OGH 4Ob158/02t

OGH4Ob158/02t16.7.2002

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Kodek als Vorsitzenden und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Griß und Dr. Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hubert Z*****, vertreten durch Dr. Oswin Lukesch und Dr. Anton Hintermeier, Rechtsanwälte in St. Pölten, gegen die beklagten Parteien 1. Josef B*****, 2. Eva B*****, beide vertreten durch Dr. Stefan Gloß und andere Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen Beseitigung und Unterlassung (Streitwert 5.813,83 EUR), infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 4. April 2002, GZ 36 R 120/02v-27, womit der Beschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom 31. Jänner 2002, GZ 4 C 336/00g-23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 549,33 EUR (darin 91,55 EUR Ust) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Kläger begehrt die Beseitigung eines Zauns, der auf dem Grundstück Nr 422/2 KG W***** an der an das Grundstück Nr. 418 KG W***** angrenzenden Grundstücksgrenze errichtet worden ist, weiters die Unterlassung derartiger oder ähnlicher Störungshandlungen. Er stützt sein Begehren auf ein seinen Behauptungen nach zu seinen Gunsten bestehendes Wegerecht über die genannten Grundstücke, die beide im Kommassierungsgebiet des Flurbereinigungsverfahrens W***** liegen. Mit Bescheid der nö Agrarbezirksbehörde vom 24. 11. 1992 wurde im Zusammenlegungsverfahren zwar die vorläufige Übernahme angeordnet, durch die das Grundstück Nr 422/2 KG W***** dem im Eigentum der Beklagten stehenden Grundstück Nr. 2 KG W***** hinzugeschlagen wurde; das Verfahren ist allerdings noch nicht rechtskräftig abgeschlossen.

Die Beklagten beantragen die Abweisung des Klagebegehrens. Dem Kläger stehe kein Wegerecht zu; allfällige Dienstbarkeiten zu Gunsten des Klägers seien erloschen und nicht mehr notwendig. Im Zuge des Verfahrens erhoben sie unter Hinweis auf § 97 nö Flurverfassungs-Landesgesetz die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs (ON 20, 22).

Das Erstgericht wies das Klagebegehren zurück. Die Streitigkeit falle gemäß § 97 des niederösterreichischen Flurverfassungs-Landesgesetzes in die Zuständigkeit der Agrarbehörden.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss; es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 4.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs mangels Rechtsprechung zu einem vergleichbaren Sachverhalt (Beseitigungs- und Unterlassungsbegehren ohne Einverleibungsbegehren) zulässig sei. Es sei Sache der Agrarbehörde, darüber zu entscheiden, ob das vom Kläger behauptete Wegerecht auch hinsichtlich der in das Zusammenlegungsgebiet einbezogenen Grundstücke aufrechtzuerhalten sei oder nicht. Allein davon werde es aber abhängen, ob der Kläger einen Anspruch auf Beseitigung des dieses Wegerecht störenden Zauns und auf Unterlassung derartiger Störungen habe oder nicht. Seine Ansprüche seien damit lediglich Ausfluss der von ihm behaupteten Dienstbarkeit, deren Regelung aber der Agrarbehörde obliege.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil Rechtsprechung zu einem vergleichbaren Sachverhalt fehlt; das Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt.

Nach Auffassung des Klägers liege keine Streitigkeit über Eigentum und Besitz an den betroffenen Liegenschaften vor; begehrt werde nämlich die Beseitigung eines im Zusammenlegungsgebiet liegenden Gegenstands. Diese Frage sei für das Flurbereinigungsverfahren bedeutungslos und von Gerichten zu klären. Dem kann nicht zugestimmt werden.

Nach § 1 JN wird die Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Rechtssachen, soweit diese nicht durch besondere Gesetze vor andere Behörden oder Organe verwiesen werden, durch die ordentlichen Gerichte ausgeübt. Es unterliegt keinem Zweifel, dass es sich beim vorliegenden Rechtsstreit um eine bürgerliche Rechtssache handelt. Zu prüfen bleibt deshalb, ob Rechtssachen dieser Art ausdrücklich - eine ausdehnende Auslegung von Vorschriften, welche die Zuständigkeit einer Verwaltungsbehörde in bürgerlichen Rechtssachen normieren, ist unzulässig (4 Ob 11/01y = EvBl 2001/117 mwN) - vom Gesetzgeber einer Verwaltungsbehörde zur Entscheidung übertragen sind.

Die hier maßgebenden Bestimmungen des niederösterreichischen Flurverfassungs-Landesgesetzes (nö FLG) LGBl 1975/6650 idF LGBl 1994/81 lauten:

"§ 97 Zuständigkeit während eines Verfahrens

(1) Die Zuständigkeit der Agrarbehörden erstreckt sich mit Ausnahme der im Abs 4 genannten Angelegenheiten vom Zeitpunkt der Einleitung eines Zusammenlegungs-, Flurbereinigungs-, Teilungs- oder Regelungsverfahrens bis zum Zeitpunkt des Abschlusses eines solchen Verfahrens auf die Verhandlung und Entscheidung über alle tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die zum Zwecke der Durchführung der Zusammenlegung, Flurbereinigung, Teilung oder Regelung in das Verfahren einbezogen werden müssen. Während dieses Zeitraumes ist in diesen Angelegenheiten die Zuständigkeit jener Behörden ausgeschlossen, in deren Wirkungsbereich die Angelegenheiten sonst gehören.

(2) Die Agrarbehörden sind insbesondere auch zuständig für die Entscheidung von Streitigkeiten über Eigentum und Besitz an den in das Verfahren einbezogenen Grundstücken und über die Gegenleistungen für die Nutzung solcher Grundstücke.

(4) Von der Zuständigkeit der Agrarbehörden sind jedoch ausgeschlossen: a) Streitigkeiten der im Abs 2 erwähnten Art, die vor Einleitung des Agrarverfahrens bereits vor dem ordentlichen Richter anhängig waren; b) Streitigkeiten über Eigentum und Besitz an Liegenschaften, mit denen ein Anteil an den agrargemeinschaftlichen Grundstücken, ein Nutzungs- oder Verwaltungsrecht oder ein Anspruch auf Gegenleistungen bezüglich solcher Grundstücke verbunden ist; c) Angelegenheiten der Eisenbahnen, der Landesverteidigung, der öffentlichen Straßen und öffentlichen Wege, der Schifffahrt, der Luftfahrt und des Bergbaues; d) Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde, soweit nicht durch eine Verordnung gemäß (...) die Zuständigkeit der Agrarbehörden begründet wird."

Der Oberste Gerichtshof hat in Anlehnung an die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH 7.800/1976; VfSlg 15.352/1997 ua) bereits mehrfach ausgesprochen, dass es sich bei den auf § 34 Abs 4 Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1951 (FlVfGG) beruhenden landesgesetzlichen Vorschriften (§ 97 nö FLG, § 102 oö FLG, § 72 Abs 5 Tir FLG 1978, § 50 Stmk FlurzusammenlegungsG 1982) um Sonderbestimmungen handelt, mit denen der Gesetzgeber beabsichtigte, das Zusammenlegungsverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen. Diese Absicht wäre gefährdet, wenn in jedem Fall strittiger Eigentums- und Besitzverhältnisse erst zu prüfen wäre, ob der entstandene Streit in einem tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang mit der Zusammenlegung steht (6 Ob 556/78; 4 Ob 11/01y = EvBl 2001/117 mwN). Die Gerichte wären auch kaum in der Lage, verlässlich zu beurteilen, ob die Lösung eines einzelnen Rechtsstreits eine Voraussetzung für die Durchführung der Zusammenlegung bildet und demnach der Agrarbehörde überlassen werden muss oder nicht (SZ 49/128, SZ 59/212). Hintergrund dieses die Zuständigkeit der Zivilgerichte einschränkenden, vom Verfassungsgerichtshof gebilligten (VfSlg 3798/1960; Lang, Tiroler Agrarrecht I 104) Prinzips der Kompetenzkonzentration ist, dass sich bei der Durchführung von Bodenreformmaßnahmen die Notwendigkeit ergibt, die damit betrauten Behörden mit einer konzentrierten Entscheidungsbefugnis auszustatten, weil Vorschriften sowohl des öffentlichen als auch des privaten Rechts zur Anwendung kommen, die sonst in die Zuständigkeit verschiedener Verwaltungsbehörden und Gerichte fielen (4 Ob 11/01y = EvBl 2001/117).

Nach Anhammer (Das Verfahren der Grundstückszusammenlegung³, 8) dient das Prinzip der Kompetenzkonzentration dazu, den Behörden zur zweckmäßigen und zügigen Durchführung der agrarischen Operationen alle notwendigen behördlichen Befugnisse in die Hand zu geben; die umfassende Zuständigkeit könne allerdings in diesem weiten Umfang nur in Anspruch genommen werden, soweit es zum Zweck der Durchführung des Verfahrens unbedingt notwendig sei.

Nach der Rechtsprechung fallen in die Zuständigkeit der Agrarbehörden etwa Ansprüche wegen Besitzstörung und Eigentumsbeeinträchtigung an in das Zusammenlegungsverfahren einbezogenen Grundstücken (SZ 59/212 = JBl 1987, 239), die Klage auf Herausgabe von in das Grundzusammenlegungsverfahren einbezogenen und dem Beklagten als bücherlichem Eigentümer der Altgrundstücke mit rechtskräftigem Bescheid der Agrarbehörde ins außerbücherliche Eigentum als Grundabfindungen überlassenen Grundstücken (6 Ob 140/99), die Klage auf Einwilligung in die grundbücherliche Einverleibung einer Dienstbarkeit des Geh- und Fahrrechtes (EvBl 1988/74), Streitigkeiten wegen Feststellung des Nichtbestehens einer Dienstbarkeit und Einwilligung in deren bücherliche Löschung (OLG Innsbruck EvBl 1985/162) und Streitigkeiten über die Einverleibung einer Dienstbarkeit des Geh- und Fahrrechts einschließlich des Begehrens auf Beseitigung und Unterlassung, selbst wenn nur die herrschende Liegenschaft in das Zusammenlegungsverfahren einbezogen ist (6 Ob 190/98d).

Werden diese von Lehre und Rechtsprechung vertretenen Grundsätze auf den vorliegenden Fall angewendet, fällt die Rechtssache - wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben - in die Zuständigkeit der Agrarbehörde.

Der Kläger stützt seinen Anspruch auf Beseitigung eines Zaunes und der Unterlassung derartiger oder ähnlicher Störungshandlungen auf eine Dienstbarkeit des Gehrechts über ein in das Zusammenlegungsverfahren einbezogenes Grundstück. Es ist nun mit dem zuvor dargelegten Vorteil einer Konzentration der Zuständigkeit unvereinbar, wollte man - den Argumenten des Rechtsmittelwerbers folgend - zwar die Frage des Bestehens einer Servitut von der Agrarbehörde, die daraus abzuleitenden Räumungs- und Unterlassungsbegehren aber von Gerichten klären lassen. Auch der Grundsatz der Entscheidungsharmonie gebietet es in einem solchen Fall, dass die Zuständigkeit des Zivilgerichts selbst für solche Verfahren, in denen keine Veränderung des Grundbuchstands angestrebt wird, hinter jener der Agrarbehörde zurücktritt, sofern von der Entscheidung nur die rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse von Liegenschaften betroffen sind, die in ein Zusammenlegungsverfahren einbezogen sind.

Dass der vom Kläger geltend gemachte Anspruch zu den rechtlichen Verhältnissen gehört, die zur Durchführung der Zusammenlegung in das Verfahren vor der Agrarbehörde einbezogen werden müssen, kann angesichts der Aufgaben und Ziele der Zusammenlegung, im Interesse der Schaffung und Erhaltung einer leistungsfähigen Landwirtschaft die Besitz-, Benützungs- und Bewirtschaftungsverhältnisse im ländlichen Lebens- und Wirtschaftsraum durch Neueinteilung und Erschließung des land- und forstwirtschaftlichen Grundbesitzes sowie Ordnung der rechtlichen und wirtschaftlichen Grundlagen der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe zu verbessern oder neu zu gestalten (§ 1 Abs 1 nö FLG), nicht zweifelhaft sein. Das zeigt auch § 25 nö FLG, wonach Grunddienstbarkeiten und Reallasten, die sich auf einen in § 480 ABGB genannten Titel gründen, mit Ausnahme der Ausgedinge und der Leitungsrechte ohne Entschädigung im angeordneten Zeitpunkt der Übernahme der Abfindung erlöschen, wobei es jedoch in den Aufgabenbereich der Agrarbehörde fällt, im Zusammenlegungsplan darüber zu entscheiden, solche Dienstbarkeiten ausdrücklich aufrecht zu erhalten oder neu zu begründen, weil sie im öffentlichen Interesse oder aus wirtschaftlichen Gründen notwendig sind.

Es wird daher die Agrarbehörde im Zuge des Zusammenlegungsverfahrens darüber zu entscheiden haben, ob eine Grunddienstbarkeit zugunsten der Liegenschaft des Klägers aus wirtschaftlichen Gründen notwendig ist. Dazu kann die Agrarbehörde nach § 4 Abs 1 nö FLG auch noch während des Verfahrens mit Bescheid weitere Grundstücke in das Zusammenlegungsgebiet einbeziehen, wenn die Einbeziehung zur Erreichung der Ziele und Aufgaben der Zusammenlegung erforderlich ist. Damit kann kein Zweifel bestehen, dass die im Streitfall zunächst zu prüfende Frage des Bestehens der vom Kläger behaupteten Dienstbarkeit in das Zusammenlegungsverfahren einbezogen werden muss.

Das Erstgericht hat demnach die Klage zu Recht zurückgewiesen. Dem Revisionsrekurs ist ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.

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