OGH 15Os110/02

OGH15Os110/0228.11.2002

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. November 2002 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kaller als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Roman V***** wegen des Vergehens nach § 27 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 15. Mai 2002, GZ 4 a Vr 10413/99-91, sowie über dessen Beschwerde gegen den Beschluss gemäß § 494a StPO nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Staatsanwalt Mag. Oshidari, des Angeklagten und seiner Verteidigerin Dr. Halmer zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung und der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen in Rechtskraft erwachsenen Teilfreispruch enthält, wurde Roman V***** der Vergehen nach § 27 (zu ergänzen: Abs l) erster und zweiter Fall SMG (I./l./) und der Körperverletzung nach § 83 Abs l StGB (I./2./) schuldig erkannt.

Danach hat er in Wien

l./ während eines "nicht mehr genau feststellbaren Zeitraumes vom 29. September 1997 bis 31. Oktober 1998" den bestehenden Vorschriften zuwider ein Suchtgift, nämlich Kokain, in einer "nicht genau feststellbaren Menge in der Größenordnung von zumindest 10 Gramm und maximal 200 bis 300 Gramm" erworben und besessen;

2./ am 9. Juni 2000 Kai Alexander O***** durch Versetzen von Faustschlägen ins Gesicht, wodurch dieser Prellungen im Bereich des Kopfes und des linken Unterkiefers sowie eine Zahnverletzung erlitt, vorsätzlich am Körper verletzt.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 9 lit b und 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten; sie schlägt fehl.

Der Mängelrüge (Z 5) zum Schuldspruchfaktum I./l./ zuwider betrifft die Divergenz in der Tatzeit zwischen Urteilsspruch und Entscheidungsgründen keinen entscheidenden Umstand (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 5 E 112). Die genaue Begehungszeit einer Straftat gehört nicht zu den wesentlichen, deren Identität bestimmenden Merkmalen, insbesondere wenn (wie hier) Anklage und Urteil unzweifelhaft ohnedies dieselben Taten, nämlich den Erwerb und den nachfolgenden Besitz des vom abgesondert verfolgten Christian D***** bezogenen Suchtgiftes, zum Gegenstand haben (Mayerhofer StPO4 § 260 E 31b; Foregger/Fabrizy StPO8 § 260 Rz 2 mwN).

Soweit der Beschwerdeführer die ihn entlastenden Aussagen des Zeugen D***** ins Treffen führt, bekämpft er lediglich die Beweiswürdigung des Schöffengerichtes nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung. Da dessen die Suchtgiftweitergabe an den Angeklagten in Abrede stellende Aussage in der Hauptverhandlung (S 43 f/II) im Urteil gewürdigt wurde (US 8), war eine gesonderte Auseinandersetzung mit seiner inhaltlich identen Darstellung im Verfahren AZ 4 d Vr 948/99 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien entbehrlich. Die denkmöglichen Schlussfolgerungen des Erstgerichtes sind - entgegen der weiteren Beschwerdeauffassung - aus Z 5 nicht bekämpfbar (Mayerhofer aaO § 281 Z 5 E 144, 147).

Einzelne Details der insgesamt mängelfrei verworfenen Verantwortung des Angeklagten - wie dessen (nicht entscheidungswesentlichen) Aussagemotive bei der sicherheitsbehördlichen Vernehmung (S 21 ff/II) - bedurften ebenfalls keiner gesonderten Erörterung in den gedrängt abzufassenden (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) Urteilsgründen.

Entgegen der zum Schuldspruch I./2./ erhobenen Behauptung hat das Erstgericht bei der Nichtannahme einer vom Zeugen O***** begangenen Sachbeschädigung (US 7 unten) die im Rechtsmittel aufgelisteten Zeugenaussagen sehr wohl berücksichtigt (US 9).

Weshalb Divergenzen in den einzelnen Aussagen zu einer allenfalls geringgradigen Alkoholisierung des Tatopfers Entscheidungsrelevanz zukommen sollte, vermag die Beschwerde nicht darzutun.

Mit den in der Tatsachenrüge (Z 5 a) gegen das Schuldspruchfaktum I./2./ vorgetragenen Plausibilitätserwägungen und Zweifel am tatkausalen Verletzungserfolg werden keine aus den Akten abzuleitenden erheblichen Bedenken des Obersten Gerichtshofs gegen den Schuldspruch geweckt.

Die zunächst das temporäre Verfolgungshindernis (Burgstaller, JBl 2000, 607 f; 15 Os 131/02) des § 35 Abs l iVm § 37 SMG zum Schuldspruch I./l./ reklamierende Rechtsrüge (Z 9 lit b) übergeht prozessordnungswidrig die im Zusammenhang zu beachtende Feststellung, wonach der Angeklagte in mehreren Ankäufen zumindest 10 Gramm Kokain erwarb und es sich bei den erworbenen Suchtgiftmengen um keine geringen Mengen handelte (US 7). Angesichts des hinlänglich (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 19) konstatierten mehrfachen Erwerbs eines jeweils 10 Gramm Kokain ausmachenden Quantums (bis zu insgesamt 200 oder 300 Gramm, vgl US 8 iVm S 9 f/I und 31 f/I) bedürfen die rechnerischen Überlegungen des Beschwerdeführers zum Erwerb und Besitz vorgeblich geringer Tagesdosen keiner Erörterung.

Der Einwand, die Tatrichter hätten verabsäumt, nach § 35 Abs 2 iVm § 37 SMG vorzugehen, scheitert daran, dass nur die vorläufige Zurücklegung der Anzeige durch die Staatsanwaltschaft bzw durch das Gericht (§ 37 SMG) gemäß § 35 Abs l SMG obligatorisch ist, während die Entscheidung gemäß § 35 Abs 2 SMG fakultativ und damit in das (gebundene) Ermessen der Staatsanwaltschaft bzw des Gerichts gelegt ist (vgl Kodek/Fabrizy SMG § 35 Anm 2.1. und 3.1.; Foregger/Litzka/Matzka SMG § 35 Anm II.1., III. und XII.l.). Demzufolge vermag die Nichtvornahme einer vorläufigen Verfahrenseinstellung durch das Gericht gemäß §§ 35 Abs 2, 37 SMG keine Nichtigkeit im Sinn der Z 9 lit b zu begründen. Dies ergibt sich auch aus der Formulierung des erwähnten Nichtigkeitsgrundes, der nur dann verwirklicht ist, wenn durch den Ausspruch über die Frage, ob Umstände vorhanden seien, durch welche die Strafbarkeit der Tat aufgehoben oder die Verfolgung wegen der Tat ausgeschlossen ist, ein Gesetz verletzt oder unrichtig angewendet wurde (vgl 14 Os 93/02).

Die Diversionsrüge (Z 10 a) zum Faktum I./2./ behauptet, die Tatschuld sei als nicht schwer anzusehen. Für deren Beurteilung iSd § 90a Abs 2 Z 2 StPO ist der in § 32 Abs l StGB als Grundlage für die Bemessung der Strafe vorausgesetzte Schuldbegriff maßgebend, wobei die Beurteilung stets nach Lage des konkreten Falls eine ganzheitliche Abwägung aller Unrechts- und schuldrelevanten Tatumstände verlangt. Handlungsunwert und Gesinnungsunwert müssen insgesamt eine Unwerthöhe erreichen, die im Weg einer überprüfbaren Gesamtbewertung als auffallend und ungewöhnlich zu beurteilen ist. Ob schwere Schuld vorliegt, ist dabei nach Strafbemessungsgrundsätzen (§ 32 StGB) zu entscheiden.

Diesen Bemessungskriterien entsprechend haben die Tatrichter die Schuld des dreimal einschlägig vorbestraften Angeklagten mit Blick auf das Versetzen von mehreren Faustschlägen ins Gesicht des Tatopfers (US 7) zutreffend als schwer eingestuft.

Der weitere Beschwerdeeinwand, die Tat des Angeklagten sei durch die vorausgegangene Sachbeschädigung des Tatopfers ausgelöst worden, orientiert sich prozessordnungswidrig nicht am gegenteiligen Urteilssachverhalt (US 7 unten).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Schöffengericht verhängte über den Anklagten nach § 83 Abs 1 StGB, § 28 StGB eine sechsmonatige Freiheitsstrafe. Dabei wertete es als erschwerend drei auf der gleichen schädlichen Neigung beruhende Vorstrafen und das Zusammentreffen von zwei Vergehen, als mildernd hingegen das "minimale" Geständnis zum Eigenkonsum, die gegenüber O***** geleistete Schadensgutmachung und dessen Fürbitte.

Unter einem widerrief es beschlussmäßig (§ 53 Abs 1 StGB, § 494 a Abs 1 Z 4 StPO) eine dem Genannten im Verfahren AZ 15 U 768/97 des Bezirksgerichts Josefstadt am 29. September 1997 gewährte bedingte Strafnachsicht zu einer wegen § 16 Abs 1 SGG und § 83 Abs 1 StGB verhängten dreimonatigen Freiheitsstrafe.

Gegen den Strafausspruch richtet sich die Berufung des Angeklagten, gegen den Widerrufsbeschluss dessen Beschwerde.

Der Berufung zuwider kann dem Angeklagten seine - von einem Geständnis weit entfernte - Verantwortung zum Faktum I./2./ (US 9) ebenso wenig als mildernd zugute gehalten werden wie eine - vom Tatgericht nicht festgestellte (US 7 iVm US 10) - Sachbeschädigung durch den Verletzten. Auch der zu I./1./ reklamierte Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 18 StGB liegt nicht vor, weil sich der Angeklagte seit 1998 nicht wohl verhalten, sondern im Jahr 2000 eine Körperverletzung begangen hat. Von einer unverhältnismäßig langen Dauer des - der Prüfung auch weiterer gewichtiger Vorwürfe, die nicht zum Schuldspruch führten, dienenden - Strafverfahrens kann (noch) nicht gesprochen werden. Schließlich wirkt auch die Sicherstellung einer nur zum Eigenbedarf besessenen minimalen Menge Kokain (rund 0,3 g Reingehalt) bei der Festnahme des Angeklagten gleichfalls nicht mildernd.

Das Erstgericht hat die Strafzumessungsgründe demnach richtig dargestellt, aber auch nicht zum Nachteil des Angeklagten gewichtet. Die verhängte Sanktion ist tat- und täteradäquat und einer Reduktion nicht zugänglich. Eine bedingte Nachsicht der Strafe ist in Hinblick auf das einschlägig getrübte Vorleben schon aus spezialpräventiven Gründen nicht gerechtfertigt.

Der Beschwerde zuwider hat aber das Erstgericht auch zutreffend den Widerruf der bedingten Strafnachsicht hinsichtlich der einschlägigen Vorverurteilung angeordnet; Aspekte der Spezialprävention erfordern den Vollzug dieser Sanktion zusätzlich zur nunmehr ausgesprochenen Strafe.

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