OGH 11Os89/01

OGH11Os89/0114.12.2001

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Dezember 2001 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Habl, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pripfl als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Walter C***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 8. März 2001, GZ 4b Vr 3955/00-48, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 2. Juni 1955 geborene Walter C***** der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (Punkt A des Urteilssatzes) und der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB (B) sowie des Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer vierjährigen Freiheitsstrafe verurteilt.

Darnach hat er in Wien

(zu A) an der am 28. Dezember 1983 geborenen Nicole C*****, somit an einer zu den Tatzeiten unmündigen Person, den Beischlaf unternommen, indem er (I) im Dezember 1989, (II) im Dezember 1990 und (III) im Juni 1997 jeweils sein Glied in die Scheide der Genannten einführte, wobei er anlässlich der zu (III) genannten Tat Nicole C***** knebelte und durch das Gewicht seines Körpers auf einem Bett niederdrückte; (zu B) durch die unter A III beschriebene Tat Nicole C***** mit Gewalt zur Duldung eines Beischlafs genötigt und

(zu C) durch die unter A I und II angeführten Handlungen eine Minderjährige unter Ausnützung seiner Stellung als Aufsichtsperson zur Unzucht missbraucht.

Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Gründe der Z 5, 5a, 9 lit b und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Schon der Mängelrüge (Z 5) kommt Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Das Schöffengericht hatte die Verantwortung des Angeklagten, der die ihm angelasteten Tathandlungen (nicht nur, aber auch durch Hinweis auf seine Homosexualität) bestritt, durch die ihm glaubwürdig erscheinende, nicht durch gröbere Widersprüche getrübte Aussage des angeblichen Tatopfers im Vorverfahren, welche als Videoaufzeichnung in die Hauptverhandlung eingeführt worden war, für widerlegt erachtet.

Es stützte sich dazu noch auf das Gutachten Dris G*****, welche der Zeugin Aussagefähigkeit und -tüchtigkeit attestierte, zwar gewisse intellektuelle Defizite und eine leichte Verwahrlosung konstatierte, jedoch Anhaltspunkte für eine erhöhte Phantasietätigkeit oder sonstige psychische Erkrankungen sowie pathologische Lügenhaftigkeit verneinte (ON 21).

Die Tatrichter werteten ferner die Angaben des Zeugen Michael C***** (Nicoles Vater und Bruder des Angeklagten) als erkennbaren Versuch, den Beschwerdeführer zu entlasten, dessen Homosexualität (als Hindernis der Vornahme heterosexueller Tathandlungen) sie durch den Hinweis auf auch mit Frauen gepflogene Kontakte relativierten (US 10), maßen dem Gutachten des Sachverständigen Dr. S***** im Hinblick auf die mangelnde Kooperationsbereitschaft des Angeklagten bei der Befundaufnahme keine (erhebliche) Bedeutung bei und sprachen den Angaben der Zeugen Ute B***** und Hans W***** jeden Beweiswert für die konkrete Falllösung ab. Schließlich wurde auch der Umstand, dass "sexuelle Übergriffe des Onkels" in der Familie des Opfers thematisiert worden waren, zu Lasten des Beschwerdeführers gewürdigt (US 11).

Demgegenüber verweist die Beschwerde zu Recht auf die vom Schöffensenat unerörtert gelassenen Ausführungen der Sachverständigen Dr. G*****, wonach die von der Zeugin Nicole C***** geschilderten, relativ weit zurückliegenden Vorfälle das Ergebnis einer Fehlinterpretation oder eines Aufbauschens harmloser Ereignisse sein könnten und auch eine unbewusste Erinnerungsverfälschung nicht auszuschließen sei (GA S 153). Es trifft ferner zu, dass jenes Argument, auf welches das Erstgericht die Unverwertbarkeit des die Wahrscheinlichkeit der Täterschaft des Angeklagten als deutlich eigeschränkt bezeichnenden Gutachtens Dris S***** (S 313) stützt, nämlich die fehlende Kooperationsbereitschaft des Beschwerdeführers (US 12), nicht aktengetreu ist. Denn entgegen der Urteilsbegründung fand sich der Angeklagte, wenngleich erst nach Interventionen von Bezugspersonen, zu diagnostisch-explorativen Gesprächen mit dem Sachverständigen bereit und verweigerte lediglich psychologische Testuntersuchungen (S 313). Dieser Umstand entbindet den Schöffensenat nicht seiner prozessualen Verpflichtung, sich inhaltlich mit den Schlussfolgerungen des Sachverständigen auseinanderzusetzen.

Soweit das Erstgericht die zu Zweifeln an der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage des Tatopfers und an der Täterschaft des Angeklagten Anlass gebenden Ausführungen der beiden Sachverständigen nicht erörterte, ist das Urteil mit dem Nichtigkeitsgrund der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO behaftet.

Im Hinblick darauf ist die Anordnung einer Verfahrenserneuerung unumgänglich, ohne dass auf das übrige - zur Tatsachenrüge (Z 5a) durchaus gewichtige - Vorbringen noch einzugehen war. Es ist jedoch anzumerken, dass, ausgehend vom erstinstanzlichen Schuldspruch, der Verjährungseinwand schon im Hinblick auf die Verlängerungsvorschriften des § 58 Abs 2 StGB ins Leere geht, weshalb die von der Beschwerde als verfassungswidrig kritisierte Bestimmung des § 58 Abs 3 Z 3 StGB gar nicht zur Anwendung gelangt. Andererseits ist die Auffassung des Schöffengerichtes, ein idealkonkurrierendes Zusammentreffen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 StGB mit dem Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 StGB sei in keinem Fall möglich, verfehlt (s zuletzt 11 Os 19/97 und 11 Os 88/97).

Der Nichtigkeitsbeschwerde war somit bereits in nichtöffentlicher Sitzung Folge zu geben und wie im Spruch zu entscheiden.

Im zweiten Rechtsgang wird auch - erforderlichenfalls - zu klären sein, ob der im Urteil (im nichterörterten Widerspruch zur Aktenlage, woraus die Tatzeit mit Juni 1998 ableitbar wäre: S 31) mit Juni 1997 angegebene und damit für die Unterstellung dieser Tat auch unter § 206 StGB relevante Tatzeitpunkt zum Faktum A III überhaupt aufrechterhalten werden kann.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

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