OGH 10ObS142/02h

OGH10ObS142/02h14.5.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Gerda Höhrhan-Weiguni (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Erika H*****, ohne Beschäftigung, ***** vertreten durch Dr. Stefan Zöhrer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. November 2001, GZ 10 Rs 361/01h-81, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 8. Februar 2001, GZ 20 Cgs 119/95a-76, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird, soweit sie sich gegen die Abweisung des Begehrens auf Invaliditätspension für die Zeit vom 1. 9. 1994 bis 31. 12. 1998 und ab 1. 8. 1999 wendet, nicht Folge gegeben.

Im Übrigen, hinsichtlich der Abweisung des Begehrens auf Invaliditätspension für die Zeit vom 1. 1. 1999 bis 31. 7. 1999, wird der Revision Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden in diesem Umfang aufgehoben und die Sozialrechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 6. 6. 1995 wies die beklagte Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter den Antrag der Klägerin auf Gewährung der Invaliditätspension mit der Begründung ab, dass sie nicht invalid im Sinne des Gesetzes sei.

Das Erstgericht wies auch im zweiten Rechtsgang das von der Klägerin dagegen erhobene und auf die Gewährung einer Invaliditätspension ab 1. 9. 1994 gerichtete Klagebegehren ab. Es stellte im Wesentlichen fest, dass die Klägerin keinen Beruf erlernt hat. Sie hat während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (1. 9. 1994) aufgrund der im Einzelnen angeführten Beschäftigungsverhältnisse insgesamt 91 Beitragsmonate der Pflichtversicherung erworben, wobei sie während insgesamt 53 Beitragsmonaten als Köchin bzw Buffetkraft in Heurigenbetrieben gearbeitet hat und dabei Speisen der einfachen Hausmannskost zubereitet hat. Aufgrund der näher festgestellten Leidenszustände war die Klägerin vom Zeitpunkt der Antragstellung bis Jahresende 1998 in der Lage, leichte Arbeiten mit einem Heben und Tragen von Lasten mit maximal 5 kg zu verrichten. Auszuschließen waren Arbeiten in Kälte und Nässe, feinmotorische manuelle Tätigkeiten, Arbeiten in ausschließlich stehender und sitzender Haltung sowie Arbeiten in länger dauerndem oder häufigem Knien oder Hocken. Die Klägerin sollte die Arbeiten in geschlossenen Räumen bei einer Mindesttemperatur von 16 Grad verrichten.

Ab Jänner 1999 kam es zu einer Aktivierung der entzündlichen (rheumatischen) Gelenkserkrankung, sodass die Klägerin nur mehr langsam gehen konnte und sie Schmerzen im Bereich des rechten Ellbogens, der Handgelenke, der Finger und des linken Knies verspürte. Im Juni 1999 kam es auch zu einer entzündlichen Magen- und Darmerkrankung, weshalb sich die Klägerin im Zeitraum vom 23. 6. bis 4. 7. 1999 in stationärer Behandlung im Krankenhaus Lainz befand. Die rheumatische Erkrankung der Klägerin, welche sich im Jänner 1999 verschlechtert hatte, wurde bis zu diesem stationären Aufenthalt im Juni 1999 nicht ausreichend behandelt. Die Klägerin hat sich trotz dieser Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes im Jänner 1999 erst im Juni 1999 gezielt behandeln lassen. Sie war aufgrund der Verschlechterung ihrer rheumatischen Erkrankung von Anfang Jänner 1999 bis Ende Juli 1999 zu einer geregelten Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht in der Lage.

Seit Anfang August 1999 ist die Klägerin wieder imstande, körperlich leichte Arbeiten übewiegend im Sitzen zu verrichten. Auszuschließen sind Arbeiten in länger oder häufig gebückter Stellung, Arbeiten im Knien oder Hocken, feinmotorische manuelle Tätigkeiten, Arbeiten in Kälte oder Nässe sowie Arbeiten, die mit dem Heben und Tragen von Lasten über 5 kg verbunden sind.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, dass die Klägerin keinen Berufsschutz als angelernte Köchin erworben habe, da sie nur Speisen der einfachsten Gasthaus- und Heurigenküche zubereitet habe, und sie mit ihrer verbliebenen Arbeitskraft auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden könne.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin keine Folge. Es verneinte die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Verfahrens, hielt die Tatsachen- und Beweisrüge für nicht berechtigt und teilte auch die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der vollen Stattgebung des Klagebegehrens, in eventu der Zuerkennung einer Invaliditätspension für den Zeitraum Jänner 1999 bis einschließlich Juli 1999. Hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt. Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist teilweise berechtigt.

Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt schon deshalb nicht vor, weil die von der Klägerin in diesem Zusammenhang begehrte Feststellung, sie habe den mündlichen Teil der Konzessionsprüfung für das Gastgewerbe im Juli 1988 mit Erfolg abgelegt (vgl dazu das Vorbringen der Klägerin in der Tagsatzung vom 5. 5. 1999 - ON 52), für die Entscheidung nicht wesentlich ist und es daher der beantragten Beischaffung des diesbezüglichen Aktes des Magistrates der Stadt Wien nicht bedurfte.

Die im angefochtenen Urteil enthaltene rechtliche Beurteilung der Sache, dass der Klägerin kein Berufsschutz als angelernte Köchin nach § 255 Abs 2 ASVG zukommt, ist zutreffend (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO).

Den Revisionsausführungen ist noch Folgendes entgegenzuhalten:

Nach § 255 Abs 2 ASVG liegt ein angelernter Beruf vor, wenn die Versicherte eine Tätigkeit ausübt, für die es erforderlich ist, durch praktische Arbeit qualifizierte Kenntnisse oder Fähigkeiten zu erwerben, welche jenen in einem erlernten Beruf gleichzuhalten sind. Bildet die Berufstätigkeit der Versicherten, die sie während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag überwiegend ausübte, einen Teil eines Lehrberufes, so ist zur Lösung der Frage des Berufsschutzes dieser Lehrberuf zum Vergleich heranzuziehen (SSV-NF 7/71; 4/158 ua). Vom Bestehen eines Berufsschutzes könnte überdies nur dann ausgegangen werden, wenn die Zahl der Beitragsmonate, während der die Klägerin in den letzten 15 Jahren mit einer Tätigkeit betraut war, für die Kenntnisse und Fähiigkeiten im Sinn des § 255 Abs 2 ASVG erforderlich waren, überwiegt (SSV-NF 7/129 ua).

Aus den Feststellungen der Vorinstanzen ergibt sich, dass die Klägerin zwar Teiltätigkeiten des Berufsbildes einer Berufsköchin ausgeübt hat, sie aber keineswegs über alle jene Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, die diesem Berufsbild entsprechen (vgl SSV-NF 10/64 ua). Dass die Klägerin für ihre überwiegend in Heurigenbetrieben ausgeübte Kochtätigkeiten keine qualifizierten Kenntnisse und Fähigkeiten benötigte, die jenen in einem erlernten Beruf, hier einer gelernten Köchin, gleichzuhalten sind, liegt auf der Hand. Für die Zubereitung des in Heurigenbetrieben doch sehr begrenzten Angebotes an warmen Speisen bedarf es nämlich, wie bereits das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, keiner spezifischen gastronomischen Ausbildung, sondern es reichen dafür in der Regel die Kochkenntnisse einer einen Haushalt führenden Person aus. Das Berufungsgericht hat daher zu Recht dem Umstand keine Bedeutung zugemessen, dass die Klägerin nach ihrem Vorbringen den mündlichen Teil der Konzessionsprüfung für das Gastgewerbe mit Erfolg abgelegt habe, da es bei der Frage des Konzessionserwerbes nach den zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichtes nur in einem kleinen Teilbereich um die berufliche Qualifikation als Köchin geht und von der Klägerin darüber hinausgehend erworbene Kenntnisse im vorliegenden Fall schon deshalb nicht von entscheidungsrelevanter Bedeutung sind, weil sie für die von der Klägerin im maßgebenden Zeitraum überwiegend ausgeübte Tätigkeit als Köchin bzw Buffetkraft in Heurigenbetrieben nicht erforderlich waren. Die Frage der Invalidität der Klägerin wurde daher von den Vorinstanzen ohne Rechtsirrtum nach § 255 Abs 3 ASVG geprüft und für den Zeitraum vom 1. 9. 1994 bis 31. 12. 1998 und ab 1. 8. 1999 auch zutreffend verneint.

Die Revisionswerberin wendet sich aber zu Recht gegen die Beurteilung der Vorinstanzen, dass ihr - trotz festgestellter Arbeitsunfähigkeit in den ersten sieben Monaten des Jahres 1999 - auch für diesen Zeitraum keine Pension zustehe. Tritt erst während des Gerichtsverfahrens wegen einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit ein (§ 223 Abs 1 Z 2 lit a oder b ASVG), dann ist das Klagebegehren ab einem neuen Stichtag berechtigt, wenn die Voraussetzungen der §§ 254 Abs 1 oder 271 Abs 1 ASVG vorliegen (SSV-NF 7/92 ua). Nach § 254 Abs 1 Z 1 ASVG hat die Versicherte Anspruch auf Invaliditätspension, wenn die Invalidität voraussichtlich sechs Monate andauert oder andauern würde. Die Klägerin erfüllt diese Voraussetzung. Dass ihr von den Vorinstanzen die Invaliditätspension für die ersten sieben Monate des Jahres 1999 dennoch nicht zuerkannt wurde, ist offenbar darauf zurückzuführen, dass die Vorinstanzen davon ausgingen, dass die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin bei rechtzeitiger und gezielter Behandlung innerhalb eines Zeitraumes von sechs Monaten behebbar gewesen wäre. Es trifft zwar zu, dass nach allgemein herrschender Ansicht eine Versicherte die Interessen des Sozialversicherungsträgers und damit auch die der anderen Versicherten in zumutbarer Weise zu wahren hat und sie deshalb auch verpflichtet ist, sich einer notwendigen und zumutbaren Krankenbehandlung, die zu einer Heilung und Wiederherstellung ihrer Arbeitsfähigkeit führen würde, zu unterziehen. Der Oberste Gerichtshof hat daher auch bereits wiederholt ausgesprochen, dass dann, wenn die Arbeitsfähigkeit durch zumutbare Behandlungen innerhalb von sechs Monaten wiederhergestellt werden kann, das Begehren auf Invaliditätspension oder Berufsunfähigkeitspension abzuweisen ist (SSV-NF 5/42 mwN ua). Es entspricht aber auch der ständigen Rechtsprechung, dass nur eine schuldhafte, also eine zumindest leicht fahrlässige Verletzung der Duldungs- oder Mitwirkungspflicht der Versicherten zum Verlust des Anspruches führt (SSV-NF 7/8; 6/14 ua). Eine Versicherte kann ihre Duldungs- und Mitwirkungspflicht daher solange nicht verletzen, als sie sich einer ärztlichen Behandlung unterzieht, die angeordnete Therapie durchführt und auf deren Zweckmäßigkeit aus ärztlicher Sicht vertraut (SSV-NF 5/42 ua; RIS-Justiz RS0085035).

Die Frage, ob der Klägerin im Hinblick auf die im Jänner 1999 eingetretene Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes eine zumindest leicht fahrlässige Verletzung der Duldungs- oder Mitwirkungspflicht zur Last zu legen ist, kann aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen nicht beurteilt werden, weil insbesondere nicht festgestellt wurde, welche Erwägungen die Klägerin veranlasst haben, sich erst im Juni 1999 einer stationären Behandlung zu unterziehen. Nach den Angaben der Klägerin bei der Befundaufnahme durch den Sachverständigen Dr. Pokorny wurde ihre Behandlung zunächst vom Hausarzt mit Tabletten durchgeführt (vgl Seite 1 in ON 56). Das Verfahren erweist sich daher in diesem Punkt als ergänzungsbedürftig, weshalb die Sozialrechtssache in diesem Umfang an das Erstgericht zurückzuverweisen war.

Der Kostenvorbehalt beruht auf den §§ 52 Abs 1 ZPO.

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