European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2002:E65040
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
1.) Der Revision der Erstklägerin wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden hinsichtlich eines Hausfrauenrentenbegehren von monatlich EUR 242,24 (S 3.333,33) ab 1. 11. 1997 aufgehoben. Die Rechtssache wird in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die diesbezüglichen Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
2.) Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der Erstklägerin die mit EUR 665,66 (darin EUR 110,94 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Am 19. 10. 1995 verursachte Radomir M* in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand als Lenker und Halter eines bei der Beklagten haftpflichtversicherten PKWs einen Verkehrsunfall; er kam infolge Unachtsamkeit mit dem PKW nach rechts ab und stieß frontal gegen die Leitplanke vor einem Brückengeländer, welches sich von vorne durch den PKW bis zu dessen hinterer Sitzbank bohrte. Die am vorderen Beifahrersitz mitfahrende Ehefrau, die Erstklägerin, und die im Fond des PKWs mitfahrenden drei ehelichen Kinder, die Zweit‑ bis Viertkläger, wurden bei diesem Unfall schwer verletzt. Ihre auf die Behauptung des von Radomir M* und damit von der Beklagten zu vertretenden Alleinverschuldens gestützten Ansprüche auf Ersatz des Schmerzengeldes, der Aushilfskosten, der ambulanten Behandlungen, und der sonstigen Kosten in der Gesamthöhe von letztlich S 1,429.500,‑- samt Anhang sowie das Begehren der Erstklägerin auf Bezahlung einer Hausfrauenrente und die der Höhe nach durch den zwischen Radomir M* und der Beklagten geschlossenen Haftpflichtversicherungsvertrag beschränkten Begehren auf Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Schäden der Erst‑, Dritt‑ und Viertkläger aus dem Unfall bildeten den Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens. Nach der Einholung medizinischer Sachverständigengutachten über die Verletzungen der vier Kläger anerkannte die Beklagte das Feststellungsbegehren in Ansehung der Erstklägerin zu zwei Drittel und in Ansehung der Dritt‑ und Viertkläger zur Gänze. Zusätzlich anerkannte und bezahlte die Beklagte das Schmerzengeld des Zweitklägers in der Höhe von S 20.000,‑‑, des Drittklägers in der Höhe von S 40.000,‑- und des Viertklägers in der Höhe von S 250.000,‑‑. Schließlich stellte sie den Schmerzengeldanspruch der Erstklägerin mit S 400.000,‑- und den Anspruch auf eine Haushaltshilfe mit S 55.000,‑- außer Streit; sie brachte hievon ein Drittel an Mitverschulden der Erstklägerin sowie ein Drittel der an die Zweit‑ bis Viertkläger bezahlten Beträge in Abzug.
Mit dem Teilanerkenntnisurteil ON 34 stellte das Erstgericht die Haftung der Beklagten gegenüber der Erstklägerin zu zwei Drittel und gegenüber den Dritt‑ und Viertklägern zur Gänze für alle künftigen Schäden auf Grund des Verkehrsunfalles fest.
Mit dem Endurteil ON 46 verpflichtete das Erstgericht die Beklagte darüber hinaus
a) der Erstklägerin einen Betrag von S 104.133,33 samt Anhang zu bezahlen; die Mehrbegehren auf Bezahlung eines weiteren Betrages von S 666.806,67 samt Anhang, auf Bezahlung eines weiteren Betrages von S 5.000,‑- ab 1. 11. 1998 an monatlicher Rente und auf Feststellung, dass die Beklagte gegenüber der Erstklägerin auch für das dritte Drittel aller künftigen Schäden hafte, wies es ab;
b) dem Drittkläger einen Betrag von S 11.000,‑- samt Anhang zu bezahlen; das Mehrbegehren, einen weiteren Betrag von S 363.553,‑- samt Anhang zu bezahlen, wies es ab.
Die Beklagte habe in die durch § 1325 ABGB normierte Schadenersatzpflicht des Radomir M* auf Grund des zum Unfallszeitpunkt mit diesem aufrechten Haftpflichtversicherungsvertrages ungeachtet etwaiger Rückgriffsmöglichkeiten einzutreten.
Hievon ausgehend gebührten der Erstklägerin an Schmerzengeld (wie außer Streit gestellt) S 400.000,‑‑, für die Haushaltshilfe S 55.000,‑- und an Behandlungskosten S 1.200,‑‑, sohin insgesamt S 456.200,‑‑. Da sie aber die Alkoholisierung ihres Gatten Radomir M* habe wahrnehmen können und dessen ungeachtet mit diesem mitgefahren sei, habe sie sich gemäß § 1304 ABGB nach ständiger Rechtsprechung ein Mitverschulden im Ausmaß von einem Drittel anrechnen zu lassen. Dieses Mitverschulden treffe sie nur im Rahmen der eigenen Ansprüche, da mit diesem die Sorglosigkeit des Geschädigten gegenüber den eigenen Gütern bestraft werde. Ein Anlasten der Ersatzpflicht der Beklagten gegenüber den Zweit‑ bis Viertklägern sei damit nicht möglich, dies insbesondere, da der Erstklägerin keine Verletzung der §§ 1301 bis 1302 ABGB vorgeworfen werden könne.
Das Berufungsgericht gab den Berufungen der Erstklägerin und des Viertklägers sowie der Beklagten nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision - mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO - nicht zulässig sei. Es führte - soweit dies für das drittinstanzliche Verfahren noch von Bedeutung ist - folgendes aus:
Dass die Erstklägerin ab 1. 8. 1996 wieder sämtliche Arbeiten verrichten konnte, stehe unbedenklich fest und bedinge den Nichtzuspruch einer - rechtlich gesehen einen Verdienstentgang darstellenden - Hausfrauenrente. Dass die Erstklägerin - wie von ihr festzustellen begehrt - auch "bis heute" nicht in der Lage sei, sämtliche Arbeiten selbst zu verrichten, sie sich beim Zubereiten der Mahlzeiten immer wieder niedersetzen müsse, sie keine weiten Strecken zu Fuß zurücklegen könne, Einkäufe von ihr infolge zu großer Entfernung nicht selbst verrichtet werden könnten und sie überhaupt generell für ihre Haushaltstätigkeit jetzt doppelt so viel Zeit als vor dem Unfall benötige, entbehre jeglichen Vorbringens im Verfahren erster Instanz. Dass ein solches durch die Einvernahme der Erstklägerin als Partei nicht ersetzt werden könne, sei ständige Rechtsprechung.
Das Erstgericht habe zutreffend dargelegt, dass das der Erstklägerin anzulastende Mitverschulden von einem Drittel nur diese selbst im Rahmen der eigenen Ansprüche treffe, weil durch das Mitverschulden die Sorglosigkeit des Geschädigten gegenüber den eigenen Gütern bestraft werde, und dass der Erstklägerin ein Verstoß gegen die §§ 1301 und 1302 ABGB nicht angelastet werden könne. Warum ihre Ansprüche auch um die (im Falle der Einsichtsfähigkeit) den Zweit‑ bis Viertklägern anzulastende Verschuldensquote zu kürzen sein sollten, bleibe damit unverständlich.
Gegen diese Berufungsentscheidung richten sich die außerordentlichen Revisionen der Erstklägerin und der Beklagten. Die Erstklägerin macht Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, Aktenwidrigkeit und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass ihr (bereits gekürzt um ein Drittel Mitverschulden) eine monatliche Hausfrauenrente von EUR 242,24 (S 3.333,33) zugesprochen werde. Die Beklagte behauptet unrichtige rechtliche Beurteilung und beantragt die Abänderung des angefochtenen Urteiles dahin, dass das restliche Klagebegehren der Erstklägerin von EUR 7.567,66 sA (S 104.133,33) abgewiesen werde. Hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.
In den ihnen freigestellten Revisionsbeantwortungen beantragen Erstklägerin und Beklagte jeweils, dem gegnerischen Rechtsmittel nicht Folge zu geben; die Erstklägerin stellt auch einen Zurückweisungsantrag.
Beide Revisionen sind iSd § 502 Abs 1 ZPO zulässig, wie die folgenden Ausführungen zeigen werden. Die Revision der Erstklägerin ist im Sinne ihres Aufhebungsantrages auch berechtigt; die Revision der Beklagten ist nicht berechtigt.
Zur Revision der Erstklägerin:
Die Rechtsmittelwerberin macht im Wesentlichen geltend, sie habe bereits in ihrer Klage vorgebracht, dass sie seit Juni 1996 zwar wieder ihren eigenen Haushalt führe und sämtliche Kinder betreue, grobe Haushaltsarbeiten aber unfallsbedingt überhaupt nicht mehr ausführen könne; ansonsten müsse sie für die Arbeiten mehr Zeit, Mühe und Anstrenung aufwenden, weshalb sie zur Abgeltung der Mehranstrengungen - im Sinne der ständigen Rechtsprechung - eine Hausfrauenrente begehre. Die Vorinstanzen seien von der unrichtigen Rechtsansicht ausgegangen, dass eine Hausfrauenrente nur bei dauernder Hilfsbedürftigkeit gebühre.
Hiezu wurde erwogen:
Nach ständiger Rechtsprechung gebührt Verdienstentgang wegen Beeinträchtigung bei der Haushaltsführung unabhängig von der Einstellung einer Ersatzkraft; ein derartiger Ersatzanspruch ist auch dann zu bejahen, wenn die Haushaltsarbeit von der Verletzten unter Mehraufwand von Zeit und Mühe selbst verrichtet wird, erfolgt doch die Mehranstrengung nicht zu Gunsten des Schädigers (RIS‑Justiz RS0030606T1, RS0030922T2; Reischauer in Rummel2 § 1325 ABGB Rz 39 mwN; Apathy, EKHG § 13 Rz 13 mwN). Eine solche eigene Mehranstrengung hat die Klägerin - entgegen der Darstellung des Berufungsgerichtes - bereits in ihrer Klage (AS 9) und nicht nur bei ihrer Parteienvernehmung (AS 335 f) behauptet. Das Erstgericht hat in diesem Zusammenhang lediglich festgestellt, dass ab 1. 8. 1996 keine Hilfe mehr notwendig sei, und in seiner rechtlichen Beurteilung für den Anspruch auf Hausfrauenrente auf dauernde Hilfsbedürftigkeit abgestellt. Auch ohne Einsatz einer Hilfskraft könnte aber die von der Erstklägerin behauptete dauernde Mehranstrengung bei der Bewältigung ihres Haushaltes gegeben sein. Hiezu fehlen Feststellungen, weshalb die Rechtssache in diesem Umfang unter Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen an das Erstgericht zurückzuverweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.
Zur Revision der Beklagten:
Die Rechtsmittelwerberin macht im Wesentlichen geltend, die Erstklägerin hätte dafür Sorge tragen müssen, dass ihre mj. Kinder (Zweit‑ bis Viertkläger) nicht mit dem schwer alkoholisierten Fahrzeuglenker mitfahren. Wären die Kinder bereits einsichtsfähig gewesen, so wären ihre Ansprüche ebenso wie die der Erstklägerin um die Mitverschuldensquote von einem Drittel zu kürzen gewesen. Mangels Einsichtsfähigkeit der Kinder seien deren Ansprüche von der Beklagten ungekürzt bezahlt worden. Da die Erstklägerin ihre Aufsichtspflicht verletzt habe, sei die Beklagte berechtigt, von den Ansprüchen der Erstklägerin jene Quote in Abzug zu bringen, um welche die Ansprüche der Zweit‑ bis Viertkläger bei Einsichtsfähigkeit zu kürzen gewesen wären.
Rechtliche Beurteilung
Hiezu wurde erwogen:
In 8 Ob 242/78 = SZ 52/20 wurde ausgeführt, der dort beklagte Vater habe durch die Mitnahme seiner erst 9‑jährigen Tochter auf dem Beifahrersitz rechtswidrig gehandelt; auch der spezifische Rechtswidrigkeitszusammenhang mit den eingetretenen Unfallsverletzungen seiner Tochter sei gegeben. Den Vater treffe das Mitverschulden an den Unfallsverletzungen seiner Tochter, sodass er zusammen mit der damaligen Klägerin, der Haftpflichtversicherungsträgerin des gegnerischen Lenkers, dafür zur ungeteilten Hand hafte. Da die Vorrangverletzung des Versicherungsnehmers der damaligen Klägerin schwerer wiege, sei die berufungsgerichtliche Verschuldensaufteilung im Verhältnis von 1 : 4 zu Lasten der damaligen Klägerin zu billigen. Der beklagte Vater könne aber nicht von jeglicher Mithaftung losgezählt werden.
In 7 Ob 41/99 = ZVR 1999/69 wurde betont, dass der dort beklagte Vater dafür Sorge zu tragen gehabt hätte, dass sein mitfahrendes mj. Kind im PKW dem Gesetz gemäß angegurtet gewesen wäre. Diese Pflichtverletzung des Beklagten als Vater und Aufsichtspflichtiger trete aber gegenüber der besonders massiven Vorrangverletzung der Lenkerin des Fahrzeuges des Versicherungsnehmers des dort klagenden gegnerischen Haftpflichtversicherers derart zurück, dass sie zu vernachlässigen sei.
Von dieser Rechtsprechung (anlässlich von Klagen dort gegnerischer Haftpflichtversicherer gegen aufsichtspflichtige Eltern) ausgehend ergibt sich im vorliegenden Fall folgendes: Die Erstklägerin hat nicht nur selbst in eigener Angelegenheit sorglos gehandelt, indem sie sich einem alkoholisierten Lenker (ihrem Ehegatten) anvertraute (vgl nur die Nachweise bei Reischauer in Rummel2 § 1304 ABGB Rz 18), sondern auch als Mutter der Zweit‑ bis Viertkläger diesen gegenüber ihre Sorge‑ und Aufsichtspflichten dadurch verletzt, dass sie sie mit einem erkennbar wegen Alkoholisierung fahruntüchtigen Lenker (dem Vater der Zweit‑ bis Viertkläger) mitfahren ließ. Entgegen der in der Revisionsbeantwortung der Erstklägerin vertretenen Ansicht genügte hiebei die Erkennbarkeit; der positiven Kenntnis der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit bedurfte es nicht (vgl Reischauer aaO). Soweit die Erstklägerin argumentiert, sie hätte ohnehin nicht verhindern können, dass der ebenfalls obsorgeberechtigte Vater die Kinder in seinem Fahrzeug mitnahm, bleibt zumindest - wie sie selbst erkennt - der Vorwurf, den (erkennbar alkoholisierten) Vater nicht einmal gebeten zu haben, die Kinder nicht mitzunehmen. Die Erstklägerin haftet somit ihren Kindern gegenüber solidarisch mit dem alkoholisierten und unachtsamen Unfallslenker, ihrem Ehegatten. Der Ausgleich zwischen den beiden Ehegatten (Solidarschuldnern) hätte grundsätzlich gemäß den §§ 896, 1301 f ABGB zu erfolgen. Ein entsprechender Ausgleichsanspruch des Ehegatten der Erstklägerin könnte aber nicht auf die Beklagte als dessen Haftpflichtversicherer übergehen, weil der Erstklägerin das Familienhaftungsprivileg des § 67 Abs 2 VersVG zugutekommt. Danach ist der gesetzliche Anspruchsübergang auf den Versicherer (§ 67 Abs 1 VersVG) ‑ wie er auch bei Ausgleichsansprüchen zwischen Solidarschuldnern möglich ist (Prölss/Martin, VersVG26 § 67 Rz 4 mwN) - ausgeschlossen, wenn sich der Ersatzanspruch des Versicherungsnehmers gegen einen mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen richtet; eine mittelbare Belastung des Versicherungsnehmers soll vermieden werden (Prölss/Martin aaO Rz 36 mwN; 7 Ob 41/99a mwN). Da die von der Beklagten vorgenommene Kürzung der Ansprüche der Erstklägerin um eine Quote der an deren Kinder erfolgten Zahlungen somit schon aus diesem Grunde nicht zu Recht erfolgt ist, kann es auf sich beruhen, ob ein Ausgleichsanspruch zu Lasten der Erstklägerin nicht überhaupt deshalb verneint werden könnte, weil ihr Verschulden gegenüber jenem ihres Ehegatten (des "eigenen" Lenkers) zu vernachlässigen wäre (vgl 7 Ob 41/99a im Verhältnis zwischen Aufsichtsperson und gegnerischem Lenker).
Der Revision der Beklagten war somit ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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