Spruch:
Das Revisionsrekursverfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften über den vom Obersten Gerichtshof in der Pflegschaftssache 7 Ob 348/98x gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen.
Nach Einlangen der Vorabentscheidung wird das Verfahren vom Amts wegen fortgesetzt werden.
Text
Begründung
Mit Beschluss des Erstgerichtes vom 3. 8. 1999 wurden die der Minderjährigen gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG gewährten Unterhaltsvorschüsse von monatlich S 2.400,-- ab 30. 6. 1998 (rückwirkend) eingestellt, weil die Minderjährige (die wie ihre Mutter und ihr in Österreich wohnhafter außerehelicher Vater die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt) mit ihrer Mutter seit 29. 6. 1998 nicht mehr in Österreich, sondern in Deutschland wohnt; die von § 2 Abs 1 UVG für die Unterhaltsvorschussgewährung normierte Voraussetzung des gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes im Inland sei damit weggefallen.
Über Antrag des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Linz wurde die Mutter mit Beschluss des Erstgerichtes vom 12. 1. 2000 gemäß § 22 UVG zur Rückzahlung der zu Unrecht bezogenen Unterhaltsvorschüsse für die Zeit vom 1. 7. 1998 bis 30. 6. 1999 im Betrage von S 28.800,-- mit der Begründung verpflichtet, sie habe die ihr gemäß § 21 UVG obliegende Verpflichtung, das Gericht von der Verlegung des gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes ins Ausland zu informieren, grob fahrlässig verletzt.
Das von der Mutter angerufene Rekursgericht billigte diese Rechtsansicht des Erstgerichtes und bestätigte daher dessen Entscheidung. Es sprach zunächst aus, dass der Revisionsrekurs unzulässig sei, änderte diesen Ausspruch über Antrag der Mutter gemäß § 14a Abs 1 AußStrG aber dann dahin ab, dass es den ordentlichen Revisionsrekurs nach § 14 Abs 1 AußStrG doch für zulässig erklärte. Eine im Sinne dieser Gesetzesstelle erhebliche Rechtsfrage sei nicht, ob die Mutter ihre Mitteilungspflicht nach § 21 UVG grob fahrlässig verletzt habe, sondern ob die Vorschüsse nach der Übersiedlung nach Deutschland tatsächlich zu Unrecht gewährt worden seien. Zwar hänge nach § 2 Abs 1 UVG der Anspruch auf Unterhaltsvorschuss (ua) eindeutig von einem gewöhnlichen Aufenthalt im Inland ab. Ob diese österreichische Gesetzesbestimmung aber mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei, sei noch nicht ausjudiziert.
Rechtliche Beurteilung
Die Erwägungen, die das Rekursgericht zur Abänderung seines Zulassungsausspruches veranlasst haben, sind zutreffend: Eine (grob fahrlässige) Verletzung ihrer Mitteilungspflicht nach § 21 UVG kann der Mutter selbstredend nur dann vorgeworfen werden, wenn (auch) die Übersiedlung des Kindes von Österreich in ein anderes Land der Europäischen Gemeinschaften einen Einstellungsgrund bedeutet, wie dies nach dem Wortlaut des § 2 Abs 1 UVG der Fall ist. Zufolge des Vorranges des Gemeinschaftsrechtes vor entgegenstehenden Gesetzen der Mitgliedstaaten (7 Ob 87/01x mwN, uva) stellt sich allerdings die Frage nach der Anwendbarkeit dieser österreichischen Gesetzesbestimmung. Mögliche Zweifel an deren Gemeinschaftsrechtskonformität haben den Obersten Gerichtshof zu 7 Ob 348/98x (in einer Pflegschaftssache mit ganz vergleichbarer Konstellation: dort ist die Mutter mit dem Kind, das österreichischer Staatsbürger ist und Unterhaltsvorschuss begehrt, nach Frankreich verzogen) zur Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens veranlasst.
Diese Zweifel wurden durch die inzwischen ergangene Vorabentscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften C-85/99 (Vorabentscheidungs- ersuchen des Obersten Gerichtshofes zu 1 Ob 319/98p = ÖA 1999, 146) eher noch genährt: Der EuGH hat klargelegt, dass eine Leistung nach dem UVG eine Familienleistung im Sinne von Art 4 Abs 1 h der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. 6. 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. 12. 1996 geänderten und aktualisierten Fassung ist und daher die im Gebiet eines Mitgliedstaates wohnenden Personen, für die diese Verordnung gilt, gemäß deren Art 3 unter denselben Voraussetzungen wie Inländer Anspruch auf eine solche im Recht dieses Mitgliedstaates vorgesehene Leistung haben. In den Entscheidungsgründen dieser Entscheidung wird vom EuGH in Ansehung der Person des Anspruchsberechtigten (also des Kindes) betont, dass die Unterscheidung zwischen eigenen und abgeleiteten Rechten grundsätzlich nicht für Familienleistungen gelte (Z 34); folglich seien Kinder, die als Mitglieder der Familie eines Arbeitnehmers oder Selbständigen in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr 1408/71 fielen, wie er in Art 2 Abs 1 dieser Verordnung festgelegt sei, in Bezug auf Familienleistungen als Personen anzusehen, für die diese Verordnung für die Zwecke ihres Art 3 Abs 1 gelte.
Zu 7 Ob 348/98x wurde dem EuGH im Anschluss an das Ersuchen zur Klärung dieser - inzwischen also beantworteten - Frage nach der Qualifizierung der Leistungen nach dem UVG als Familienleistungen iS der Verordnung Nr 1408/71 (ua) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt.
"Begründen Art 73 und 74 der Verordnung Nr. 1408/71 ein Recht des mit seiner Mutter in einem anderen Mitgliedstaat wohnenden ehelichen Kindes eines in Österreich wohnhaften und in Österreich beschäftigten oder arbeitslosen Vaters, der Leistungen bei Arbeitslosigkeit nach österreichischen Vorschriften bezieht, auf Gewährung eines Unterhaltsvorschusses nach dem UVG 1985?"
Zu diesem Vorabentscheidungsersuchen liegen die Schlussanträge des Generalanwaltes vom 8. 2. 2001 vor. Darin wird vorgeschlagen, die eben zitierten (Haupt-)Fragen des Vorabentscheidungsersuchens bejahend zu beantworten. Die Entscheidung des EuGH steht noch aus.
Da diese Fragen auch für den vorliegenden Fall von entscheidender Bedeutung sind (der Umstand, dass es sich im vorliegenden Fall nicht um ein ehelich, sondern außerehelich geborenes Kind handelt, ist irrelevant; nach der Aktenlage war der Vater der mj Pia Saskia in Österreich als Hilfsarbeiter beschäftigt und ist die Mutter derzeit in Deutschland arbeitslos), erscheint es zweckmäßig und geboten, mit der Entscheidung bis zu jener des Europäischen Gerichtshofes über das zu 7 Ob 348/98x gestellte Vorabentscheidungsersuchen C-255/99 zuzuwarten und das Verfahren - in analoger Anwendung des § 90a GOG - zu unterbrechen (RIS-Justiz RS0110583). Dies ist prozessökonomisch sinnvoll (vgl 10 ObS 149/98d; 8 Ob 223/00b), weil der Oberste Gerichtshof in allen Rechtssachen von der allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofes auszugehen und diese daher auch auf andere Fälle anzuwenden hat (Schima, Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH, 79 ff [speziell 82]; 7 Nd 520/99 ua). Die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes binden alle Gerichte der Mitgliedstaaten auch für andere Fälle; sie schaffen objektives Recht (8 ObA 211/96, SZ 69/56 = Arb 11.483 = ecolex 1996, 697; 7 Nd 520/99 ua).
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