Spruch:
Der Oberste Gerichtshof stellt gemäß Art 89 Abs 2 B-VG (Artikel 140 Abs 1 B-VG) beim Verfassungsgerichtshof den Antrag,
im Budgetbegleitgesetz 2001, BGBl I 2000/142, Artikel 70 (Bundesgesetz, mit dem eine Entschädigung für Kriegsgefangene eingeführt wird [Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz]), in § 1 Z 1 die nachstehende Wortfolge als verfassungswidrig aufzuheben:
"mittelost- oder osteuropäischer Staaten (wie Albaniens, Bulgariens, Polens, der ehemaligen Sowjetunion, Rumäniens, der ehemaligen Tschechoslowakei, des ehemaligen Jugoslawiens)".
Mit der Fortführung des Revisionsverfahrens wird gemäß § 62 Abs 3 VfGG bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes innegehalten.
Text
Begründung
Der am 9. 12. 1925 geborene Kläger wurde vom 8. 9. 1944 bis zum 17. 11. 1946 in britischer Kriegsgefangenschaft in Ägypten angehalten. Während dieser Kriegsgefangenschaft in einem Lager in der Nähe des Suezkanals hat der Kläger als Tischler in der Fenster- und Türenproduktion gearbeitet. Trotz Zusierungen einer Entlohnung hat er bei seiner Entlassung keine Entschädigung erhalten. Die Anhaltung erfolgte untger unzumutbaren Bedingungen sowohl hinsichtlich der hygienischen Verhältnisse als auch hinsichtlich der Verpflegung, dies bedingt durch die Tatsache, dass sich das Lager mitten in einer Wüste befand und häufig von Sandstürmen heimgesucht wurde. Der Kläger stellte am 9. 1. 2001 bei der beklagten Partei, von der er eine Pensionsleistung bezieht, den Antrag auf Gewährung der Kriegsgefangenentschädigung. Mit Bescheid vom 19. 1. 2001 hat die beklagte Partei den Antrag mit der Begründung abgelehnt, der Kläger sei nicht - wie vom Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz als Anspruchsvoraus- setzung gefordert - in die Kriegsgefangenschaft eines mittelost- oder osteuropäischen Staates geraten. Das Erstgericht wies das vom Kläger gegen diesen Bescheid erhobene, auf die Gewährung der beantragten Leistung gerichtete Klagebegehren unter Hinweis auf die geltende Rechtslage ab.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es könne als allgemeinkundig angesehen werden, dass eine Kriegsgefangenschaft in dem in § 1 Z 1 Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz angeführten "östlichen Bereich" Europas wesentlich härter gewesen sei als eine Kriegsgefangenschaft im Bereich der westlichen Alliierten; dies zeige schon ein oberflächlichre Vergleich der Zeiten der Anhaltung als Kriegsgefangener in den beiden genannten Bereich, wie auch ein Vergleich der Todesfälle im Verlauf der Kriegsgefangenschaft nach dem
2. Weltkrieg. Es sei daher davon auszugehen, dass die im Machtbereich der UdSSR angehaltenen Kriegsgefangenen wesentlich größeren physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt gewesen seien als die im Bereich der westlichen Alliierten angehaltenen Kriegsgefangenen. Die Einschränkung der Kriegsgefangenenentschädigung auf Kriegsgefangene, die in "mittelost- und osteuropäischen Staaten" angehalten worden seien, sei daher sachlich und geographisch nachvollziehbar, weshalb eine Gleichheitswidrigkeit nicht vorliege. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Klagestattgebung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt. Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt. In der Revision macht der Kläger im wesentlichen die Gleichheitswidrigkeit der Differenzierung in § 1 Z 1 Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz geltend.
Rechtliche Beurteilung
Der Senat hat dazu erwogen:
Vorauszuschicken ist, dass das Oberlandesgericht Innsbruck am 25. 9. 2001 zu 25 Rs 82/01x und 25 Rs 93/01i bereits Anträge an den Verfassungsgerichtshof gestellt hat, die im Spruch genannte Wortfolge als verfassungswidrig aufzuheben. Diese Gesetzesprüfungsverfahren sind beim Verfassungsgerichtshof zu den Geschäftszahlen G 308/01 und G 312/01 anhängig.
Auch der Oberste Gerichtshof hat bereits in seinen Entscheidungen vom 11. 12. 2001, 10 ObS 378/01p und 10 ObS 400/01y, die Ansicht geteilt, dass Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 1 Z 1 Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz, BGBl I 2000/142, Artikel 70, bestehen, und zwar im Hinblick auf den in Art 7 Abs 1 B-VG, Art 2 StGG verfassungsrechtlich verankerten Gleichheitsgrundsatz. Dies aus folgenden Erwägungen:
In § 1 Z 1 Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz wird der anspruchsberechtigte Personenkreis folgendermaßen definiert:
"Österreichische Staatsbürger, die
1. im Verlauf des Zweiten Weltkrieges in Kriegsgefangenschaft
mittelost- oder osteuropäischer Staaten (wie Albaniens, Bulgariens,
Polens, der ehemaligen Sowjetunion, Rumäniens, der ehemaligen
Tschechoslowakei, des ehemaligen Jugoslawiens) gerieten, oder
2. ........... oder
3. ..........,
haben Anspruch auf eine Leistung nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes.
§ 2 sieht eine Ausschlussbestimmung für diejenigen Personen vor, deren Verhalten in Wort oder Tat mit den Gedanken und Zielen eines freien, demokratischen Österreich unvereinbar war.
Nach § 4 gebührt Anspruchsberechtigten zwölfmal jährlich eine monatliche Geldleistung in Höhe von 200 S, sofern die Gefangenschaft im Sinne des § 1 mindestens drei Monate andauerte, 300 S, sofern die Gefangenschaft im Sinne des § 1 mindestens zwei Jahre andauerte, 400 S, sofern die Gefangenschaft im Sinne des § 1 mindestens vier Jahre andauerte und 500 S, sofern die Gefangenschaft im Sinne des § 1 mindestens sechs Jahre andauerte.
Im vorliegenden Fall ist es nicht offenkundig unrichtig oder denkunmöglich, die Bestimmung des § 1 Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz zur Prüfung des vom Kläger geltend gemachten Anspruchs heranzuziehen. Die vom Verfassungsgerichtshof geforderte Präjudizialität ist daher nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs gegeben.
Der Gleichheitssatz bindet auch den Gesetzgeber. Im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (VfSlg 12.333 uva) lässt der Gleichheitssatz nur sachlich gerechtfertigte Differenzierungen zu. Eine solche Differenzierung setzt relevante Unterschiede im Tatsachenbereich im Sinne objektiver Unterscheidungsmerkmale voraus. Der Gesetzgeber muss an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen knüpfen; wesentlich ungleiche Tatbestände müssen zu entsprechend unterschiedlichen Regelungen führen. Aus dem Gleichheitssatz wurde vom Verfassungsgerichtshof daher in verstärktem Maße auch ein allgemeines Sachlichkeitsgebot für den Gesetzgeber abgeleitet (Mayer, B-VG2 466), wobei auf die objektive Wirkung (den objektiven Gehalt) einer Regelung und nicht auf die Motive des Gesetzgebers abgestellt wird. Liegen differenzierende Regelungen vor, so ist ein Normenvergleich durchzuführen. Es ist zu fragen, ob die jeweils erfassten Sachverhalte so unterschiedlich sind, dass sie die unterschiedlichen Rechtsfolgen rechtfertigen und zu tragen vermögen. Es kann aber auch sein, dass eine Regelung einen komplexen Sachverhalt mit einer Rechtsfolge verknüpft. Diesfalls ist zu fragen, ob die verschiedenen Sachverhaltselemente es trotz ihrer Verschiedenheit zulassen, mit der gleichen Rechtsfolge bedacht zu werden oder ob nicht differenzierte Rechtsfolgen notwendig wären. Jede Sachlichkeitsprüfung von Gesetzen hat zunächst eine derartige Prüfung mit der Relation von Sachverhalt und Rechtsfolge vorzunehmen. Sie kann zum Ergebnis führen, dass diese Regelung schon an sich auf keinem "vernünftigen" Grund beruht. In diesem Falle ist ein Gesetz als gleichheitswidrig anzusehen (Mayer, aaO).
Mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar wird demgegenüber angesehen, dass der Gesetzgeber bei einer Regelung von einer Durchschnittsbetrachtung ausgeht und auf den Regelfall abstellt; dass dabei Härtefälle entstehen, macht ein Gesetz nicht gleichheitswidrig. Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte widersprechen an sich nicht dem Gebot der Sachlichkeit, wenn die Belastungen entsprechend weit gestreut werden. Das Ausmaß der hinzunehmenden ungleichen Auswirkungen zwischen Regel- und Härtefall hängt davon ab, ob eine differenzierende Lösung ohne erhebliche Schwierigkeiten vollziehbar ist und welches Gewicht die unterschiedlichen Rechtsfolgen haben. Der Gesetzgeber kann in Grenzen einfache und leicht handhabbare Regelungen schaffen, allerdings darf der Eintritt einer Rechtsfolge nicht von Zufälligkeiten abhängen. Insoweit steht dem Gesetzgeber ein rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu, soweit die Regelung nicht exzessiv ist.
In der Regierungsvorlage zum Budgetbegleitgesetz 2001 (311 BlgNR XXI. GP, 124) wurde der anspruchsberechtigte Personenkreis mit "Österreichische Staatsbürger, die .... im Verlauf des zweiten Weltkrieges in Kriegsgefangenschaft osteuropäischer Staaten gerieten ..." umschrieben. In den Erläuterungen wird ausgeführt, dass diese Personen in vielen Fällen nicht adäquat abgegoltene Arbeitsleistungen unter oft schwierigsten Bedingungen zu erbringen hatten und weit über das Normalmaß hinaus körperlichen und seelischen Qualen ausgesetzt waren; darüber hinaus waren sie bei ihrer Heimkehr nach Österreich mit großen wirtschaftlichen Belastungen konfrontiert. Im Minderheitsbericht der Abgeordneten Josef Edlinger ua zum Bericht des Budgetausschusses über das Budgetbegleitgesetz 2001 (369 BlgNR XXI.GP, 200) wird darauf hingewiesen, dass die Gefangenen des Ersten Weltkrieges sowie die Gefangenen in westlicher Kriegsgefangenschaft nicht bedacht werden. Am 7. 6. 2001 haben die Abgeordneten Dietachmayr und GenossInnen im Nationalrat einen Antrag auf entsprechende Änderung des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes eingebracht.
Ausgehend von der dargestellten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs zum Gleichheitsgrundsatz ist nicht erkennbar, warum in der angefochtenen Gesetzesbestimmung der Kreis der Anspruchsberechtigten auf jene Kriegsgefangenen beschränkt wird, die in die Kriegsgefangenschaft mittelost- oder osteuropäischer Staaten (wie Albaniens, Bulgariens, Polens, der ehemaligen Sowjetunion, Rumäniens, der ehemaligen Tschechoslowakei, des ehemaligen Jugoslawiens) geraten sind. Dieser Widerspruch kann im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut auch nicht durch verfassungskonforme Interpretation oder durch Analogie beseitigt werden. An anderer Stelle hat der Gesetzgeber die Kriegsgefangenschaft einheitlich betrachtet, so in § 228 Abs 1 Z 1 lit a ASVG bei der Qualifikation von Zeiten als Ersatzzeiten in der Pensionsversicherung und in § 1 Abs 1 des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1958 über die finanzielle Hilfeleistung an Spätheimkehrer (BGBl 1958/128). Wie bereits das Oberlandesgericht Innsbruck in den angeführten Beschlüssen vom 25. 9. 2001 näher dargestellt hat, stellte die Gefangennahme durch die "Westalliierten" keinen Ausnahmefall dar. Eine Differenzierung danach, wie die Kriegsgefangenen in einzelnen Staaten behandelt wurden, ist äußerst schwierig; Anhaltspunke dafür, dass die Kriegsgefangenen der Westalliierten im Regelfall ganz anders (im Sinne von weitaus besser) behandelt worden wären als die Kriegsgefangenen der in § 1 Z 1 Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz genannten Staaten, fehlen.
Der Oberste Gerichtshof sieht sich daher veranlasst, ob der aufgezeigten Bedenken einen entsprechenden Gesetzesprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof zu stellen.
Die Anordnung der Innehaltung des Verfahrens beruht auf der im Spruch zitierten Gesetzesstelle.
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