OGH 11Os96/03

OGH11Os96/0311.8.2003

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. August 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner und Dr. Zehetner als weitere Richter, in der Strafsache gegen Salim G***** wegen des Verbrechens nach § 28 Abs 2, Abs 3 erster und zweiter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, AZ 041 S Hv 22/02g des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Salim G***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 10. Juni 2003, AZ 17 Bs 144/03, nach Anhörung der Generalprokuratur zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Salim G***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Am 29. Oktober 1999 erließ das Landesgericht für Strafsachen Wien gegen den türkischen Staatsangehörigen Salim G*****, der zu dieser Zeit in Belgien zu einem dort anhängigen Verfahren in Untersuchungshaft angehalten wurde, einen internationalen Haftbefehl wegen des dringenden Verdachtes, G***** habe sich seit mindestens April 1999 gewerbsmäßig und als Mitglied einer Bande am Schmuggel übergroßer Mengen Heroin, Kokain, Cannabisharz und Ecstasy von Belgien nach Österreich beteiligt (ON 13).

In Entsprechung eines darauf gestützten, bereits im Juli 2000 bewilligten Auslieferungsersuchens (s ON 21 wurde G***** nach Beendigung des belgischen Strafverfahrens am 8. April 2002 nach Österreich überstellt (ON 66), wo über ihn mit Beschluss des Untersuchungsrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 11. April 2002 die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 1 und Abs 2 Z 1 und 3 lit b StPO verhängt wurde (ON 69).

G***** ist am 8. November 2000 in Belgien nach dem belgischen Betäubungsmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und einer Geldstrafe verurteilt, in zweiter Instanz aber am 9. Jänner 2002 freigesprochen worden. Ihm lag zur Last, in Belgien im Mai 1999 mindestens ein Kilogramm Haschisch und am 9. Juli 1999 ein Kilogramm Heroin, sowie nicht näher zu bestimmende Mengen XTC (MDMA) und Speed (Amphetamin) unerlaubt erworben, besessen, verkauft und geliefert zu haben (ON 91 iVm ON 105 S 475 f, 521/III).

Nach mehrmaliger Prolongierung der Untersuchungshaft wurde G***** mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 14. Oktober 2002, GZ 041 Hv 22/02g - 140, des Verbrechens nach § 28 Abs 2, Abs 3 erster und zweiter Fall und Abs 4 Z 3 SMG schuldig erkannt, weil er den bestehenden Vorschriften zuwider von September 1998 bis 11. Oktober 1999 in Belgien Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28 Abs 6 SMG) weit übersteigenden Suchtgiftmenge gewerbsmäßig und als Mitglied einer Bande in Verkehr gesetzt habe, indem er "maximal" sechs Kilogramm Heroin, fünf Kilogramm Kokain, sieben Kilogramm Haschisch und 6.000 Ecstasy-Tabletten in mehreren Teilmengen an gesondert verfolgte bzw bereits abgeurteilte sowie bislang unbekannt gebliebene Täter übergeben bzw die Übergabe veranlasst habe, um die Suchtgifte nach Österreich zu schmuggeln. Über G***** wurde eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren verhängt, das Urteil jedoch in Stattgebung einer Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wegen unzureichender Tatsachenfeststellungen aufgehoben und die Neudurchführung des Verfahrens angeordnet (11 Os 96/03). Mit Beschluss vom 10. Juni 2003 gab das Oberlandesgericht Wien einer Beschwerde des Angeklagten gegen die Abweisung seines in der Hauptverhandlung vom 15. Mai 2003 gestellten Enthaftungsantrages durch das Schöffengericht (ON 156 und 157) nicht Folge und ordnete die Fortsetzung der Untersuchungshaft an (ON 161).

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Beschluss richtet sich die rechtzeitig erhobene Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten, mit welcher er unter Behauptung eines Verstoßes gegen das Verbot der doppelten Strafverfolgung nach Art 54 SDÜ die Unverhältnismäßigkeit der - unter Einbeziehung der in Belgien erlittenen Haft - zum Zeitpunkt der Entscheidung des Oberlandesgerichtes bereits 43 Monate dauernden Anhaltung als Grundrechtsverletzung geltend macht; indes zu Unrecht. Richtig ist, dass Art 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ), welches für Österreich am 1. Dezember 1997 in Wirksamkeit gesetzt wurde (BGBl III 1997/90) von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmefällen abgesehen grundsätzlich die Verfolgung einer Tat dann untersagt, wenn in einem Mitgliedsstaat des Übereinkommens - wozu auch Belgien zählt - der staatliche Strafverfolgungsanspruch durch eine Entscheidung einer dazu befugten Strafverfolgungsbehörde - nicht notwendigerweise durch ein (oder unter Mitwirkung eines) Gericht(es) - verbraucht ist, gleichviel ob durch Verurteilung, Verfahrenseinstellung oder Freispruch.

Dass sich das Verfolgungshindernis nur auf nach ihrem historischen Geschehen idente Sachverhalte beziehen kann versteht sich von selbst. Vorliegendenfalls zeigt nun aber ein Vergleich der dem belgischen und dem österreichischen Verfahren zugrundeliegenden, oben beschriebenen Straftaten, dass das belgische Verfahren lediglich einen Teil des in Österreich inkriminierten Verhaltens erfasst und nur insoweit ein Verfolgungsausschluss nach Art 54 SDÜ angenommen werden kann, im Übrigen aber die Strafverfolgung des Beschwerdeführers unbeschränkt zulässig ist.

Daraus ergibt sich, dass der Verfolgung der verfahrensaktuellen gewerbsmäßigen und als Mitglied einer Bande begangenen Inverkehrsetzung von fünf Kilogramm Kokain und in Bezug auf eine ein Kilogramm überschreitende Menge Heroin jedenfalls kein Verfolgungshindernis der bezeichneten Art entgegensteht. Die von der Grundrechtsbeschwerde theamtisierte Verhältnismäßigkeitsprüfung hat sich daher auf die für die gegenüber der Anklage reduzierten Tathandlungen zu erwartende Sanktion zu beziehen und diese mit der bis zur Entscheidung des Oberlandesgerichtes währenden Haftdauer zu vergleichen. Angesichts der selbst unter Annahme des Bestehens eines Verfolgungshindernisses aus dem Titel des Verbotes der doppelten Strafverfolgung maßgeblichen Strafdrohung des § 28 Abs 4 SMG (Freiheitsstrafe von einem bis zu fünfzehn Jahren) und der die übergroße Menge des § 28 Abs 4 Z 3 SMG um ein Vielfaches übersteigenden verfahrensverfangenen Suchtgiftmenge kann von einer Unverhältnismäßigkeit der bisherigen Untersuchungshaft auch unter Einbeziehung der in Belgien nach dem am 9. Jänner 2002 erfolgten Freispruch des Beschwerdeführers ersichtlich nur auf das Auslieferungsersuchen zurückzuführenden weiteren Anhaltung, welche demnach im Falle einer Verurteilung gemäß § 38 Abs 1 Z 1 StGB auf die dann zu verhängende Strafe anzurechnen wäre und somit insgesamt rund sechzehn Monate beträgt, keine Rede sein. Aber auch bei Berücksichtigung der in Belgien im dort geführten Strafverfahren erlittenen Untersuchungshaft von Oktober 1999 bis 9. Jänner 2001, deren nach § 38 Abs 1 Z 2 StGB grundsätzlich mögliche Anrechnung mangels ausreichender Unterlagen über das Fehlen von Umständen, welche einer Anrechnung entgegenstehen könnten (§ 38 Abs 1 Z 2 StGB), noch nicht verlässlich beurteilt werden kann, würde die darnach sich ergebende, bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beachtende Gesamtdauer der Vorhaften im Ausmaß von drei Jahren und sieben Monaten gegenüber der im Falle eines der (reduzierten) Anklage entsprechenden Schuldspruches zu erwartenden Strafe noch nicht als unverhältnismäßig anzusehen sein.

Weil zudem ungeachtet der kassatorischen Entscheidung des Obersten Gerichtshofes der dringende Tatverdacht nach wie vor zu bejahen und von der Beschwerde ebenso unbekämpft geblieben ist wie die Haftgründe der Flucht- und Tatbegehungsgefahr, wurde der Angeklagte in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit durch den angefochtenen Beschluss nicht verletzt, weshalb die Grundrechtsbeschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.

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