OGH 2Ob291/00h

OGH2Ob291/00h7.12.2000

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj Athanasios-Filipp K*****, geboren am 22. Februar 1996, derzeit in vorläufiger Obsorge der Mutter Doris K*****, wegen vorläufiger Obsorge bzw wegen Rückführung des Minderjährigen nach dem Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung über die außerordentlichen Revisionsrekurse des Vaters Stefanos A. K*****, vertreten durch Fürst & Domberger, Rechtsanwälte Kommanditpartnerschaft in Mödling, gegen die Beschlüsse des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 20. Jänner 2000, GZ 19 R 1/00h-31, sowie vom 20. September 2000, GZ 16 R 138/00-71, womit 1. der Beschluss des Bezirksgerichtes Mödling vom 13. Dezember 1999, GZ 2 P 281/99f-25, abgeändert wurde, und 2. der Beschluss des Bezirksgerichtes Mödling vom 25. Mai 2000, GZ 2 P 281/99f-60, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Beiden außerordentlichen Revisionsrekursen wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Rekursgerichtes vom 20. Jänner 2000 (ON 31) wird dahin abgeändert, dass er zu lauten hat:

"Der Antrag der Mutter, ihr die vorläufige Obsorge über den mj Athanasios-Filipp K*****, geboren am 22. Februar 1996, zuzuteilen, wird abgewiesen".

Die Beschlüsse der Vorinstanzen über den Rückgabeantrag des Vaters nach dem Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (ON 60 und ON 71) werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Revisionsrekursbeantwortung der Mutter (ON 62) wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Der Minderjährige ist das eheliche Kind der Doris und des Stefanos K*****. Das Kind ist österreichischer Staatsbürger. Die zwischen den Eltern am 22. 12. 1987 vor dem Standesamt Mödling geschlossene Ehe ist nach wie vor aufrecht, ein Scheidungsverfahren ist anhängig. Der Minderjährige lebte seit seiner Geburt in Griechenland. Am 16. September 1999 reiste die Mutter mit dem Kind nach Österreich und kehrte nicht mehr zurück. Sie wohnt nunmehr mit ihrem Sohn in M*****.

Am 1. Oktober 1999 stellte die Mutter den Antrag, ihr die alleinige Obsorge zu übertragen sowie eine einstweilige Verfügung in diesem Sinn zu erlassen. Der Vater sei 1997 aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen, habe sich aber trotzdem, vor allem um das Wochenende, um das Kind gekümmert. Seit dieser Zeit sei er auch gewalttätig geworden und habe die Mutter vulgär beschimpft, dies vor dem Kind. Der Vater habe die Mutter sogar aus der Wohnung ausgesperrt, sie nicht zu dem Kind gelassen, obwohl dieses nach ihr geschrien habe. Am 16. September 1999 seien ihr die Beschimpfungen zuviel geworden; sie habe mit ihrem Sohn Griechenland verlassen, um von nun an in Österreich zu leben. Das Kind sei bei ihr gut aufgehoben und wohne mit ihr in einer Mietwohnung. Es besuche den Kindergarten und fühle sich wohl. Von ihrem Mann fühle sie sich bedroht; sie befürchte, dass er seinen Sohn eventuell gewaltsam nach Griechenland zurückholen könne.

Das Erstgericht wies mit Beschluss vom 7. Oktober 1999 den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ab. Eine konkrete Gefährdung, dass der Vater das Kind eventuell gewaltsam nach Griechenland zurückholen werde, sei nicht bescheinigt. Zur endgültigen Obsorgezuteilung sei die Anhörung und Miteinbeziehung des Vaters erforderlich.

Das Rekursgericht hob über Rekurs der Mutter diesen Beschluss auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Eine Gefährdung des Kindeswohls liege auch dann vor, wenn die Gefahr der Verbringung des Kindes ins Ausland bestehe. Aber auch die Tatsache, dass zu erwarten sei, dass die Eltern wieder aufeinander träfen und das Kind bei Gewaltakten oder Beschimpfungen gegen die Mutter anwesend wäre, könne das Kindeswohl gefährden.

Mit Beschluss vom 26. November 1999 (ON 20) trug das Erstgericht dem Vater die Namhaftmachung eines in Österreich wohnhaften Zustellungsbevollmächtigten sowie eine Äußerung zum Obsorgeübertragungsantrag auf (ON 21).

Mit Beschluss vom 13. Dezember 1999 (ON 25) wies das Erstgericht den Antrag auf Übertragung der vorläufigen Obsorge an die Mutter neuerlich ab.

Es stellte unter anderem fest, dass der Vater, seitdem die Mutter Griechenland verlassen habe, mehrmals angefragt habe, wann sie wiederzurückkomme. Die Mutter habe auf Anraten ihrer Anwältin gesagt, dass sie in ärztlicher Behandlung sei, um den Vater vorerst hinzuhalten. Die Drohungen des Vaters hätten nur darin bestanden, dass er gesagt habe, das Kind haben zu wollen und zu keiner Scheidung bereit zu sein. Er wolle es der Mutter nicht ermöglichen, sich länger in Österreich aufzuhalten und das Kind nach Möglichkeit zurückholen. Die Mutter habe dem Vater derzeit noch immer nicht mitgeteilt, dass sie nicht mehr nach Griechenland zurückkehren wolle. In der Vergangenheit sei der Vater der Mutter gegenüber gewalttätig geworden, indem er sie, teilweise vor den Augen des Kindes, geschlagen und einmal beinahe die Stiegen hinuntergestoßen habe. Bei dieser Gelegenheit habe er ihr das Kind entrissen und in die Wohnung hineingestoßen. Im Sommer 1999 habe der Vater auf die Mutter eingeschlagen, weil diese das Kind während einer Autofahrt nicht in den Kindersitz, sondern angeschnallt auf ihren Schoß gesetzt habe, da er der Meinung gewesen sei, das Kind werde dadurch gefährdet. Diese Szene sei vom Kind wahrgenommen worden, weshalb es in der folgenden Nacht nicht schlafen habe können. Im Frühjahr 1999 habe die Mutter auch einmal die Misshandlungen des Vaters angezeigt, diese Anzeige aber auf Grund seiner Drohung, sie werde irgendwann in Griechenland in einer "Gstättn" landen, wieder zurückgezogen. Durch das Verhalten des Vaters sei das Kind aber noch nie in irgend einer Weise verletzt worden. Das gewaltsame Verhalten des Vaters habe schon jahrelang angedauert, die Mutter habe den Vater bereits einmal im Jahr 1991 verlassen gehabt.

Das Rekursgericht teilte mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss ON 31, der dem Vater (erst) am 27. April 2000 zugestellt wurde, die vorläufige Obsorge der Mutter zu und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Durch die Ankündigung des Vaters, das Kind haben und nach Möglichkeit zurückholen zu wollen, bestehe die konkrete Gefahr der Verbringung des Kindes in das Ausland mit den damit verbundenen nachteiligen Folgen. Schon aus diesem Grund sei die einstweilige Obsorge der Mutter zuzuteilen. Nicht von Bedeutung sei, auf welche Weise das Kind nach Österreich verbracht worden sei, weil stets das Kindeswohl zu beachten sei. Hier sei von Bedeutung, dass das noch nicht vierjährige Kind bei seiner Hauptbezugsperson verbleibe. Dies sei hier der Fall, weil es bereits in Griechenland seit zwei Jahren nur mit seiner Mutter gelebt habe, während der Vater sich vor allem nur am Wochenende um seinen Sohn gekümmert habe.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters (ON 55) vom 11. Mai 2000 (ON 55), (der dem Obersten Gerichtshof allerdings erst am 10. November 2000 vorgelegt wurde), mit dem Antrag, diesen für zulässig zu erklären und die Entscheidungen der Vorinstanzen dahingehend abzuändern, dass der Antrag der Kindesmutter, ihr mit einstweiliger Verfügung die einstweilige alleinige Obsorge für den mj Athanasios-Filipp K***** zu übertragen, abgewiesen werde.

Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Am 21. April 2000 langte die Mitteilung des Bundesministeriums für Justiz ein, dass ein Rückgabeantrag des Vaters nach dem Haager Übereinkommen vom 25. 10. 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung eingelangt sei.

Am 27. April 1980 kam der Vater anlässlich einer Scheidungsverhandlung zu Gericht, wo ihm der Beschluss des Erstgerichtes und der angefochtene Beschluss (ON 25 und 31) ausgefolgt wurden. Er erklärte, einen österreichischen Rechtsanwalt zu bestellen und gab seine Mobiltelefonnummer bekannt. Nach Vollmachtsbekanntgabe lud das Erstgericht mit Verfügung vom 5. Mai 2000 den Vater für den 12. Mai 2000 per Adresse seines Vertreters. Am 11. Mai 2000 langte ein Antrag des Vertreters des Vaters auf Verlegung der Tagsatzung vom 12. Mai 2000 ein, weil der Vater die Ladung erst am 11. Mai 2000 erhalten habe und die kurzfristige Buchung eines Fluges von Griechenland nach Wien nicht möglich gewesen sei. Vorgeschlagen wurde der 26. Mai 2000, an welchem Tag der Vater zu jeder Zeit zu Gericht kommen könne.

Mit Schriftsatz vom 18. Mai 2000 (ON 56) erstattete der Vater durch seinen Vertreter eine Äußerung mit dem Ersuchen, diese zu seiner Aussage zu erheben. Die Behauptung der Mutter, der Vater habe nur bis 1997 mit dem gemeinsamen Kind und ihr gemeinsam gelebt, sei aber etwa im Jahre 1997 aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen, sei unrichtig. Die Eheleute hätten vor etwa zwei Jahren ihre ursprüngliche Wohnung gemeinsam aufgegeben, und seien in das Haus seiner Mutter gezogen. Die Mutter sei deutscher Abstammung und spreche wie auch der Vater perfekt Deutsch als auch Griechisch. Die Übersiedlung in das Haus der Mutter sei deshalb erfolgt, weil das Haus weitgehend unbewohnt gewesen sie und dem Minderjährigen neben einer größeren Fläche im Haus und einem eigenen Kinderzimmer auch ein großer eigener Garten zur Verfügung stehe. Die Kindesmutter sei zur Erziehung des Kindes weitaus schlechter geeignet als der Vater, dem noch die volle Unterstützung seiner Mutter im gemeinsamen Haushalt offenstehe. Die Mutter konsumiere Drogen und nehme das Kind auch zu Drogenpartys mit. Die Angaben der Kindesmutter betreffend die angebliche Gewalttätigkeit des Vaters seien unrichtig, er habe nie mit Gewalttätigkeiten gedroht, wohl aber die Mutter mit berechtigt scharfen Worten aufgefordert, das Kind zurückzugeben. Die Behauptung, elektrische Werkzeuge lägen herum, sei unrichtig; der Vater lebe in Griechenland in äußerst geordneten und wohl gestalteten Lebensverhältnissen, während die Mutter einkommens- und vermögenslos sei. Der Vater besitze zwar zwei Gewehre und eine Pistole, verfüge jedoch über sämtliche Berechtigungen und sei mit anderen Jagdkollegen zwei- bis dreimal pro Jahr auf Jagd. Die Waffen seien ordnungsgemäß in einem Waffenschrank versperrt verwahrt, eine Bedrohung durch diese Geräte habe nicht einmal die Kindesmutter behauptet. Unrichtig sei auch, dass es zu wortstarken Beschimpfungen und Schreiduellen gekommen sei, die das Kind hätte ansehen müssen.

Das Erstgericht vernahm daraufhin nur die Mutter zum Rückführungsantrag am 23. Mai 2000 und wies mit Beschluss vom 25. Mai 2000 (ON 60) den Antrag auf Rücküberführung des Kindes an den Vater ab. Es stellte fest, dass der Vater im Jahr 1997 aus der gemeinsamen Ehewohnung in Larissa G***** ausgezogen sei und die Mutter mit dem Kind dort zurückgelassen habe. Seither habe die Mutter mit dem Kind allein in der Ehewohnung gelebt, der Vater sei in das Haus seiner Mutter gezogen. Seit dem Auszug des Vaters aus der ursprünglich gemeinsamen Wohnung sei die Betreuung des Kindes faktisch von der Mutter allein ausgeübt worden, der Kontakt zum Vater sei schlecht gewesen, die Besuchskontakte des Vaters zum Kind seien spontan und unregelmäßig gewesen, die von der Mutter und dem Kind bewohnte Wohnung sei bis zuletzt vom Vater allein bezahlt worden, weshalb er immer wieder die Wohnung aufgesucht habe, wobei es oft zu Streitigkeiten gekommen sei. Am 20. September 1999 sei die Mutter mit Wissen des Vaters mit dem Kind nach Österreich gereist, einerseits, um Sommerferien zu verbringen, andererseits, um ihre Rückenprobleme ärztlich behandeln zu lassen.

Das Erstgericht erörterte im Rahmen dieses Beschlusses rechtlich, dass nach dem hier maßgeblichen griechischen Recht während aufrechter Ehe beiden Elternteilen die Obsorge für das Kind zustehe. Die Mutter habe nachgewiesen, dass der Vater das Sorgerecht zur Zeit des Verbringens tatsächlich nicht ausgeübt habe, weshalb die Rückgabe des Kindes nicht anzuordnen gewesen sei.

Mit dem weiteren angefochtenen Beschluss vom 20. September 2000 (ON 71) bestätigte das Rekursgericht den Beschluss des Erstgerichtes vom 25. Mai 2000 und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Ob der Vater das Obsorgerecht tatsächlich ausgeübt habe, sei nicht entscheidungswesentlich. Zwar sei erklärtes Ziel des Übereinkommens, die internationale Zusammenarbeit bei Kindesentführungen zu verstärken, um das gestörte Sorgeverhältnis so rasch wie möglich wiederherzustellen, weshalb der Wunsch Vorrang habe, die Wiederherstellung der durch den Entführer veränderten Situation zu garantieren, doch lasse das Abkommen bestimmte Ausnahmen von der allgemeinen Verpflichtung der Staaten zu, die sofortige Rückgabe der widerrechtlich verbrachten oder zurückgehaltenen Kinder sicherzustellen. So sei die Behörde zur sofortigen Rückgabe des Kindes dann nicht verpflichtet, wenn die Rückgabe mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden sei oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage bringe. Das konkrete Kindeswohl habe den Vorzug vor dem vom Übereinkommen angestrebten Ziel. Es sei nicht unbeachtlich, dass sich das Kind mit seiner Mutter am neuen Aufenthaltsort eingelebt habe, hier den Kindergarten besuche und sozial integriert sei. Die Herausnahme des erst vierjährigen Kindes aus der gewohnten mütterlichen Obhut sei mit einer Destabilisierung und Beeinträchtigung des Kindeswohles verbunden, wenn die Mutter seit nunmehr einem Jahr die einzige Bezugsperson und seit seiner Geburt die Hauptbezugsperson gewesen sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der weitere außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen zu beheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des gesetzlichen Verfahrens aufzutragen.

Rechtliche Beurteilung

Beide Revisionsrekurse sind zulässig und berechtigt.

1. Zum Revisionsrekurs gegen den Beschluss ON 31 (Übertragung der vorläufigen Obsorge an die Mutter):

Zunächst ist auf die Frage des anzuwendenden Rechts einzugehen. Der erstgerichtliche Beschluss vom 13. Dezember 1999 erging noch vor Einlangen des Rückführungsantrages. Das Kind ist nach dem Akteninhalt österreichischer Staatsbürger. Nach dem hier anzuwendenden Haager Minderjährigenschutzabkommen (BGBl 1975/446) sind gesetzliche Gewaltverhältnisse, wie kraft Gesetzes bestehende elterliche Obsorge, gemäß Art 3 in allen Vertragsstaaten nach den Sachnormen des Heimratrechtes des Kindes zu beurteilen. Nach österreichischem Sachrecht fallen darunter alle gerichtlichen Eingriffe in das elterliche Obsorgeverhältnis zu allen Kindern (Schwimann, Internationales Privatrecht2, 130). Primär und verpflichtend zuständig für Minderjährigenschutzmaßnahmen sind nach Art 1 die Behörden des Staates des gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes (Schwimann aaO). Danach ist sowohl nach dem Recht des Aufenthaltsortes des Kindes (Österreich) als auch nach dem Heimatrecht des Kindes österreichisches Recht anzuwenden.

Gemäß § 176 ABGB können bei akuter Gefährdung des Kindes vorläufige Maßnahmen getroffen werden. Voraussetzung ist eine derart akute Gefährdung, die ein sofortiges Eingreifen erfordert (vgl Schwimann in Schwimann ABGB2 Rz 18 zu § 176 mwN).

Das Erstgericht hat eine derartige akute Gefährdung des Kindeswohls, die eine vorläufige dringende Maßnahme rechtfertigen würde, nicht angenommen.

Das Rekursgericht hat allein aus der telefonischen Ankündigung des Vaters, er wolle sein Kind zurückholen, die Gefahr der Verbringung des Kindes in das Ausland angesehen. Dass dies "mit Gewalt" erfolgen solle, wird zwar von der Mutter behauptet, doch spricht die Vorgangsweise des Vaters, der von der Mutter ja bis Ende Dezember im Unklaren gelassen wurde, ob sie wieder nach Griechenland zurückkehren wolle, durch Stellung eines ordnungsgemäßen Rückgabeantrages im Sinne des Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung BGBl 1988/512 dagegen. Im Gegenteil, die Kindesmutter gab an, den Vater zunächst hinzuhalten, bis sie eventuell die "vorläufige Obsorge" durchgesetzt habe. Da bereits ohnehin ein Rückgabeverfahren nach dem erwähnten Abkommen anhängig ist und sonstige akut das Kindeswohl gefährdenden Umstände nicht festgestellt wurden, die eine dringend notwendige vorläufige Maßnahme erforderlich machen, war der Antrag der Mutter abzuweisen.

Verwiesen wird allerdings auf Art 16 des Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung BGBl 1988/512, wonach eine Sachentscheidung über das Sorgerecht erst getroffen werden darf, wenn entschieden ist, dass das Kind auf Grund dieses Übereinkommens nicht zurückzugeben ist.

2. Zum außerordentlichen Revisionsrekurs gegen den Beschluss ON 60 (Verweigerung der Rückgabe nach dem Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung):

Der Revisionsrekurswerber rügt die Verletzung des rechtlichen Gehörs. Der Mutter sei die Gelegenheit gegeben worden, zum Vorbringen des Vaters einvernommen zu werden und neue Behauptungen und Beweismittel anzubieten. Seine Äußerung vom 17. Mai 2000 sei infolge technischer und sprachlicher Barrieren unvollständig. Der Beschluss verstoße gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf rechtliches Gehör. Dem kann nicht gefolgt werden:

Zwar bildet die Verletzung des rechtlichen Gehörs auch im Außerstreitverfahren eine Nichtigkeit (7 Ob 573/99), doch ist einer Partei rechtliches Gehör schon dann gegeben, wenn sie sich nur schriftlich äußern konnte (RZ 1983/62). Der Mangel des rechtlichen Gehörs im Außerstreitverfahren in erster Instanz wird auch behoben, wenn Gelegenheit bestand, den eigenen Standpunkt im Rekurs zu vertreten (SZ 46/53 uva). Der Nichtigkeitsgrund liegt außerdem nur bei Verletzung des rechtlichen Gehörs vor, nicht aber schon dann, wenn ein Beteiligter - wie hier - bloß zu einzelnen Beweisergebnissen nicht gehört wurde. Darüber hinaus ist zu beachten, dass eine auf Grund des Übereinkommens BGBl 1988/512 über die Rückgabe des Kindes getroffene Entscheidung nach Art 19 des Übereinkommens nicht als Entscheidung über das Sorgerecht anzusehen ist. Die Entscheidungen im Sinne dieses Übereinkommens sind nur vorläufiger Natur und können der endgültigen Sorgerechtsentscheidung nicht vorgreifen. Die zwingende Anhörung des Antragstellers zu Beweisergebnissen würde dem Wesen eines derart schnell durchzuführenden Verfahrens widersprechen (7 Ob 573/90).

Das Kind wurde am 16. 9. 1999 aus Griechenland verbracht. Der Rückführungsantrag des Vaters langte am 21. 4. 2000 beim Erstgericht ein, also innerhalb der Jahresfrist des Art 12 Abs 1 des Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung BGBl 1988/512. Eine Verweigerung der Rückgabe gemäß Art 12 Abs 2 des Übereinkommens, also wenn erwiesen ist, dass sich das Kind in seine neue Umgebung eingelebt hat, findet daher nicht statt.

Im Übrigen lassen aber die erstgerichtlichen Feststellungen eine abschließende Beurteilung nicht zu.

Nach Art 3 lit a und b des am 1. 10. 1988 in Kraft getretenen Übereinkommens BGBl 1988/512 gilt das Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes als widerrechtlich, wenn dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das einer Person, Behörde oder sonstigen Stelle allein oder gemeinsam nach dem Recht des Staates zusteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und dieses Recht im Zeitpunkt des Verbringens oder Zurückhaltens allein oder gemeinsam tatsächlich ausgeübt wurde oder ausgeübt worden wäre, falls das Verbringen oder Zurückhalten nicht stattgefunden hätte. Die Vorschriften dieses Übereinkommens sind hier anzuwenden, weil das Kind bis zum September 1999 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Vertragsstaat hatte (Art 4 des Übereinkommens). Nach Art 1510 des griechischen Zivilgesetzbuches steht die Sorge für das mj Kind den Eltern gemeinsam zu. Die Verbringung des Minderjährigen war auch rechtswidrig im Sinne des Übereinkommens.

Nach Art 13 des Übereinkommens ist die Rückgabe des Kindes dann nicht anzuordnen, wenn die Person, Behörde oder sonstige Stelle, die sich der Rückgabe des Kindes widersetzt, nachweist a) dass die Person, Behörde oder sonstige Stelle, der die Sorge für die Person des Kindes zustand, das Sorgerecht zur Zeit des Verbringens oder Zurückhaltens tatsächlich nicht ausgeübt, dem Verbringen oder Zurückhalten zugestimmt oder dieses nachträglich genehmigt hat oder b) dass die Rückgabe mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden ist oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage bringt.

Nach Art 13 lit a liegt einen Verweigerungsgrund der Rückgabe darstellende Nichtausübung des Sorgerechtes nur dann vor, wenn das Sorgerecht tatsächlich nicht ausgeübt worden ist. Eine solche Verwirkung des Sorgerechtes liegt aber dann nicht vor, wenn dessen Inhaber häufig (beruflich) abwesend war, oder auch ohne Hausgemeinschaft mit dem Kind für dieses gesorgt hat (Siehr in Münchner Kommentar Art 19 Anh 2 Rz 58). Die Ausnahme des Art 13 lit b des Übereinkommens ist eng auszulegen und deshalb auf wirklich schwere Gefahren zu beschränken und nicht auf jeden, vor allem wirtschaftlichen oder erzieherischen Nachteil auszudehnen, den eine Rückgabe mit sich bringen kann (Siehr, aaO 1181).

Ob der vom Erstgericht angenommene Versagungsgrund nach Art 13 lit a verwirklicht wurde, kann aber nicht abschließend beurteilt werden. Fest steht nur, dass der Antragsteller die Ehewohnung finanzierte und das Kind an den Wochenenden besuchte. Ob er weiterhin für das Kind gesorgt hat und wie sich seine Beziehungen zum Kind gestalteten, steht nicht fest.

Ob ein Verweigerungsgurnd nach Art 13 lit b besteht, kann nach den von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen ebenfalls nicht beurteilt werden. Die Frage, ob die Mutter geeignet ist, die Obsorge über das Kind auszuüben, mit welchen Nachteilen die Rückführung für das Kind verbunden wäre und ob der Vater eine ausreichende Bezugsperson ist und der Verbleib des Kindes bei ihm einen Nachteil bildete, blieb ungeprüft.

Im fortzusetzenden Verfahren wird daher das Erstgericht konkrete Feststellungen im aufgezeigten Sinn zu treffen haben, um beurteilen zu können, inwieweit der Vater sein Sorgerecht über das Kind tatsächlich ausgeübt hat und ob eine Rückführung des Kindes mit einer schwerwiegenden Gefahr des Kindeswohles verbunden wäre.

Die Revisionsrekursbeantwortung der Mutter war zurückzuweisen, weil im Außerstreitverfahren von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen ein zweiseitiges Rechtsmittel nicht vorgesehen ist. Ebenso findet im Außerstreitverfahren mangels Anwendbarkeit einer Ausnahmebestimmung ein Kostenersatz nicht statt.

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