OGH 10ObS166/01m

OGH10ObS166/01m28.6.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter MR Dr. Robert Göstl (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Dagmar Armitter (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Gisela S*****, vertreten durch die Sachwalterin (Betreuerin) Ingeborg Scheil, ebendort, diese vertreten durch Dr. Michael Krassnigg, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Pflegegeld und Rückforderung eines Überbezuges, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. September 1999, GZ 7 Rs 109/99x-39, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 6. Oktober 1998, GZ 8 Cgs 142/98z-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1. Das am 11. Jänner 2000 unterbrochene Revisionsverfahren wird von Amts wegen wiederaufgenommen.

2. Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie insgesamt lauten:

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei das mit Bescheid der beklagten Partei vom 28. Juni 1996 zuerkannte Pflegegeld über den 1. August 1997 hinaus weiterhin zu gewähren. Es wird festgestellt, dass die klagende Partei nicht zum Rückersatz des mit Bescheid der beklagten Partei vom 10. März 1998 festgesetzten Betrages von S 10.558,20 verpflichtet ist.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 7.088,64 (darin S 1.181,44 Umsatzsteuer und S 40 Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 4.058,88 (darin S 676,48 Umsatzsteuer) bestimmten Revisionskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die beklagte Partei hat mit Bescheid vom 10. 3. 1998 das der Klägerin gewährte Pflegegeld der Stufe 2 ab 1. 8. 1997 mit der Begründung entzogen, dass sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr im Inland habe. Weiters wurde sie verpflichtet, den Überbezug von S 10.558,20 binnen 14 Tagen zurückzuzahlen.

Die Vorinstanzen schlossen sich diesem Rechtsstandpunkt an und wiesen das dagegen gerichtete Klagebegehren ab. Die Klägerin habe ihren gewöhnlichen Aufenthalt in die Bundesrepublik Deutschland verlegt und damit den vorher bestehenden Anspruch auf Pflegegeld verloren.

Gegen das Berufungsurteil richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der Klägerin mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass die Beklagte der Klägerin Pflegegeld im gesetzlichen Ausmaß über den 1. 8. 1997 hinaus zu gewähren habe, der Ausspruch, dass die Klägerin den Überbezug von S 10.558,20 an die Beklagte zurückzubezahlen habe, aufgehoben und dahingehende Anträge der Beklagten abgewiesen werden; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinn des Aufhebungsantrages berechtigt.

Da eine Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften zur Frage der Exportpflicht des Pflegegeldes nach dem österreichischen Bundespflegegeldgesetz nicht vorlag, hat der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 11. 1. 2000 zu 10 ObS 369/99h das Revisionsverfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften über den vom Obersten Gerichtshof am 9. 11. 1999 in der Sozialrechtssache 10 ObS 273/99s gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen und ausgesprochen, dass das Revisionsverfahren nach Einlangen der Vorabentscheidung von Amts wegen fortgesetzt werden wird.

Mit Urteil vom 8. 3. 2001, C-215/99 , erkannte der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in einer einen vergleichbaren Sachverhalt betreffenden Entscheidung zu Recht, dass "es gegen Art 19 Abs 1 und die entsprechenden Bestimmungen der anderen Abschnitte des Kapitels 1 des Titels III der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 geänderten und aktualisierten Fassung verstößt, den Anspruch auf Leistung von Pflegegeld nach dem Bundespflegegeldgesetz davon abhängig zu machen, dass der Pflegebedürftige seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat".

Daraufhin hat der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 8. 5. 2001, 10 ObS 103/01x, das unter der Rechtssachennummer C-511/99 des Registers des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (Register-Nr 605.786) vom 9. 11. 1999 (= 10 ObS 273/99s) eingetragene Vorabentscheidungsersuchen zurückgezogen, weil der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in seinem Urteil vom 8. 3. 2000 die vorgelegte Frage nach der Exportpflicht des Pflegegeldgesetzes nach dem österreichischen Bundespflegegeldgesetz bereits beantwortet hat.

Dieses Erkenntnis hat auch für den gegenständlichen Fall zu gelten. Es war daher das unterbrochene Revisionsverfahren von Amts wegen wieder aufzunehmen. Der Oberste Gerichtshof hat im Sinne der bindenden Rechtsansicht des EuGH davon auszugehen, dass die österreichische Rechtslage, nach der die Leistung von Pflegegeld nach dem BPGG vom Vorliegen des gewöhnlichen Aufenthalts des Pflegebedürftigen in Österreich abhängig ist, dem Gemeinschaftsrecht widerspricht. Aufgrund des Anwendungsvorranges dieses Rechts ist diese in § 3 BPGG für den Anspruch auf Pflegegeld vorgesehene Voraussetzung unbeachtlich (10 ObS 103/01x).

Die Vorinstanzen haben das Klagebegehren ausschließlich deshalb abgewiesen, weil die Klägerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Österreich hat. Da dieser - einzig geltend gemachte - Abweisungsgrund nicht tragend ist, waren die Entscheidungen der Vorinstanzen im klagsstattgebenden Sinn abzuändern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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