OGH 11Os24/02

OGH11Os24/029.4.2002

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. April 2002 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Habl, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Lokay als Schriftführer, in der Strafsache gegen 1.) Lansana T***** und 2.) Leonard K***** wegen des Verbrechens nach § 28 Abs 2 und Abs 4 Z 2 SMG und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 6. September 2001, AZ 20 Bs 323, 324/01, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tiegs und des Verteidigers der beiden Angeklagten Mag. Thomas Hammerl, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 6. September 2001, AZ 20 Bs 323, 324/01 (= GZ 5 Vr 532/99-1159 des Jugendgerichtshofes Wien), verletzt das Gesetz in der (sinngemäß anzuwendenden) Bestimmung des § 265 StPO sowie in § 16 Abs 1, Abs 2 Z 12 StVG. Gemäß § 292 letzter Satz StPO wird dieser Beschluss aufgehoben und dem Oberlandesgericht Wien die neuerliche Entscheidung über die von der Staatsanwaltschaft beim Jugendgerichtshof Wien gegen die Beschlüsse des Jugendgerichtshofes Wien vom 17. Juli 2001, GZ 5 Vr 532/99-1143, 1144, erhobenen Beschwerden aufgetragen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 21. Juli 2000, GZ 5 Vr 532/99-1038, wurden Lansana T***** und Leonard K***** des Verbrechens nach § 28 Abs 2 und Abs 4 Z 2 SMG, Lansana T***** auch des Vergehens nach § 28 Abs 1 SMG schuldig erkannt und - jeweils unter Anrechnung von Vorhaftzeiten vom 28. September 1999 bis zum Urteilszeitpunkt - zu Freiheitsstrafen in der Dauer von je zwei Jahren verurteilt. Zugleich fasste das Gericht gemäß § 53 Abs 2 StGB den Beschluss auf Widerruf der Leonard K***** mit Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 1. Juni 1999, AZ 10 EVr 276/99, gewährten bedingten Nachsicht einer wegen § 27 Abs 1 und 2 Z 2 SMG verhängten fünfmonatigen Freiheitsstrafe.

Nach Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerden dieser Angeklagten durch den Obersten Gerichtshof am 20. März 2001 (11 Os 141/00-10, 11 Os 19/01-10) wurde mit Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 22. Mai 2001, AZ 20 Bs 154/01, auch ihren Berufungen sowie der Beschwerde des Leonard K***** gegen den Widerrufsbeschluss nicht Folge gegeben (ON 1127).

Noch vor Rechtskraft der Verurteilung gab der Vorsitzende des erkennenden Schöffengerichtes nach Durchführung einer Haftverhandlung einem Enthaftungsantrag des Lansana T***** mit (unbekämpft in Rechtskraft erwachsenem) Beschluss vom 27. März 2001 (unter Anwendung eines gelinderen Mittels nach § 180 Abs 5 Z 4 StPO) mit der Begründung Folge, der Angeklagte habe bereits Ende Februar 2001 zwei Drittel der über ihn verhängten Freiheitsstrafe (welche mangels einer Berufung der Anklagebehörde durch das Oberlandesgericht nicht mehr erhöht werden könne), verbüßt; es bedürfe nicht noch der Verbüßung des Strafrestes aus spezialpräventiven Erwägungen (ON 1097). Über Antrag der Staatsanwaltschaft beim Jugendgerichtshof Wien wurde am 2. Mai 2001 auch die über Leonard K***** verhängte Untersuchungshaft unter Anwendung gelinderer Mittel aufgehoben (ON 1109).

Mit den Beschlüssen vom 17. Juli 2001 (ON 1143 und 1144) wurde Lansana T***** und Leonard K***** durch den Jugendgerichtshof Wien in der Zusammensetzung gemäß § 13 Abs 3 StPO als Drei-Richter-Senat der jeweilige Rest (sechs Monate und ein Tag bzw neun Monate und drei Tage) der Freiheitsstrafen (deren Gesamtausmaß hinsichtlich T***** zwei Jahre und hinsichtlich K***** zwei Jahre und fünf Monate beträgt) gemäß § 46 Abs 2 StGB bedingt nachgesehen und Lansana T***** mit Wirkung vom 27. März 2001, Leonard K***** mit Wirkung vom 2. Mai 2001, jeweils unter Setzung einer dreijährigen Probezeit und Bestellung eines Bewährungshelfers bedingt entlassen. Mit Beschluss vom 6. September 2001, AZ 20 Bs 323, 324/01 (ON 1159), gab das Oberlandesgericht Wien den von der Staatsanwaltschaft gegen die zuletzt erwähnten Entscheidungen des Jugendgerichtshofes Wien erhobenen Beschwerden Folge, hob diese auf und trug dem Erstgericht auf, den Strafvollzug hinsichtlich Lansana T***** und Leonard K***** ein- und deren Anträge auf bedingte Entlassung dem zuständigen Vollzugsgericht zuzuleiten.

Rechtliche Beurteilung

Die Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichtes Wien steht, wie der Generalprokurator mit seiner deshalb erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Nach dem ersten Satz des Abs 1 der - durch das Strafprozessanpassungsgesetz, BGBl Nr 423/1974, in den Rechtsbestand eingeführten - Bestimmung des § 265 StPO hat das Gericht, wenn die zeitlichen Voraussetzungen für die bedingte Entlassung aus einer Freiheitsstrafe infolge Anrechnung einer Vorhaft oder einer im Ausland verbüßten Strafe schon im Zeitpunkt des Urteils vorliegen, dem Angeklagten den Rest der Strafe unter Bestimmung einer Probezeit mit Beschluss bedingt nachzusehen, sofern auch die übrigen in § 46 StGB genannten Voraussetzungen vorliegen.

Den erläuternden Bemerkungen im JAB (1257 BlgNR XIII. GP, 8) ist zwar zu entnehmen, dass mit der Bestimmung des § 265 StPO eine Ausnahmeregelung geschaffen werden sollte, auf Grund derer die an sich dem Vollzugsgericht zustehende Befugnis zur Entscheidung über die bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 46 StGB zur Zeit der Urteilsfällung dem erkennenden Gericht zukommen soll. Der Entlassungsbeschluss kann überdies auch bloß für den Fall gefasst werden, dass das Urteil sofort rechtskräftig wird, und wird bei dessen Anfechtung und eine für den Verurteilten nachteiligen Rechtsmittelentscheidung gegenstandslos (insoweit übereinstimmend Leukauf/Steininger Komm3 § 46 RN 6 sowie Foregger/Fabrizy StPO8 und Mayerhofer StPO4, jeweils Anm 2 zu § 265).

Dem aus § 265 StPO hervorgehenden Grundanliegen des Gesetzgebers, bereits im Zeitpunkt der Urteilsfällung erster Instanz über die bedingte Entlassung zu erkennen, sofern ihre zeitlichen Voraussetzungen vorliegen, läuft es zuwider, mit dieser Entscheidung nach Urteilsrechtskraft ungeachtet des (wenn auch erst nach dem Urteil erster Instanz erfolgten) Eintritts der erwähnten zeitlichen Voraussetzungen stets bis zum Beginn des Strafvollzugs (Strafantritt) zuzuwarten (mit welchem das gemäß § 16 Abs 1, Abs 2 Z 12 StVG zuständige Gericht erst eindeutig feststünde; vgl 15 Os 186/94). In einem Fall wie dem vorliegenden könnte dies dazu führen, dass der Verurteilte die Freiheitsstrafe unter Umständen nur zur Ermöglichung des Ausspruchs seiner bedingten Entlassung antreten müsste. Den gesetzgeberischen Intentionen entspricht es vielmehr, in diesem Falle, in welchem - wie auch bei einer noch vor Strafantritt gewährten Hemmung des Strafvollzugs nach § 510 Abs 2 StPO - die Zuständigkeit des Vollzugsgerichtes noch nicht begründet ist, analog der Bestimmung des § 265 StPO weiterhin das - in erster Instanz (vgl EvBl 1979/108 = RZ 1979/7) - erkennende Gericht über die bedingte Entlassung entscheiden zu lassen, und zwar - im Hinblick auf die Verweisung in § 265 StPO auf das sinngemäß anzuwendende 28. Hauptstück der StPO - in der sich aus § 13 Abs 3 StPO iVm § 495 Abs 1 StPO ergebenden Zusammensetzung (vgl erneut die zuletzt zitierte Entscheidung; siehe auch 13 Os 83/76 = ÖJZ-LSK 1976/291 zu § 265 StPO nF).

Zu Unrecht wurde vom Beschwerdegericht die Kompetenz des (in dieser Zusammensetzung entscheidenden) Jugendgerichtshofes Wien verneint und die Zuständigkeitsvorschrift des § 16 Abs 1, Abs 2 Z 12 StVG als maßgebend erachtet.

Weil sich die aufgezeigten Gesetzesverletzungen zum Nachteil der Verurteilten auswirken, war die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien aufzuheben und diesem Gerichtshof die neuerliche Beschlussfassung aufzutragen.

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