OGH 7Ob65/99f

OGH7Ob65/99f14.6.2000

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Schaumüller als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** AG, ***** vertreten durch Winkler‑Heinzle, Rechtsanwaltspartnerschaft in Bregenz, wider die beklagte Partei Dr. Manfred L*****, vertreten durch Dr. Clement Achammer ua Rechtsanwälte in Feldkirch, und den der beklagten Partei beigetretenen Nebenintervenienten 1. U***** Aktiengesellschaft, ***** und 2. Ing. Manfred H*****, beide vertreten durch Dr. Amhof und Dr. Damian, Rechtsanwälte‑Partnerschaft in Wien, wegen S 1,438.437,90, infolge der Rekurse der klagenden und der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 3. April 1998, GZ 4 R 25/98b‑49, mit dem das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 29. September 1997, GZ 6 Cg 165/96v‑35, aufgehoben und die (weitere) Berufung der beklagten Partei vom 11. Dezember 1997 sowie die Berufungsbeantwortung der Nebenintervenienten vom 14. Jänner 1998 gegen das letztgenannte Urteil zurückgewiesen wurden, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs des Beklagten wird Folge gegeben und die angefochtene Entscheidung mit Ausnahme der Zurückweisung der Berufungsbeantwortung vom 14. 1. 1998 des dem Beklagten beigetretenen Nebenintervenienten zur Berufung des Beklagten, ansonsten zur Gänze behoben. Dem Berufungsgericht wird aufgetragen, über die Berufung des Beklagten vom 11. 12. 1997 sowie die dazu ergangene Berufungsbeantwortung der Klägerin zu entscheiden.

Die klagende Partei und der erste Nebenintervenient der beklagten Partei werden mit ihren Rechtsmitteln auf diese Entscheidung verwiesen.

Die Kosten des Rekursverfahrens vor dem Obersten Gerichtshof bilden weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Dem Beklagten ging das das Hauptbegehren abweisende und dem Eventualbegehren teilweise stattgebende erstinstanzliche Urteil vom 29. 9. 1997 (abgefertigt am 8. 10. 1997) am 10. 10. 1997 in Form einer Ausfertigung zu, die auf der letzten Seite ihrer Ausführungen weder ein Gerichtssiegel noch eine Namensstampiglie des Erstrichters, noch eine von der Gerichtskanzlei unterfertigte Bestätigung enthielt, wonach diese Abschrift mit der Urschrift übereinstimmt. Mit einem am 7. 11. 1997 zur Post gegebenen (Freistempelmaschine) Schriftsatz begehrte der Beklagte die Zustellung einer dem Gesetz entsprechenden Urteilsausfertigung mit der Begründung, dass dem ihm zugekommenen Schriftstück keine rechtliche Relevanz zukomme. Mangels Zukommens einer wirksamen gerichtlichen Entscheidung sei die Rechtsmittelfrist damit nicht in Gang gesetzt worden. Lediglich aus Gründen anwaltlicher Vorsicht und nur für den Fall, dass diese Rechtsauffassungen nicht zutreffen sollten und der Urteilsentwurf als wirksame, verbindliche Gerichtsentscheidung mit Rechtsmittelfristfolge anzusehen sei, erhebe er auch eine Berufung. Darin machte er die Berufungsgründe der Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO, der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der unrichtigen Tatsachenfeststellung infolge unrichtiger Beweiswürdigung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend. Das Erstgericht verfügte auf diesen Schriftsatz hin die "ordnungsgemäße" Zustellung einer Urteilsausfertigung, die am 13. 11. 1997 auch erfolgte. In der am 11. 12. 1997 erhobenen (weiteren) Berufung machte der Beklagte die gleichen Rechtsmittelgründe wie in seinem ersten Rechtsmittelschriftsatz, allerdings unter Berufung auf dessen Ausführungen, aber mit weit umfangreicheren inhaltlichen Ergänzungen geltend. Insbesondere werden in der Beweisrüge weit umfangreicher als im ersten Rechtsmittelschriftsatz Feststellungen bekämpft und weit umfangreicher an deren Stelle Ersatzfeststellungen begehrt.

Auch die klagende Partei und die dem Beklagten beigetretene erste Nebenintervenientin haben Berufungen erhoben.

Das Berufungsgericht verwarf in nichtöffentlicher Sitzung die Berufungen, soweit sie Nichtigkeit geltend machten und wies die (zweite) Berufung des Beklagten vom 11. 12. 1997 sowie die dazu ergangenen Berufungsbeantwortungen als unzulässig zurück; im Übrigen hob es nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung das Ersturteil, soweit dieses nicht hinsichtlich der Abweisung des Hauptbegehrens mangels Bekämpfung in Rechtskraft erwachsen war, im Umfang der Anfechtungen auf und trug dem Erstgericht eine nach Verfahrensergänzung zu treffende neue Entscheidung auf. Es erklärte die Erhebung des Rekurses an den Obersten Gerichtshof für zulässig.

Gegen diese am 14. 12. 1998 zugestellte Entscheidung erhob neben der klagenden Partei auch der Beklagte mit am 25. 1. 1999 zur Post gegebenen (Freistempelmaschine) Rechtsmittel Rekurs, und zwar sowohl gegen die Zurückweisung der Berufungsschrift vom 11. 12. 1999 als auch in der Sache selbst und stellte unter anderem auch den Antrag, den erstgenannten Beschluss aufzuheben und dem Berufungsgericht aufzutragen, über die Berufung vom 11. 12. 1999 zu entscheiden. Die weiteren Rechtsmittelanträge sind, wie im Folgenden auszuführen sein wird, im vorliegenden Verfahrensstadium noch nicht zu behandeln.

Der Rekurs des Beklagten ist im Sinne des ersten Aufhebungsantrages rechtzeitig, zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Wäre der Beschluss, mit dem die Berufung vom 11. 12. 1997 zurückgewiesen worden ist, für sich allein ergangen, so hätte die Rechtsmittelfrist dagegen gemäß § 520 ZPO 14 Tage betragen, weil es sich dabei um einen Beschluss nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO handelt und nach § 521a Abs 1 Z 2 ZPO nur Aufhebungsbeschlüsse nach Z 2 leg cit zweiseitig sind. Aber auch hier gilt ‑ wie bei allen anderen Rechtsmitteln ‑ der Grundsatz, dass dann, wenn eine Ausfertigung Entscheidungen enthält, für die verschieden lange Rechtsmittelfristen gelten, immer ‑ gleichgültig welcher ihrer Teile angefochten wird ‑ die längere Rechtsmittelfrist zum Tragen kommt (vgl Kodek in Rechberger ZPO2 § 520 Rz 1 mwN).

Essentieller Bestandteil einer dem Gesetz entsprechenden Urteilsausfertigung ist unter anderem gemäß § 149 Abs 1 Geo das am Schluss der Ausfertigung anzubringende Gerichtssiegel sowie ein Abdruck der Namensstampiglie des Erstrichters samt unterschriftlicher Bestätigung der Gerichtskanzlei, dass diese Urteilsausfertigung mit dem Original übereinstimmt. Ohne diese Erfordernisse zugestellte Gerichtsstücke lösen bei den Parteien, denen sie zugehen, keine Rechtsmittelfristen aus, weil es sich dabei noch um keine autorisierte gerichtliche Entscheidung handelt (vgl Rechberger in Rechberger ZPO2 § 417 Rz 5). Zwar ist es möglich, vor Zugang der Entscheidungausfertigung ein Rechtsmittel zu erheben, wenn das Gericht selbst schon an seine Entscheidung gebunden ist (vgl Kodek aaO § 464 Rz 3 mwN), allerdings wollte der Beklagte mit seinem Rechtsmittelschriftsatz vom 7. 11. 1997 primär gar keine Berufung erheben, sondern nur die Zustellung einer dem Gesetz entsprechenden Ausfertigung des Urteiles erreichen. Mangels Zuganges einer autorisierten Urteilsausfertigung war aus der Sicht des Beklagten auch nicht auszuschließen, dass in der ihm zugehenden rechtsverbindlichen Entscheidung nicht noch wesentliche Änderungen bzw Ergänzungen enthalten sein werden, die noch weiterer Bekämpfungen bedürfen. Die vom Beklagten lediglich aus anwaltlicher Vorsicht vorzeitig erhobene Berufung sollte nur unter der Bedingung zum Tragen kommen, dass seiner Rechtsansicht, die Berufungsfrist sei durch die Zustellung einer ungesetzlichen Urteilsausfertigung gar nicht in Gang gesetzt worden, nicht beigepflichtet werde. Sieht man diese Form einer Berufungserhebung nicht als bedingt und aus diesem Grund schon von vornherein als unzulässig erhobenes Rechtsmittel an (vgl Kodek aaO vor § 461 Rz 15), war auf Grund der zitierten Formulierung des Beklagten klar erkennbar, dass dieser weitere Berufungsausführungen noch erheben will und dass er sein Rechtsmittelrecht mit diesem Schriftsatz noch nicht als konsumiert angesehen hat. Wollte man dies nicht, müsste man die beiden Rechtsmittelschriftsätze als Einheit ansehen (vgl Gitschthaler in Rechberger ZPO2 § 85 Rz 21). Der erkennende Senat hält jedoch in diesem Zusammenhang am Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels ausdrücklich fest, soweit dieser nicht durch die durch die ZVN 1983 geschaffene Möglichkeit, auch ein Rechtsmittel zu verbessern, gelockert worden ist. Der Austausch oder die Verbesserung von Rechtsmittelschriftsätzen ist demnach nur zulässig, wenn die ursprüngliche Rechtsmittelschrift an einem ‑ nunmehr verbesserbaren ‑ Mangel gelitten hat (vgl Gitschthaler aaO, Kodek in Rechberger ZPO2 § 467 Rz 6 mwN). Der Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels setzt aber die Anfechtung korrekt ergangener, fehlerfreier Gerichtsentscheidungen voraus. Ein Verweisen auf frühere Ausführungen in einem Rechtsmittel entspricht gewöhnlich nicht der Formvorschrift des § 467 ZPO. Allerdings kann sich im Einzelfall, wenn es um die Beseitigung eines durch einen Gerichtsfehler verursachten Mangels geht, auch anderes ergeben. Unter diesem Gesichtspunkt können daher beide Rechtsmittelschriftsätze des Beklagten als Einheit angesehen werden.

Die Zurückweisung der zweiten Rechtsmittelschrift vom 11. 12. 1997 erweist sich daher als verfehlt. Die Berufungsentscheidung war daher in diesem Punkt zu beheben und dem Berufungsgericht die Entscheidung (auch) über die Rechtsmittelschrift des Beklagten vom 11. 12. 1997 aufzutragen. Als berechtigt an dieser Entscheidung erweist sich jedoch die Zurückweisung der Berufungsbeantwortung eines dem Beklagten beigetretenen Nebenintervenienten zur Berufung des Beklagten aus den vom Berufungsgericht dargelegten Gründen (§ 510 Abs 3 ZPO). Ein Eingehen auf die in den Rekursen weiteren aufgeworfenen Fragen ist im vorliegenden Verfahrensstadium nicht zweckmäßig. Die anderen Rechtsmittelwerber waren mit ihren Entscheidungen daher auf diese Entscheidung zu verweisen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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