OGH 6Ob162/00t

OGH6Ob162/00t28.6.2000

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Baumann, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Firmenbuchsache der t***** Gesellschaft mbH mit dem Sitz in ***** über den Revisionsrekurs des Geschäftsführers Alfred J*****, vertreten durch Dr. Maximilian Eiselsberg ua Rechtsanwälte in Wien, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 21. April 2000, GZ 3 R 126/00d-22, womit der Beschluss des Landesgerichtes Feldkirch als Handelsgericht vom 21. März 2000, GZ 15 Fr 6566/99y-19, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Das Erstgericht forderte am 14. 9. 1999 die Geschäftsführer der Gesellschaft mbH unter Androhung einer Zwangsstrafe nach § 283 HGB zur Einreichung des Jahresabschlusses zum 31. 12. 1997 auf. Die Geschäftsführer kamen dem nicht nach. Das Erstgericht forderte mit Beschluss vom 18. 11. 1999 neuerlich die Einreichung des Jahresabschlusses zum 31. 12. 1997 und weiters die Einreichung des Jahresabschlusses zum 31. 12. 1998, widrigenfalls eine Zwangsstrafe von je 5.000 S über die beiden Geschäftsführer verhängt werden müsste. Auch dieser Aufforderung kamen die Geschäftsführer nicht nach. Das Erstgericht verhängte über die Geschäftsführer mit Beschluss vom 14. 12. 1999 eine Zwangsstrafe von je 5.000 S und forderte die Geschäftsführer gleichzeitig unter Androhung einer weiteren Zwangsstrafe von 15.000 S auf, binnen zwei Monaten die Jahresabschlüsse einzureichen. Der Aufforderung wurde nicht entsprochen.

Das Erstgericht verhängte über die beiden Geschäftsführer eine Zwangsstrafe von je 15.000 S, forderte neuerlich die Einreichung der Jahresabschlüsse und drohte weitere Zwangsstrafen von je 30.000 S an.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Geschäftsführers Alfred J***** teilweise Folge und setzte die über den Geschäftsführer verhängte Zwangsstrafe von 15.000 S auf 10.000 S herab. Es wies ferner den Antrag auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens beim Europäischen Gerichtshof gemäß Art 234 EG zurück.

Die im HGB normierten Offenlegungspflichten entsprächen den einschlägigen EU-Richtlinien, insbesondere der Publizitätsrichtlinie (68/151/EWG) und der Bilanzrichtlinie (78/660/EWG). Die Richtlinien ließen der innerstaatlichen Umsetzung keinen Spielraum. Durch die Entscheidung des EuGH vom 4. 12. 1997, RsC-97/96 (Daihatsu-Urteil) sei klargestellt, dass die in Österreich umgesetzten Richtlinien nicht gegen gesatztes oder ungesatzes Primärrecht verstießen. Die Offenlegung diene ganz allgemein dem Schutz der Interessen Dritter und nicht nur Personen im Nahebereich der Gesellschaft. Die Offenlegungspflichten von Kapitalgesellschaften seien vertrags- und grundrechtskonform (6 Ob 307/99m = RdW 2000, 283). Das Gemeinschaftsrecht genieße Vorrang vor dem innerstaatlichen Recht, auch vor entgegenstehendem Verfassungsrecht. Die Offenlegungsvorschriften des HGB verstießen weder gegen § 1 DSG noch gegen Art 8 Abs 2 EMRK, zumal sie dem wirtschaftlichen Wohl des Landes dienten und zum Schutz der Rechte anderer notwendig seien. Es bestehe kein Anlass auf Einleitung eines Normenkontrollverfahrens beim Verfassungsgerichtshof oder für einen Antrag an den EuGH auf Fällung einer Vorabentscheidung. Zur Höhe der Zwangsstrafe führte das Rekursgericht aus, dass eine Verdoppelung der bisher über den Geschäftsführer verhängten Zwangsstrafe ausreiche, um ihn zur Erfüllung seiner Offenlegungspflichten zu verhalten.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Mit seinem Revisionsrekurs beantragt der Geschäftsführer die ersatzlose Behebung der verhängten Zwangsstrafe, hilfsweise die Aufhebung zur Verfahrensergänzung. Hilfsweise wird die Abänderung dahin beantragt, "dass keine oder eine Zwangsstrafe mit einem geringeren Betrag als ATS 10.000 festgesetzt" werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichtes nicht zulässig.

Der erkennende Senat hat in jüngster Zeit mehrfach die Frage geprüft, ob die handelsrechtlichen Offenlegungsvorschriften und ihre Durchsetzung mit Zwangsstrafen verfassungskonform sind und dem Gemeinschaftsrecht entsprechen. Er ist zum Ergebnis gelangt, dass gegen die Umsetzung der Publizitätsrichtlinie und der Bilanzrichtlinie durch die österreichischen Offenlegungsvorschriften keine Bedenken bestehen und dass die Richtlinien grundrechtskonform sind (6 Ob 307/99m; 6 Ob 5/00d; 6 Ob 14/00b). Auf die eingehende Begründung etwa in 6 Ob 14/00b kann verwiesen werden. Den bisher zur Umsetzung der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien ergangenen Entscheidungen des EuGH (vor allem der erst nach der Erlassung der Datenschutzrichtlinie 95/46/EG ergangenen Entscheidung vom 4. 12. 1997 Slg 1997 I-6843 [Daihatsu]) kommt präjudizieller Charakter zu. Eine Primärrechtswidrigkeit der Richtlinien wegen eklatanter Verletzung von Grundrechten oder eine allfällige Derogation der Richtlinien durch später normiertes Gemeinschaftsrecht hätte der EuGH wahrgenommen.

Der Schwerpunkt des Rechtsmittels liegt in der Relevierung des Grundrechtes auf Datenschutz. Bei "kleinen" Gesellschaften mbH sei eine Offenlegung auch nicht aus den im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Gründen notwendig.

Als neues Argument führt der Revisionsrekurswerber das Unternehmensreorganisationsgesetz (URG) ins Treffen, das der Abwendung einer drohenden Insolvenz des Unternehmens dienen solle und in seinem § 5 Abs 3 ausdrücklich eine Veröffentlichung der Einleitung des Verfahrens nach dem URG ausschließe. Dazu ist Folgendes auszuführen:

Die Offenlegungspflicht von Kapitalgesellschaften dient vorrangig dem Gläubigerschutz, dem wegen der Beschränkung der persönlichen Haftung des Unternehmers zentrale Bedeutung zukommt. Die Kapitalerhaltungsvorschriften sollen die Gläubiger vor künftigen negativen Entwicklungen der Gesellschaften schützen (6 Ob 4/99b). Im Vorfeld dient die im Gemeinschaftsrecht geforderte Publizität von Wirtschaftsdaten diesem Interesse. Der vom Revisionsrekurswerber in den Vordergrund gerückte Schutz personenbezogener Daten kommt nach der Datenschutzrichtlinie (Art 2 lit a) zwar nur natürlichen Personen zu und berührt nach dem Erwägungsgrund Nr 14 nicht die Rechtsvorschriften zum Schutz juristischer Personen bei der Verarbeitung von Daten. § 1 DSG schützt jedoch auch die Daten juristischer Personen. Aus der Entwicklungsgeschichte des Datenschutzes geht aber doch klar hervor, dass zunächst nur das Geheimhaltungsinteresse natürlicher Personen im Vordergrund stand, wie dies aus Art 8 Abs 1 MRK klar hervorgeht. Auch vom Anspruch natürlicher Personen auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung oder des Briefverkehrs kann nach Art 8 Abs 2 MRK aus bestimmten Gründen eine gesetzliche Ausnahme normiert werden, etwa aus dem Grund des wirtschaftlichen Wohls des Landes oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten Anderer. Wenn das DSG den Anspruch auf Geheimhaltung auch auf wirtschaftsbezogene Daten juristischer Personen ausdehnt, so ist der Gesetzgeber auch hier berechtigt, in Abwägung der gegenläufigen Interessen Ausnahmen zu statuieren. Der erwähnte Leitgedanke des Gläubigerschutzes rechtfertigt Ausnahmen. Die bekämpfte Offenlegung ist nach Auffassung des erkennenden Senates weder unverhältnismäßig noch verletzt sie das Prinzip des gelindesten Mittels. Dem Sachlichkeitsgebot und dem Gleichbehandlungsgebot wird mit der Differenzierung des Umfanges der Offenlegungspflichten je nach der Größe der Gesellschaften Rechnung getragen. Der Revisionsrekurswerber vermag gegen diese Beurteilung mit seinem Hinweis auf die fehlende Offenlegungspflicht bei der Einleitung des Unternehmensreorganisationsverfahrens keine verfassungsrechtlichen Bedenken zu erzeugen. Das URG, BGBl I 1997/114 bietet (noch) solventen, aber gefährdeten Unternehmen eine besondere Hilfestellung durch Reorganisationsmaßnahmen zur Verbesserung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage (§ 1 URG). Das Unternehmen ist zur Einleitung der Reorganisation nicht verpflichtet. § 1 URG hat nach der Erläuterung der Regierungsvorlage keinen Schutzgesetzcharakter (MSA, URG Anm 3 zu § 1). Wenn die Reorganisation in einem staatlichen Fürsorgeverfahren nur dem Unternehmen selbst dient und der Gesetzgeber eine Offenlegung zu Gunsten Dritter für entbehrlich erachtet, kann daraus nicht der vom Rechtsmittelwerber gezogene Schluss abgeleitet werden, dass die gesellschaftsrechtlichen Offenlegungsvorschriften, deren Gesetzeszweck primär im Gläubigerschutz zu erblicken ist, obsolet wäre. Der ins Treffen geführte Wertungswiderspruch liegt wegen des fehlenden Schutzgesetzcharakters des § 1 URG nicht vor. Wenn der Gesetzgeber offenkundig wegen der Freiwilligkeit der Einleitung des Verfahrens eine Offenlegung nicht anordnet, kommt den Offenlegungsvorschriften des HGB umso größere Bedeutung zu. Die Bestandsgefährdung des Unternehmens wird dann nur mehr durch die Veröffentlichung der Bilanzdaten dem Publikum ersichtlich gemacht. Die fehlende Offenlegung nach dem URG spricht daher nicht für, sondern gegen den Standpunkt des Revisionsrekurswerbers.

Insoweit sich der Revisionsrekurs gegen die Höhe der verhängten Zwangsstrafe wendet, werden keine erheblichen Rechtsfragen im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG releviert.

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