OGH 14Os145/01

OGH14Os145/0111.12.2001

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Dezember 2001 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Dr. Holzweber, Dr. Ratz und Dr. Philipp als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Lehr als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Markus R***** wegen des Verbrechens des räuberischen Diebstahls nach §§ 127, 131 StGB über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 11. Juni 2001, GZ 9 Vr 1.604/01-19, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Kirchbacher, des Verurteilten Markus R***** sowie des Verteidigers Mag. Netzer zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Verfahren AZ 9 Vr 1.604/01 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz verletzt das Urteil dieses Gerichtes vom 11. Juni 2001, ON 19, das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 15, 127 und 131 StGB. Dieses Urteil wird in der rechtlichen Beurteilung der Tat als Verbrechen des räuberischen Diebstahls nach §§ 127, 131 StGB und demzufolge auch in den darauf beruhenden Sanktionsaussprüchen aufgehoben und es wird in der Sache selbst erkannt:

Markus R***** hat durch die ihm zur Last liegende Tat das Verbrechen des versuchten räuberischen Diebstahls nach §§ 15, 127, 131 StGB begangen.

Er wird hiefür unter Bedachtnahme gemäß §§ 31, 40 StGB auf das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 29. März 2001, AZ 12 E Vr 482/01, zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt. Gemäß § 22 Abs 1 StGB wird seine Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher angeordnet.

Der Ausspruch über die Vorhaftanrechnung sowie der Widerrufsbeschluss werden aus dem genannten Urteil übernommen.

Text

Gründe:

Markus R***** wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 11. Juni 2001, GZ 9 Vr 1.604/01-19, des Verbrechens des räuberischen Diebstahls nach §§ 127, 131 StGB schuldig erkannt und zu einer neunmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er am 17. Mai 2000 in Leibnitz fremde bewegliche Sachen, nämlich einen Rucksack im Wert von 149 S und ein Paar Herrenschuhe im Wert von 499 S, Verantwortlichen der Firma D***** Schuhvertriebsgesellschaft mbH mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch Zueignung der Sachen unrechtmäßig zu bereichern, wobei er bei seiner Betretung auf frischer Tat dadurch, dass er sich den Festhaltegriffen von Monika T***** und Gerlinde R***** durch Reißen und Drehen zu entziehen versuchte, Gewalt gegen Personen anwendete, um sich die weggenommenen Sachen zu erhalten. Im Urteil wurde auch die Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher gemäß § 22 Abs 1 StGB angeordnet. Zugleich wurde gemäß § 53 Abs 1 StGB und § 494a Abs 1 Z 4 StPO die bedingte Nachsicht einer zu AZ 4 E Vr 3.036/95 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz wegen Einbruchsdiebstahls und Sachbeschädigung verhängten fünfmonatigen Strafe widerrufen.

Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen begab sich Markus R***** am 17. Mai 2000 in "mittelgradig" alkoholisiertem Zustand in ein Geschäftslokal der Firma D***** Schuhvertriebsgesellschaft mbH in einem Einkaufszentrum in Leibnitz. Er beschloss, einen Rucksack und ein Paar Schuhe zu stehlen, nahm einen Rucksack im Wert von 149 S an sich, ging, den Rucksack umgehängt, in die Herrenabteilung des Geschäftes und zog ein Paar Schuhe im Wert von 499 S an. Seine alten Schuhe gab er in die Schuhschachtel. Dabei wurde er von der Verkäuferin Monika T***** beobachtet. Sie verständigte die Filialleiterin, welche die gläserne Schiebetür des Geschäftslokales verschloss. R***** eilte mit den Schuhen und dem Rucksack in Richtung Geschäftsausgang, um sich durch Wegnahme dieser Sachen unrechtmäßig zu bereichern. "Umittelbar vor dem Hauptein- bzw -ausgang des Einkaufszentrums" wurde er von der Filialleiterin aufgefordert, stehen zu bleiben. Monika T***** und die Angestellte Gerlinde R***** hielten ihn an den Händen fest, "um ihn am Verlassen des Geschäfts zu hindern". Er versuchte, sich durch Drehen seines Körpers und Losreißen dem Zugriff der Verkäuferinnen zu entziehen. Dabei hatte er die Absicht, sich die Diebsbeute zu erhalten und vom Tatort zu flüchten. Als er feststellen musste, dass die von ihm gegen die Verkäuferinnen angewendete Gewalt nicht ausreichend war, um sich die betreffenden Sachen zu erhalten und zu flüchten, gab er sein Vorhaben auf (US 6 f). Die Waren gelangten danach noch am Ort des Geschehens wieder in die alleinige Verfügungsmacht des Verkaufspersonals. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung wird die Sachverhaltsannahme hervorgehoben, dass der Angeklagte die Gewaltanwendung beschloss, um sich die gestohlenen Sachen zu erhalten .... und aus dem Geschäftslokal zu flüchten" (US 9).

Nach Rechtsauffassung des Schöffengerichtes wurde das Verbrechen des räuberischen Diebstahls nach §§ 127, 131 StGB "durch die Gewaltanwendung (= ein Raubmittel) vollendet".

Das Urteil blieb unbekämpft. Markus R***** befindet sich im Vollzug der neunmonatigen Freiheitsstrafe (ON 22).

Rechtliche Beurteilung

Das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz steht - wie der Generalprokurator in seiner deshalb zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Diebstahlsvollendung hängt unabhängig vom Hinzutreten einer Qualifikation nach § 131 StGB davon ab, ob das Grunddelikt nach § 127 StGB vollendet ist. Gewaltanwendung durch den bei einem Diebstahl auf frischer Tat Betretenen in der Absicht, sich oder einem Dritten die weggenommene Sache zu erhalten, ist nicht Merkmal der Vollendung eines Diebstahls, sondern des Vorliegens einer Qualifikation nach § 131 StGB, die auch bei versuchtem Diebstahl in Betracht kommt, wenn der Täter bereits Mitgewahrsam an der Sache erlangt hat (SSt 55/13 uva).

Die im Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vertretene Ansicht, Gewaltanwendung in der von § 131 StGB genannten Absicht sei für die rechtliche Beurteilung einer Tat als vollendeter räuberischer Diebstahl entscheidend, wird weder dem der Rechtsprechung und herrschenden Lehre zugrunde liegenden Verständnis der §§ 127 und 131 StGB als Grunddelikt und Qualifikationsnorm (15 Os 121/90, 12 Os 42/90 ua, Leukauf/Steininger Komm3 § 131 RN 1, Lewisch BT I 158, 167) noch im vollen Umfang der hiezu zitierten Lehrmeinung (Kienapfel BT II3 § 131 RN 30) gerecht, die Diebstahl nach §§ 127 bis 130 StGB als Vortat und § 131 StGB ersichtlich als eigenes Delikt auffasst (aaO RN 1, 5 f, 29; unklar RN 36).

Vollendet ist das Grunddelikt des Diebstahls nach § 127 StGB erst, wenn der bisherige Gewahrsam an der Sache gebrochen und neuer Alleingewahrsam begründet wurde (Leukauf/Steininger Komm3 § 127 RN 59 mwN, Bertel in WK2 § 131 Rz 8). Wird der Dieb wie im vorliegenden Fall von Angestellten des tatbetroffenen Unternehmens bei der Sachwegnahme beobachtet und an der gänzlichen Beseitigung des bestehenden Gewahrsams gehindert, ist der Diebstahl nur versucht (Leukauf/Steininger aaO RN 60). Die Beurteilung als vollendeter räuberischer Diebstahl nach §§ 127, 131 StGB ist daher verfehlt. Mit der Feststellung der Gesetzesverletzung war gemäß § 292 letzter Satz StPO konkrete Wirkung zu verbinden (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 10 E 62).

Bei der durch die Aufhebung der Sanktionsaussprüche erforderlichen Strafneubemessung war als erschwerend der Umstand zu werten, dass Markus R***** achtmal wegen Vermögens- und Gewaltdelikten vorbestraft wurde (wobei allerdings drei Verurteilungen auf frühere Bedacht nehmen), er zudem rasch rückfällig wurde und mit Blick auf das Bedachtnahmefaktum mehrere Straftaten zusammentreffen. Als mildernd kommt ihm zustatten, dass er hinsichtlich des Grundtatbestandes ein reumütiges Geständnis ablegte, der geringe Wert der Beute und die Tatsache, dass es beim Versuch blieb.

Die durch den Alkohol- und Drogenkonsum bedingte Herabsetzung der Zurechnungsfähigkeit wird vorliegend durch den Vorwurf aufgewogen, dass dem Angeklagten die enthemmende Wirkung aus Vortaten schon bekannt war (§ 35 StGB).

Unter Berücksichtigung des Umstands, dass der an Lebensjahren junge Markus R***** nun erstmals für einen längeren Zeitraum in Haft angehalten und zudem der auf Grund seines Persönlichkeitsbildes und der daraus resultierenden ungünstigen Prognose, welche im Zusammenhang mit seiner Gewöhnung an berauschende Mittel die Begehung von mit Strafe bedrohter Handlungen mit nicht bloß leichten Folgen befürchten lässt, erforderlichen Behandlung im Rahmen seiner Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher nach § 22 Abs 1 StGB unterzogen wird, konnte - auch im Blick darauf, dass noch eine fünfmonatige Freiheitsstrafe aus dem (zutreffenden) Widerrufsbeschluss zum Vollzug steht, mit der Verhängung einer tatschuld- und täterangemessenen Zusatzstrafe von sechs Monaten (zu 140 Tagessätzen wegen Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und gefährlicher Drohung nach 107 Abs 1 StGB) das Auslangen gefunden werden.

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