OGH 10ObS226/02m

OGH10ObS226/02m23.7.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Kainz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Andrea Komar (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Saban M*****, Bosnien, vertreten durch Mag. Peter Zivic, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5. Februar 2002, GZ 8 Rs 17/02k-31, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 16. Oktober 2001, GZ 37 Cgs 141/00m-25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Nach den vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbaren Feststellungen der Tatsacheninstanzen hat der Kläger keinen Beruf erlernt. Zuletzt hat er überwiegend als Schwarzdecker in Zagreb gearbeitet und dabei nur eine Teiltätigkeit der qualifizierten Tätigkeit eines Dachdeckers ausgeführt. Weiters wurde festgestellt, dass für den Kläger trotz seiner eingeschränkten Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in Österreich noch die (nicht kalkülsüberschreitenden) Tätigkeiten eines Kontrollarbeiters oder eines Verpackers und Adjustierers im Handel oder Gewerbe in Betracht kommen, dass Personen ohne Sprechvermögen genau so wie gehörlose Personen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können und dass darüber hinaus in Österreich die Möglichkeit existiert, dass der Kläger durch "Arbeitsassistenz" unterstützt wird, wobei ihm bei Einstellungs- und Bewerbungsgesprächen geholfen wird.

Rechtliche Beurteilung

Im Zusammenhang mit der Prüfung der Verweisbarkeit eines Versicherten nach § 255 Abs 1 und 2 ASVG muss unterschieden werden, ob ein Berufsschutz im Sinne eines erlernten oder angelernten Berufes erst zu erwerben ist oder ob ein bereits erworbener Berufsschutz durch später ausgeübte Teiltätigkeiten weiterhin erhalten bleibt. Ein bereits erlangter Berufsschutz geht nicht verloren, wenn in den letzten fünfzehn Jahren vor dem Stichtag nur mehr Teiltätigkeiten eines erlernten Berufs ausgeübt wurden, sofern diese quantitativ und qualitativ nicht ganz unbedeutend waren (RIS-Justiz RS0084497). Demgegenüber reicht es für den Erwerb des Berufsschutzes nicht aus, wenn sich die Kenntnisse und Fähigkeiten nur auf ein Teilgebiet oder mehrere Teilgebiete eines Tätigkeitsbereiches beschränkten, der von Ausgelernten (Facharbeitern) allgemein in viel weiterem Umfang beherrscht wird (SSV-NF 2/78, 3/70 uva; RIS-Justiz RS0084638). Im konkreten Fall stellt sich nicht die Frage nach dem Verlust des Berufsschutzes, sondern nach dessen Erwerb. Diesbezüglich ist festgestellt, dass der Kläger zuletzt überwiegend als Schwarzdecker in Zagreb gearbeitet und dabei nur eine Teiltätigkeit der qualifizierten Tätigkeit eines Dachdeckers ausgeführt hat. Ob in einem Vertragsstaat zurückgelegte Versicherungszeiten für den Berufsschutz zu berücksichtigen sind, kann nur nach dem Regelungsinhalt des konkreten Abkommens über soziale Sicherheit entschieden werden. Sind nach der Regelung eines zwischenstaatlichen Abkommens oder überstaatlichen Rechts im Ausland erworbene Versicherungszeiten dafür zu berücksichtigen, ob dem Versicherten Berufsschutz zukommt, ist die Frage, ob aufgrund der im Ausland ausgeübten Tätigkeit Berufsschutz erworben oder ein bereits zuvor bestandener Berufsschutz erhalten wurde, nach österreichischen Rechtsvorschriften zu prüfen (RIS-Justiz RS0114288). Die Bestimmungen des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Republik Kroatien, BGBl III 1998/162 (AbkSozSi-Kroatien) vom 16. 1. 1997, nach Ratifizierung in Kraft getreten am 1. 10. 1998, die sich auf den Erwerb und die Gewährung von Leistungen aus der sozialen Sicherheit beziehen, sind aufgrund des Art 36 dieses Abkommens ab dem 1. 1. 1997 anzuwenden. Durch diese Regelung sollte - wenn auch mit teilweise geändertem Inhalt - für diesen Bereich grundsätzlich eine praktisch durchgehende Geltung der zwischenstaatlichen Vereinbarung über soziale Sicherheit sichergestellt und der Eintritt von Nachteilen für Versicherte mit zwischenstaatlichen Versicherungskarrieren hintangehalten werden.

Der Kläger stellte den Antrag auf Gewährung der Invaliditätspension am 4. 3. 1998. Stichtag für die Prüfung des Leistungsanspruches ist daher der 1. 4. 1998 (§ 223 Abs 2 ASVG). Dieser Zeitpunkt liegt in dem zeitlichen Rahmen, für den Art 36 AbkSozSi-Kroatien BGBl III 1998/162 die Geltung der Bestimmungen dieses Abkommens für den Erwerb und die Gewährung von Leistungsansprüchen vorsieht. Die Prüfung des vom Kläger geltend gemachten Anspruches hat daher auf der Grundlage dieses Abkommens zu erfolgen

Art 20 Abs 1 des Abkommens lautet: "Hängt nach den Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates der Erwerb, die Aufrechterhaltung oder das Wiederaufleben eines Leistungsanspruches von der Zurücklegung von Versicherungszeiten ab, so hat der zuständige Träger dieses Vertragsstaates, soweit erforderlich, die nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates zurückgelegten Versicherungszeiten zu berücksichtigen, als wären es nach den von ihm anzuwendenden Rechtsvorschriften zurückgelegte Versicherungszeiten."

Diese Bestimmung entspricht dem Art 20 Abs 1 des AbkSozSi-Slowenien BGBl III 1998/103. Dazu hat der Oberste Gerichtshof bereits in seiner Entscheidung 10 ObS 177/00b ausgesprochen, dass in Slowenien erworbene Beitragszeiten auch hinsichtlich der beruflichen Qualifikation für die Frage des Berufsschutzes so zu beurteilen sind wie in Österreich zurückgelegte Versicherungszeiten. Da der Kläger in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1. 4. 1983 - 31. 3. 1998) nur in Kroatien berufstätig war, ist für die Frage, ob ihm Berufsschutz zukommt, entscheidend, ob es sich bei der dort von ihm verrichteten Arbeit um eine solche handelte, die im Sinne des § 255 Abs 1 oder 2 ASVG qualifiziert war. Nach den Feststellungen hat der Kläger keinen Beruf erlernt; die Frage einer Gleichstellung einer Berufsausbildung nach § 27a BAG stellt sich demnach nicht. Dem Kläger könnte Berufsschutz zukommen, wenn es sich bei der von ihm in Kroatien verrichteten Arbeit um eine solche handelte, die im Sinne des § 255 Abs 2 ASVG qualifiziert war. Der Kläger, der von 1979 bis 1990 beim Bauunternehmen "Tempo" in Zagreb beschäftigt war (und seit 1990 nicht mehr beschäftigt ist), hat in diesem Unternehmen am 2. 10. 1989 die theoretische und praktische interne Fachausbildung zum Dachdecker abgeschlossen. Auf dieser Grundlage ist es aber ausgeschlossen, dass der Kläger im maßgeblichen Beobachtungszeitraum des § 255 Abs 2 ASVG (1. 4. 1983 - 31. 3. 1998) überwiegend im qualifiziertem Beruf eines Dachdeckers tätig war. Da der Kläger somit keinen Berufsschutz als Dachdecker erworben hat, stellt sich die Frage nach der Erhaltung eines bestehenden Berufsschutzes durch Ausübung einer nicht unbedeutenden Teiltätigkeit des angelernten Berufes nicht mehr.

Soweit der Revisionswerber ausführt, er sei nur mehr auf besonders geschützte bzw privilegierte oder besonders geförderte Arbeitsplätze verweisbar und daher vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen, entfernt er sich von den Feststellungen der Tatsacheninstanzen. Da die Vorinstanzen zu Recht die Voraussetzungen für die Erlangung einer Invaliditätspension nach § 255 Abs 3 ASVG verneint haben, ist der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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