Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 6.695,04 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 1.115,84, keine Barauslagen) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung
Am 4. 12. 1996 ereignete sich im Gemeindegebiet von Ötztal-Bahnhof auf der Kreuzung Industriestraße/Wiesenrainstraße ein Verkehrsunfall, an dem die Klägerin und der Erstbeklagte mit ihren PKWs beteiligten waren. Dabei wurde die Klägerin verletzt und wurden beide Fahrzeuge beschädigt.
Die Klägerin begehrt den Ersatz ihrer Schäden mit der Begründung, den Erstbeklagten treffe das Alleinverschulden am Unfall, weil er unter Missachtung des Vorrangzeichens "Vorrang geben" in die Kreuzung eingefahren sei.
Die beklagten Parteien wendeten ein, es sei an der Kreuzung kein Verkehrszeichen, insbesondere keine Verkehrstafel "Vorrang geben", vorhanden gewesen. Beim Einfahren in die Kreuzung habe der Erstbeklagte das von links kommende Fahrzeug der Klägerin bemerkt, aber trotz sofortiger Reaktion eine Kollision nicht mehr verhindern können. Die Klägerin habe den Rechtsvorrang des Erstbeklagten verletzt, weshalb sie das Alleinverschulden am Unfall treffe.
Das Erstgericht stellte fest, das Klagebegehren bestehe mit S 37.916,86 zu Recht, die eingewendete Gegenforderung bestehe bis zu dieser Höhe ebenfalls zu Recht; es wies daher das Klagebegehren ab.
Dabei wurden im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Die Wiesenrainstraße ist gegenüber der Industriestraße durch das Vorschriftszeichen "Vorrang geben" abgewertet; ob dieses Vorrangzeichen zum Unfallszeitpunkt angebracht war, konnte nicht festgestellt werden. Die Klägerin befuhr die Industriestraße; es war ihr bekannt, dass die Wiesenrainstraße durch ein Vorrangzeichen gegenüber der Industriestraße abgewertet ist. Als sie noch ca 20 bis 30 m von der späteren Unfallstelle entfernt war, nahm sie das von rechts von der Wiesenrainstraße in die Kreuzung einfahrende Fahrzeug des Erstbeklagten wahr; sie lenkte nach links aus und leitete eine Vollbremsung ein, konnte die Kollision jedoch nicht mehr verhindern.
Der Erstbeklagte, welcher die Vorrangverhältnisse an der Kreuzung nicht kannte, fuhr auf der Wiesenrainstraße und beabsichtigte, die Industriestraße richtungsbeibehaltend zu überqueren. Als er in die Kreuzung einfuhr, nahm er aus einer Entfernung von ca 20 bis 30 m das sich von links nähernde Fahrzeug der Klägerin wahr; auch er leitete eine Vollbremsung ein, konnte die Kollision aber nicht mehr verhindern.
In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, dass keinem der am Unfall beteiligten Lenker ein Verschulden am gegenständlichen Unfall vorgeworfen werden könne. Es habe daher eine verschuldensunabhängige Schadensteilung gemäß § 11 EKHG im Verhältnis von 1:1 zu erfolgen.
Das von allen Parteien angerufene Berufungsgericht änderte die angefochtene Entscheidung dahin ab, dass es feststellte, das Klagebegehren bestehe mit S 75.833,72 zu Recht, nicht hingegen die eingewendete Gegenforderung; es verurteilte daher die beklagten Parteien zur Zahlung von S 75.833,72 sA. Es sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig.
In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht aus, dass auch in den Fällen, in denen - wie hier - ein ursprünglich ordnungsgemäß aufgestelltes (= kundgemachtes) Verkehrszeichen ohne Zutun der Behörde beseitigt werde, damit nicht die der Aufstellung des Verkehrszeichens zugrundeliegende Verordnung außer Kraft trete (RIS-Justiz RS0075321). Daraus folge, dass sich die Klägerin gegenüber dem Erstbeklagten gemäß § 19 Abs 4 StVO im Vorrang befunden habe. Dem Erstbeklagten könne allerdings in dieser Situation dann kein Verschulden angelastet werden, wenn er wegen der Beseitigung des entsprechenden Vorschriftszeichens unverschuldet keine Kenntnis von der erlassenen und von ihm zu befolgenden Verordnung habe (ZVR 1974/87). Nach der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (2 Ob 181/97z; 2 Ob 76/97h; 2 Ob 218/98p; 2 Ob 304/99s und 7 Ob 82/00k) treffe bei der Verletzung eines Schutzgesetzes den Geschädigten die volle Beweislast für den Schadenseintritt und die Verletzung des Schutzgesetzes als solches; dabei sei der Nachweis der Tatsache ausreichend, dass die Schutznorm objektiv übertreten worden sei. Der Schädiger habe hingegen zu beweisen, dass ihm die objektive Übertretung des Schutzgesetzes nicht als schutzgesetzbezogenes Verhaltensunrecht anzulasten sei.
Im vorliegenden Fall stehe fest, dass die von der Klägerin benützte Industriestraße gegenüber der vom Erstbeklagten befahrenen Wiesenrainstraße gemäß § 19 Abs 4 StVO bevorrangt gewesen sei. Der Klägerin sei damit der Nachweis eines objektiven Sorgfaltsverstoßes des Erstbeklagten gelungen. Dass dem Erstbeklagten diese objektive Übertretung des Schutzgesetzes nicht als schutzgesetzbezogenes Verhaltensunrecht anzulasten sei, hätten die beklagten Parteien nicht beweisen können.
Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht für zulässig, weil zur Frage, zu wessen Lasten sich eine Negativfeststellung zum Vorhandensein eines Vorrangzeichens auswirke, keine oberstgerichtliche Rechtsprechung vorliege und den zitierten jüngeren Entscheidungen zur Frage der Beweislast bei Verletzung von Schutzgesetzen im Zusammenhang mit Straßenverkehrsunfällen anders gelagerte Sachverhalte zugrunde gelegen seien.
Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Parteien mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde; die Klägerin hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, das Rechtsmittel der beklagten Parteien zurückzuweisen, in eventu, ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage - der gegenteilige Ausspruch des Berufungsgerichtes ist nicht bindend - nicht zulässig.
Die Entscheidung des Berufungsgerichtes entspricht nämlich der von ihm selbst zitierten ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes.
Richtig ist zwar, dass sich ein Kraftfahrer nicht darauf verlassen darf, dass seit seiner letzten Fahrt über eine Verkehrsfläche die Verhältnisse, insbesondere auch die dort aufgestellten Verkehrszeichen, keine Änderung erfahren haben (RIS-Justiz RS0073303; ZVR 1981/263). Eine der Aufstellung eines Verkehrszeichens zugrundeliegende (mit der Aufstellung kundgemachte) Verordnung tritt aber nicht dadurch außer Kraft, dass das ursprünglich ordnungsgemäß aufgestellte Verkehrszeichen ohne Zutun der Behörde beseitigt wird (RIS-Justiz RS0074321; ZVR 1987/51; ZVR 1983/338;
Dittrich/Stolzlechner, Österr Straßenverkehrsrecht3, Rz 19 zu § 44 StVO). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der in der Revision zitierten Entscheidung VwSlg NF 9283A. Sie betrifft einen Verstoß gegen § 48 StVO bei der Anbringung eines Straßenverkehrszeichens, nicht aber die Beseitigung eines solchen. Zutreffend hat das Berufungsgericht auch im Sinne der ständigen Rechtsprechung dargelegt, dass dann, wenn ein Schadenersatzanspruch auf die Verletzung eines Schutzgesetzes gestützt wird, der Geschädigte den Schadenseintrit und die Verletzung des Schutzgesetzes als solche zu beweisen hat. Den Nachweis, dass ihm die objektive Übertretung des Schutzgesetzes nicht als schutzgesetzbezogenes Verhaltensunrecht anzulasten ist, hat jedoch der Schädiger zu erbringen (RIS-Justiz RS0112234; ZVR 1999/99 = ecolex 2000, 42). Dass nicht festgestellt werden konnte, ob das Verkehrszeichen im Unfallszeitpunkt vorhanden war, geht daher zu Lasten der Beklagten.
Die Entscheidung des Berufungsgerichtes entspricht sohin der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, weshalb die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht gegeben sind.
Das Rechtsmittel der beklagten Parteien war deshalb zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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