ins Leere.

Der Antrag auf Einvernahme des Ronald K***** zum Beweis dafür, dass der Angeklagte "auch an dem von Herrn Eduard K***** besuchten Seminar keinerlei Äußerungen tätigte, die den Tatbestand einer Täuschung im Sinn der §§ 146 ff StGB erfüllen könnten", ist schon auf Grund des im Grundrechtsbeschwerdeverfahren geltenden Neuerungsverbots (11 Os 64/99 uva) unbeachtlich.

Aktenfremd ist schließlich die Behauptung, das Beschwerdegericht habe zu Unrecht eine "gute (inoffizielle) Vermögenssituation" des Angeklagten unterstellt. Tatsächlich wurde nämlich eine prekäre finanzielle Situation des Angeklagten mit ca 100.000 EUR Schulden, massiv andrängenden Gläubigern und die Unterfertigung des Vermögensverzeichnisses im April 2002 (S 7 in ON 299) angenommen, wodurch die Gefahr neuerlicher Vermögensdelinquenz zusätzlich verschärft und die Minderung der Tatbegehungsgefahr durch den bereits längere Zeit zurückliegenden Tatzeitraum (wobei anzumerken ist, dass der Staatsanwaltschaft die Verfolgung wegen gewerbsmäßig schweren Betruges in den Jahren 1999 und 2001 die Verfolgung vorbehalten wurde - Hv-Protokoll S 467 f/XXII) zumindest egalisiert wird. Es haben daher auch alle gegen eine - gar nicht konstatierte - günstige Vermögenslage des Angeklagten gerichteten Einwände auf sich zu beruhen.

Andreas G***** wurde somit im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb die Beschwerde ohne Kostenzuspruch abzuweisen war (§ 8 GRBG).

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