OGH 6Ob218/02f

OGH6Ob218/02f12.9.2002

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des Betroffenen Harald K*****, infolge Revisionsrekurses der Sachwalterin Mag. Irene O*****, gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 21. Mai 2002, GZ 2 R 131/02b, 2 R 170/02p-29, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 23. Jänner 2002, GZ 14 P 4/02y-11, teilweise als nichtig aufgehoben und der Beschluss des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 14. Februar 2002, GZ 14 P 4/02y-13, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben und Punkt 1. des angefochtenen Beschlusses mit der Maßgabe bestätigt, dass er zu lauten hat: "Der angefochtene Beschluss vom 23. 1. 2002, ON 11, wird aufgehoben und dem Erstgericht die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens aufgetragen."

Text

Begründung

Harald K***** ist österreichischer Staatsbürger. Er wohnte bis zum Herbst 2001 in Deutschland. Mit Beschluss des Amtsgerichtes Niebüll vom 21. 9. 1999 wurde ihm mit seiner Zustimmung wegen depressiver Störungen eine Betreuung eingerichtet und ein Betreuer bestellt. Es wurde ausgesprochen, dass die Betreuung folgende Aufgabenbereiche umfasst: Wahrnehmung der Vermögensinteressen, Vertretung vor Ämtern, Behörden und Versicherungen; Aufenthaltsbestimmung und Zustimmung zur ärztlichen Heilbehandlung, beides auf schwere Krankheitsphasen beschränkt und soweit beide Maßnahmen bei notwendiger stationärer Behandlung der psychischen Erkrankung erforderlich sind. Nachdem der Betroffene nach Graz übersiedelt war, verständigte das Amtsgericht Niebüll das Erstgericht von diesem Sachverhalt. Der Betreuer habe die Entlassung aus seinem Amt beantragt, weil er seine Aufgaben nicht mehr wahrnehmen könne; er halte jedoch die weitere Aufrechterhaltung der Betreuung für dringend geboten. Mit Beschluss vom 21. 12. 2001 sprach das Amtsgericht Niebüll aus, dass "das Betreuungsverfahren auf Antrag des Betreuers mit Zustimmung des Betreuten ....... an das Bezirksgericht Graz abgetreten" werde, das sich zur Übernahme des Verfahrens bereit erklärt habe. Mit Beschluss vom 11. 1. 2002 "übernahm" das Erstgericht die Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache und kündigte an, dass die Bestellung eines neuen Sachwalters erfolgen werde. Mit Beschluss vom 23. 1. 2002 (ON 11) enthob das Erstgericht den vom deutschen Gericht bestellten Betreuer seines Amtes und bestellte Mag. Irene O***** zur Sachwalterin. Diese habe wie ihr Vorgänger einen bestimmten Kreis von Angelegenheiten, wie die Wahrnehmung der Vermögensinteressen, Vertretung vor Ämtern, Behörden und Versicherungen sowie die Aufenthaltsbestimmung und Zustimmung zur ärztlichen Heilbehandlung, beides auf schwere Krankheitssphasen beschränkt und soweit beide Maßnahmen bei notwendig werdender stationärer Behandlung der psychischen Erkrankung erforderlich seien, zu besorgen. Der Betroffene sei weiterhin betreuungsbedürftig, insbesondere hinsichtlich der Gefährdung seiner Ersparnisse und des Erbes seines Bruders. Auf Grund des Wohnsitzwechsels sei ein anderer Sachwalter zu bestellen gewesen.

Die Sachwalterin beantragte zunächst die Berichtigung des Beschlusses dahin, dass die Aufenthaltsbestimmung aus dem Kreis der zu besorgenden Angelegenheiten zu entfernen sei, weil im österreichischen Recht die Aufenthaltsbestimmung nicht in die Kompetenz des Sachwalters fallen könne.

Mit Beschluss vom 14. 2. 2002 (ON 13) wies das Erstgericht diesen Antrag ab. Gemäß § 282 ABGB sei § 146b ABGB über die Aufenthaltsbestimmung des Minderjährigen durch dessen Eltern sinngemäß anzuwenden. Gegen diesen Beschluss erhob die Sachwalterin Rekurs. Im Auftrag des Rekursgerichtes legte das Erstgericht diesen Rekurs und auch den Berichtigungsantrag, zu dem die Patientenanwältin nunmehr erklärte, der Antrag könne auch als Rekurs aufgefasst werden, dem Rekursgericht zur Entscheidung vor. Der Betroffene, dem der Berichtigungsantrag zur allfälligen Erstattung einer Rekursbeantwortung übermittelt worden war, hat eine Rekursbeantwortung nicht erstattet.

Das Rekursgericht hob "aus Anlass des Rekurses" den Beschluss vom 23. 1. 2002 (ON 11) "mit Ausnahme der unangefochtenen und in Rechtskraft erwachsenen Sachwalterbestellung" auf und trug dem Erstgericht "die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens" auf (Punkt 1.). Den Beschluss vom 14. 2. 2002 (ON 13 - Abweisung des Verbesserungsantrages) bestätigte es. Der Beschluss des Amtsgerichtes Niebüll habe mangels einer internationalen Regelung in Österreich keine Rechtswirksamkeit entfaltet und keine Beschränkung der Handlungsfähigkeit des Betroffenen herbeigeführt. Die Betreuerbestellung habe lediglich Anlass für das österreichische Pflegschaftsgericht sein können, von Amts wegen ein Verfahren gemäß den §§ 236 ff AußStrG einzuleiten. Mangels eines solchen Verfahrens entfalte auch der Beschluss des Erstgerichtes mit Ausnahme der Bestellung der Rechtsmittelwerberin zur Sachwalterin keine Rechtswirksamkeit. Dies treffe insbesondere auf die Beschreibung des Aufgabenbereiches der Sachwalterin zu. Insoweit sei der Berichtigungsantrag als Rekurs aufzufassen. Das Recht der Aufenthaltsbestimmung im Sinn des § 146b ABGB könne zwar nicht generell als freiheitsbeschränkende Maßnahme und damit als verfassungswidrig qualifiziert werden. Der Beschluss sei aber mangels Wahrung des rechtlichen Gehörs des Betroffenen durch Erstanhörung und Durchführung einer Tagsatzung nach den § 239 ff AußStrG unter Beiziehung eines medizinischen Sachverständigen als nichtig aufzuheben. Der Beschluss könnte allenfalls als Bestellung eines Verfahrenssachwalters im Sinn des § 238 Abs 1 AußStrG gedeutet werden, der auch vor Eintritt der Rechtskraft wirksam werde. Hinsichtlich der Abweisung des Berichtigungsantrages sei der Revisionsrekurs nicht zulässig, hinsichtlich der Aufhebung des erstgerichtlichen Beschlusses jedoch zulässig, weil zur hier gegebenen Problematik keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Der ordentliche Revisionsrekurs der Sachwalterin ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Dem Rekursgericht ist darin beizupflichten, dass der Beschluss des Erstgerichtes vom 23. 1. 2002 ein solcher im Sinn des § 273 ABGB ist und damit nicht bloß die Person des Sachwalters umbestellt wurde. Gemäß § 110 Abs 1 JN ist die inländische Gerichtsbarkeit für die im § 109 JN genannten Angelegenheiten (darunter die Bestellung eines Sachwalters) unter anderem dann gegeben, wenn der Pflegebefohlene österreichischer Staatsbürger ist. Gemäß § 110 Abs 2 JN kann das Gericht von der Einleitung oder Fortsetzung des Verfahrens zur Bestellung des Sachwalters absehen, wenn der österreichische Pflegebefohlene seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder Vermögen im Ausland hat oder wenn es sich um einen ausländischen Pflegebefohlenen handelt, soweit und solange durch die im Ausland getroffenen oder zu erwartenden Maßnahmen die Rechte und Interessen des Pflegebefohlenen ausreichend gewahrt werden. Diese Abstandnahme ist durch (anfechtbaren) Beschluss auszusprechen. Einen solchen Beschluss hat das Erstgericht aber nicht erlassen. Es hat auch gar nicht geprüft, ob der Betroffene Vermögen in Deutschland hat. Nur unter dieser Voraussetzung käme eine Abstandnahme überhaupt in Betracht, weil der Betroffene österreichischer Staatsbürger ist und nunmehr seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat. Zudem bringt das Erstgericht in seinem Beschluss deutlich zum Ausdruck, dass es durch die Bestellung des Betreuers in Deutschland die Rechte und Interessen des Betroffenen als nicht ausreichend gewahrt betrachtet. Der Beschluss kann auch nicht als Anerkennung des Beschlusses des Amtsgerichtes Niebüll auf Bestellung eines Betreuers für den Betroffenen gedeutet werden. Eine solche Interpretation lässt weder die Formulierung des Spruches, wonach eine bestimmte Sachwalterin für einen bestimmten Aufgabenkreis bestellt wurde, noch die Begründung des Beschlusses zu, den das Erstgericht ausdrücklich auf § 273 ABGB (und die Bestimmung der zu besorgenden Angelegenheiten auf § 273 Abs 3 Z 2 ABGB) gegründet hat. Abgesehen davon ist die Anerkennung einer Entscheidung eines deutschen Gerichtes auf Bestellung eines Betreuers (Sachwalters) weder in internationalen Abkommen (vgl Art 1 EuGVÜ, der Entscheidungen betreffend die Rechts- und Handlungsfähigkeit natürlicher Personen ausdrücklich ausnimmt) noch in bilateralen Abkommen vorgesehen. Der Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Vergleichen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen, BGBl 1960/105, ist auf derartige Entscheidungen nach dem in Art 1 umschriebenen Wirkungsbereich nicht anwendbar (vgl die Zusammenfassung von zwischenstaatlichen Vereinbarungen betreffend außerstreitige Angelegenheiten von Schütz, RZ 1999, 41; diese beziehen sich jeweils ebenfalls nicht auf die Handlungsfähigkeit betreffende Beschlüsse). Anderes ergäbe sich auch nicht aus der Verordnung (EG) Nr 44/2001 des Rates vom 22. 12. 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel I).

Die dem Erstgericht bekannt gewordene Tatsache, dass für den Betroffenen in Deutschland eine Betreuung eingerichtet war, kann daher nur Anlass für die Einleitung eines Verfahrens zur Bestellung eines Sachwalters im Sinn des § 236 AußStrG sein. Der Beschluss des Erstgerichtes ist als solcher auf Bestellung eines Sachwalters gemäß § 273 ABGB zu verstehen. Da diese Bestellung des Sachwalters ohne das hiefür in den §§ 237 ff AußStrG zwingend vorgeschriebene Verfahren erfolgte und damit das Gehör des Betroffenen verletzt wurde, hat das Rekursgericht den Sachwalterbestellungsbeschluss zutreffend als nichtig aufgehoben und dem Erstgericht die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens aufgetragen. Mangels Bestellung und Beiziehung eines Verfahrenssachwalters im Sinn des § 238 Abs 1 AußStrG und Zustellung des Sachwalterbestellungsbeschlusses (auch) an diesen konnte der grundsätzliche Ausspruch, dass die Rechtsmittelwerberin zum Sachwalter bestellt werde, nicht in Rechtskraft erwachsen. Die Bestellung eines Sachwalters alleine, ohne dessen Wirkungskreis zu bestimmen, ist auch gar nicht zulässig. Gemäß § 273 Abs 3 ABGB ist vielmehr Art und Umfang der vom Sachwalter zu besorgenden Angelegenheiten im Sinn der Z 1 bis 3 dieser Bestimmung zugleich mit der Bestellung anzuordnen. Der aufhebende Beschluss des Rekursgerichtes, mit dem dem Erstgericht ausdrücklich die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens zur Bestellung des Sachwalters aufgetragen wurde, ist daher nur dahin zu verstehen, dass der Sachwalterbestellungsbeschluss insgesamt beseitigt und lediglich zum Ausdruck gebracht wurde, dass gegen die Bestellung der Person der Sachwalterin grundsätzlich keine Einwände bestünden. Insoweit ist daher der Spruch des Beschlusses des Rekursgerichtes klarzustellen. Das Erstgericht wird somit den vom Rekursgericht erteilten Aufträgen auf Durchführung einer Erstanhörung des Betroffenen gemäß § 237 AußStrG und, falls demnach das Verfahren fortzusetzen ist, einer mündlichen Verhandlung nach den Bestimmungen der §§ 239 ff AußStrG und auf Beiziehung eines oder mehrerer Sachverständiger (§ 241 Abs 2 AußStrG) nachzukommen haben.

Diese Aufträge sind allerdings noch dahin zu ergänzen, dass das Erstgericht im Fall der Fortsetzung des Verfahrens nach Erstanhörung einen Verfahrenssachwalter für den Betroffenen zu bestellen haben wird. Gemäß § 238 Abs 1 AußStrG hat das Gericht, wenn es nicht bereits nach Erstanhörung von einer Fortsetzung des Verfahrens Abstand nimmt - zwingend - für einen Rechtsbeistand des Betroffenen im Verfahren zu sorgen. Hat der Betroffene - wovon hier offenbar auszugehen ist - keinen (gesetzlichen oder) selbst gewählten Vertreter, so hat ihm das Gericht für das Verfahren einen einstweiligen Sachwalter zu bestellen. Dass der Wille des Erstgerichtes darauf gerichtet gewesen wäre, mit dem strittigen Beschluss bereits einen Verfahrenssachwalter in diesem Sinn zu bestellen, kann seiner Entscheidung im Gegensatz zur Ansicht des Rekursgerichtes nicht entnommen werden. In jenem Verfahren, in dem zu prüfen ist, ob die Voraussetzungen für die Bestellung eines Kurators oder Sachwalters vorliegen, ist die für den Fall einer positiven Entscheidung in Aussicht genommene Person nicht vertretungsbefugt. Sie wird es erst - und auch nur für den im Bestellungsbeschluss umschriebenen Bereich - mit wirksamer Bestellung (1 Ob 9/02h mwN). Eine wirksame Vertretung des Betroffenen im Verfahren war daher bislang nicht gegeben.

Die Aufhebung des bekämpften Beschlusses durch das Rekursgericht und der Auftrag zur Einleitung des gesetzlichen Verfahrens erweisen sich somit jedenfalls als zutreffend. Dem Revisionsrekurs der Sachwalterin, mit dem sie primär die Bestätigung der Sachwalterbestellung für den vom Erstgericht vorgesehenen Aufgabenkreis mit Ausnahme der Aufenthaltsbestimmung anstrebt, ist daher ein Erfolg zu versagen.

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