OGH 4Ob137/01b

OGH4Ob137/01b10.7.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk und den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Brigitte G*****, vertreten durch Dr. Manfred Opperer und andere Rechtsanwälte in Telfs, gegen die beklagte und widerklagende Partei Dkfm. Mag. Vinzenz G*****, vertreten durch Dr. Rainer Kappacher, Rechtsanwalt in Landeck, wegen Ehescheidung, infolge Revision der klagenden und widerbeklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 20. Februar 2001, GZ 3 R 99/00f-74, womit das Teilurteil des Bezirksgerichtes Imst vom 27. Jänner 2000, GZ 1 C 48/98i-51, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird. Danach trifft das Verschulden an der Zerrüttung der mit Teilurteil vom 28. 1. 1999 bereits geschiedenen Ehe beide Teile, wobei das Verschulden der beklagten und widerklagenden Partei überwiegt.

Die Kosten des Verfahrens erster Instanz werden der Endentscheidung vorbehalten.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Die beklagte und widerklagende Partei hat der klagenden und widerbeklagten Partei die mit 6.625 S bestimmten anteiligen Barauslagen des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin begehrt neben Unterhaltszahlungen, über die noch nicht entschieden wurde, Scheidung der mit dem Beklagten 1977 geschlossenen Ehe aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten. Der Beklagte bestritt die ihm vorgeworfenen Eheverfehlungen und erhob Widerklage mit dem Begehren, die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden der Widerbeklagten und Klägerin zu scheiden. Nach Verbindung beider Klagen sprach das Erstgericht mit dem in der Tagsatzung vom 28. 1. 1999 verkündeten Teilurteil aus, dass die Ehe der Streitteile geschieden ist. Beide Parteien verzichteten auf Urteilsausfertigung und Rechtsmittel. In den Entscheidungsgründen führte das Erstgericht aus, die Ehe sei spätestens seit Auszug der Klägerin aus der Ehewohnung unheilbar zerrüttet, die Entscheidung über das Verschulden an der Zerrüttung werde der Endentscheidung vorbehalten.

Nach Durchführung eines umfangreichen Beweisverfahrens sprach das Erstgericht unter Berücksichtigung des festgestellten Verhaltens der Ehegatten mit weiterem Teilurteil aus, dass das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe beide Teile treffe, wobei das Verschulden des Beklagten und Widerklägers überwiege. Es stellte dazu fest, die Ehe der Streitteile, der drei Kinder entstammten, sei von 1977 bis etwa 1996 normal verlaufen. Der Beklagte sei als Professor an der Handelsakademie und nebenberuflich als Kommunikationstrainer beim WIFI beschäftigt gewesen, die Klägerin habe den Haushalt und die Kinder versorgt. Beim Beklagten handle es sich um eine "kantige, akzentuierte, für seine Umgebung fallweise auch schwierige, dominante Persönlichkeit". Die wesentlich jüngere Klägerin habe 1996 einen Entwicklungsschritt durchgemacht, der zu Problemen im Verhältnis mit dem Beklagten geführt habe, weil sie sich diesem nicht wie früher gefügt habe oder habe fügen wollen. Der Beklagte habe daraufhin mehrmals teils auch öffentlich mit Zurechtweisungen und Sticheleichen reagiert, die wieder die Klägerin verletzt hätten, worauf sie mit Schweigen oder verbalen Angriffen und Beschimpfungen reagiert habe. Sie habe sein Verhalten auch wiederholt demütigend empfunden und sich durch sein Verhalten zurückgesetzt gefühlt. Im Jänner 1997 habe sich der Beklagte einer Prostataoperation wegen einer Krebserkrankung unterziehen müssen. Die Klägerin habe Einfühlungsvermögen gezeigt und habe ihm mehrmals die Schultasche in die Schule getragen und ihn bei allen 31 Therapiesitzungen nach Innsbruck begleitet. Trotzdem sei der Beklagte als Folge einer Reaktion auf die für ihn bedrohlichen gesundheitlichen Ereignisse, sein dadurch geschädigtes Selbstwertgefühl, entstehende verstärkte Versagungs- und Verlassenheitsängste und die allgemeine Beeinträchtigung seiner Lebensqualität nervös, reizbar, unduldsam und verbal gegen die Klägerin aggressiv geworden. Diese habe darauf teils mit Schweigen, teils mit verbalen Gegenangriffen und Beschimpfungen reagiert. Der dabei entstehende interpersonelle Prozess habe die vorbestehenden leichteren Konflikte gesteigert, wodurch die Klägerin überfordert und in eine Lebenskrise gestürzt worden sei. Ihr Verhalten habe dazu beigetragen, dass der Beklagte noch ängstlicher und dadurch reizbarer geworden sei. Klärende Aussprachen seien durch die zunehmende Entfremdung in immer geringerem Maße möglich gewesen. Auch Partnerschaftstherapien seien gescheitert. Das gereizte und ungeduldige Verhalten des Klägers nach der Operation sei überwiegend eine direkte oder indirekte Folge seiner schweren Erkrankung gewesen, wodurch die vorbestehenden Konflikte verschärft und die akzentuierten Persönlichkeitszüge des Beklagten zugespitzt worden seien. Die beim Beklagten auftretende Reizbarkeit, Nervosität, Unduldsamkeit, Angst und Depressivität seien als typische Reaktion auf die bestehende Krebserkrankung entstanden. Der Beklagten habe auch auf Zärtlichkeiten der Klägerin abweisend reagiert, worauf die Klägerin diesbezüglich resigniert habe. Ab dem Herbst 1997 habe die Klägerin die Streitigkeiten mit dem Beklagten nicht mehr ausgehalten, sei im Jänner 1998 aus dem ehelichen Schlafzimmer ausgezogen und in ein eigenes Zimmer gezogen. Sie habe Hausarbeiten nur mehr in geringem Ausmaß durchgeführt, die Streitteile hätten nicht mehr zusammen gegessen und auch nichts miteinander unternommen. Im Frühjahr 1998 sei die Klägerin mehrmals mit einem früheren Freund ihrer Tochter schwimmen, schifahren oder in die Sauna gegangen, sie habe ihn in die Ehewohnung zum Mittagessen eingeladen, er sei auch mit dem Beklagten spazieren gegangen. Die Streitteile hätten sich im April 1998 auf eine einvernehmliche Scheidung geeinigt, wobei der Beklagte sich zunächst bereit erklärt habe, aus dem gemeinsamen Haus einzuziehen, er habe sich dann aber entschieden, doch zu bleiben, weil die Kinder bei ihm bleiben wollten. Im September 1998 sei die Klägerin aus der Ehewohnung ausgezogen, sie habe in ihrem Bekanntenkreis erzählt, dass sich der Beklagte seit der Prostataoperation sehr verändert habe und dass es sexuelle Probleme gebe. Das Erstgericht konnte nicht feststellen, ob die Klägerin vor dem Sommer 1998 ein intimes Verhältnis gehabt habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin und Widerbeklagten nicht, jener des Beklagten und Widerklägers hingegen teilweise Folge und änderte den Verschuldensausspruch dahin ab, dass beide Parteien an der Zerrüttung der bereits rechtskräftig geschiedenen Ehe gleichteiliges Verschulden treffe. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob bereits aufgrund des unangefochten gebliebenen Teilurteils über die Scheidung der Ehe ein Verschulden auf beiden Seiten bindend feststehe. Nach Ergänzung des Beweisverfahrens traf das Berufungsgericht noch weitere Feststellungen. Danach leide die Klägerin aufgrund einer jahrelangen Überlastungs- und Einengungssituation in ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter sowie Gattin eines als dominant und übermächtig erlebten Partners an einer ausgeprägten Erschöpfungsdepression und einem neurasthenisch-psychosomatischen Sydrom. Dieser Zustand habe sich durch die in den letzten Ehejahren vorherrschenden Auseinandersetzungen, durch eine Krebserkrankung des Beklagten und schließlich durch die Trennung von den Kindern bzw deren Rückzug und Abkehr verstärkt. Die Klägerin leide hingegen nicht an einer seelischen Behinderung, Geisteskrankheit oder gleichwertigen Störung, sodass sie auch im Zeitpunkt ihres Auszugs aus dem ehelichen Schlafzimmer und in der Folge aus dem ehelichen Wohnhaus zur freien Willensbildung fähig gewesen sei. Durch die reaktive Depressivität und das neurasthenische Syndrom sei aber eine Minderung des Steuerungsvermögens gegeben. Aus psychiatrisch-psychotherapeutischer Sicht sei es wichtig gewesen, dass sie sich in der für sie unerträglichen belastenden Spannungssituation in der Familie räumlich getrennt und einen eigenen Wohnsitz genommen habe, was zu einer gewissen Beruhigung der Gesamtsituation für alle Beteiligten geführt und bei der Klägerin die Voraussetzung für eine Besserung ihrer psychischen Beschwerden geschaffen habe. Rechtlich meinte das Berufungsgericht, die Auslegung des Teilurteils vom 28. 1. 1999 ergebe, dass das Erstgericht schon bei Ausspruch der Ehescheidung von einem Verschulden beider Teile an der Zerrüttung der Ehe ausgegangen sei, wofür spreche, dass es weder das Klage- noch das Widerklagebegehren abgewiesen habe. Es sei daher bindend von einem beiderseitigen Verschulden auszugehen, sodass Gegenstand des weiteren Verfahrens nur mehr die Frage des Ausmaßes und des Gewichts des jeweiligen Verschuldens bilde. Vom festgestellten Sachverhalt ausgehend vertrat das Berufungsgericht die Auffassung, keiner der Ehegatten habe ein als schwere Eheverfehlung zu wertendes Verhalten an den Tag gelegt; mit Rücksicht darauf, dass aufgrund des rechtskräftigen Teilurteils ein auf beiden Seiten liegendes Verschulden an der Zerrüttung bindend feststehe, bestehe nur die Möglichkeit, gleichteiliges Verschulden anzunehmen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin und Widerbeklagten ist zulässig und teilweise berechtigt.

Die Revisionswerberin weist zutreffend darauf hin, dass aus dem mit Teilurteil erfolgten Ausspruch des Erstgerichts über die Scheidung der Ehe keineswegs folgt, dass auch sie ein Verschulden an der Zerrüttung treffe.

Es trifft zwar zu, dass ein Teilurteil über die Scheidung in einem Scheidungsverfahren nach § 49 EheG nur in Frage kommt, wenn irgendein Verschulden des Beklagten vorliegt (EFSlg 87.464 ua). Der Beklagte hat aber in seiner Widerklage nicht jedes Eigenverschulden an der Zerrüttung der Ehe gänzlich in Abrede gestellt, er strebte vielmehr (nur) den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens der Klägerin an. Das Erstgericht konnte daher davon ausgehen, dass jedenfalls auf der Seite des Beklagten (und Widerklägers) ein Verschulden vorliegt, ohne dass es dazu Feststellungen zu treffen hätte. Mit der Fällung des Teilurteils hat es nicht zum Ausdruck gebracht, dass es damit gleichzeitig über Klage- und Widerklagebegehren entscheide. Nach § 391 Abs 2 ZPO kann ein Teilurteil auch dann erlassen werden, wenn bei erhobener Widerklage nur die Klage oder Widerklage zur Entscheidung reif ist; das Gleiche muss auch dann gelten, wenn nur ein Teil des Klage- oder Widerklagebegehrens spruchreif ist. Da im Kopf der Urteilsausfertigung (ON 19) die Frau nur als Klägerin und der Mann nur als Beklagter angeführt sind, fehlt jeder objektive Anhaltspunkt für die Annahme, der Erstrichter hätte auch über das Widerklagebegehren (zum Teil) abgesprochen. Der Hinweis auf die Widerklage in der (gekürzten) Urteilsausfertigung (§ 417a ZPO) zwingt nicht zu einer anderen Auslegung, zumal dort mit keinem Wort ein etwaiges (Mit-)Verschulden der Klägerin dargelegt wird, obwohl auch in einer Ausfertigung gemäß § 417a ZPO die wesentlichen Feststellungen und rechtlichen Schlussfolgerungen enthalten sein müssten (Rechberger in Rechberger, ZPO2 § 417a Rz 1). Dem Ausspruch des Erstgerichts über die Scheidung der Ehe kann daher nicht entnommen werden, dass auch die Klägerin jedenfalls Verschulden an der Zerrüttung trifft.

Zur Frage des Verschuldensausspruches ist das zur Zerrüttung führende wechselseitige Verhalten beider Ehegatten zu berücksichtigen.

Dabei kann auch eine Mehrzahl von Verfehlungen geringeren Gewichts (sei es durch eine Ansammlung verschiedener Verfehlungen, sei es durch Wiederholung oder Andauern derselben Verfehlung) insgesamt das Gewicht einer schweren Eheverfehlung erlangen (stRsp EFSlg 54.358, EFSlg 63.351; Schwimann in Schwimann ABGB2 Rz 9 zu § 49).

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen fallen beiden Ehegatten - somit auch der Klägerin, die diese Feststellungen nicht bekämpft hat - Verletzungen ehelicher Verhaltenspflichten zur Last, die nach dem festgestellten Sachverhalt auch tatsächlich zur Zerrüttung der Ehe geführt haben. Die Gegenüberstellung des wechselseitigen Verhaltens ergibt ein deutlich überwiegendes Verschulden des Beklagten an der Zerrüttung: Er brachte - obgleich zum Kommunikationstrainer ausgebildet - weder vor noch nach seiner Prostataoperation Verständnis für die Klägerin auf, verhielt sich - wie auch in den früheren Ehejahren - dominant und abweisend, reagierte teils auch öffentlich mit Zurechtweisungen und Sticheleien und behandelte die Klägerin auf eine Art und Weise, die sie demütigend empfinden musste und die eine depressive Entwicklung bei ihr auslöste. Demgegenüber brachte die Klägerin zu wenig Verständnis für die schwierige physische und psychische Lage auf, in die sich der Beklagte aufgrund seiner Prostataoperation befand, zog sich immer mehr zurück, verließ den gemeinsamen Wohnbereich und schließlich auch die Ehewohnung. Das ihr nach den Feststellungen vorzuwerfende Verschulden an der Ehezerrüttung hat daher ein wesentlich geringeres Gewicht als jenes des Beklagten.

Der Revision der Klägerin wird somit teilweise Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts über den Verschuldensausspruch wiederhergestellt wird.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz beruht auf § 52 Abs 2 ZPO; im Hinblick auf das noch offene Unterhaltsbegehren handelt es sich beim wieder hergestellten Urteil des Erstgerichts um ein Teilurteil, die Kosten des Verfahrens erster Instanz sind somit der Endentscheidung vorzubehalten. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 43 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Jeder der Streitteile war im Berufungsverfahren insofern erfolgreich, als er die Berufung des jeweils anderen Teiles abwehren konnte. Die Kosten der jeweiligen Berufungsbeantwortungen konnten somit gegeneinander aufgehoben werden. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 43 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Die Klägerin hat nur insofern obsiegt, als das überwiegende Verschulden des Beklagten festgestellt wurde, sie ist insoweit unterlegen, als sie darüber hinaus sein alleiniges Verschulden anstrebte. Obsiegen und Unterliegen sind hier als gleichteilig zu werten, sodass die Klägerin die Hälfte ihrer Barauslagen ansprechen kann, während die Kosten der Revision und der Revisionsbeantwortung gegenseitig aufgehoben werden.

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