OGH 1Ob25/02m

OGH1Ob25/02m13.12.2002

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Klaudia N*****, vertreten durch Mag. Michael Tinzl und Mag. Albert Frank, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei Christian W*****, vertreten durch Mag. Dr. Christina Haslwanter, Rechtsanwältin in Hall, wegen EUR 9.193,88 und Feststellung (Feststellungsinteresse EUR 726,73) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 17. Oktober 2001, GZ 1 R 449/01p-29, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Hall in Tirol vom 6. April 2001, GZ 5 C 1018/98w-23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 665,66 (darin EUR 110,94 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Streitteile sind Wohnungsnachbarn. Die Balkone ihrer Wohnungen grenzen aneinander. Sowohl die Klägerin als auch der Beklagte haben Kater; diese Tiere gelangten mitunter auf den Balkon des Nachbarn. Die Klägerin teilte dem Beklagten mit, sie dulde es nicht, dass sein Kater ihren Balkon aufsuche. Dabei wurde ua die Errichtung einer Balkonabsperrung erörtert; dieses Vorhaben kam jedoch nicht zur Ausführung.

Am Abend des 8. 5. 1998 saß die Klägerin auf ihrem Balkon. Durch das Verhalten ihres Katers wurde sie darauf aufmerksam, dass offenbar der Kater des Beklagten in der Nähe sein müsse. Sie hielt zunächst in ihrer Wohnung Nachschau und bückte sich sodann, um unter eine auf dem Balkon befindliche Bank zu schauen. Als sich die Klägerin dabei mit der linken Hand auf dem Boden aufstützte, sprang der Kater des Beklagten unter der Bank hervor und biss die Klägerin in den linken Daumen.

Beim Kater des Beklagten handelt es sich um ein scheues Tier, bei dem die "kritische Distanz", somit jene Entfernung, deren Unterschreitung bei Annäherung an ihn einen Angriff auslösen kann, deutlicher ausgeprägt ist als bei einer "zutraulichen, sozialen Katze". Fühlt sich die Katze des Beklagten in die Enge gedrängt und in einem Stresszustand, kann es daher vorkommen, dass sie angreift. Ein solcher Angriff ist jedoch als defensiv motiviert anzusehen; insbesondere ein Angriff gegen einen Menschen durch den Kater des Beklagten ohne die dargestellten Begleitumstände ist nicht vorstellbar. Es entspricht nicht dem Verhalten dieses Tieres, ohne Bedrohung bzw Reizung von außen einen Menschen anzugreifen.

Mit ihrer am 23. 12. 1998 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte die Klägerin zuletzt den Zuspruch eines Betrages von EUR 9.193,88 sowie die Feststellung, dass der Beklagte "für sämtliche Schäden aus dem Biss der Katze am 8. 5. 1998 einzustehen" habe. Der Beklagte habe trotz mehrmaliger Beanstandungen keine Vorkehrungen getroffen, um zu verhindern, dass sein Kater auf den Balkon der Klägerin gelange. Am 8. 5. 1998 sei dieses Tier auf dem Balkon der Klägerin unter einem Stuhl hervorgesprungen und habe die Klägerin derart in den Daumen gebissen, dass diese habe operiert werden müssen und stationär im Krankenhaus aufgenommen worden sei. Es sei zu befürchten, dass eine Bewegungseinschränkung des Daumens verbleibe. Auf Grund der Schwere der Verletzung sei ein Schmerzengeld in Höhe von ATS 120.000 gerechtfertigt. Weiters stehe der Klägerin der Ersatz unfallskausaler Kosten wie für Haushaltshilfe, Rezeptgebühren usw im Gesamtbetrag von ATS 6.510,50 zu.

Der Beklagte wendete dagegen ein, die Klägerin habe den Kater unnötig gereizt, wodurch sich das Tier möglicherweise in die Enge getrieben gefühlt habe. Der Beklagte habe nicht gegen seine Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflicht verstoßen, zumal es die Streitteile toleriert hätten, dass ihre Katzen den Nachbarbalkon aufsuchten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Daraus, dass der Kater des Beklagten fallweise den Nachbarbalkon aufgesucht habe, ergebe sich keineswegs eine Vernachlässigung der erforderlichen Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflicht, zumal das Tier bis zu diesem Vorfall auch keinen defensiv motivierten Angriff auf einen Menschen ausgeführt habe.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte dieses Urteil und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es stellte die wesentlichen, von der Rechtsprechung erarbeiteten Grundsätze zur Tierhalterhaftung des § 1320 ABGB dar und zog daraus den Schluss, dass die Gefährlichkeit einer Katze auch unter Berücksichtigung der Möglichkeit einer defensiv motivierten Abwehrreaktion durch Beißen oder Kratzen so gering sei, dass keine Notwendigkeit bestehe, jeden unbeaufsichtigten Kontakt mit anderen Menschen zu unterbinden. Wollte man dies trotz der äußerst geringen Wahrscheinlichkeit der Verletzung eines sich zufällig der Katze nähernden Menschen fordern, würde dies die Haltung von Katzen praktisch unmöglich machen. Diese Überlegung treffe auch auf den Kater des Beklagten zu, weil bei einem scheuen Tier zwar verstärkt mit Abwehrreaktionen, nicht aber mit hieraus resultierenden Verletzungen gerechnet werden müsse. Eine das Aufsuchen des Nachbarbalkons durch das Tier hindernden Einrichtung wäre zwar durchaus möglich gewesen, doch sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin eine derartige Absperrung nicht etwa deshalb gewünscht habe, weil irgend jemand den Kater des Beklagten als potentiell gefährlich eingeschätzt habe, sondern weil sie Beschädigungen ihrer Balkonblumen verhindern habe wollen. Um eine Gesundheitsschädigung der Klägerin zu vermeiden, sei daher nach objektiven Kriterien eine Verwahrung des Katers in der Weise, dass sie den Nachbarbalkon nicht erreichen konnte, nicht geboten gewesen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision der Klägerin ist unzulässig.

Der Tierhalter hat die objektiv erforderliche Sorgfalt bei der Verwahrung und Beaufsichtigung seines Tieres einzuhalten und hiefür den Beweis zu erbringen (SZ 69/162; RIS-Justiz RS0105089). Unter ordnungsgemäßer Verwahrung sind jene Maßnahmen zu verstehen, die nach der Verkehrsauffassung vernünftigerweise geboten erscheinen. Der Umfang der Beaufsichtigungs- und Verwahrungspflicht hängt stets von den Umständen des Einzelfalls ab (SZ 70/113; RIS-Justiz RS0030567; RS0030157). Für die Bestimmung des Maßes der erforderlichen Beaufsichtigung und Verwahrung eines Tieres sind insbesondere die Gefährlichkeit des Tieres seiner Art und Individualität nach, die Möglichkeit der Schädigung durch das spezifische Tierverhalten sowie eine Abwägung der Interessen bedeutsam. Je größer die Gefährlichkeit des Tieres ist, umso strengere Anforderungen sind an die jeweils gebotene Sorgfalt zu stellen. Geht von einem Tier eine Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit von Menschen aus, so ist die Verwahrung des Tieres durch Einzäunung, Ankettung, Anlegung eines Maulkorbs oder Führung an der Leine als durchaus zumutbare und gravierende Interessen nicht beeinträchtigende Maßnahme erforderlich (RIS-Justiz RS0030081).

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen sind Katzen grundsätzlich nicht als gefährliche Tiere einzustufen. Dem Berufungsgericht ist darin beizupflichten, dass auch bei Abwehrreaktionen scheuer Katzen gewöhnlich nicht mit der Verletzung von Menschen gerechnet werden muss, weil sich diese rechtzeitig auf das für sie leicht erkennbare Verhalten des Tieres einstellen können. Die von den Vorinstanzen im Ergebnis vorgenommene Interessenabwägung, nach der einerseits eine Gefährdung der Gesundheit des Menschen durch Katzen im Normalfall nicht anzunehmen ist und andererseits die gänzliche Unterbindung von Kontakten mit außenstehenden Personen die Haltung von Katzen so gut wie unmöglich machen würde, ist nicht zu beanstanden. Ebenso bedarf die Ansicht des Berufungsgerichts, wegen der mangelnden Gefährlichkeit des Tieres sei unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung einer Gesundheitsgefährdung der Klägerin die Errichtung einer Absperrung zum Nachbarbalkon nicht geboten gewesen, keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof.

Da die Vorinstanzen die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zutreffend dargestellt und die stets einzelfallbezogene Frage des Umfangs der Verwahrungspflicht entsprechend den Grundgedanken dieser Rechtsprechung gelöst haben, ist die Revision mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Der Beklagte hat in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels der Klägerin hingewiesen, sodass ihm Kosten gemäß §§ 50, 41 ZPO zuzusprechen sind.

Stichworte