OGH 11Os50/01

OGH11Os50/018.5.2001

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. Mai 2001 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Eichinger als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Alois H***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, AZ 29e Vr 284/01 des Landesgerichtes Innsbruck, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluss der Präsidentin des Landesgerichtes Innsbruck vom 27. Februar 2001 (ON 5) nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators und Generalanwältin Dr. Sperker, jedoch in Abwesenheit des Beschuldigten Alois H***** zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In der Strafsache des Landesgerichtes Innsbruck gegen Alois H*****, AZ 29 E Vr 284/01, verletzt der Beschluss der Präsidentin dieses Gerichtshofes vom 27. Februar 2001, AZ Jv 792-17/01, mit dem die Befangenheitsanzeige des Richters des Landesgerichtes Dr. Herbert W***** für nicht gerechtfertigt angesehen wurde, das Gesetz in der Bestimmung des § 72 Abs 1 StPO.

Dieser Beschluss wird aufgehoben.

Gemäß §§ 292 letzter Satz, 288 Abs 2 Z 3 StPO wird in der Sache selbst erkannt, dass die Befangenheitsanzeige des Richters des Landesgerichtes Innsbruck Dr. Herber W***** gerechtfertigt ist und der Präsidentin dieses Gerichtshofes aufgetragen wird, gemäß § 74 Abs 3 StPO den Richter zu bezeichnen, dem die Sache zu übertragen ist.

Text

Gründe:

Nachdem die Staatsanwaltschaft beim Einzelrichter des Landesgerichtes Innsbruck einen Antrag auf Bestrafung gegen Alois H***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB eingebracht hatte, zeigte der für die Führung des Verfahrens 29 E Vr 284/01 zuständige Einzelrichter Dr. Herbert W***** am 31. Jänner 2001 der Präsidentin des Landesgerichtes gemäß § 72 Abs 2 StPO seine Befangenheit mit folgenden Worten an:

"Der Beschuldigte Alois H***** ist mir aus meiner Amtstätigkeit seit mehr als 20 Jahren bekannt. Er hat im Laufe der Jahre wiederholt Drohungen gegen mich geäußert bzw Einschüchterungsversuche unternommen. In einer Vielzahl von schriftlichen Eingaben und Rechtsmitteln wurden Verleumdungen, angefangen von Korruption bis Mordversuch, gegen mich vorgebracht. Ich habe dies alles bisher mit Gelassenheit ignoriert, zumal ich davon ausgegangen bin, dass derartige Anwürfe von jedermann als absurd erachtet werden. Auch vertrete ich den Standpunkt, dass sich Beschuldigte nicht auf diese Art den Richter aussuchen können sollen und dass der Richter einem unangenehmen Beschuldigten nicht aus dem Weg gehen soll.

Allerdings hat sich nach meinem Informationsstand der Leitende Oberstaatsanwalt im Jahre 2000 veranlasst gesehen, höchstpersönlich eine Strafanzeige des Alois H***** gegen meine Person zu Protokoll zu nehmen. Wie weit die staatsanwaltschafltichen Erhebungen gediehen sind, ist mir nicht bekannt.

Ich selbst hege mittlerweile gegen den Beschuldigten Alois H***** den - ausschließlich subjektiv begründeten - Verdacht, dass er am 30. Juni 2000 im Hof des Gerichtsgebäudes an meinem PKW einen Kratzer mit einer Schadenshöhe von über 12.000 S verursacht habe.

Die Mutter des Beschuldigten Alois H***** hat mich in den letzten Jahren zu wiederholten Malen telefonisch und persönlich heimgesucht und mir unter anderem Wahnvorstellungen über die Involvierung Innsbrucker Staatsanwälte an der angeblichen Ermordung ihres Ehemannes vorgetragen. Ich habe sie immer wieder beruhigt und beschwichtigt, weil es mir menschlich widerstrebt, eine psychisch kranke alte Frau im Wege eines Eklats oder durch Sicherheitskräfte aus meinem Arbeitszimmer entfernen zu lassen. Allerdings hat sich auch diese Vorgangsweise nicht als zielführend erwiesen, weil mich Frau H***** eines Tages ohne irgendeinen von mir gesetzten Anlass telefonisch aufs Unflätigste bezichtigte, an der gesundheitlichen Vernichtung ihres Sohnes schuldig zu sein.

Ich glaube daher, dass nunmehr mit der Bearbeitung dieses Strafaktes besser ein anderer Strafrichter betraut werden sollte, der unbeeinflusst von derartigen Erfahrungen an die Sache herangehen kann.

Der Vorlagebericht wurde deshalb so ausführlich verfasst, weil ich zum Ausdruck bringen möchte, dass die gegenständliche Befangenheitsanzeige von mir nicht als Auftakt einer Serie ähnlicher Erklärungen gedacht ist. Im Übrigen ist auch der voraussichtliche Bearbeitungsaufwand im gegenständlichen Verfahren als sehr gering anzunehmen."

Mit Beschluss vom 27. Februar 2001, AZ Jv 792-17/01, erklärte die Präsidentin des Landesgerichtes Innsbruck, dass die Befangenheitserklärung des Richters Dr. Herbert W***** nicht gerechtfertigt sei. Zur Begründung führte sie aus:

"Eine freie und unbefangene Rechtsprechung wird nicht nur durch die Unabhängigkeit der Richter, sondern auch dadurch garantiert, dass Richter, bei denen aus anderen als Ausschließungsgründen auch nur der Schein der Befangenheit besteht, entweder abgelehnt werden können oder selbst die Gründe melden müssen, aus denen auf eine Befangenheit geschlossen werden könnte. Liegen objektive Gründe vor, die geeignet sind, eine Befangenheit des Richters zu bewirken, so ist ihm auf Grund der Ablehnung oder Selbstmeldung die Strafsache abzunehmen, auch wenn tatsächlich keine Befangenheit vorliegt.

Soweit in der Selbstanzeige ins Treffen geführt wird, dass der Beschuldigte beim Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Innsbruck im Jahr 2000 eine Strafanzeige gegen die Person des Richters zu Protokoll gegeben und unter Umständen den PKW des Leiters der Gerichtsabt. 29 beschädigt hätte, ist darauf zu verweisen, dass diese Begebenheiten - zumindest nach dem derzeitigen Stand der Dinge - reine Mutmaßungen des Richters darstellen und auch die allfällige Strafanzeige des Beschuldigten offenbar bislang zu keinen konkreten Verfolgungshandlungen der Anklagebehörde geführt hat. Lediglich für den Fall, dass tatsächlich eine Sachbeschädigung des Beschuldigten zum Nachteil des Richters sowie eine Ernst zu nehmende Konfrontation mit einem von ihm erhobenen strafrechtlich relevanten Vorwurf objektiviert wäre, könnten diese Umstände eine berechtigte Emotionalisierung des Richters und damit Zweifel an seiner Unbefangenheit in weiteren Strafsachen gegen den Täter bzw den Anzeiger nahelegen.

Angesichts der weitgehend amtsbekannten psychischen Veranlagung des Beschuldigten, insbesondere seiner leichten Reizbarkeit und Uneinsichtigkeit, verbunden mit den abstrusen Vorstellungen, das Opfer einer "Verschwörung" von Richtern und Staatsanwälten zu sein, können auch die, zweifellos massiven Anwürfe des Beschuldigten gegenüber der Person des Leiters der Gerichtsabt. 29 eine Befangenheit desselben nicht nach sich ziehen. Es liegt in der Natur der Sache, dass eine dem Rechtsstandpunkt insbesondere einer psychisch schwierigen Partei nicht entsprechende, wenn auch von sachlichen Gesichtspunkten geleitete Rechtsauffassung oder Entscheidung eines Richters kann ihre Zustimmung findet und der Richter deshalb bisweilen Unmutsäußerungen und unsachlichen Verdächtigungen ausgesetzt ist. Im Hinblick auf die mit dem Richteramt verbundenen Standespflichten muss aber erwartet werden, dass er sich auch in einem solchen Fall - zumindest nach Gewinnung einiger Distanz - nicht zu einer emotionellen und von anderen als rein sachlichen Gesichtspunkten geleiteten Verhandlungsführung und Entscheidung verleiten lässt.

Die Anerkennung der Befangenheit im vorliegenden Fall würde zwangsläufig dazu führen, auch alle allfälligen weiteren Strafsachen dem Leiter der Gerichtsabt. 29 abzunehmen und dem nach der Geschäftsverteilung des Landesgerichtes Innsbruck bestimmten Stellvertreter zuzuweisen. Diese Maßnahme würde aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass sich binnen kurzer Zeit auch dieser Richter mit emotionalisierten Vorwürfen des Beschuldigten konfrontiert sieht.

Auch für die Vorgänge im Zusammenhang mit den Kontakten des Leiters der Gerichtsabt. 29 mit der Mutter des Beschuldigten muss gelten, dass substanzlose Verdächtigungen und Beschuldigungen, die wegen ihres mangelnden Tatsachengehaltes nicht einmal auf ihre abstrakte Berechtigung überprüft werden können und die ihren Grund offenbar in der Missbilligung vorangegangener Entscheidungen haben, völlig unbeachtlich sind und einer Verhandlung und Entscheidung durch den nach der Geschäftsverteilung berufenen betroffenen Richter nicht hindernd entgegenstehen."

Rechtliche Beurteilung

Dieser Beschluss steht - wie der Generalprokurator in seiner deshalb erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt - im Ergebnis und in wesentlichen Teilen seiner Begründung mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Die Entscheidungsbegründung geht zwar auf die Voraussetzungen einer Befangenheit ein, verkennt aber augenscheinlich die hier maßgebliche Bedeutung der objektiven Gesichtspunkte und demnach den ihnen - fallbezogen - rechtlich zukommenden Stellenwert.

Befangenheit liegt vor, wenn ein Richter an eine Sache nicht mit voller Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit herantritt, somit eine Hemmung zu unparteilicher Entscheidung durch sachfremde psychologische Motive gegeben ist. Zwar verfügt naturgemäß nur der betreffende Richter selbst über den unmittelbaren Zugang zur Erkenntnis eines solchen inneren Zustandes, es kommt jedoch nicht nur darauf an, ob sich der Richter selbst befangen fühlt oder nicht. Vielmehr genügt grundsätzlich schon der äußere Anschein einer Befangenheit, wofür allerdings zureichende Anhaltspunkte gegeben sein müssen, welche die Eignung besitzen, aus objektiver Sicht - das heißt bei einem verständig würdigenden objektiven Beurteiler - die volle Unbefangenheit des Richters in Zweifel zu ziehen (vgl insbesondere 15 Os 178/95 und 13 Ns 13/92 mit weiteren Judikatur- und Literaturhinweisen; im gleichen Sinn EvBl 1988/153, JBl 1990, 122 und ÖJZ 1990, 188 ff = U EGMR Nr 11/1987/134/188 24. Mai 1989 im Fall Hauschildt gegen Dänemark).

Im Lichte dieser Beurteilungskriterien stellt der vom Richter geäußerte Verdacht, der Beschuldigte habe an seinem im Hof des Gerichtsgebäudes abgestellten PKW einen Kratzer mit einer Schadenshöhe von 12.000 S verursacht, einen Umstand dar, der bei einem verständig würdigenden objektiven Beurteiler den äußeren Anschein einer Befangenheit des Richters in der gegenständlichen Strafsache entstehen lässt. Dabei spielt es keine Rolle, ob Beweise für diesen Verdacht vorliegen.

Hingegen stellt die von der Präsidentin des Landesgerichtes geäußerte Befürchtung, die Anerkennung der Befangenheit würde im vorliegenden Fall zwangsläufig zur Abnahme aller allfälligen weiteren Strafsachen führen, kein gesetzliches Kriterium für die Entscheidung über die Befangenheit dar, gleich wie der befürchtete Umstand, dass sich der nach der Geschäftsverteilung zuständige Stellvertreter binnen kurzer Zeit gleichfalls mit emotionalisierten Vorwürfen des Beschuldigten konfrontiert sähe.

Da durch die Entscheidung über die Befangenheitsanzeige des Richters Dr. Herbert W***** eine Benachteiligung des Beschuldigten nicht ausgeschlossen werden kann, ist ein Vorgehen des Obersten Gerichtshofes gemäß § 292 letzter Satz StPO geboten (vgl 15 Os 178/95).

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