OGH 15Os104/02

OGH15Os104/0210.10.2002

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Oktober 2002 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Teffer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Werner L*****, wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB, über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Innsbruck gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 12. April 2002, GZ 24 Hv 28/02k-15, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Kirchbacher, des Verteidigers Dr. Künl, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Die Privatbeteiligte wird mit ihrer Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Werner L***** von der Anklage, er habe in Wattens seine am 17. Februar 1985 geborene Tochter Eveline A./ in der Zeit zwischen 1995 und dem 16. Februar 1999 I./ "durch die Äußerung mit dem Niederschlagen", sohin durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben, zur Vornahme einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, nämlich zur Durchführung eines Oralverkehrs, genötigt;

II./ außer den Fällen des § 201 StGB "durch die Erklärungen mit dem Zusammenschlagen und dem Fertigmachen", sohin durch gefährliche Drohung, zu einer geschlechtlichen Handlung, nämlich dazu, an seinem Glied bis zum Samenerguss zu reiben, genötigt;

III./ durch die zu I./ und II./ beschriebenen Handlungen sowie dadurch, dass er in weiteren Fällen ihre Scheide betastet, den Oralverkehr durchgeführt und sie angehalten habe, sein Glied auf und ab zu reiben, eine unmündige Person auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht;

IV./ durch die zu III./ bezeichneten Handlungen sein minderjähriges Kind zur Unzucht missbraucht;

B./ im Sommer 2000 dadurch, dass er ihr ein Messer an den Hals gehalten habe, gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen;

C./ zwischen 1999 und 2001 vorsätzlich am Körper verletzt, indem er sie gewürgt habe, wodurch sie Halsschmerzen erlitten habe, ferner durch Versetzen eines Schlages, wodurch er ihr Kieferschmerzen zugefügt habe;

und hiedurch zu A./I./ das Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB, zu A./II./ das Vergehen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB, zu A./III./ das Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB, zu A./IV./ das Vergehen des Missbrauches eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB, zu B./ das Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB und zu C./ das Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB begangen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Die Staatsanwaltschaft bekämpft den Freispruch mit einer auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der Berechtigung zukommt.

Zutreffend wird gerügt, dass bei der in den Entscheidungsgründen betonten Annahme einer die Verlässlichkeit der Zeugen Eveline, Thomas und Andreas L***** in Frage stellenden "auffälligen und augenscheinlichen Wechselwirkung" ihrer Aussagen (US 10) ein in der Hauptverhandlung vorgekommener (S 235; 14 Os 129/98, 13 Os 153/99, 15 Os 181/99) erheblicher Umstand mit Stillschweigen übergangen wurde. Die im Vorverfahren abgelegte Aussage der vor der Hauptverhandlung verstorbenen Zeugin Bebina L***** wies darauf hin, dass Eveline L***** ihr von sexuellen Übergriffen des Angeklagten auch im Badezimmer der gemeinsamen Wohnung erzählte (S 49). In den beweiswürdigenden Erwägungen, denen zufolge Eveline L***** einen solchen Vorfall erst nach einer entsprechenden Aussage ihres Bruders Thomas L***** angab (US 8, 10), fehlt jede Erörterung dieses Verfahrensergebnisses, bei dessen Berücksichtigung eine andere Lösung der Beweisfrage denkbar ist.

Schon diese Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 421; Mayerhofer StPO4 § 281 Z 5 E 63) erfordert die Kassation, die wegen des gegebenen Zusammenhanges (§ 289 StPO) das gesamte Urteil zu erfassen hat, und die Anordnung der Verfahrenserneuerung. Demnach erübrigt sich die Erörterung des weiteren Beschwerdevorbringens. Daher war der Nichtigkeitsbeschwerde Folge zu geben, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen.

Bemerkt wird, dass der Anklageschrift eine im Hinblick auf das StRÄG 1998 (BGBl I Nr 153) differenzierende Subsumtion des unter A./III./ beschriebenen Verhaltens nicht zu entnehmen ist (§ 207 Abs 2 Z 3 StPO). Nach dem 30. September 1998 unternommene dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen mit Unmündigen unterliegen § 206 Abs 1 StGB.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte