OGH 8Ob63/00y

OGH8Ob63/00y26.4.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer als Vorsitzende und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer, Dr. Spenling und Dr. Kuras als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadt Wien, vertreten durch Dr. Johann Stöhr, Rechtsanwalts KG in Wien, wider die beklagte Partei K*****, vertreten durch Dr. Christian Kuhn und Dr. Wolfgang Vanis, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 285.270 sA und Feststellung (Streitwert S 360.000), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 25. November 1999, GZ 13 R 74/99v-10, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 19. Februar 1999, GZ 53 Cg 54/98w-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S

30.243 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin S 5.040,50 Umsatzsteuer) und die mit S 48.290 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 3.630 Umsatzsteuer und S 26.510 Barauslagen) jeweils binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Angelika E***** wurde am 23. Juni 1992 geboren. Infolge eines bei ihrer Geburt im S***** Krankenhaus unterlaufenen ärztlichen Kunstfehlers leidet sie an einer schweren psychomotorischen Retardierung, weshalb sie nicht alleine essen kann, mit breiiger Kost gefüttert werden muss und ständiger Aufsicht und Pflege bedarf. Es ist damit zu rechnen, dass das Mädchen auch in Zukunft permanente Aufsicht und Pflege benötigt und selbständig kaum Tätigkeiten durchführen kann. Spätestens seit 9. November 1993 wusste die Mutter, dass der Zustand ihrer Tochter durch einen ärztlichen Kunstfehler verursacht wurde.

Am 21. Juni 1995 brachte die mj. Angelika E*****, vertreten durch ihren Sachwalter, beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien zu 23 Cg 150/95p eine Feststellungsklage ein; mit in Rechtskraft erwachsenem Versäumungsurteil vom 4. Oktober 1995 wurde die Verpflichtung der beklagten Partei festgestellt, der Minderjährigen "alle kausalen Folgeschäden aus der Geburt vom 23. 6. 1992" zu ersetzen.

Am 16. Juni 1995 beantragte die mj. Angelika E***** die Gewährung von Pflegegeld nach dem Wiener Pflegegeldgesetz (WPGG).

Mit Bescheid bzw Mitteilung vom 16. November 1995, GZ MA 12-2622/95 erkannte die klagende Partei der Minderjährigen ab (einschließlich) Juni 1995 Pflegegeld zu.

Mit Schreiben vom 25. Mai 1998 gab die beklagte Partei gegenüber der klagenden Partei folgende Erklärung ab:

"Verzicht auf die Einrede der Verjährung

Der/die unterzeichnete

K*****,

gibt hiermit die Erklärung ab, den Schadenersatzansprüchen des/der

Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 12, Referat Pflegegeld, Gonzagagasse 23, 1010 Wien

aus dem bezeichneten Schadenfall die Einrede der Verjährung nicht entgegenzuhalten. Es wird zur Kenntnis genommen, dass eine dennoch erhobene Verjährungseinrede gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen würde.

Dieser Verjährungsverzicht beinhaltet kein Anerkenntnis über Grund und Höhe der gestellten Ansprüche.

Dieser Verjährungsverzicht gilt, soweit nicht bereits Verjährung eingetreten ist.

Wien, am 25. 5. 1998..."

Mit der am 21. September 1998 erhobenen Klage begehrt die klagende Partei die Leistung von S 285.270 sA sowie die Feststellung, dass ihr die beklagte Partei alle in Zukunft fällig werdenden Pflegegeldbeträge nach dem WPGG bezüglich der mj. Angelika E***** in vollem Umfang zu ersetzen habe. Die Ersatzpflicht der beklagten Partei für alle Folgeschäden aus der Geburt der Minderjährigen sei rechtskräftig festgestellt worden; zu diesen Folgeschäden zählten auch die Pflegekosten. Dieser Anspruch sei gemäß § 13 WPGG auf die klagende Partei übergegangen. Es liege ein Verjährungsverzicht der beklagten Partei vor.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wandte Verjährung ein. Der Schaden sei bereits zum Zeitpunkt der Geburt erkennbar gewesen, weshalb die Verjährung mit 23. Juni 1995 eingetreten sei. Nur gegenüber der Geschädigten sei der Eintritt der Verjährung durch das Versäumungsurteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien verhindert worden. Der Verjährungsverzicht der beklagten Partei vom 25. Mai 1998 gelte aber nur insoweit, als nicht bereits Verjährung eingetreten sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Verjährungsverzicht vom 25. Mai 1998 könne nur so verstanden werden, dass er auch die zu diesem Zeitpunkt verjährten Ansprüche umfasse, weil er ansonsten sinnlos gewesen wäre.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das Ersturteil im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens ab. Es sprach aus, dass der Wert des Feststellungsbegehrens S 260.000 übersteige und dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Die Mutter habe spätestens am 9. November 1993 von dem bei der Geburt ihres Kindes unterlaufenen ärztlichen Kunstfehler erfahren; mit diesem Zeitpunkt beginne die Verjährung für alle Ansprüche aus diesem Haftungsgrund. Die Legalzession erfolge nach dem WPGG zu dem Zeitpunkt, zu dem der Pflegegeldträger Leistungen zu erbringen habe. Nach § 7 Abs 1 WPGG idF LGBl 66/95 sei dies der Beginn des Monats gewesen, in dem der Antrag gestellt worden sei, sohin auch der im Bescheid genannte 1. Juni 1995. Im Vorprozess sei die Klage der Minderjährigen gegen die beklagte Partei erst am 21. Juni 1995 und damit nach dem Übergang der Ansprüche auf den Träger des Pflegegeldes eingebracht worden. Da sich die Wirkung des einem Feststellungsbegehren des Geschädigten stattgebenden Urteils - auch für die Zukunft - nur auf den dem Geschädigten verbleibenden Teil des Anspruches erstrecke, während der vorher auf den Legalzessionar übergegangene Anspruch nicht erfasst werde, habe es keine Wirkung auf den nunmehr geltend gemachten Anspruch der klagenden Partei gehabt, für den durch den Übergang keine neue Verjährungsfrist in Lauf gesetzt worden sei. Der Verjährungsverzicht der beklagten Partei vom 25. Mai 1998 erstrecke sich nach seinem klaren Wortlaut nur auf die zu diesem Zeitpunkt noch nicht verjährten Ansprüche; die Erklärung sei nicht sinnlos, weil sie in ihrer prozessualen Wirkung mit der eines Feststellungsurteils vergleichbar sei.

Die ordentliche Revision sei nicht zuzulassen, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Höchstgerichtes nicht abgewichen sei und die Interpretation der Erklärung der beklagten Partei keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung habe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der klagenden Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne der Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichtes abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Zum Zeitpunkt der Einbringung der auf Feststellung der Ersatzpflicht der beklagten Partei für alle kausalen Folgeschäden aus dem Ereignis vom 23. Juni 1992 gerichteten Klage durch die mj. Angelika E***** am 21. Juni 1995 galt noch das WPGG in der Stammfassung LGBl 42/1993, da die Novelle LGBl 66/1995, mit der der den Übergang von Schadenersatzansprüchen regelnde § 13 Abs 1 WPGG geändert wurde, erst am 1. Juli 1995 in Kraft trat. Nach § 13 Abs 1 WPGG idF LGBl 42/1993 ging der Anspruch über, soweit der Pflegegeldträger Pflegegeld leistet oder dessen Leistung mit einer Mitteilung gemäß § 4 Abs 4 WPGG zugesagt hat. Der Antrag auf Pflegegeld für die mj. Angelika E***** wurde am 16. Juni 1995 eingebracht. Mit Bescheid bzw Mitteilung GZ MA 12-2622/95 vom 16. November 1995 erkannte die klagende Partei der Minderjährigen erstmals Pflegegeld zu. Da nach der zum Zeitpunkt der Einbringung der Feststellungsklage im Vorprozess geltenden Rechtslage der Übergang des Anspruches auf die klagende Partei als Träger des Pflegegeldes daher am 21. Juni 1995 noch nicht eingetreten war, hat die von der Geschädigten eingebrachte Feststellungsklage die Verjährung auch zugunsten der klagenden Partei unterbrochen (siehe RIS-Justiz RS0034606, zuletzt 2 Ob 159/00x).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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