OGH 4Ob36/03b

OGH4Ob36/03b29.4.2003

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Kodek als Vorsitzenden und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Griß und Dr. Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** GmbH, ***** vertreten durch Dr. Heinrich Kammerlander und andere Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei S*****gesellschaft m.b.H., ***** vertreten durch Hon. Prof. Dr. Gottfried Korn und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Sicherungsverfahren 42.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 7. Jänner 2003, GZ 3 R 233/02h-9, womit der Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 25. Oktober 2002, GZ 5 Cg 212/02a-3, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien haben die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Beide Streitteile beliefern Privat- und Geschäftskunden mit elektrischem Strom. Die Familie K***** aus G***** war bis 30. 5. 2002, Frau Hilde H***** bis 31. 5. 2002 Kundin der Klägerin; beide Familien haben mit Wirksamkeit vom 1. 6. 2002 mit der Beklagten einen Stromlieferungsvertrag abgeschlossen. Der Beklagten wurde mit einstweiliger Verfügung vom 11. 10. 2002 verboten, ab sofort im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs die Behauptung aufzustellen, namentlich bezeichnete Kunden würden bei Beendigung des Stromlieferungsvertrages mit der Klägerin und Abschluss eines neuen Stromliefervertrages mit der Beklagten Geld sparen, wenn diese Behauptung nicht der Wahrheit entspricht, wie insbesondere die Behauptung, die Familie K***** habe beim Wechsel von der Klägerin zur Beklagten 100 EUR pro Jahr an Stromkosten gespart, oder gleichsinnige Behauptungen. Entscheidungsgrundlage war ein Inserat der Beklagten vom 22. 8. 2002, das gegen § 2 UWG verstoße, weil die Beklagte mit einem Schwellenwert (Differenz von 100 EUR) werbe, der selbst bei Gegenüberstellung mit den bei der Kontrollbehörde gespeicherten Basistarifen ohne Rabatte nicht erreicht werde. Das Oberlandesgericht Linz bestätigte diese Entscheidung mit Beschluss vom 27. 12. 2002, 3 R 222/02s; diese Entscheidung wurde den Parteienvertretern am 22. 1. 2003 zugestellt und nicht weiter bekämpft.

Zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs beantragte die Klägerin am 16. 10. 2002, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung aufzutragen, bis zur Rechtskraft des über die Klage ergehenden Urteils im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs die Behauptung zu unterlassen, namentlich bezeichnete Kunden würden bei Beendigung des Stromliefervertrages mit der Klägerin und Abschluss eines neuen Stromliefervertrages mit der Beklagten Geld sparen, wenn diese Behauptung nicht der Wahrheit entspricht, wie insbesondere die Behauptung, Frau Hilde H***** habe beim Wechsel von der Klägerin zur Beklagten 100 EUR pro Jahr an Stromkosten gespart, oder gleichsinnige Behauptungen. Die Beklagte werbe in einem in der Gratiswochenzeitschrift "D*****" vom 26. 9. 2002 erschienenen Artikel in unrichtiger und irreführender Weise für einen Wechsel von Privatkunden der Klägerin zur Beklagten. Die darin aufgestellte Behauptung, die genannte Kundin würde sich durch den Wechsel 100 EUR jährlich sparen, sei unrichtig und verstoße gegen §§ 1, 2 UWG. Mit derselben Aufmachung wie der beanstandete Artikel seien bereits zahlreiche Einschaltungen in der Zeitschrift "D*****" erschienen. Die Klägerin habe sich bereits gezwungen gesehen, in einem dieser Fälle, in denen unrichtig eine Ersparnis beim Wechsel zu Switch behauptet wurden, Klage einzubringen; dies stehe - da verschiedene rechtserzeugende Sachverhalte vorlägen - ihrem Rechtschutzinteresse im vorliegenden Verfahren nicht entgegen.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Sicherungsbegehrens. Dem gegenständlichen Verfahren liege - mit Ausnahme des Namens der ehemaligen Stromkundin - ein völlig gleicher Sachverhalt wie im Vorverfahren zugrunde; abgesehen von den Namen seien Unterlassungs- und Sicherungsbegehren wortident. Ergänzende Ausführungen dienten nur dem Versuch, die von der Beklagten in der Äußerung zum Sicherungsantrag im Vorverfahren vorgetragenen Argumente zu widerlegen. Da die (bereits erlassene) einstweilige Verfügung ein Exekutionstitel sei, fehle der Klägerin das Rechtschutzbedürfnis an einer inhaltsgleichen einstweiligen Verfügung.

Das Erstgericht wies das Sicherungsbegehren ab. Eine einstweilige Verfügung sei ein Exekutionstitel, der dem Kläger das Rechtschutzbedürfnis an einer inhaltsgleichen einstweiligen Verfügung nehme. Es sei auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen. Im Vorverfahren sei am 11. 10. 2002 eine einstweilige Verfügung erlassen worden. Der diesem Verfahren zugrundeliegende Sachverhalt stimme - abgesehen von den Kundennamen und den individuellen Verbraucherdaten - mit jenem des gegenständlichen Verfahrens überein. Durch die weite Fassung des im Vorverfahren erwirkten Exekutionstitels umfasse dieser alle Kundenfälle ein- und desselben Tarifs. Die Klägerin sei daher bereits aufgrund des vorliegenden Exekutionstitels in der Lage, fortgesetzte Verstöße exekutiv zu ahnden und damit ihren wirtschaftlichen Schaden hintanzuhalten. Es bestehe kein Rechtschutzbedürfnis für parallele Prozessführungen aufgrund eines identen Sachverhalts getrennt nach einzelnen Kunden.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs mangels Abweichens von höchstgerichtlicher Rechtsprechung nicht zulässig sei. Auch im Provisorialverfahren gelte der Grundsatz, dass dann, wenn die gefährdete Partei schon einen Exekutionstitel zur Durchsetzung der angestrebten Unterlassung besitze, ihrem Sicherungsbegehren die Einrede des mangelnden Rechtschutzbedürfnisses entgegenstehe. Für ein wörtlich gleichlautendes Sicherungsbegehren fehle das Rechtschutzinteresse. Nur dann, wenn in einem zweiten (Provisorial-)Verfahren zwischen denselben Parteien ein Sachverhalt behauptet werde, der über den im ersten Verfahren geltend gemachten Sachverhalt hinausgehe und der, für sich allein genommen, das Sicherungsbegehren zu begründen vermöge, sei der Rechtschutz des Klägers durch den ersten - noch nicht rechtskräftigen - Exekutionstitel nicht vollständig gewahrt. In einem solchen Fall sei das Rechtschutzbedürfnis des Klägers durch die Erlangung eines vollstreckbaren Titels nicht weggefallen, sei es doch möglich, dass die Sicherungsmaßnahme erst aufgrund des im zweiten Verfahren zusätzlich behaupteten Sachverhalts Bestand habe. Zu fragen sei immer, ob das im ersten Verfahren bereits erwirkte Gebot einen tauglichen Exekutionstitel zur Abstellung auch des gesamten im zweiten Verfahren behaupteten Verhaltens bilde. Auch bei einstweiligen Verfügungen komme es in Ansehung der Sachverhaltsvoraussetzungen auf den Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz an. Nach diesen Grundsätzen habe das Erstgericht das Rechtschutzinteresse der Klägerin zutreffend verneint, weil sie schon einen Exekutionstitel zur Durchsetzung der angestrebten Unterlassung besitze. Das begehrte grundsätzliche Unterlassungsgebot entspreche wörtlich dem schon erlangten Exekutionstitel; dessen Konkretisierung ("... wie insbesondere die Behauptung ...") unterscheide sich lediglich durch den Namen der zur Beklagten gewechselten Kundschaft. Das im ersten Verfahren erwirkte Gebot sei daher ein tauglicher Exekutionstitel zur Abstellung auch eines wie im zweiten Verfahren behaupteten Verhaltens. Der nunmehr geltend gemachte Sachverhalt gehe über den im ersten Verfahren geltend gemachten Sachverhalt nicht hinaus, sondern behaupte einen gleichartigen Wettbewerbsverstoß, aus dem jenes Unterlassungsbegehren abgeleitet werde, zu dessen Sicherung die Klägerin bereits eine einstweilige Verfügung erwirkt habe.

Rechtliche Beurteilung

Der am 31. 1. 2003 erhobene außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin ist infolge nachträglich weggefallener Beschwer unzulässig.

Nach ständiger Rechtsprechung setzt jedes Rechtsmittel eine Beschwer voraus, weil es nicht Aufgabe der Rechtsmittelinstanzen ist, rein theoretische Fragen zu entscheiden. Die Beschwer muss nicht nur bei Einlangen des Rechtsmittels vorliegen, sondern auch im Zeitpunkt der Rechtsmittelentscheidung noch bestehen; fällt das Anfechtungsinteresse nach dem Einlangen des Rechtsmittels weg, dann ist das ursprünglich zulässige Rechtsmittel zurückzuweisen (SZ 61/6 = EvBl 1988/100; 4 Ob 122/01x uva; Kodek in Rechberger, ZPO² vor § 461 Rz 9 mwN; Fasching IV 498).

Im Streitfall fehlt dem Revisionsrekurs aus folgenden Überlegungen die Beschwer:

Auch im Provisorialverfahren ist das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Streitsache (§ 411 ZPO) zu beachten, weshalb auch nicht gleichzeitig zwei identische Sicherungsanträge anhängig gemacht werden können (Streitanhängigkeit als Vorläufer der Einmaligkeitswirkung der materiellen Rechtskraft). Ein neuer Antrag kann grundsätzlich nur bei Änderungen im Anspruchs- oder Gefährdungssachverhalt gestellt werden (4 Ob 333/00z = JBl 2002, 54 = EvBl 2001/119 mwN).

Selbst unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung war die Klägerin berechtigt, das hier anhängige Sicherungsverfahren einzuleiten. Der (erste) Sicherungsantrag der Klägerin vom 11. 10. 2002 betraf nämlich ein Inserat der Beklagten vom 22. 8. 2002, der (zweite) Sicherungsantrag vom 16. 10. 2002 ein Inserat vom 26. 9. 2002. Beide Ankündigungen weisen einen unterschiedlichen Text auf, weshalb schon aus diesem Grund zwei verschiedene - jeweils gesonderter wettbewerbsrechtlicher Beurteilung unterliegende - Lebenssachverhalte vorliegen, die jeder für sich und unabhängig von einander Gegenstand eines Sicherungsantrags sein können. Daran ändert auch nichts, dass das daraus jeweils abzuleitende Unterlassungsbegehren für beide Fälle (mit Ausnahme des angeführten Familiennamens) inhaltsgleich ist.

Dennoch besteht kein Bedürfnis am Bestand einer Vielzahl inhaltsgleicher Exekutionstitel. Es wurde deshalb schon wiederholt ausgesprochen, dass auch eine rechtskräftige einstweilige Verfügung einen Exekutionstitel bildet, der dem Begünstigten das Rechtsschutzbedürfnis am Erwerb eines weiteren inhaltsgleichen Exekutionstitels nimmt (MR 1994, 81 mwN; zur Vorjudikatur betreffend das ordentliche Verfahren siehe ÖBl 1996, 194 - Chronischer Leserschwund mwN). Bildet das im ersten Verfahren bereits erwirkte Gebot einen tauglichen Exekutionstitel zur Abstellung auch des gesamten im zweiten Verfahren behaupteten Verhaltens, fehlt der Klägerin insoweit das Rechtsschutzbedürfnis (4 Ob 7/98b; MR 2000, 256 = ÖBl 2000, 268 - Zigeunerkarten).

Die Besonderheit des vorliegenden Sachverhalts liegt nun darin, dass die Klägerin im Zeitpunkt der Einbringung des zweiten Sicherungsantrags schon Berechtigte einer einstweiligen Verfügung mit einem im Kern inhaltsgleichen Unterlassungsgebot wie der neuerliche Sicherungsantrag war, dieser Titel aber noch nicht rechtskräftig war.

Zechner (Sicherungsexekution, vor § 378 Rz 11) verneint das Rechtsschutzbedürfnis für eine neue Provisorialmaßnahme im Verhältnis zwischen denselben Parteien solange, als eine inhaltsgleiche, aber noch nicht rechtskräftige einstweilige Verfügung erlassen wurde und diese Bestand hat.

Im gleichen Sinn führt das Oberlandesgericht Wien (WBl 1989, 279) das Argument ins Treffen, sollte der (erste) Unterlassungsantrag schließlich abgewiesen werden, so wäre ein auf denselben Sachverhalt gestützter (zweiter) Unterlassungsantrag ebenfalls unbegründet und hätte auch bei Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses erfolglos bleiben müssen. Gegen diese Auffassung kann berechtigterweise eingewendet werden, dass die vom Kläger bereits erwirkte einstweilige Verfügung vor Rechtskraft in ihrem Bestand bedroht ist. Es greift daher das Argument des Oberlandesgerichtes Wien zu kurz, weil Grund für die Abweisung des Sicherungsantrags im Rechtsmittelverfahren nicht nur rechtliche Überlegungen, sondern etwa auch die fehlende oder mangelnde Anspruchsbescheinigung sein können, während demgegenüber im zweiten Verfahren die Bescheinigungslage besser sein kann.

Es wäre aber auch verfehlt, einen inhaltsgleichen zweiten Sicherungsantrag erst dann zuzulassen, wenn der Antragsteller, der im Besitz einer noch nicht rechtskräftigen einstweiligen Verfügung ist, Kenntnis von deren Abänderung (im Sinne einer Abweisung im Rechtsmittelverfahren) erlangt hat: Diesfalls entstünde nämlich eine Rechtsschutzlücke dadurch, dass der Kläger erst nach Aufhebung der ersten Sicherungsmaßnahme einen zweiten Sicherungsantrag einbringen könnte, der verfolgte Anspruch demnach bis zu dessen Erledigung ungesichert bliebe.

Der aus einer einstweiligen Verfügung Berechtigte verliert demnach erst mit Rechtskraft dieser Entscheidung das Rechtsschutzbedürfnis, sich (auf Grund eines anderen Lebenssachverhalts) einen inhaltsgleichen Titel im Sicherungsverfahren zu verschaffen.

Im Streitfall hat die Klägerin den Revisionsrekurs gegen die Rekursentscheidung, mit der die Abweisung ihres zweiten Sicherungsantrags bestätigt wurde, zu einem Zeitpunkt eingebracht, als die Rechtsmittelfrist gegen die im Vorverfahren in zwei Instanzen schon erlangte einstweilige Verfügung noch nicht abgelaufen war. Ihrem - nach der zuvor dargelegten Rechtslage - damals berechtigten Rechtsmittel fehlt aber nunmehr die Beschwer, weil mittlerweile die im Vorverfahren erlassene einstweilige Verfügung in Rechtskraft erwachsen ist. Dies führt zur Zurückweisung des Revisionsrekurses.

Bei der nach § 50 Abs 2 ZPO zu fällenden Kostenentscheidung war zu berücksichtigen, dass die - hypothetisch obsiegende - Klägerin keine Kosten für ihr Rechtsmittel verzeichnet hat. Die Kostenaussprüche der Vorinstanzen werden aber - ebenso wie deren Entscheidungen in der Hauptsache - nicht berührt, wenn ein Rechtsmittel wegen nachträglichen Wegfalles des Rechtsschutzinteresses zurückgewiesen wird (4 Ob 1024/92 = JBl 1993, 255).

Stichworte