OGH 7Ob58/02h

OGH7Ob58/02h17.4.2002

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Felix P*****, geboren am 6. September 1995, derzeit wieder in Pflege und Erziehung seiner Mutter Birgit P*****, über den Revisionsrekurs der (ehemaligen) Pflegeeltern des Minderjährigen Dr. Anna K*****, und Viktor L*****, beide vertreten durch Dr. Peter Ozlberger, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Jugendgerichtshofes Wien als Rekursgericht vom 11. Februar 2002, GZ 1 RM 8/02-314, womit der Rekurs der Pflegeeltern gegen den Beschluss des Jugendgerichtshofes Wien vom 19. Dezember 2001, GZ 6 P 74/97k-298, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Rekursgericht eine neuerliche Entscheidung unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Text

Begründung

Der am 6. 9. 1995 außerehelich geborene, damals bei seiner Mutter lebende mj. Felix konnte am 10. 12. 1997 gemeinsam mit der (sich nach Drogenkonsum in einem psychotischen Zustand befindlichen) Mutter aus der von dieser in Brand gesteckten Wohnung gerettet werden. Darauf hin wurde das Kind vom Amt für Jugend und Familie Wien, Bezirke 6/7/8/9 als Jugendwohlfahrtsträger am 19. 12. 1997 den (in Lebensgemeinschaft lebenden) Pflegeeltern Dr. Anna K***** und Viktor L***** in Pflege und Erziehung übergeben. Um die Erlangung des Obsorgerechtes für den Minderjährigen bemühten sich seither neben den Pflegeeltern, die die Adoption des Kindes anstreben, zunächst der außereheliche Vater und die mütterliche Großmutter und sodann - nach mehrmonatiger stationärer psychiatrischer Behandlung - auch wieder die Mutter. Zwischen der Mutter und der mütterlichen Großmutter einerseits und den Pflegeeltern andererseits kam es in der Folge im Zuge der Besuchsrechtsausübung der beiden Erstgenannten zu Spannungen und Streitigkeiten.

Die vom Erstgericht beigezogene kinderpsychiatrische Sachverständige DDr. Gabriele W***** führte in einem (ergänzenden) Gutachten vom 25. 10. 2001 aus, der mj. Felix sei durch das Spannungsfeld (Mutter versus Pflegeeeltern) stark belastet und psychisch irritiert. Er mache den Eindruck eines verschüchterten, "unsicher gebundenen" Kindes mit Neigungen zu regressiven Verhaltensweisen. Er fühle sich der (gespannten) Situation hilflos ausgeliefert und habe auf Grund der rigiden Haltung seiner Pflegeeltern keine Möglichkeit, seine inneren Konflikte adäquat zu lösen. Zur Mutter, die ihn, seitdem er in der Pflegefamilie lebe, regelmäßig besucht habe und die als (wieder) erziehungsfähig und das Kind nicht mehr gefährdend einzuschätzen sei, habe er eine positive emotionale Bindung. Zweifelsohne stellten auch die Pflegeeltern wichtige Bezugspersonen dar; mittlerweile zeige der Minderjährige aber bezogen auf sein derzeitiges Alter mehr regressive Verhaltensweisen sowie deutliche Anzeichen einer Kontaktstörung. Es werde eine behutsame Überführung des Minderjährigen in die Obsorge der Kindesmutter empfohlen und zunächst eine Unterbringung in einem Krisenzentrum des Jugendwohlfahrtsträgers vorgeschlagen, um dort die Überführung in die Obsorge der Mutter schrittweise anzubahnen. Natürlich stelle eine Trennung des Minderjährigen von den Pflegeeltern nach langer Lebensgemeinschaft eine emotionale Belastung dar. Unter Berücksichtigung der Gesamtsituation des Kindes sei diese aber geringer als jene Belastung, der der Minderjährige langfristig bei einem Verbleib in der Pflegefamilie und damit im Spannungsfeld zwischen dieser und der Kindesmutter ausgesetzt wäre. Durch dieses Gutachten sah sich der Jugendwohlfahrtsträger veranlasst, den Minderjährigen am 25. 10. 2001 bei einer "Krisenpflegefamilie" unterzubringen. Kurz vor Ablauf der - um eine emotionale Bindung des Minderjährigen an diese Familie zu vermeiden - von vornherein mit ca 8 Wochen begrenzten "Krisenunterbringung" übertrug das Erstgericht mit einstweiliger Verfügung vom 19. 12. 2001 die Obsorge für das Kind im Bereich der Pflege und Erziehung vorläufig (wieder) der Mutter, wobei es die Unterstützung der Erziehung des Minderjährigen anordnete und der Mutter auftrug, die Auflagen des Jugendwohlfahrtsträgers zu erfüllen. Es sei zu hoffen, dass durch diese Maßnahme die Streitereien um das Kind zumindest für die nächste Zeit "an ihm vorbeigetragen werden". Dies sei in den letzten vier Jahren bei der Pflegefamilie vor allem im Hinblick auf das Besuchsrecht der Kindesmutter, nicht gelungen. Auch der Jugendwohlfahrtsträger sei der Meinung, dass der Minderjährige bei der Mutter nicht gefährdet sei. Nicht endgültig geklärt sei hingegen, ob dies auch bei einem Verbleib in der Pflegefamilie der Fall wäre. Gegen die Entscheidung des Erstgerichtes erhoben die Pflegeeltern Rekurs, in dem sie Verfahrensmängel, unrichtige Feststellung des Sachverhaltes infolge unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend machten und beantragten, die einstweilige Verfügung entweder ersatzlos zu beheben oder aufzuheben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Rekursgericht den Rekurs als unzulässig zurück, wobei es aussprach, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Den Rekurswerbern mangle es an der Rechtsmittellegitimation. Nach stRsp komme Pflegeeltern, die mit dem Kind nicht durch ein Verwandtschaftsverhältnis verbunden sind und die die Pflege lediglich faktisch, aber niemals auf Grund eines Gerichtsbeschlusses ausgeübt haben, ein Rekursrecht nicht zu. Lediglich wenn durch den angefochtenen Beschluss den Pflegeltern konkrete Aufträge erteilt würden, könnte die Rekurslegitimation bejaht werden. Im gegenständlichen Fall hätten die Rekurswerber niemals die Pflege auf Grund eines gerichtlichen Beschlusses ausgeübt und sei ihnen durch die bekämpfte einstweilige Verfügung auch kein Auftrag erteilt worden. Die durch das Kindschaftsrechtsänderungsgesetz (KindRÄG) 2001 erfolgte Stärkung der Rechtsposition von Pflegeeltern (§ 186a ABGB) bewirke keine Judikaturänderung. Zwar hätten Pflegeeltern nunmehr einen subjektiven Anspruch auf Übertragung der Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung, falls das Pflegeverhältnis nicht nur für kurze Zeit beabsichtigt sei und dies dem Kindeswohl entspreche; dies bedeute jedoch nicht, dass Personen, die die Pflege und Erziehung eines Kindes faktisch nicht mehr ausübten, im Provisorialverfahren über die vorläufige Obsorgezuteilung an die Kindesmutter ein Rechtsschutzinteresse hätten. Ein solches wäre nur anzunehmen, wenn durch einen Gerichtsbeschluss Pflegeeltern die Obsorge entzogen würde bzw über ihren Antrag auf Obsorgezuteilung (negativ) entschieden würde. Da im Hinblick auf das erst seit kurzem in Geltung stehende KindRÄG 2001 eine (aktuelle) Rechtsprechung des Höchstgerichtes zur Frage der Rekurslegitimation von Pflegeeltern (noch) nicht vorliege, sei die Zulässigkeit des Revisionsrekurses auszusprechen gewesen. Gegen die Entscheidung des Rekursgerichtes richtet sich der ordentliche Revisionsrekurs der Pflegeeltern mit dem Abänderungsantrag, die einstweilige Verfügung aufzuheben; in eventu den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung an die Vorinstanzen zurückzuverweisen. Der Revisionsrekurs ist, da das Rekursgericht die Rechtslage verkannt hat, zulässig und im Sinne des Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Das Rekursgericht übersieht, dass die von ihm zitierte Judikatur (SZ 22/112; EFSlg 23.543; EFSlg 37.189; EFSlg 39.067), die seine Entscheidung stützen soll, zur Rechtslage vor dem 1. 7. 1989 ergangen ist. Schon seit dem an diesem Tag erfolgten Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsänderungsgesetzes (KindRÄG) 1989 stand auch Pflegeeltern nach § 186 Abs 2 (aF) ABGB das Recht zu, in den die Person des Kindes betreffenden Verfahren (insb Pflegschaftsverfahren) Anträge zu stellen. Damit ist, wie der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung 1 Ob 664/89 (SZ 62/164 = EvBl 1990/43) unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien (RV 172 BlgNR 17. GP 19) ausgesprochen hat, auch die Legitimation verbunden, in diesen Angelegenheiten Rechtsmittel zu ergreifen. Daran hat sich durch das KindRÄG 2001 (durch das die Rechtsposition der Pflegeeltern, wie das Rekursgericht ohnehin erkannt hat, sogar gestärkt wurde) nichts geändert: § 186 ABGB (nF) enthält weiterhin die Bestimmung, dass die Pflegeeltern das Recht haben, in den die Person des Kindes betreffenden Verfahren Anträge zu stellen.

Das Spezifikum des vorliegenden Falles, dass das Kind nicht unmittelbar aus der Pflege und Erziehung der Pflegeeltern in jene der Mutter rückgeführt wurde, sondern zunächst für sieben Wochen bei einer "Krisenpflegefamilie" untergebracht war, vermag an der Rechtsmittellegitimation der (bisherigen) Pflegeeltern nichts zu ändern. Streitpunkt ist, ob das Kind (weiterhin) von den Pflegeeltern oder (nach mehr als vier Jahren wieder) von der Mutter vorläufig versorgt und betreut werden soll. Es geht also um ein iSd § 186 ABGB (nF) zweiter Satz die Person des Kindes betreffendes Verfahren, an dem den (bisherigen) Pflegeeltern ein unmittelbares Interesse zuzubilligen ist.

Da sich die Ansicht des Rekursgerichtes, den Pflegeeltern mangle es an der Rechtsmittellegitimation als rechtsirrig erweist, war der angefochtene Beschluss aufzuheben. Das Rekursgericht wird über das Rechtsmittel der Pflegeeltern ohne Heranziehung des verfehlten Zurückweisungsgrundes zu entscheiden haben. Eine meritorische Entscheidung des Obersten Gerichtshofes kam schon im Hinblick darauf, dass die Pflegeeltern auch Feststellungsrügen erhoben haben, nicht in Betracht.

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