Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie - einschließlich der unangefochten gebliebenen Teile - insgesamt lauten:
1. Es wird festgestellt, dass der Kläger bis 1. 4. 2000 in der österreichischen Pensionsversicherung folgende für die Feststellung des Leistungsanspruchs zu berücksichtigende Versicherungszeiten erworben hat:
08/55 - 08/55 Pflichtversicherung als Arbeiter 1
08/56 - 08/56 Pflichtversicherung als Arbeiter 1
05/57 - 06/57 Ersatzzeit, anspruchswirksam nur für Wartezeit
08/57 - 08/57 Pflichtversicherung als Arbeiter 1
04/60 - 06/60 Ersatzzeit, anspruchswirksam nur für Wartezeit 08/60 - 03/61 Pflichtversicherung als Angestellter 8 04/61 - 12/61 Ersatzzeit für Präsenzdienst 9
01/62 - 09/64 Pflichtversicherung als Angestellter 33 10/64 - 05/65 Pflichtversicherung als Angestellter 8 = Ersatzzeit, Zeiten der Kindererziehung
06/65 - 12/65 Pflichtversicherung als Angestellter 7 01/66 - 05/67 Pflichtversicherung als Angestellter 17 = Ersatzzeit, Zeiten der Kindererziehung
06/67 - 03/69 Pflichtversicherung als Angestellter 22 07/69 - 05/75 Pflichtversicherung als Selbständiger/GSVG 71 06/75 - 12/79 Pflichtversicherung als Angestellter 55 01/80 - 04/84 Pflichtversicherung als Angestellter 52 = Pflichtversicherung als Selbständiger
05/84 - 06/84 Ersatzzeit für Krankengeldbezug etc 2 07/84 - 09/84 Ersatzzeit für Arbeitslosengeldbezug 3 10/84 - 08/98 Pflichtversicherung als Selbständiger / GSVG 167
457
2. Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit EUR 217,11 (darin EUR 36,19 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz und die mit EUR 430,-- (darin EUR 71,67 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 2. 8. 1941 geborene Kläger hat am 24. 8. 1962 mit der ebenfalls am 2. 8. 1941 geborenen Heidrun A***** (nunmehr verehelichte J*****) die Ehe geschlossen. Dieser Ehe entstammt der am 5. 3. 1963 geborene Sohn Michael S*****. Mit Urteil des Landesgerichts ***** vom 11. 12. 1964 wurde die Ehe geschieden. Der eheliche Sohn Michael S***** verblieb mit Ausnahme des Zeitraums Juni 1965 bis Dezember 1965 beim Kläger in Pflege und wurde ausschließlich von ihm erzogen. Ein gemeinsamer Haushalt des Klägers mit der Ehegattin hatte bis September 1964 bestanden; bis zu diesem Zeitpunkt wurde das Kind von den Eltern gemeinsam erzogen.
Mit Bescheid vom 18. 2. 1997 hat die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten der ehemaligen Gattin des Klägers, Heidrun J*****, ab 1. 1. 1997 die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer zuerkannt. Bei der Ermittlung der Höhe der Pensionsleistung wurden für die Pflege und Erziehung des Michael S***** Ersatzzeiten für Kindererziehung von April 1963 bis März 1966 berücksichtigt. In den Monaten April und Mai 1966 wurden Ersatzzeiten für Wochengeldbezug angerechnet. Am 3. 5. 1966 gebar die ehemalige Gattin des Klägers ein weiteres Kind, für das Ersatzzeiten der Kindererziehung bis einschließlich Mai 1970 berücksichtigt wurden.
Der Kläger hatte vom Pensionsantrag und -bezug seiner geschiedenen Gattin keine Kenntnis. Er hatte auch keine Möglichkeit, zu dem Antrag Stellung zu nehmen.
Mit Bescheid vom 3. 5. 2000 stellte die beklagte Partei gemäß § 117a
GSVG die Versicherungszeiten des Klägers fest:
08/55 - 08/55 Pflichtversicherung als Arbeiter 1
08/56 - 08/56 Pflichtversicherung als Arbeiter 1
08/57 - 08/57 Pflichtversicherung als Arbeiter 1
08/60 - 03/61 Pflichtversicherung als Angestellter 8
04/61 - 12/61 Ersatzzeit für Präsenzdienst 9
01/62 - 03/69 Pflichtversicherung als Angestellter 87 07/69 - 05/75 Pflichtversicherung als Selbständiger / GSVG 71 06/75 - 12/79 Pflichtversicherung als Angestellter 55 01/80 - 04/84 Pflichtversicherung als Angestellter 52 = Pflichtversicherung als Selbständiger
05/84 - 06/84 Ersatzzeit für Krankengeldbezug etc 2 07/84 - 09/84 Ersatzzeit für Arbeitslosengeldbezug 3 10/84 - 08/98 Pflichtversicherung als Selbständiger / GSVG 167 Versicherungsmonate 457
Zeiten der Kindererziehung wurden in dem Bescheid vom 3. 5. 2000 nicht berücksichtigt.
Mit seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrt der Kläger die Feststellung der Zeiten von Oktober 1964 bis Mai 1965 und von Jänner 1966 bis Mai 1967 (insgesamt 25 Monate) als Ersatzzeiten für Kindererziehung. Die beklagte Partei wendete ein, dass die Zeiten der Kindererziehung des Michael S***** bereits zur Gänze bei der Mutter Heidrun J***** angerechnet worden seien.
Das Erstgericht stellte - ohne allerdings den Inhalt des angefochtenen Bescheides zu wiederholen - (auch) die Zeiten von April 1966 bis März 1967 (12 Monate) als Ersatzzeiten des Klägers für Kindererziehung fest und wies das Mehrbegehren auf Feststellung auch der Zeiträume Oktober 1964 bis Mai 1965, Jänner 1966 bis März 1966 und April 1967 bis Mai 1967 (13 Monate) als Ersatzzeiten für Kindererziehung ab. Rechtlich führte das Erstgericht aus, dass die Zeiten für die Erziehung des am 5. 3. 1963 geborenen Michael S***** bis März 1966 dadurch konsumiert seien, dass diese Zeiten in dem den Pensionsantrag der geschiedenen Gattin des Klägers erledigenden Bescheid vom 18. 2. 1997 berücksichtigt worden seien. Für den Zeitraum von April 1966 bis zum Ablauf der Frist von 48 Kalendermonaten nach Geburt des Kindes, also bis März 1967, beanspruche der Kläger die Anrechnung der Zeiten als Kindererziehungszeiten zu Recht, da diese Zeiten bei der bescheidmäßigen Erledigung des Pensionsantrags der ehemaligen Gattin des Klägers nicht berücksichtigt worden seien und er seinen Sohn im Inland überwiegend gepflegt und erzogen habe.
Das Berufungsgericht gab der gegen den abweisenden Teil des Ersturteils gerichteten Berufung des Klägers nicht Folge. Es sah die behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz (wegen Unterlassung der Parteienvernehmung der beklagten Partei) nicht als gegeben an und ging in seiner rechtlichen Beurteilung davon aus, dass § 116a Abs 6 GSVG für den Fall, dass beide Elternteile in der Pensionsversicherung pflichtversichert gewesen seien, eine gesetzliche Vermutung normiere, dass die weibliche Versicherte das Kind tatsächlich und überwiegend erzogen habe. Diese widerlegbare gesetzliche Vermutung gründe sich darauf, dass in der Praxis in der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle die weibliche Versicherte die Erziehung des Kindes übernommen habe. Dem verfassungsrechtlichen Gleichheitsgebot sei durch die im letzten Satz des § 116a Abs 6 GSVG normierte Möglichkeit des männlichen Versicherten, diese Vermutung zu widerlegen, Genüge getan. Mit der unmissverständlichen Bestimmung des § 116a Abs 7 GSVG habe der Gesetzgeber als spätestmöglichen Zeitpunkt für die Widerlegung der Zuordnungsvermutung der Absätze 5 und 6 die bescheidmäßige Erledigung des Pensionsantrags eines der beiden Elternteile normiert. Zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung durch die beklagte Partei sei der Pensionsantrag der geschiedenen Gattin des Beklagten bereits erledigt gewesen, weshalb eine Widerlegung der gesetzlichen Vermutung nicht mehr zulässig gewesen sei. Somit habe für eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Anrechnung der Kindererziehungszeiten als Ersatzzeiten für die geschiedene Gattin des Klägers keine gesetzliche Grundlage bestanden.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer vollinhaltlichen Klagsstattgebung. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und berechtigt.
Den vom Kläger bereits in der Berufung geltend gemachten Mangel des Verfahrens erster Instanz (Unterlassung der Parteienvernehmung der beklagten Partei) hat das Berufungsgericht verneint, sodass er nach ständiger Rechtsprechung - auch im Verfahren nach dem ASGG - im Revisionsverfahren nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden kann (Kodek in Rechberger2 § 503 ZPO Rz 3; SSV-NF 7/74, 11/15 ua; RIS-Justiz RS0042963 [T45] und RS0043061).
In seiner - unter dem Titel der Mangelhaftigkeit des Verfahrens auch auf sekundäre Feststellungsmängel gestützten - Rechtsrüge vertritt der Kläger den Standpunkt, in seinem Recht auf ein faires Verfahren über seine zivilrechtlichen Ansprüche (Art 6 EMRK) und in seinem Recht auf Gleichbehandlung vor dem Gesetz ohne Unterschied des Geschlechts (Art 2 StGG) verletzt zu werden, wenn - entsprechend der Rechtsansicht des Berufungsgerichts - eine Widerlegung der gesetzlichen Vermutung nicht mehr möglich sei, obwohl er von dem Pensionsantrag seiner geschiedenen Gattin gar keine Kenntnis gehabt habe. Um dem Kläger die Möglichkeit der Widerlegung der gesetzlichen Vermutung zu erhalten, wäre es erforderlich gewesen, auf dem Pensionsantrag (der geschiedenen Gattin) zwingend die Unterschrift des Klägers einzuholen. Wenn dies die beklagte Partei (?) wissentlich unterlassen habe, sei der Pensionsantrag (der geschiedenen Gattin) nichtig und es könnte der hierauf ergangene Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (?) infolge Nichtigkeit keine Rechtswirkungen für die betroffenen Personen entfalten. Somit sei zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung durch die beklagte Partei der Pensionsantrag der Gattin des Klägers in Wirklichkeit noch gar nicht erledigt gewesen, sodass die gesetzliche Vermutung für den Kläger noch widerlegbar sei. Im übrigen könne das der beklagten Partei in diesem Zusammenhang anzulastende Verschulden keinesfalls dem Kläger zugerechnet werden.
Da der Oberste Gerichtshof Bedenken gegen die Verfassungskonformität des § 116a Abs 7 GSVG idF der 20. GSVG-Novelle (BGBl 1994/21) hegte, wurde mit Beschluss vom 19. 3. 2002, 10 ObS 235/01h, ein entsprechender Gesetzesprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof gestellt.
Mit Erkenntnis vom 7. 10. 2002, G 124/02-7, hat der Verfassungsgerichtshof "§ 116a Abs. 7 des Gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes, BGBl. Nr. 560/1978, in der Fassung des Bundesgesetzes, mit dem das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz geändert wird (20. Novelle zum GSVG), BGBl. Nr. 21/1994)" als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass die Aufhebung mit Ablauf des 31. Oktober 2003 in Kraft tritt, weiters dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten. Die Aufhebung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass es der Gesetzgeber unterlassen habe, in einer dem Rechtsstaatsprinzip entsprechenden Weise vorzukehren, dass Personen, die vom Ergebnis eines anderen Verfahrens in unmittelbarer Weise betroffen sein können, zumindest über die Anhängigkeit eines solchen Verfahrens in Kenntnis gesetzt werden. Auch erscheine es unsachlich, einem tatsächlichen Umstand, der im Pensionsverfahren eines Versicherten festgestellt werde, gesetzlich gleichsam eine Bindungswirkung für das Verfahren eines anderen Versicherten beizulegen. Da der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör in einer mit Art 6 Abs 1 EMRK nicht vereinbaren Weise beschränkt sei, sei § 116a Abs 7 GSVG idF der 20. GSVG-Novelle als verfassungswidrig aufzuheben.
Auch wenn der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen hat, dass die Aufhebung erst mit Ablauf des 31. Oktober 2003 in Kraft tritt, ist die aufgehobene Norm doch auf den "Anlassfall" nicht anzuwenden (Art 140 Abs 7 B-VG; Mayer, Bundes-Verfassungsrecht3 428, 440; Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht9 481). Dies hat für den Kläger zur Konsequenz, dass die Widerlegung der in § 116a Abs 5 und 6 GSVG enthaltenen weiterhin zulässig ist, obwohl der Pensionsantrag der geschiedenen Gattin des Klägers bereits bescheidmäßig erledigt ist. Nach den Feststellungen verblieb der eheliche Sohn Michael S***** nach der Trennung der Eltern mit Ausnahme des Zeitraums Juni 1965 bis Dezember 1965 beim Kläger in Pflege und wurde ausschließlich von ihm erzogen. Damit hat der Kläger den Beweis erbracht, dass er - im Sinne des § 116a Abs 4 GSVG - das Kind in den noch strittigen Zeiträumen 10/64 - 5/65, 1/66 - 3/66 und 4/67 - 5/67 tatsächlich und überwiegend erzogen hat, sodass er Anspruch auf Berücksichtigung (auch) dieser Zeiten als Ersatzzeiten für Zeiten der Kindererziehung nach dem 31. 12. 1955 (§ 116a GSVG) hat. Der Umstand, dass diese Zeiten bereits seiner geschiedenen Gattin als Zeiten der Kindererziehung zugerechnet wurden, ist infolge Unanwendbarkeit des § 116a Abs 7 GSVG für den Kläger ohne Belang.
In diesem Sinn waren die Urteile der Vorinstanzen abzuändern, wobei auch der Inhalt des durch die Klageerhebung außer Kraft getretenen Bescheides in den Urteilsspruch aufzunehmen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Dem Kläger steht der Ersatz der im erst- und zweitinstanzlichen Verfahren verzeichneten Kosten zu; im Revisionsverfahren wurden keine Kosten verzeichnet.
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