OGH 15Os15/03

OGH15Os15/036.3.2003

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. März 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker, Dr. Zehetner, Dr. Danek und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Zucker als Schriftführer, in der Strafsache gegen Benedikt L***** wegen der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB, teils begangen in der Entwicklungsstufe des Versuchs nach § 15 StGB, und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 9. August 2002, GZ 22 Hv 47/02g-13, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Benedikt L***** wurde (zu I und II) der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB, teilweise begangen in der Entwicklungsstufe des Versuchs nach § 15 StGB, und (III) der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB, teils begangen in der Entwicklungsstufe des Versuchs nach § 15 StGB, schuldig erkannt.

Danach hat er

I) zu nachangeführten Zeitpunkten außer dem Fall des § 206 StGB eine

geschlechtliche Handlung an nachangeführten unmündigen Personen vorgenommen, und zwar:

1) an der am 6. November 1989 geborenen Bettina V*****

a) zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt zwischen 1994 und 1995 in Wolfsberg, indem er im Zuge des Eincremens ihrer Scheide mit einer Salbe kurz mit seinem Finger teilweise in die Scheide eindrang,

b) zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt zu Ostern 2001 während der Autofahrt von Köflach nach Niedergößnitz, indem er zwischen ihre Beine griff und wiederholt ihre Scheide oberhalb der Kleidung betastete,

c) zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt zu Pfingsten 2001 während der Autofahrt von Niedergößnitz nach Mooskirchen, indem er zwischen ihre Beine griff und wiederholt ihre Scheide oberhalb der Kleidung betastete,

2) zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt zu Ostern 2001 in Niedergößnitz an der unmündigen Jasmin V*****, geboren am 7. April 1996, indem er zwischen ihre Beine griff und ihre Scheide oberhalb der Kleidung betastete,

3) zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt zwischen 1994 bis 1995 in Wolfsberg dadurch, dass er der am 22. März 1988 geborenen unmündigen Julia V***** die Unterhose auszog und seinen entblößten Penis mit ihrem Gesäß in Berührung brachte,

II) zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt von 1994 bis 1995 versucht, außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung an der unmündigen Bettina V*****, geboren am 6. November 1989, und der unmündigen Julia V*****, geboren am 22. März 1988, an sich vornehmen lassen, indem er die beiden aufforderte, seinen entblößten erigierten Penis anzugreifen,

III) von 1994/1995 bis 2001 nachangeführte, seiner Aufsicht unterstehenden minderjährige Personen zur Unzucht missbraucht bzw zu missbrauchen versucht, und zwar:

1) die am 6. November 1989 geborene Bettina V***** durch die zu Punkt (richtig:) I) 1, II) dargestellten Tathandlungen,

2) die am 22. März 1988 geborene Julia V***** durch die zu Punkt II) dargestellten Tathandlungen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 4, 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel. Die Verfahrensrüge kritisiert die Abweisung von zwei in der Verhandlung vom 9. August 2002 gestellten Beweisanträgen, nämlich auf

1. Vorführung der Videobänder, welche anlässlich der kontradiktorischen Vernehmung der beiden Zeuginnen Bettina und Julia V***** aufgenommen wurden; zum Beweis dafür, "dass aufgrund der Widersprüchlichkeiten in den Aussagen von Julia und Bettina V***** im Zug der heutigen Einvernahme sich das erkennende Gericht einen persönlichen Eindruck von den beiden Belastungszeugen verschaffen muss, insbesondere, da Bettina V***** im Zug der kontradiktorischen Einvernahme auf Befragen der Richterin, wo sie Herr L***** angegriffen hätte, zum einen auf den Oberschenkel gezeigt hat und zum anderen auf den linken Bereich des Beckens, und Julia V***** im Zug dieser Einvernahme gesagt hat, dass sie noch nie in ihrem Leben einen steifen Penis gesehen hat", sodass durch Aufnahme dieser Beweise schon allein aufgrund des Grundsatzes der Unmittelbarkeit im Sinn des Art 6 EMRK an der Glaubwürdigkeit der zuvor genannten Zeugen erhebliche Zweifel bestehen, sowie

2. Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychologie zum Beweis dafür, "dass aufgrund der zuvor getätigten Ausführungen, nämlich der widersprüchlichen Aussagen der Zeuginnen Bettina und Julia V***** bei den Zeugen Konfabulationstendenzen vorliegen, sodass die Beiziehung eines psychologischen Sachverständigen unabdingbar notwendig ist. Dieser möge im Zug der Beauftragung die Aussagetauglichkeit bzw die Persönlichkeitsstruktur der vorgenannten Zeuginnen erörtern". Beantragt wurde überdies für den Fall der Notwendigkeit die Einholung der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters zu einer solchen Aussage.

Wie das Erstgericht in seinem abweislichen Zwischenerkenntnis (S 134, 135) im Ergebnis zutreffend darlegt, konnte die Aufnahme dieser Beweise ohne Verletzung von Verteidigungsrechten unterbleiben:

Bettina und Julia V***** wurden vor dem erkennenden Schöffengericht als Zeuginnen vernommen und dabei mit ihren Depositionen vor dem Untersuchungsrichter - auch zur Aufklärung allfälliger Widersprüche - konfrontiert (vgl HV-Protokoll S 117 f, S 121, 123 f, S 126 ff). Dabei hat der Verteidiger die Zeuginnen (unter anderem zu im Beweisantrag behaupteten Diskrepanzen) befragt und somit jede Möglichkeit zur Aufklärung allfälliger Unklarheiten erhalten. Worin bei dieser Vorgangsweise die Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes bzw wesentlicher Grundsätze des "fair trail" liegen soll, legt weder der Antrag noch die Beschwerde dar. Die begehrte Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychologie hinwieder läuft auf einen unzulässigen Erkundungsbeweis hinaus, denn der pauschale Verweis anlässlich der Antragstellung, dass aufgrund der widersprüchlichen Aussagen der Zeuginnen Bettina und Julia V***** Konfabulationstendenzen vorliegen, entbehrt der konkreten und detaillierten Darlegung jener Umstände, die das Erfordernis der Zuziehung eines Sachverständigen für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Zeugen durch das Gericht indiziert hätten. Die dazu erst in der Beschwerde nachgetragenen (und in der gemäß § 35 StPO erstatteten Äußerung wiederholten) Erwägungen haben als unzulässige Neuerung außer Betracht zu bleiben.

Im Übrigen verkennt das Rechtsmittel, dass die Beweiswürdigung gemäß § 258 StPO ausschließlich den Tatrichtern zukommt, die sich aufgrund des Beweisverfahrens, des persönlichen Eindruckes von Zeugen und Angeklagten sowie aufgrund ihrer Berufs- und Lebenserfahrung ein Urteil über die Verlässlichkeit der Aussagen zu bilden haben. Ein Gutachten ist nur bei besonderer Sachkonstellation erforderlich, nämlich wenn die Frage, ob die Glaubwürdigkeit eines Zeugen wahrscheinlich ist oder nicht, von Fachkenntnissen abhängt, deren Vorliegen bei den Mitgliedern des erkennenden Senates nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden kann (vgl Mayerhofer StPO4 § 281 Z 4 E 117, 118, 11 Os 171/96, 13 Os 150/02). Dass ein derartiger Fall nach den Verfahrensergebnissen vorgelegen sei, wird von der Beschwerde lediglich unsubstantiiert behauptet.

Soweit die Mängelrüge (Z 5) moniert, das Urteil enthalte zu Punkt II und III keinerlei Feststellungen bzw sei auch der Begründung nicht zu entnehmen, "welche Tathandlungen der Angeklagte überhaupt im Zeitraum 1994 bis 1995 bis 2001 gesetzt" hätte, negiert sie die diesbezüglichen Konstatierungen US 5 bis 10 und 11 f und lässt im Übrigen die deutliche und bestimmte Bezeichnung jener Umstände vermissen, die den herangezogenen Nichtigkeitsgrund darstellen sollen (Ratz, WK-StPO § 285d Rz 10).

Ob das entblößte Glied des Angeklagten mit dem Gesäß der Zeugin (der zuvor die Unterhose ausgezogen worden war) in Berührung gebracht (US 3) oder es dagegen gepresst (US 7) wurde, stellt im Hinblick auf den konstatierten Sexualbezug der Handlung keine entscheidende Tatsache dar (Ratz aaO § 281 Rz 399) und ist daher mit Mängelrüge nicht bekämpfbar.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) trachtet unter Hinweis auf behauptete Widersprüche in den Aussagen der Belastungszeuginnen, das Verstreichen mehrerer Jahre seit den Vorfällen in Verbindung mit deren damaligem Alter sowie die "allgemeine Lebenserfahrung" und Anstellen spekulativer Beweiswerterwägungen, beruhend auf einer eigenständig zugunsten des Angeklagten geänderten Vorfallsschilderung und selektivem Hervorheben bestimmter Teile des Beweisverfahrens, der leugnenden Verantwortung des Angeklagten zum Durchbruch zu verhelfen. Damit begibt sich die Beschwerde unzulässig auf das ihr auch unter diesem Nichtigkeitsgrund verwehrte Gebiet der Bekämpfung der Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung (Ratz aaO Rz 472). Im Übrigen ist das Schöffengericht ausdrücklich auf die Aufklärung der Widersprüche in der Aussage der Zeugin Bettina V***** in Bezug auf das Vorzeigen des Penis in Wolfsberg eingegangen und hat diese durch ihre Aussage vor dem erkennenden Gericht als geklärt angesehen (US 11 und 12). Weiters hat es sich auch mit der Erinnerungsfähigkeit dieser Zeuginnen hinsichtlich der im Jahr 1994 oder 1995 gesetzten Fakten auseinander gesetzt (vgl wiederum US 12). Insgesamt vermag das Beschwerdevorbringen auf Aktengrundlage keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der vom Erstgericht dem Ausspruch über die Schuld zugrundegelegten Tatsachen zu wecken.

Der pauschal gehaltene Einwand der Rechtsrüge (Z 9 lit a), das Erstgericht habe sich überhaupt nicht mit der subjektiven Tatseite auseinandergesetzt, übergeht die diesbezüglichen Konstatierungen (US 7, 14 und 15) und erweist sich insoferne zum einen mangels Festhaltens am gesamten Urteilssubstrat, zum anderen mangels Klarstellung, aus welchen ausdrücklich zu bezeichnenden Tatsachen (einschließlich der Unterlassung von Feststellungen) welche rechtliche Konsequenz hätte abgeleitet werden sollen (Ratz aaO Rz 584), als nicht gesetzeskonform ausgeführt. Weiters lässt die Beschwerde jede Darlegung vermissen, warum es sich bei der Berührung der Scheide der Jasmin V***** durch 10 Sekunden lediglich um eine bloß flüchtige, nur allenfalls sexualbezogene Berührung handeln soll. Die dazu auf unzulässig beweiswürdigend veränderter, somit urteilsfremder Grundlage angestellten Erwägungen verfehlen ebenfalls eine prozessförmige Darstellung des Nichtigkeitsgrundes (Ratz aaO Rz 593).

Abgesehen davon, dass der Einwand, der Angeklagte sei mit seinem Glied am Gesäß der Zeugin Julia V***** angestoßen, die Urteilsannahmen im Gesamtzusammenhang, er habe sich hinter die Zeugin gelegt, sodass er mit seinem Bauch Körperkontakt zu ihrem Rücken hatte, sich und ihr die Unterhose ausgezogen und sodann sein entblößtes Glied mit ihrem Gesäß in Berührung gebracht, negiert, lässt auch die schlichte Bestreitung, "die Annahme, dass es sich dabei um eine sexualbezogene Berührung handle", sei "völlig absurd", was im Übrigen auch auf die "angeblichen" Berührungen der Zeugin Bettina V***** im Scheidenbereich anlässlich der Autofahrt zutreffe, wiederum die gebotene deutliche und bestimmte Bezeichnung jener Tatumstände, welche den Nichtigkeitsgrund bilden sollen, vermissen (§ 285a Z 2 StPO). Gleiches gilt für den hier neuerlich vorgebrachten Einwand, das Erstgericht habe diesbezüglich "keine Feststellungen hinsichtlich der subjektiven Tatseite getroffen".

Die vom Verteidiger gemäß § 35 Abs 2 StPO zur Stellungnahme des Generalprokurators zur Nichtigkeitsbeschwerde abgegebene, die Argumentation der Beschwerde im Wesentlichen lediglich wiederholende Äußerung vermag an den dargestellten Überlegungen nichts zu ändern. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

Über die Berufungen wird das zuständige Oberlandesgericht zu entscheiden haben (§ 285i StPO).

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