OGH 15Os178/95(15Os179/95)

OGH15Os178/95(15Os179/95)11.1.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 11.Jänner 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch, Mag.Strieder, Dr.Rouschal und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Riedl als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Dr.Einhard S***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des Mißbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Präsidenten des Landesgerichtes Linz vom 4.Oktober 1995, Zl Jv 2717-17c/95, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Raunig, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten Dr.S***** und seines Verteidigers, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In der Strafsache des Landesgerichtes Linz, AZ 27 Vr 2118/94, verletzt der Beschluß des Präsidenten dieses Gerichtshofes vom 4. Oktober 1995, Zl Jv 2717-17c/95 (ON 31 des Vr-Aktes), mit dem der Antrag des Angeklagten Dr.Einhard S***** vom 3.Oktober 1995 auf Ablehnung des Vorsitzenden des Schöffengerichtes, Dr.Heinz Helmut H*****, zurückgewiesen wurde, das Gesetz in der Bestimmung des § 72 Abs 1 StPO.

Dieser Beschluß wird aufgehoben, und es wird gemäß §§ 292 letzter Satz, 288 Abs 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Die Ablehnung des Vorsitzenden des Schöffengerichtes, Dr.Heinz Helmut H*****, ist gerechtfertigt.

Text

Gründe:

Beim Landesgericht Linz ist zum oben angeführten Aktenzeichen gegen Univ.Doz.Dr.Einhard S***** und einen anderen Angeklagten ein Strafverfahren wegen des Verdachtes des Verbrechens des Mißbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB anhängig. Nachdem er am 2. Oktober 1995 durch die Ladung des Vorsitzenden des Schöffengerichtes, Dr.Heinz Helmut H*****, von der für den 5.Oktober 1995 anberaumten Hauptverhandlung Kenntnis erlangt hatte, lehnte Dr.S***** den Vorsitzenden gemäß § 72 Abs 1 StPO im wesentlichen mit der Begründung als befangen ab, am 17.September 1990 (gemeint 1991) habe in der Wohnung der von ihm damals als Verteidiger vertretenen Mag.Sch***** eine Besprechung über die Höhe der von ihr bereits geleisteten Honorarzahlungen stattgefunden. Nach einem kurzen, sachlichen Gespräch in Gegenwart eines für ihn überraschend von Mag.Sch***** wegen der von ihr als überhöht angesehenen Honorarforderungen beigezogenen Rechtsanwaltes sei aus einem Nebenraum der Wohnung plötzlich der Richter des Landesgerichtes Linz, Dr.H*****, herausgekommen und habe gegen ihn (Dr.S*****) wegen der betreffenden Honorarzahlung sogleich "heftig und emotional" Stellung genommen, ihm Betrug und Sachwucher vorgeworfen und ihn dabei auch "Betrüger" und "Wucherer" genannt. Dr.H*****, der völlig einseitig und parteilich gehandelt und Dr.S***** - vorverurteilend - auch keine Gelegenheit zu einer Stellungnahme gewährt hätte, habe dabei (ersichtlich unter Anspielung auf das seinerzeitige Strafverfahren gegen die N*****-Manager, in dem Dr.H***** als Beisitzer des Schöffengerichtes und Dr.S***** als Verteidiger fungiert hatten) geäußert: "Ihr N*****-Verteidiger könnt nie genug haben" und "Ich dürfte nicht Richter sein, denn sonst wärst' schon verurteilt, aber Gott sei Dank bin ich ja befangen". Ferner habe Dr.H***** mit einer Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft für den Fall gedroht, daß Dr.S***** das erhaltene Honorar nicht binnen einer Frist von maximal drei Tagen zurückzahlen würde. Bei dieser Gelegenheit habe er auch erfahren, daß Dr.H***** frühere Telefongespräche zwischen Dr.S***** und Mag.Sch***** mit deren Einverständnis mitgehört habe, um Dr.H***** Gelegenheit zum Sammeln von Beweisen zu geben. Nachdem eine von Mag.Sch***** im vorliegenden Zusammenhang erstattete Anzeige (Sachverhaltsdarstellung) von der Staatsanwaltschaft Linz gemäß § 90 Abs 1 StPO zurückgelegt worden war, habe Dr.H***** einige Zeit später bei einem zufälligen Zusammentreffen in einem Linzer Lokal dem Angeklagten gegenüber geäußert, daß dieser "Glück gehabt" hätte.

Einen weiteren Ablehnungsgrund erblickt Dr.S***** in der vom Vorsitzenden Dr.H***** im anhängigen Strafverfahren veranlaßten Übersendung des Strafaktes (zur Einsicht) an den im Ablehnungsantrag als "Betreiber" des gegenständlichen Verfahrens bezeichneten und auch als Zeugen zur Hauptverhandlung geladenen Univ.Prof.Dr.Diethelm K*****.

In seiner (das Vorliegen einer Befangenheit verneinenden) Stellungnahme zu diesem Ablehnungsantrag (siehe 3 f und verso des Antrags- und Verfügungsbogens) bestätigte Dr.H*****, Dr.S***** in der Wohnung seiner früheren Mandantin zur Rede gestellt und ihm vorgehalten zu haben, daß "er sich des schweren gewerbsmäßigen Betruges und des Sachwuchers schuldig gemacht" habe, ihn "Betrüger" und "Wucherer" genannt sowie ihm nach Zurücklegung der Anzeige sinngemäß gesagt zu haben, er hätte "Glück gehabt".

Als nicht richtig bezeichnete Dr.H***** hingegen die "Unterstellungen", er habe Dr.S***** völlig einseitig und unparteilich keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, die N*****-Verteidiger pauschal der Unbescheidenheit bezichtigt, ihn schon vorverurteilt (zumal er - Dr.H***** - in dieser Angelegenheit als in Frage kommender Zeuge von der Verhandlung ausgeschlossen gewesen sei), mit einer Anzeige gedroht (ihm sehr wohl aber die Möglichkeit der tätigen Reue durch Retournierung des zuviel verrechneten Honorars vor Augen geführt) und von der Einstellung des seinerzeitigen Strafverfahrens persönlich betroffen und enttäuscht gewesen zu sein, weil er doch der Geschädigten Mag.Sch***** die (von ihr im Hinblick auf das Kostenrisiko nicht genützte) Möglichkeit der Erhebung einer Subsidiaranklage eröffnet habe. Im übrigen hätte er (Dr.H*****) ohnehin beabsichtigt, den betreffenden Vorfall in der Wohnung der Mag.Sch***** zu Beginn der anberaumten Hauptverhandlung zu erwähnen und seine Unbefangenheit in dem von ihm zu führenden Strafverfahren zu betonen.

Abschließend wies Dr.H***** noch darauf hin, den gegenständlichen Strafakt nicht dem Zeugen Dr.K***** ad personam, sondern zu einem Verwaltungsverfahren (der Universität Linz) gegen den Mitangeklagten W***** wegen des Verdachtes des "Prüfungsschwindels" zur Einsicht zugeleitet zu haben.

Mit Beschluß des Präsidenten des Landesgerichtes Linz vom 4.Oktober 1995, Zl Jv 2717-17c/95 (ON 31 des Vr-Aktes), wurde der Ablehnungsantrag "zurückgewiesen" (der Sache nach: die Ablehnung des Vorsitzenden Dr.H***** für nicht gerechtfertigt befunden). Darin wird die Auffassung vertreten, daß die von Dr.S***** vorgebrachten Gegebenheiten bereits fünf (gemeint vier) Jahre zurücklägen, mit dem gegenständlichen Verfahren nichts zu tun hätten und nach Lage des Falles weder objektiv noch subjektiv geeignet seien, den diensterfahrenen Richter Dr.H***** in seiner Entscheidungsfindung zu beeinflussen. Ebensowenig wurde die bemängelte Aktenübermittlung als taugliche Grundlage dafür angesehen, die Unbefangenheit des Richters Dr.H***** in Zweifel zu ziehen.

Rechtliche Beurteilung

Der bezeichnete Beschluß des Präsidenten des Landesgerichtes Linz steht - wie der Generalprokurator in seiner dagegen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt - im Ergebnis und im wesentlichen Teil seiner Begründung mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Wenngleich in der Begründung des bekämpften Beschlusses ganz allgemein auf die Problematik der objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer Befangenheit eingegangen wird, verkennt sie augenscheinlich die hier maßgebliche Bedeutung der objektiven Gesichtspunkte und demnach den ihnen - fallbezogen - rechtlich zukommenden Stellenwert.

Befangenheit liegt vor, wenn ein Richter an eine Sache nicht mit voller Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit herantritt, somit eine Hemmung zu unparteilicher Entscheidung durch sachfremde psychologische Motive gegeben ist. Zwar verfügt naturgemäß nur der betreffende Richter selbst über den unmittelbaren Zugang zur Erkenntnis eines solchen inneren Zustandes, es kommt jedoch nicht nur darauf an, ob sich der Richter selbst befangen fühlt oder nicht. Vielmehr genügt grundsätzlich schon der äußere Anschein einer Befangenheit, wofür allerdings zureichende Anhaltspunkte gegeben sein müssen, welche die Eignung besitzen, aus objektiver Sicht - das heißt bei einem verständig würdigenden objektiven Beurteiler - die volle Unbefangenheit des Richters in Zweifel zu ziehen (vgl insbesondere 13 Ns 13/92 mit weiteren Judikatur- und Literaturhinweisen; im gleichen Sinn EvBl 1988/153, JBl 1990, 122 und ÖJZ 1990, 188 ff = U EGMR Nr 11/1987/134/188 24.Mai 1989 im Fall Hauschildt gegen Dänemark).

Im Lichte dieser Beurteilungskriterien erweist sich daher die aktuelle Ablehnung des Vorsitzenden Dr.H***** wegen der (die angeblich überhöhten Honorarzahlungen der seinerzeitigen Mandantin des Dr.S***** betreffenden) vom Vorsitzenden zugestandenen Vorgänge als gerechtfertigt; stellen diese doch unmißverständlich eine (mehrere Monate anhaltende und zudem bloß etwa vier Jahre zurückliegende) Parteinahme des Vorsitzenden gegen den Angeklagten Dr.S***** dar, die bei einem verständig würdigenden objektiven Beurteiler den äußeren Anschein einer Befangenheit des Vorsitzenden in der gegenständlichen Strafsache entstehen läßt. Daß sich einem solchen Eindruck nicht einmal der (sich gleichwohl subjektiv nicht als befangen erachtende) Vorsitzende Dr.H***** selbst entziehen konnte, zeigt dessen Vorhaben, eingangs der Hauptverhandlung seine Unvoreingenommenheit besonders hervorzuheben.

Angesichts der solcherart gerechtfertigten Ablehnung des Vorsitzenden Dr.H***** verstößt der Beschluß des Präsidenten des Landesgerichtes Linz gegen das Gesetz, weshalb in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde spruchgemäß zu entscheiden war.

Anzumerken ist indes, daß die vom Angeklagten Dr.S***** ins Treffen geführte Aktenübersendung die Ablehnung des Schöffensenatsvorsitzenden nicht rechtfertigen könnte.

Das Aktenübersendungsersuchen (ON 25) wurde zwar von dem in der Anklageschrift als Zeugen beantragten Univ.Prof.Dr.Diethelm K***** unterfertigt (und ersichtlich auch verfaßt), jedoch "im Auftrag und im Namen des derzeit nicht in Linz weilenden Präses der Zweiten Rechtswissenschaftlichen Diplomprüfungskommission an der Universität Linz", Univ.Prof.Dr.H*****, der - wie auch aus Aktenkopien beim Gerichtsakt ersichtlich - ein Verwaltungsverfahren gegen den im vorliegenden Gerichtsverfahren gleichfalls angeklagten Ernst W***** wegen Ungültigerklärung einer Prüfung zu führen hat. Es handelt sich demnach um ein Amtshilfeersuchen der Universität Linz, dem das Gericht in Erfüllung der aus Art 22 B-VG erfließenden Verpflichtung nachzukommen hatte; daraus kann keine Befangenheit abgeleitet werden.

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