OGH 8ObS13/00w

OGH8ObS13/00w7.9.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Rohrer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Krajcsir und Heinrich Dürr als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Wolfgang F*****, vertreten durch Dr. Walter Reichholf, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen für Wien, Niederösterreich und Burgenland, 1050 Wien, Geigergasse 5-9, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17-19, wegen S 25.200,-- netto sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. Oktober 1999, GZ 10 Rs 184/99y-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 8. Februar 1999, GZ 19 Cgs 155/98t-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war als Arbeiter in einem Unternehmen beschäftigt, über dessen Vermögen am 21. 3. 1998 der Konkurs eröffnet wurde. Bereits im November 1997 musste eine Produktionsstraße stillgelegt werden, sodass es in großem Umfang zu Kündigungen kam. Um sicherzustellen, dass genügend Personal anwesend ist, um die Arbeiten rechtzeitig fertig zu stellen, schloss der Betriebsrat mit der Unternehmensführung eine Betriebsvereinbarung, wonach Arbeitnehmer für jeden innerhalb der Kündigungsfrist nicht in Anspruch genommenen Arbeitssuchtag eine Nettoprämie von S 1.000,-- erhalten und für jede krankenstandsfreie Woche eine solche von S 800,- -.

Diese vereinbarten Zahlungen wurden an Arbeitnehmer, die vor der Konkurseröffnung ausschieden, tatsächlich gewährt.

Der Kläger bezog im März 1998 einen Bruttolohn von S 26.923,- -, Überstundenentgelt von S 1.970,30 und Fahrtvergütung von S 233,-- netto insgesamt S 19.161,- -.

Der Kläger begehrte von der Beklagten die Leistung von Insolvenzausfallgeld unter anderem für "freiwillige Abfertigung" in der Höhe des Klagsbetrags. Er legte diesem Antrag die vorstehend beschriebene Betriebsvereinbarung bei. Mit Bescheid vom 27. 10. 1998 lehnte die Beklagte die Zahlung unter Hinweis auf § 1 Abs 3 Z 2 IESG ab, weil die vorgelegte Vereinbarung über eine freiwillige Abfertigung innerhalb von sechs Monaten vor Eintritt der Insolvenz geschlossen worden sei.

Mit seiner am 27. 11. 1998 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte der Kläger, die Beklagte zur Zahlung des Betrages von S 25.200,-- netto sA schuldig zu erkennen. Der geltend gemachte Anspruch sei nicht gemäß § 1 Abs 3 Z 2 IESG ausgeschlossen. Es handle sich bei ihm nicht um eine Abfertigung, sondern um Prämienentgelte aufgrund eines Sozialplanes die nur aus "verrechnungstechnischen Gründen" als freiwillige Abfertigung bezeichnet worden seien. Es liege keine Einzel- sondern vielmehr eine Betriebsvereinbarung vor.

Die Beklagte wendete dagegen ein, dass nach ständiger Rechtsprechung freiwillige Leistungen, wie immer sie bezeichnet werden, nicht der Sicherung nach dem IESG unterliegen. Der Inhalt der Betriebsvereinbarung sei rechts- und sittenwidrig. Schon von der Textierung des Kollektivvertrages her bestehe kein Raum Arbeitssuchtage "abzukaufen", auch würden durch die Vereinbarung jene Arbeitnehmer, die infolge Erkrankung an der Verrichtung des Dienstes verhindert seien, finanziell schlechtergestellt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen und führte zur rechtlichen Beurteilung aus, dass eine zulässige Betriebsvereinbarung gemäß § 97 Abs 1 Z 4 ArbVG vorliege. Die begünstigte Seite sei zwar zweifellos der Betrieb, weil dieser durch die Vereinbarung in die Lage versetzt werde seine Produktionstermine einzuhalten, jedoch stelle die Inaussichtstellung einer Prämie für zusätzliche Arbeit auch eine Verbesserung der finanziellen Situation der gekündigten Arbeitnehmer dar. Prämien die für außergewöhnliche und nur fallweise erbrachte Leistungen gewährt werden, seien gemäß § 1 Abs 2 Z 3 IESG gesichert. Die Vereinbarung sei weder rechts- noch sittenwidrig weil ein krasses Missverhältnis der Interessen der Parteien nicht vorliege. Die hinsichtlich der Arbeitssuchtage geschlossene Vereinbarung stelle den Arbeitnehmer günstiger als ein möglicher Bereicherungsanspruch. Der Kläger erhalte für einen nicht konsumierten Arbeitssuchtag mehr als für einen sonstigen Arbeitstag, weshalb bei fast doppelter Vergütung des nicht verbrauchten Arbeitssuchtages die Dienstnehmerrechte nicht verletzt würden. Darüber hinaus diene die Betriebsvereinbarung nach Auffassung redlicher Parteien lediglich der Verhinderung ungerechtfertigter Krankenstände. Die Sittenwidrigkeit der Vereinbarung könnte sich nur daraus ergeben, dass ein tatsächlich erkrankter Arbeitnehmer zur Arbeit verleitet werde. Ob ein Arbeitnehmer, der gerechtfertigt in Krankenstand gewesen sei und nun trotzdem Anspruch auf die Prämie erhebe, Sittenwidrigkeit der Vereinbarung behaupten könne, sei nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

Das Gericht zweiter Instanz änderte dieses Urteil dahin ab, dass es das Klagebegehren abwies. Es sprach aus, dass die Revision zulässig sei. Ausgehend von den erstinstanzlichen Feststellungen führte das Berufungsgericht aus, dass eine freiwillige Abfertigung keinen gesicherten Anspruch darstelle. Nach Ablauf der Frist des § 6 Abs 1 IESG könne der Rechtsgrund der gegenüber der Beklagten geltend gemachten Forderung nicht mehr ausgetauscht werden. Das erläuternde Schreiben des Klägers vom 8. 10. 1998 sei erst nach Ablauf dieser Frist verfasst worden und verweise im Übrigen ebenfalls darauf, dass die Auszahlung in Form einer freiwilligen Abfertigung erfolge. Auch im gerichtlichen Verfahren sei es dem Antragsteller verwehrt, auf die wahre Beschaffenheit des Anspruchs zurückzugreifen. Im Übrigen teile das Berufungsgericht die Bedenken der Beklagten gegen die Zulässigkeit der Abgeltung eines kollektivvertraglichen Anspruchs auf einen Arbeitssuchtag. Es handle sich dabei um zweckgebundene Freizeit sodass analog § 7 UrlG von einem Ablöseverbot auszugehen sei. Ebenso dürfe die Prämie nicht vom Verzicht auf einen - allenfalls berechtigten - Krankenstand des Arbeitnehmers abhängig gemacht werden. Dadurch könnten Arbeitnehmer unter Umständen dazu veranlasst werden, trotz Erkrankung zu arbeiten und dafür ihre Gesundheit zu schädigen. Der geltend gemachte Anspruch bestehe daher nicht zu Recht.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Gegenstand der Betriebsvereinbarung können gemäß § 97 Abs 1 Z 4 ArbVG auch "Sozialpläne", nämlich Maßnahmen zur Verhinderung, Beseitigung oder Minderung der Folgen einer Betriebsänderung im Sinn des § 109 Abs 1 Z 1 bis 6 ArbVG, sein, soferne diese wesentliche Nachteile für alle oder erhebliche Teile der Arbeitnehmerschaft mit sich bringt. Sozialpläne dienen somit dem Schutz der wirtschaftlichen Schwachen. Zahlreiche Ansprüche die die Sozialpläne gewähren verfolgen das Ziel, dem Arbeitnehmer bisher zugestandene Rechtspositionen solange wie möglich zu erhalten bzw deren Verlust auszugleichen (EvBl 1991/4; SZ 70/53; 9 ObA 149/00b ua). Zulässiger Inhalt einer Betriebsvereinbarung kann nur sein, was durch Gesetz oder Kollektivvertrag der Regelung durch die Betriebsvereinbarung vorbehalten wurde. Eine Vereinbarung über unzulässige Regelungsgegenstände ist als Betriebsvereinbarung jedenfalls nichtig. Ob und gegebenenfalls welche anderen Rechtswirkungen einer unzulässigen Betriebsvereinbarung zukommen, richtet sich nach den allgemeinen Regeln des Zivilrechts (9 Ob 902/88; SZ 66/117; 8 ObA 2063/96g).

Bei der hier strittigen freiwilligen Abfertigung handelt es sich um eine sogenannte Anwesenheitsprämie deren Wesen darin besteht, dass sie die Arbeitnehmer überhaupt oder jedenfalls in voller Höhe nur dann erhalten sollen, wenn sie während eines bestimmten Zeitraums tatsächlich und ununterbrochen gearbeitet haben. Fehlzeiten führen zum Entfall oder zur Minderung der Prämien ohne Rücksicht darauf, ob es sich um berechtigte oder unberechtigte Fehlzeiten handelt. Das Anwendungsgebiet solcher Anwesenheitsprämien fällt sohin in einen Bereich in dem das arbeitsvertragliche Synallagma "ohne Arbeit kein Lohn" durch Gegenkräfte nämlich Gesetz oder Kollektivvertrag durchbrochen ist, da in ihm auch "Lohn ohne Arbeit" gezahlt wird (SZ 61/251 mwH).

Es muss äußerst fraglich erscheinen ob eine Vereinbarung wie die gegenständliche überhaupt den Gegenstand einer Betriebsvereinbarung gemäß § 97 Abs 1 Z 4 ArbVG bilden kann liegt ihr vornehmlicher Zweck doch gerade nicht darin, die durch die Betriebsänderung bei den Arbeitnehmern eingetretenen Nachteile auszugleichen, sondern ist Schwerpunkt der Vereinbarung das betriebswirtschaftliche Interesse an der nach der gegebenen Situation sonst nicht zu erwartenden Motivation, Arbeitnehmerfehltage zu vermeiden (vgl die zustimmende Glosse Dillbergers zur SZ 61/251 in DRdA 1991/1). Zu der Abgeltung der Postensuchtage ist noch darauf zu verweisen, dass auch die Bestimmung des § 97 Abs 1 Z 2 ArbVG keine Legitimation zu der im Ergebnis damit erzielten Verlängerung der Normalarbeitszeit bietet weil Betriebsvereinbarungen über das Gesamtausmaß der wöchentlichen Normalarbeitszeit nicht geschlossen werden dürfen (8 ObA 2063/96g).

Auf diese Überlegung muss jedoch nicht näher eingegangen werden, weil - wie bereits dargestellt - der Inhalt von Betriebsvereinbarungen rechtlich möglich und erlaubt sein muss und nicht gegen die guten Sitten verstoßen darf (siehe auch 9 Ob 902/88). Gemäß § 2 Abs 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) behält der Arbeitnehmer unter anderem grundsätzlich im Krankheitsfall seinen Anspruch auf das Entgelt in der gemäß § 3 EFZG festgesetzten Höhe. Der Sinn dieser Bestimmungen ist sicherzustellen, dass der Arbeitnehmer durch eine Arbeitsverhinderung keinen wirtschaftlichen Nachteil erleidet. Dieser Schutzzweck würde unterlaufen, wenn der Erkrankte letztlich eine Entgelteinbuße dadurch erleidet, dass er die Anwesenheitsprämie nicht erhält. Er wäre tatsächlich nicht so gestellt, wie er stünde, wenn er gesund gewesen wäre. Die Bedenklichkeit der gegen ein krankheitsbedingtes Fehlen gerichteten Anwesenheitsprämie liegt in der Reizwirkung, die sie auf sämtliche Arbeitnehmer ausübt. Auch dem wirklich kranken Arbeitnehmer wird dadurch im Ergebnis nahegelegt, auf seine Krankheit keine Rücksicht zu nehmen, sondern zu arbeiten, um finanzielle Einbußen zu vermeiden. Gerade davor sollen die Lohnfortzahlungsbestimmungen den Arbeitnehmer aber bewahren. Der Arbeitnehmer soll nicht veranlasst werden, aus finanziellen Gründen mit seiner Gesundheit Raubbau zu treiben (SZ 61/251). Gemäß § 6 EFZG können die dem Arbeitnehmer aufgrund dieses Bundesgesetzes zustehenden Rechte durch Arbeitsvertrag, Arbeits(dienst-)ordnung, Betriebsvereinbarung oder, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, durch Kollektivvertrag weder aufgehoben noch beschränkt werden. Die Vereinbarung einer freiwilligen zusätzlichen Abfertigung mit beigesetzter Anwesenheitsbedingung umgeht die dargestellten zwingenden Bestimmungen und ist daher nichtig (SZ 61/251). Entgegen der Ansicht des Erstgerichts kann auch keine Rede davon sein, dass die Frage der Nichtigkeit nur in einem Verfahren zwischen einem tatsächlich erkrankten Arbeitnehmer, der wegen seines Fernbleibens die Prämie nicht erhielt, und dem Dienstgeber relevant wäre, weil, wie bereits mehrfach dargestellt, eine Betriebsvereinbarung nur über einen zulässigen Regelungsgegenstand geschlossen werden kann.

Auch sogenannte Postensuchtage dienen grundsätzlich der Existenzsicherung des Arbeitnehmers (9 ObA 31/90 ua). Durch die Beschäftigungssicherungsnovelle 1993 (BGBl 1993/502) wurde die bisher in zahlreichen Kollektivverträgen geregelte Freizeit für Postensuche (vgl Klein, Arbeitsrechtliches zur Beschäftigungssicherung, DRdA 1993, 402) in die Bestimmung des § 1160 ABGB aufgenommen. Danach sind dem Dienstnehmer im Falle der Kündigung durch den Dienstgeber auf sein Verlangen wöchentlich mindestens 8 Arbeitsstunden ohne Schmälerung des Entgelts freizugeben. Gemäß Abs 4 der genannten Gesetzesstelle können durch Kollektivvertrag abweichende Regelungen getroffen werden. Das gemäß § 1164 Abs 1 ABGB zugunsten des Dienstnehmers zwingende Recht kann weder durch Dienstvertrag noch durch Betriebsvereinbarung aufgehoben werden (ArbSlg 8.662; SZ 44/151; Pfeil in Schwimann ABGB2 § 1164 Rz 6). Nach dem bereits dargestellten sozialpolitischen Zweck der zwingenden Bestimmung des § 1160 ABGB kann ebensowenig wie im Fall der Abgeltung des Verzichts auf Krankenstand davon gesprochen werden, die Zahlung eines Geldbetrages für den Verzicht auf Postensuchtage wäre eine gegenüber der gesetzlichen Regelung günstigere Vereinbarung. Eine derartige Regelung führte vielmehr dazu, dass der gekündigte Arbeitnehmer nach Ende seiner Beschäftigung wesentlich länger - zu Lasten der Allgemeinheit - ohne Beschäftigung wäre und so der angestrebte Effekt der möglichst nahtlosen Wiederaufnahme einer Arbeit vereitelt würde.

Es liegt somit keine zulässige Betriebsvereinbarung vor. Auch unter dem Gesichtspunkt einzelvertraglicher Gewährung ist der strittige Anspruch nicht gesichert, weil - wie bereits die Vorinstanzen dargestellt haben - der Ausschluss des § 1 Abs 3 Z 2 lit b IESG gegeben ist. Vom Vorliegen einer berücksichtigungswürdigen sachlichen Rechtfertigung der Gewährung der Prämie (vgl hiezu SZ 70/22) kann in Anbetracht der obigen Rechtsausführungen nicht ausgegangen werden.

Der Revision ist ein Erfolg zu versagen.

Die Voraussetzungen für einen Kostenzuspruch gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG liegen nicht vor.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte