OGH 1Ob240/00a

OGH1Ob240/00a26.6.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Manfred P*****, vertreten durch Burger-Scheidlin, Klaus und Quendler, Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Klagenfurt, wider die beklagte Partei M***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Josef Olischar und Mag. Martin Kratky, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung (Feststellungsinteresse S 500.000,--) infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 30. Juni 2000, GZ 3 R 83/00a-29, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 21. März 2000, GZ 21 Cg 94/99m-21, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 21.375,-- (darin S 3.562,50 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger schloss am 24. 6. 1992 mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten einen Bestellungsvertrag betreffend den Betrieb einer Tabaktrafik an einem bestimmten Standort auf unbestimmte Zeit. In der Zeit vom 9. 12. 1998 bis 12. 12. 1998 lieferte der Kläger insgesamt fünf Mal jeweils größere Mengen Zigaretten an verschiedene Wiederverkäufer, und zwar an Gastronomiebetriebe und an einen Tankstellenshop. In einem Fall befüllte er einen in dem belieferten Lokal aufgestellten Tabakwarenautomaten. Diese Tätigkeit des Klägers außerhalb seines Verkaufslokals war von der Beklagten nicht genehmigt.

Über diese Zustelltätigkeit informierte die Wohlfahrtseinrichtung der Trafikanten die für das Bundesland zuständige Geschäftsstelle der Beklagten und legte zur Untermauerung einen Detektivbericht vor, aus dem hervorgeht, an welchen Tagen, zu welcher Zeit und an welchen Orten vom Kläger Tabakwaren zugestellt wurden. Mit Zustimmung des zuständigen Landesgremiums der Tabaktrafikanten kündigte daraufhin die Beklagte ohne vorhergehende schriftliche Verwarnung am 2. 2. 1999 den Bestellungsvertrag mit dem Kläger gemäß § 35 Abs 2 Z 3 des Tabakmonopolgesetzes 1996 (TabMG) wegen Verletzung des im § 36 Abs 7 TabMG verankerten Zustellverbots auf. Gegen diese Kündigung brachte der Kläger unter Berufung auf § 24 der Allgemeinen Vertragsbedingungen für Tabaktrafikanten (AVBT) eine Beschwerde bei der Generaldirektion der Beklagten ein. Die Beklagte sprach daraufhin mit Schreiben vom 9. 3. 1999 neuerlich die Kündigung des Bestellungsvertrags wegen Verletzung des Zustellverbots aus und stützte diesen Ausspruch nunmehr auf § 35 Abs 2 Z 2 TabMG. Auch für diese Kündigung wurde die Zustimmung des zuständigen Landesgremiums der Tabaktrafikanten eingeholt. Mit Schreiben vom 11. 3. 1999 teilte die Beklagte mit, dass eine Beschwerdemöglichkeit im Tabakmonopolgesetz 1996 nicht mehr vorgesehen sei und für den Fall der Beschreitung des Rechtswegs für die Dauer des anhängigen Rechtsstreits mit dem Kläger ein provisorischer Bestellungsvertrag geschlossen werden würde.

Mit seiner am 16. 3. 1999 bei Gericht eingelangten Klage begehrte der Kläger die Feststellung, dass die Kündigung des Bestellungsvertrags zur Führung eines Tabakfachgeschäfts unwirksam sei und dass zwischen den Parteien ein aufrechter Bestellungsvertrag bestehe. Der Kläger habe keinen Kündigungsgrund verwirklicht, weil er Zustellungen nur in geringem Umfang an Gastgewerbebetriebe besorgt habe und die Bestellungen dafür zuvor im Geschäftslokal des Klägers aufgegeben worden seien. Der Kläger habe in den von ihm aufgesuchten Gastronomiebetrieben keine Erstkunden angeworben.

Selbst wenn der Kläger aber einen Kündigungsgrund verwirklicht haben sollte, sei dieser unter § 35 Abs 2 Z 2 TabMG zu subsumieren. Die Beklagte habe ihre Kündigung aber ausschließlich auf den Kündigungsgrund des § 35 Abs 2 Z 3 TabMG gestützt und sich damit aller anderen Kündigungsgründe verschwiegen. Ein "Nachschieben" von Kündigungsgründen sei unzulässig und daher unwirksam. Die Unwirksamkeit der Kündigung ergebe sich auch aus der Verletzung zwingender gesetzlicher Bestimmungen. Die Beklagte habe nicht das Landesgremium der Tabaktrafikanten, sondern nur dessen Gremialvorsteher als Einzelperson angehört. Sie habe es weiters unterlassen, vor Ausspruch der Kündigung den Kläger unter Androhung der Kündigung schriftlich zu verwarnen. Die insoweit im § 35 Abs 4 TabMG normierten Voraussetzungen seien erfüllt gewesen, weil beim Kläger besondere Verdachtsgründe vorgelegen seien und außerdem die von ihm entfaltete Zustelltätigkeit lediglich als Verstoß von geringerem Umfang qualifiziert werden könne.

Die Beklagte wendete dagegen ein, der Kläger habe durch Zustellung jeweils größerer Mengen von Zigaretten an Wiederverkäufer in insgesamt fünf Fällen gegen das in § 36 Abs 7 TabMG statuierte Zustellverbot verstoßen. Aus dem Schutzzweck der übertretenen Norm ergebe sich, dass ein schwerwiegender Verstoß vorliege. Eine schriftliche Verwarnung des Klägers vor dem Ausspruch der Kündigung sei nicht erforderlich gewesen, weil eine derartige Pflicht bei bewiesenen oder schwerwiegenden Verstößen nicht bestehe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Kläger habe gegen § 36 Abs 7 TabMG, der unter anderem die Zustellung und den Versand von Tabakerzeugnissen verbiete, verstoßen. Dadurch sei der Kündigungsgrund des § 35 Abs 2 Z 3 TabMG verwirklicht, weil ein schwerwiegender Verstoß vorliege und der Kläger zudem mehrfach das Verbot übertreten habe. Damit mangle es bei ihm an der für die Führung der Tabaktrafik erforderlichen Zuverlässigkeit. Die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, den Kläger vor der Kündigung schriftlich zu verwarnen, weil dessen Verstöße von der Beklagten zufolge des Detektivberichts als erwiesen angenommen werden durften und sie zudem als schwerwiegend einzustufen seien. Die Beklagte habe auch ihrer Anhörungspflicht gemäß § 35 Abs 5 TabMG Genüge getan, weil für sie nicht ersichtlich gewesen sei, dass die Stellungnahme nicht vom Landesgremium, sondern vom Gremialvorsteher abgegeben worden sei.

Das Gericht zweiter Instanz gab dem Klagebegehren statt. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands S 260.000 übersteige und dass die ordentliche Revision zulässig sei. Gemäß § 46 Abs 1 letzter Satz TabMG seien die in Bestellungsverträgen oder Allgemeinen Vertragsbedingungen aus einer Zeit vor dem 1. 1. 1996 enthaltenen Bestimmungen, die mit dem Bundesgesetz im Widerspruch stehen, nicht mehr anzuwenden. Es seien daher ausschließlich die Bestimmungen des § 36 Abs 7 TabMG über das Verbot der Zustellung von Tabakerzeugnissen und des § 35 Abs 2 TabMG, nach dem der Bestellungsvertrag bei Verstoß gegen Bestimmungen des Gesetzes (Z 2) oder bei Verlust der Zuverlässigkeit zur Führung der Tabaktrafik infolge schwerwiegender Verstöße gegen die zu beachtenden Rechtsvorschriften und Schutzinteressen (Z 3) aufzukündigen sei, maßgeblich. Es stehe nicht fest, dass der Beklagten vor Kenntnis der den Gegenstand der Aufkündigungen bildenden Vertragsverletzungen des Klägers keine besonderen Verdachtsgründe wegen gesetzwidriger Zustellungen bekannt geworden seien. Vielmehr sei auf der Grundlage des von der Beklagten verfassten, in dessen Richtigkeit nicht bestrittenen Kündigungsschreibens vom 2. 2. 1999 davon auszugehen, dass dem Bekanntwerden unerlaubter Zustelltätigkeit des Klägers Nachforschungen auf Grund wiederholter, bei der Beklagten eingelangter Beschwerden über eine angebliche Zustelltätigkeit vorausgegangen seien. Bei dieser Sachlage sei aber die Unterlassung einer qualifizierten Verwarnung als Umgehung der gemäß § 35 Abs 4 TabMG für die Wirksamkeit der nachfolgenden Vertragskündigung erforderlichen Verpflichtung anzusehen. Die Kündigungen seien daher unwirksam, weshalb dem im rechtlichen Interesse des Klägers gelegenen Feststellungsbegehren stattzugeben sei.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision der Beklagten ist nicht berechtigt.

Gemäß § 36 Abs 7 TabMG dürfen Tabaktrafikanten den Handel mit Tabakerzeugnissen nur in dem im Bestellungsvertrag angegebenen Geschäftslokal (Standort) ausüben; das Aufsuchen zwecks Entgegennahme von Bestellungen außerhalb des Standorts, die Zustellung und der Versand von Tabakerzeugnissen sind verboten. Gemäß § 35 Abs 2 TabMG ist der Bestellungsvertrag durch die Beklagte unter anderem dann zu kündigen, wenn der Tabaktrafikant gegen Bestimmungen dieses Bundesgesetzes oder des Bestellungsvertrages verstößt (Z 2) oder wenn er infolge schwerwiegender Verstöße gegen die im Zusammenhang mit der Führung der Tabaktrafik zu beachtenden Rechtsvorschriften und Schutzinteressen, insbesondere auch zur Wahrung des Ansehens des Berufsstands, die für die Führung der Tabaktrafik erforderliche Zuverlässigkeit nicht mehr besitzt (Z 3). Die in § 35 Abs 6 TabMG eingeräumte Möglichkeit, im Einvernehmen mit dem Landesgremium der Tabaktrafikanten anstelle einer Kündigung gemäß Abs 2 Z 2, 3 oder 5 bei Vorliegen besonders berücksichtigungswürdiger Gründe eine Geldbuße in Höhe von höchstens 10 % des Monatsumsatzes mit Tabakerzeugnissen zu verhängen, besteht nach dem vorletzten Satz dieser Gesetzesstelle unter anderem bei Verstößen gegen § 36 Abs 7 TabMG nicht. Damit unterscheidet sich das Kündigungsrecht im Falle der Übertretung des Zustellverbots wesentlich von jenem nach der im Zeitpunkt des Abschlusses des Bestellungsvertrags des Klägers maßgeblichen Rechtslage: Gemäß § 16 Abs 3 lit f des Tabakmonopolgesetzes 1968 hatten die Allgemeinen Vertragsbedingungen für Tabaktrafikanten (AVBT) unter anderem vorzusehen, aus welchen Gründen ein auf unbestimmte Zeit geschlossener Vertrag gekündigt werden könne. Gemäß Punkt 23 Abs 3 lit j AVBT konnte der Vertrag unter anderem dann gekündigt werden, wenn Tabakerzeugnisse im Hausierweg, in Wohnungen bzw außerhalb des Geschäftsstandorts oder schließlich in nicht verschlossenen Originalpackungen abgesetzt wurden. Gemäß Abs 5 konnte die Monopolverwaltungsstelle in Fällen des Abs 3 an Stelle der Kündigung dem Tabaktrafikanten eine Geldbuße bis maximal 5 % des letzten Monatsumsatzes an Tabakerzeugnissen auferlegen bzw eine Verwarnung aussprechen (vgl zu der dabei vorzunehmenden Interessenabwägung EvBl 1982/94).

Gemäß § 46 Abs 1 TabMG behalten zwar die vor dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes (§ 44 TabMG: 1. 1. 1996) zwischen Tabaktrafikanten und der Rechtsvorgängerin der Beklagten geschlossenen Bestellungsverträge einschließlich allfälliger Ergänzungen, ferner Verfügungen der Monopolverwaltungsstellen, insbesondere über die Öffnungszeiten sowie die Bewilligung der Verwendung von Automaten außerhalb des Geschäftslokals nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen ihre Gültigkeit, doch sind die in diesen Bestellungsverträgen oder in den Allgemeinen Vertragsbedingungen enthaltenen Bestimmungen, die mit diesem Bundesgesetz im Widerspruch stehen, nicht mehr anzuwenden. Ob diese nach den konkreten Umständen des Falles für den Kläger zumindest dem Wortlaut der relevanten Bestimmungen nach eine Verschlechterung seiner Rechtsposition bedeutende Änderung trotz der Qualifikation des Bestellungsvertrags als Dauerschuldverhältnis (EvBl 1982/94; EvBl 1994/99; 7 Ob 312/00h) als den Erwartungen der Beteiligten widersprechende spätere Rechtsänderung bedenklich sein könnte (vgl Bydlinski in Rummel, ABGB3 § 5 Rz 1), muss hier aus nachstehenden Erwägungen nicht weiter untersucht werden:

Gemäß § 35 Abs 4 TabMG hat in den Fällen des Abs 2 Z 2 bis 4 bei Vorliegen besonderer Verdachtsgründe oder bei Verstößen von geringerem Umfang eine schriftliche Verwarnung unter Androhung der Kündigung dieser vorauszugehen. Der Oberste Gerichtshof hat erst jüngst in seiner Entscheidung 7 Ob 312/00h auf den sozialpolitischen Aspekt der Bestimmungen des TabMG hingewiesen, wie sich dieser auch aus den Materialien zu diesem Gesetz (390 BlgNR 19. GP, 1 ff) ergibt. Es wurde auch bereits mehrfach ausgesprochen, dass die Kündigungsgründe des Punktes 23 AVBT eine Schutzfunktion für den Tabaktrafikanten gegenüber der Monopolstellung der Beklagten hätten, weshalb sich eine Erweiterung oder extensive Auslegung verbiete (EvBl 1982/94; SZ 68/240). Den Gesetzesmaterialien zu § 35 TabMG ist zu entnehmen, dass dessen Regelung im Wesentlichen inhaltlich der Rechtslage des § 16 TabMG 1968 und den Regelungen in den Allgemeinen Vertragsbedingungen entsprechen sollen. Neu sei insbesondere unter anderem, dass in bestimmten Fällen der Kündigung eine Verwarnung vorauszugehen habe. Letztere solle verhindern, dass bereits bei geringen Vertragsverletzungen ein Kündigungsverfahren eingeleitet werden müsse, und bewirken, dass bei Verdacht von groben Vertragsverletzungen dem Trafikanten durch die Kündigungsandrohung die Konsequenzen einer allfälligen Vertragsverletzung bewusst werden. Da durch die Regelungen des § 35 TabMG gegenüber der bis dahin in Geltung gestandenen Bestimmung des Punktes 23 AVBT, wie bereits dargestellt, zumindest in gewissen Fällen eine Verschlechterung der Rechtsposition des Tabaktrafikanten herbeigeführt wurde, was nach dem Inhalt der bereits zitierten Erläuternden Bemerkungen vom Gesetzgeber nicht erkannt wurde und offensichtlich auch nicht beabsichtigt war, kommt der im Gesetz angeordneten schriftlichen Verwarnung schon deshalb besondere Bedeutung zu, weil nur dadurch die wesentlich rigideren neuen Kündigungsbestimmungen in vertretbarer Weise abgemildert werden.

Das Berufungsgericht hat - von der Revisionswerberin unbekämpft - die Feststellungen des Erstgerichts auf Grund des unstrittigen Inhalts des Kündigungsschreibens vom 2. 2. 1999 dahin ergänzt, dass dem Bekanntwerden unerlaubter Zustelltätigkeit des Klägers Nachforschungen auf Grund wiederholter, bei der Beklagten eingelangter Beschwerden über angebliche Zustelltätigkeit vorausgingen. Damit war aber das zur Kündigung führende Fehlverhalten des Klägers für die Beklagte nicht von vornherein manifest, sondern es lagen ursprünglich lediglich Verdachtsgründe in diese Richtung vor. Dass diese Verdachtsgründe auch "besondere" im Sinn des § 35 Abs 4 TabMG waren, ergibt sich schon daraus, dass sie Anlass zu weiteren Nachforschungen gaben. Damit war die Beklagte aber verhalten, bereits auf Grund dieser an sie herangetragenen Verdachtsgründe den Kläger schriftlich unter Androhung der Kündigung zu verwarnen. Nur so konnte dem Sinn des Gesetzes Genüge getan werden, dem Trafikanten die Konsequenzen einer allfälligen Vertragsverletzung bewusst zu machen. Da die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung schon aus diesem Grunde nicht rechtswirksam ist, bedarf es keines Eingehens auf die weiters vom Revisionswerber relevierte Frage, ob der Verstoß als solcher von geringem Umfang qualifiziert werden könnte.

Der Revision ist ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

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