OGH 7Ob115/01i

OGH7Ob115/01i17.5.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Erich L*****, vertreten durch Mag. Gerda Ferch-Fischer und Mag. Maria Navarro, Rechtsanwältinnen in Linz, gegen die beklagte Partei U*****-AG, ***** vertreten durch Dr. Roland Gabl ua Rechtsanwälte in Linz, wegen S 295.000,-- sA, über die Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 9. März 2001, GZ 4 R 7/01d-26, womit das Urteil des Landesgerichtes Wels vom 21. November 2000, GZ 6 Cg 250/99t-20, über Berufung der beklagten Partei abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 13.725,-- (darin enthalten S 2.287,50 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger betreibt eine Praxis als Tierarzt. Er hat bei der beklagten Partei eine Betriebsunterbrechungsversicherung abgeschlossen, der die Allgemeinen Bedingungen für die Betriebsunterbrechungs-Versicherung für freiberuflich und selbständig Tätige (ABFT 1997) zu Grunde liegen. Diese weisen ua folgende Bestimmung auf:

Artikel 2

Einschränkungen des Versicherungsschutzes

Kein Versicherungsschutz besteht für Unterbrechungsschäden

...

1.2.3 infolge von Krankheiten, die auf Grund eines missbräuchlichen Genusses von Alkohol oder Suchtgiften eintreten oder verschlechtert werden oder deren Heilbehandlung infolge eines missbräuchlichen Genusses von Alkohol oder Suchtgiften wesentlich erschwert ist, sowie Entziehungsmaßnahmen und Entziehungskuren;

...

Beim Kläger besteht eine (wahrscheinlich genetisch bedingte) Alkoholkrankheit, die zur Folge hat, dass er nicht in der Lage ist, seinen Alkoholkonsum kontrolliert zu gestalten. Nachdem eine ambulante Therapie bei einem Facharzt versagt und er für sich alleine keine Möglichkeit hatte, das Fortschreiten der Auswirkungen seiner Alkoholkrankheit zu verhindern, wurde der Kläger am 9. 6. 1999 in die psychiatrische Behandlungsabteilung Traun für Alkohol- und Medikamentenabhängige der oö. Landesnervenklinik Wagner-Jauregg aufgenommen, wo er bis 6. 8. 1999 in stationärer Behandlung war. Die Behandlung begann mit Entgiftung und Entwöhnung; daran anschließend wurden Maßnahmen gesetzt, die bewirken sollten, dass die Alkoholkrankheit in Zukunft nicht mehr zum Tragen kommt.

Der Kläger begehrt aus der Betriebsunterbrechungsversicherung S 295.000, weil er seine berufliche Tätigkeit während seines Klinikaufenthaltes nicht ausüben habe können. Bei seiner Alkoholabhängigkeit handle es sich um eine eigenständige psychiatrische Erkrankung, die von der missbräuchlichen Verwendung von Alkohol zu unterscheiden sei und stationär behandelt habe werden müssen. Bei seinem stationären Krankenhausaufenthalt habe es sich weder um eine Entziehungskur noch um eine Entziehungsmaßnahme, sondern um einen psychiatrischen Krankenhausaufenthalt gehandelt, bei dem eine eigenständige psychiatrische Erkrankung behandelt worden sei.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Gemäß Art 2 ABFT 1997 bestehe kein Versicherungsschutz, da es sich beim Aufenthalt des Klägers in der psychiatrischen Behandlungsabteilung für Alkohol- und Medikamentenabhängige um eine Entziehungsmaßnahme im Sinne dieser Bestimmung gehandelt habe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Ausschlusstatbestand des Art 2 Punkt 1.2.3 ABFT 1997 sei nicht erfüllt. Die Krankheit des Klägers sei nicht Folge seines Alkoholmissbrauchs, sondern der Missbrauch sei eine Auswirkung der (anlagebedingten) Erkrankung des Klägers. Ein Hinweis auf eine Erschwerung der Heilbehandlung durch einen missbräuchlichen Alkoholgenuss liege nicht vor. Da es sich beim Aufenthalt des Klägers in der psychiatrischen Behandlungsabteilung für Alkohol- und Medikamentenabhängige um eine notwendige Folge der vom Kläger nicht verschuldeten Krankheit gehandelt habe, könne sich die beklagte Partei auch nicht auf den Ausschluss des Versicherungsschutzes für Unterbrechungsschäden infolge Entziehungsmaßnahmen und Entziehungskuren berufen, weil darunter nur solche verstanden werden könnten, die mit einem nicht krankheitsbedingten Alkoholmissbrauch einhergingen.

Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung der ersten Instanz dahin ab, dass es das Klagebegehren abwies, wobei es aussprach, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es bestehe kein Versicherungsschutz für den geltend gemachten Unterbrechungsschaden, weil dieser auf Grund der Arbeitsunfähigkeit des Klägers infolge einer Entziehungskur im Sinne des Art 2 Punkt 1.2.3 ABFT 1997 entstanden sei. Bei dieser Bestimmung handle es sich sowohl nach der äußeren Erscheinungsform (Überschrift, Wortlaut) als auch nach ihrem materiellen Inhalt um einen Risikoausschluss. Hiefür sei es typisch, dass von Anfang an ein bestimmter Gefahrenumstand von der versicherten Gefahr ausgenommen werde, ohne dass es dabei auf ein schuldhaftes, pflichtwidriges Verhalten des Versicherungsnehmers ankäme. Das versicherte Risiko werde objektiv begrenzt; der Versicherer gewähre nur ausschnittsweise Deckung. Dementsprechend nehme Art 2 Punkt 1.2.3 ABFT 1997 Unterbrechungsschäden auf Grund von Arbeitsunfähigkeit des Versicherten infolge von Entziehungsmaßnahmen und Entziehungskuren ohne jede weitere Voraussetzung vom Versicherungsschutz aus. Die damit vorgenommene Einschränkung des Versicherungsschutzes lasse sich zwanglos als Minimierung des Versicherungsrisikos dahin verstehen, dass Unterbrechungsschäden infolge von Entziehungsmaßnahmen und Entziehungskuren nicht versichert seien, ohne im Einzelfall prüfen zu müssen, ob diese auf eine Alkoholkrankheit oder einen (bloßen) Alkoholmissbrauch zurückzuführen seien. Daran habe der Versicherer unter dem Gesichtspunkt der Risikobeschränkung ein berechtigtes Interesse. Ein durchschnittlich verständiger Versicherungsnehmer verstehe die stationäre Behandlung einer Alkoholkrankheit in einer psychiatrischen Behandlungsabteilung für Alkoholabhängige, die mit einer Entgiftung und Entwöhnung beginne und sich mit Maßnahmen fortsetze, die bewirken sollten, dass die Alkoholkrankheit in Zukunft nicht mehr zum Tragen komme, unabhängig davon, ob die Alkoholkrankheit genetisch oder (nur) durch Alkoholmissbrauch bedingt sei, als Entziehungskur. Dieses Verständnis habe die gängigen Wörterbücher für sich: Die Annahme, dass bei der Auslegung der Wortfolge "Entziehungsmaßnahmen und Entziehungskuren" in Art 2 Punkt 1.2.3 ABFT 1997 auch subjektive Momente eine Rolle spielen sollten, finde im Wortlaut der Versicherungsbedingung keine Stütze. Art 2 Punkt 1.2.3 ABFT 1997 unterscheide nicht zwischen Entziehungsmaßnahmen und Entziehungskuren, die auf Alkoholabhängigkeit im Sinn einer Suchterkrankung oder auf nicht krankheitsbedingten Alkoholmissbrauch zurückgehen. Er knüpfe auch nicht an den vorausgehenden Satzteil, in dem der missbräuchliche Genuss von Alkohol angesprochen sei, an. Darauf, ob es der Versicherungsnehmer in der Hand gehabt habe, seine Arbeitsunfähigkeit infolge von Entziehungsmaßnahmen und Entziehungskuren zu vermeiden, komme es demnach nicht entscheidend an. Wollte die Versicherung nur Entziehungsmaßnahmen und Entziehungskuren infolge eines (bloß) missbräuchlichen Genusses von Alkohol von ihrer Leistungspflicht ausschließen, so wäre eine ausdrückliche Festschreibung im letzten Satzteil des Art 2 Punkt

1.2.3 ABFT 1997, zumindest aber eine Anknüpfung an den zuvor genannten missbräuchlichen Genuss von Alkohol (etwa: ..., "sowie daraus resultierenden Entziehungsmaßnahmen und Entziehungskuren") zu erwarten gewesen, zumal die in Art 2 ABFT 1997 normierte Einschränkung des Versicherungsschutzes auch in anderen Punkten von Umständen abhänge, die der Versicherungsnehmer durch sein Verhalten nicht beeinflussen oder kontrollieren könne.

Zur Begründung seines Ausspruchs der Zulässigkeit der Revision nach § 502 Abs 1 ZPO führte das Berufungsgericht aus, der Oberste Gerichtshof habe zur Einschränkung des Versicherungsschutzes gemäß Art 2 Punkt 1.2.3 der ABFT 1997 bisher nicht Stellung genommen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers, der unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht und die Wiederherstellung des Ersturteils beantragt.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision entweder zurückzuweisen oder sie zu verwerfen.

Die Revision ist wegen des Fehlens oberstgerichtlicher Rechtsprechung zur Bestimmung des Art 2.1.2.3 ABFT 1997 zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Dass der Kläger eine Entziehungskur im iSd Art 2 Punkt 1.2.3 letzter Halbsatz ABFT 1997 machte, der allerdings kein im Sinne des zweiten und dritten Halbsatzes dieser Bestimmung "missbräuchlicher" Alkoholabusus zu Grunde lag, stellt ebenso wie der Umstand, dass die betreffende Bestimmung der dem gegenständlichen Versicherungsverhältnis zu Grunde liegenden Versicherungsbedingungen einen Risikoausschluss (zur Begriffsbestimmung vgl etwa Schauer, Versicherungsvertragsrecht3 146 ff; 7 Ob 6/95 ua) bedeutet, im Revisionsverfahren keinen Streitpunkt mehr dar.

Strittig - und streitentscheidend - ist nur noch die Auslegung des zitierten Punktes der ABFT 1997, und zwar insofern, als der Kläger in der Revision weiterhin an seiner, der vom Berufungsgericht geteilten Rechtsmeinung der beklagten Partei widersprechenden Ansicht festhält, Unterbrechungsschäden auf Grund von Entziehungsmaßnahmen und Entziehungskuren bildeten nur dann einen Ausschlussgrund, wenn der Genuss von Alkohol oder Suchtgiften, der die betreffende Entziehungsmaßnahme oder Entziehungskur notwendig machte, missbräuchlich - im Sinne von vom Versicherungsnehmer verschuldet - war.

Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass

Allgemeine Versicherungsbedingungen nach nunmehr ständiger

Rechtsprechung nach Vertragsauslegungsgrundsätzen (§§ 914 ff ABGB)

auszulegen sind. Die Auslegung hat sich daher am Maßstab des

durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers zu orientieren

(vgl VR 1992/277; VR 1992/284; RIS-Justiz RS0050063 mwN, zuletzt etwa

7 Ob 147/00v). Die einzelnen Klauseln der Versicherungsbedingungen

sind, wenn sie - wie hier - nicht auch Gegenstand und Ergebnis von

Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf ihren

Wortlaut auszulegen (RIS-Justiz RS0008901 mit zahlreichen

Entscheidungsnachweisen). In allen Fällen ist der einem objektiven

Beobachter erkennbare Zweck einer Bestimmung der Allgemeinen

Geschäftsbedingungen zu berücksichtigen (vgl VR 1990, 57; VR 1990,

315; ecolex 1994, 610 uva). Unklarheiten gehen im Sinne des § 915

ABGB in aller Regel zu Lasten des Versicherers (JBl 1990, 316 = EvBl

1990/28 = VR 1990/122 = VersR 1990, 445 uva).

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist das Auslegungsergebnis des Berufungsgerichts zu billigen. Der Kläger vermag seine Gegenmeinung nicht überzeugend zu begründen. Sollte, wie er im Wesentlichen meint, der letzte Halbsatz der auszulegenden Bestimmung "sowie Entziehungsmaßen und Entziehungskuren", bloß der Verdeutlichung dienen, welche Maßnahmen bei Missbrauch von Alkohol gesetzt werden sollen, müsste diese Formulierung als sprachlich völlig misslungen bezeichnet werden. Abgesehen davon ist kein Anlass für eine derartige "Verdeutlichung" erkennbar: Dass Entziehungsmaßnahmen und Entziehungskuren Formen der Heilbehandlung von Alkohol- oder Suchtgiftkrankheiten sind, muss dem durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer wohl keinesfalls besonders vor Augen geführt werden.

Darauf, dass auch nach dem Zweck des Risikoauschlusses gemäß Art 2 Punkt 1.2.3 ABFT 1997 nicht notwendigerweise nur verschuldeter Alkoholabusus die Leistungsfreiheit des Versicherers zur Folge haben soll und kann, hat schon das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen, auf dessen Ausführungen im Einzelnen verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO).

Zusammenfassend erweist sich die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, Unterbrechungsschäden auf Grund von Entziehungsmaßnahmen und Entziehungskuren bildeten gemäß Art 2 Punkt

1.2.3 der ABFT 1997 jedenfalls einen Risikoausschlussgrund, gleichgültig, ob der Genuss von Alkohol oder Suchtgift, der die Maßnahme/Kur notwendig machte, missbräuchlich war oder nicht, frei von Rechtsirrtum. Da das Klagebegehren deshalb zu Recht abgewiesen wurde, muss die Revision erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO. Der beklagten Partei gebührt für ihre Revisionsbeantwortung gemäß § 23 RATG nur der einfache Einheitssatz von 50 %, und nicht, wie verzeichnet, 200 % (vgl etwa jüngst 7 Ob 30/01i).

Stichworte