Spruch:
Der Nichtigkeitbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch II und demgemäß im Strafausspruch einschließlich der Vorhaftanrechnung und des Widerrufsbeschlusses (nicht jedoch im Zuspruch an die Privatbeteiligten) aufgehoben und in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen. Mit seiner Berufung und Beschwerde wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Dem Angeklagten fallen die durch den erfolglos gebliebenen Teil seines Rechtsmittels verursachten Kosten des Verfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auch einen in Rechtskraft erwachsenen Teilfreispruch enthaltenden Urteil wurde der am 10. Oktober 1981 geborene Hamdi G***** des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten schweren, gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1 und 2, 130 (rechtsirrig auch erster Satz erster Fall) zweiter Satz zweiter Fall; 15 StGB (I) und des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB (II) schuldig erkannt.
Danach hat er (zusammengefasst wiedergegeben)
zu I: anderen fremde bewegliche Sachen in einem 25.000 S übersteigenden Wert mit dem Vorsatz weggenommen (zu ergänzen: bzw wegzunehmen versucht), sich oder Dritte durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wobei er "die Diebstähle und Diebstähle durch Einbruch" jeweils in der Absicht beging, sich durch die wiederkehrende Begehung "solcher Diebstähle und Diebstähle durch Einbruch" eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, und zwar zu 1 bis 9: in der Zeit von Juni 2000 bis 28. Mai 2001 in St. Johann in Tirol und anderen Orten in vierzehn Angriffen (davon dreizehn durch Einbruch oder Aufbrechen von Behältnissen) zum Nachteil der im Urteil namentlich angeführten Personen;
zu II: am 12. August 2000 in Oberndorf durch mangelnde Vorsicht und Aufmerksamkeit bei dem Versuch, dem Johann A***** den Inhalt eines Bierglases ins Gesicht zu schütten, wobei Manuela M***** vom Bierglas getroffen wurde, wodurch sie Schmerzen an der Oberlippe erlitt, die Genannte fahrlässig am Körper verletzt.
Die gegen die Schuldsprüche I/1 bis 7 gerichtete, auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a sowie 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde ist nicht im Recht.
Rechtliche Beurteilung
Die behauptete Verkürzung von Verteidigungsrechten (Z 4) ist durch die Abweisung (S 55/II) des im Rechtsmittel relevierten Beweisantrages (S 51/II) nicht eingetreten. In der Hauptverhandlung vom 4. Oktober 2001 beantragte nämlich der Verteidiger die Einholung eines Gutachtens aus dem Fachgebiet der Entwicklungspsychologie zum Beweis dafür, dass "beim Angeklagten eine verzögerte Reife vorliegt im Sinne des § 4 JGG, dass er nicht reif genug ist, dies einzusehen und sich einsichtsgemäß zu verhalten, wobei dem Sachverständigen aufgetragen werden möge, die medizinischen Unterlagen der Ambulanz des Krankenhauses 'Barmherzige Brüder' in Linz einzuholen, weil die Frage der verzögerten Reife vor allem von einem Psychologen mit dem Spezialgebiet Entwicklungspsychologie abgeklärt werden kann". Dabei übersieht der Antragsteller, dass zu diesem Beweisthema wegen widersprüchlicher Gutachten der Sachverständigen Univ. Prof. Dr. Heinz P***** und Univ. Prof. Dr. Werner L***** ein dritter hiezu berufener (§ 126 Abs 2 StPO) Psychiater - zur Gewährleistung der Unbefangenheit ohne Kenntnis der Vorgutachten (vgl ON 23) - eine Expertise (ON 31 iVm S 47 ff/II) erstattete, wobei die beiden zuletzt tätigen Sachverständigen auch die Stellungnahme des Konventhospitals 'Barmherzige Brüder' in Linz verwertet hatten. Im Beweisthema wird in Bezug auf diese vorhandenen Verfahrensergebnisse nicht ausreichend dargelegt, inwieweit durch einen Experten der "Entwicklungspsychologie" eine Verbreiterung der Beurteilungsgrundlagen einer allfälligen verzögerten Reife des Angeklagten erwartet werden kann. Der bloße (apodiktische) Hinweis, dass ein Psychologe dieses Spezialgebietes auch eine solche Frage abklären könne, genügt angesichts einer Überprüfung der Diskretions- und Dispositionsfähigkeit des Beschwerdeführers durch drei Sachverständige mit Lehrbefugnis an einer inländischen Universität nicht. Der Wortlaut des Antrages läuft vielmehr auf eine unzulässige Erkundung hinaus.
Soweit der Nichtigkeitswerber umfängliche Kritik am Inhalt des Gutachtens des Sachverständigen Primarius Univ. Doz. Dr. Reinhard H***** übt, macht er damit keinen Verfahrensmangel nach Z 4 geltend. Der Einwand in der Mängelrüge (Z 5), wonach sich das Erstgericht mit der Stellungnahme des Konventhospitals 'Barmherzige Brüder' nicht auseinandergesetzt habe, geht ins Leere, weil dieses Schriftstück den in der Hauptverhandlung anwesenden Sachverständigen zur Kenntnis gebracht (S 37/II) und als (eine weitere) Grundlage ihrer Gutachten verwendet wurde. Diese Expertisen wurden aber in der Beweiswürdigung hinlänglich erörtert (US 11 f).
Die von der Beschwerde behauptete unzureichende Begründung und Undeutlichkeit, warum das Schöffengericht nicht dem Gutachten des Sachverständigen Univ. Doz. Dr. Werner L***** folgte, liegt nicht vor; hat doch das Erstgericht die Ausführungen des infolge des verlesenen Gutachtens des (verstorbenen) Sachverständigen Univ. Prof. Dr. Heinz P***** dritten Psychiaters Prim. Univ. Doz. Dr. Reinhard H***** als schlüssig erachtet und dies zusätzlich auf den eigenen persönlichen Eindruck vom Angeklagten sowie den Umstand, dass zur Tatausführung motorische Geschicklichkeit, Vorausschauen und ein hohes Maß an psychischer Kompetenz erforderlich waren, gestützt (US 11), woraus sich bereits die Ablehnung des (teilweise anderslautenden) Gutachtens des Sachverständigen Univ. Doz. Dr. L***** ergibt. Dabei war es den Tatrichtern entgegen der Beschwerde nicht verwehrt, unter anderem auch den persönlichen Eindruck vom Nichtigkeitswerber, der im Übrigen nach dem Gutachten des Sachverständigen Univ. Doz. Dr. H***** zu den Tatzeitpunkten im Wesentlichen den gleichen Entwicklungsstand wie zur Zeit der Hauptverhandlung aufwies, in die Beweiswürdigung miteinfließen zu lassen (§ 258 Abs 2 StPO).
Außerdem übergeht der Beschwerdeführer, dass zwischen allen Gutachten nur bei einer für ihn günstigen Auslegung hinsichtlich eines Teiles der Schuldsprüche (I/1 bis 7 und II) eine Differenz besteht, nämlich betreffend einer möglichen verzögerten Reife während der entscheidungsrelevanten Monate zwischen Juni und 10. Oktober 2000, weil selbst das Gutachten des Univ. Doz. Dr. L***** letztendlich von einer Diskretions- und Dispositionsfähigkeit "ab dem 19. Lebensjahr" ausgeht (S 45/II), was bei einer Interpretation mit "Beginn" dieses Lebensjahres wie im Ersturteil (entgegen der Berechnung des Schöffengerichtes in US 11) volle Zurechnungsfähigkeit sogar ab 10. Oktober 1999 bedeuten würde.
Der behauptete formelle Begründungsmangel im Sinne des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes liegt demnach nicht vor.
Mit der Tatsachenrüge (Z 5a) vermag der Beschwerdeführer durch den Hinweis auf die Sachverständigengutachten und die Stellungnahme des Oberarztes Dr. Herbert S***** von Konventhospital 'Barmherzige Brüder' aus dem Akteninhalt keine erheblichen Bedenken an der Richtigkeit der wesentlichen Feststellungen aufzuzeigen. Die Rechtsrüge (Z 9 lit a, der Sache nach lit b) geht - prozessordnungswidrig - nicht von den getroffenen Feststellungen zur Diskretions- und Dispositionsfähigkeit des Angeklagten aus, sondern trachtet mit Hilfe von als fehlend kritisierten Feststellungen zu einer Herzoperation des Nichtigkeitswerbers in dessen 11.Lebensjahr (die im Übrigen in den Sachverständigengutachten ohnehin berücksichtigt wurde) zu anderen Konstatierungen zu gelangen. Die gegen die Fakten I/1 bis 7 gerichtete Nichtigkeitsbeschwerde war daher zurückzuweisen (§ 285d StPO).
Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit b, inhaltlich auch a) den Schuldspruch II bekämpft, ist sie jedoch (im Ergebnis) berechtigt. Denn als Folge der Tathandlung, durch welche der Angeklagte mit einem Bierglas Manuela M***** an der Oberlippe traf, stellte das Erstgericht bloß "Schmerzen" der Genannten an der Oberlippe fest (US 6 iVm 9). Damit bleibt aber offen, inwieweit überhaupt eine zur Tatbestandsverwirklichung erforderliche Verletzung oder Gesundheitsschädigung vorlag (vgl Leukauf/Steininger Komm3 § 83 RN 5 bis 11). Außerdem mangelt es an Konstatierungen zur Dauer einer allfälligen Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit (§ 84 Abs 2 Z 4 StGB).
Infolge dieser unvollständigen Grundlagen erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren Beschwerdeausführungen zu der begehrten Anwendung des § 42 StGB.
Da die fehlenden Tatsachenfeststellungen vom Obersten Gerichtshof nicht nachgeholt werden können, ist die Anordnung einer neuerlichen Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung nicht zu vermeiden.
Bleibt noch zu den Schuldsprüchen I/1 bis 9 anzumerken, dass die Unterstellung dieser Taten auch nach § 130 erster Satz erster Fall StGB (neben zweiter Satz zweiter Fall) rechtsirrig geschah, weil die strafsatzbestimmende Qualifikation die vorliegend erstangenommene aus Gründen der Spezialität verdrängt (vgl Ratz in WK2 Vorbem zu §§ 28 bis 31 Rz 32 ff, § 29 Rz 6; ähnlich 13 Os 88/00 und 13 Os 146/00). Im konkreten Fall ist jedoch durch den Umstand, dass die zusätzliche Qualifikation bei der Strafbemessung nicht als erschwerend gewertet wurde, dem Angeklagten kein Nachteil erwachsen.
Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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