OGH 9ObA118/00v

OGH9ObA118/00v14.6.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Div. Mag. Dr. Gerhard Fuchs und Rudolf Grammer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Bernhard E*****, Dienstnehmer, ***** vertreten durch Dr. Heinrich Nagl und andere, Rechtsanwälte in Horn, gegen die beklagte Partei Herbert M***** GesmbH, Bauunternehmung - Planung, ***** vertreten durch Dr. Stefan Gloß und andere, Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen S 177.488,32 brutto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Jänner 2000, GZ 10 Ra 276/99b-26, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Krems als Arbeits- und Sozialgericht vom 31. Mai 1999, GZ 8 Cga 8/96p-21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, die im klagestattgebenden Teil als unbekämpft unberührt bleiben, werden im klageabweisenden Teil dahingehend abgeändert, dass sie insgesamt zu lauten haben:

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei S 177.488,32 brutto samt 4 % Zinsen seit 10. 1. 1996 binnen 14 Tagen zu zahlen.

Die beklagte Partei ist ferner schuldig, der klagenden Partei folgende Verfahrenskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen:

in erster Instanz S 85.701,20 (darin S 13.135,20 Umsatzsteuer und S 6.890 Barauslagen), in zweiter Instanz S 24.550 (darin S 2.325 Umsatzsteuer und S 10.600 Barauslagen) und in dritter Instanz S

21.620 (darin S 8.370 Umsatzsteuer und S 13.250 Barauslagen).

Text

Entscheidungsgründe:

Außer Streit steht die Höhe des Klagebegehrens und der Umstand, dass der Kläger seit 14. 2. 1990 bei der Beklagten als technischer Zeichner im Angestelltenverhältnis beschäftigt war und hauptsächlich Arbeiten für die P*****- und T***** für Wien, Niederösterreich und das Burgenland ausführte. Ferner, dass bei der Beklagten im Wesentlichen Baumeister St***** für Personalangelegenheiten zuständig war. Der Kläger war überwiegend mit Innendienstarbeiten befasst. Bereits im Sommer 1994 wurden auch Außendienstarbeiten angeordnet. Der Kläger führte nicht nur Stundenlisten, sondern auch Regielisten, die sich auf den Zeitraum jeweils eines Monates bezogen.

Der Kläger wurde vom Bezirksbauführer Ing. B***** und dem Zeichenstellenleiter S***** der Bezirksbauführung T*****, aber auch vom Baumeister St***** der Beklagten aufgefordert, an jenen Tagen, an denen er außendienstliche Leistungen erbringen musste, Innendienstleistungen zu verzeichnen, wobei ihm jeweils im Einzelfall auch der Inhalt dieser Innendienstarbeiten als Vorgabe zur Verzeichnung genannt wurde, obwohl er in Wirklichkeit Außendienstleistungen erbracht hatte. Diese Weisungen erhielt der Kläger nicht nur an Tagen, die er mit Urlaub oder einem Krankenstand verbrachte, sondern auch an Tagen, an denen er regulär arbeitete. Bei den Regielisten, in denen der Kläger über Anordnung der genannten Personen falsche Eintragungen über innendienstlich erbrachte Leistungen zu machen hatte, handelte es sich um die Regielisten für Mai, Juni und Juli 1994. Der Kläger teilte dem Zeichenstellenleiter S***** mit, dass er bei dieser Art der Arbeitsaufzeichnung nicht mehr "mitspielen" wolle und füllte in der Folge die Regielisten nur mehr richtig, also seinem tatsächlichen Arbeitseinsatz entsprechend aus. Der Kläger bemerkte, dass die von ihm falsch erstellten Regielisten vom Zeichenstellerleiter gegengezeichnet wurden. Diese wurden in der Folge von Baumeister St***** abgeholt und waren Grundlage der Verrechnung der seitens der Beklagten erbrachten Leistungen gegenüber der P*****.

Als der Kläger im Jahr 1995 diese Regielisten im Büro des Zeichenstellerleiters S***** in einem geöffneten Order auf dem Schreibtisch vorfand, fotokopierte er diese Regielisten zusammen mit zwei Aufstellungen, die den Zeitraum 3. 5. 1994 bis zum 6. 9. 1994 umfassten, und übermittelte die fotokopierten Urkunden an die P*****- und T*****, indem er die oben dargestellte Vorgangsweise anonym postintern aufdeckte. Darin wurde aufgedeckt, dass seitens der Beklagten der P***** gegenüber Arbeitsleistungen zur Verrechnung gebracht wurden, die in Wirklichkeit nicht oder nicht in der verzeichneten Weise erbracht worden waren. Der Baumeister St***** hatte dem Kläger versichert, dass diese aufgezeigte Art der Verrechnung in Ordnung gehe. Der Kläger hatte aber diesbezüglich Zweifel und war der Meinung, dass die Art der Verrechnung eine strafbare Handlung bilde. Eine Sachverhaltsdarstellung des Klägers vom 19. 9. 1995 langte bei der Staatsanwaltschaft K***** am 29. 9. 1995 ein. Der Umstand, dass die Unterlagen offen auf dem Tisch des Zeichenstellenleiters lagen, brachte den Kläger erst auf die Idee, sich dieser Urkunden zu bedienen. Dieses Büro war jederzeit auch in dessen Abwesenheit für den Kläger zugänglich. Es gehörte allerdings nicht zu seinen Aufgaben, sich andere Unterlagen als Fernmeldepläne aus dem Büro einsichtig zu machen oder an andere weiterzugeben.

Es konnte nicht festgestellt werden, ob in den Regielisten Arbeitsleistungen verzeichnet sind, die überhaupt nicht erbracht wurden. Ausgeschlossen werden kann dies aber ebenfalls nicht. Es mag sein, dass anstelle der in den Regielisten verzeichneten Leistungen andere außendienstlich erbrachte Leistugen zu anderen Zeitpunkten als in den Listen dargestellt, tatsächlich erbracht wurden. Unrichtig an der gepflogenen Vorgangsweise war jedenfalls, dass an Tagen, in denen Urlaub konsumiert wurde, Arbeitsleistungen als erbracht verzeichnet wurden, und dass anstelle von Außendienstleistungen Innendienstleistungen zur Aufzeichnung gelangten. Diese Vorgangsweise wurde vom Leiter des Baubezirkes Ing. B***** ersonnen. Wegen Personalmangels und großen Arbeitsanfalls wollte er eine Genehmigung seiner vorgesetzten Dienststellen für den Außendiensteinsatz der technischen Zeichner erreichen, konnte eine derartige Genehmigung aber nicht erwirken. Die Anbote der Beklagten wie auch die Schlussbriefe der P***** und T***** enthielten keine Außendiensteinsätze technischer Zeichner, sodass solche Arbeitsleistungen auch nicht verrechenbar waren. Aus diesem Grunde entschloss sich der Bezirksleiter, dass die Abgeltung für Tagessätze und Kilometergelder von Außendiensttätigkeiten auf Arbeitsstunden umgerechnet werden und an solchen Tagen zur Verrechnung kommen, an denen die Mitarbeiter der Beklagten Urlaub konsumierten oder sonst an der Dienststelle nicht anwesend waren. Nachdem der Kläger zugegeben hatte, das anonyme Schreiben an die Postdirektion übermittelt zu haben, wurde er entlassen.

Der Kläger begehrt nicht nur ausständige Entgelte, sondern auch entlassungsabhängige Ansprüche mit der Behauptung, dass die Entlassung nicht gerechtfertigt sei.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens.

Das Erstgericht erkannte dem Kläger entlassungsunabhängige Entgeltbeträge im Ausmaß von S 37.344,06 brutto sA unbekämpft zu und wies das auf entlassungsabhängige Ansprüche gestützte Mehrbegehren von S 140.144,26 brutto sA ab. Es erachtete den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit für verwirklicht. Der Kläger habe sich nicht direkt an seinen Dienstgeber, sondern lediglich an den Baumeister St***** wegen seiner Bedenken gegen die Verrechnungsweise gewendet. Es sei ein schwerwiegender Vertrauensbruch, dass der Kläger aus nichtigem Anlass, nämlich dem zufälligen Auffinden fragwürdiger Urkunden eine Sachverhaltsermittlung an die P***** ohne Ermächtigung des Dienstgebers weitergab. Seine Treuepflicht hätte erfordert, seine Bedenken dem Arbeitgeber vorzutragen, um Aufklärung zu erlangen.

Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als Ergebnis einer einwandfreien Beweiswürdigung und gab der Berufung des Klägers nicht Folge.

Der Kläger sei vorwiegend außerhalb des Betriebes des Dienstgebers beschäftigt gewesen, sodass an sein Verhalten, das nicht wirksam kontrolliert werden konnte, strengere Maßstäbe in Bezug auf die Vertrauenswürdigkeit anzulegen gewesen seien. Er habe die Zugangsmöglichkeit zum Büro des Zeichenstellenleiters ausgenützt, um Unterlagen, die nicht zu seinem Gebrauch bestimmt waren, heimlich zu kopieren und an die P*****- und T***** zu übersenden. Eine schwere Störung der Vertragsbeziehung zwischen dem Dienstgeber und der P*****- und T***** musste dem Kläger bewusst gewesen sein. Der Kläger hätte sich an seinen Dienstgeber wenden müssen, nicht jedoch an die P*****- und T*****. Durch sein Verhalten habe er die Geschäftsbeziehung zu einem wichtigen Auftraggeber gestört, was Vertrauensunwürdigkeit nach sich ziehe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache und dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer vollinhaltlichen Klagestattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision des Klägers nicht Folge zu geben.

Die Revision ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Den Dienstnehmer trifft bei strafrechtswidrigen Umtrieben des Dienstgebers keine Verschwiegenheitspflicht (Infas 1997 A 47). Unlautere Geschäftspraktiken oder gesetzwidriges Verhalten zählen nicht zu den Umständen, an deren Geheimhaltung der Arbeitgeber ein objektiv berechtigtes Interesse hat (RdW 1999, 223). Wenn es um die Aufdeckung strafrechtlich relevanter Umstände geht, ist ein Dienstnehmer im Interesse der Allgemeinheit auch zur Erstattung einer Strafanzeige berechtigt, wobei er allerdings in einer für den Dienstgeber möglichst schonenden Form vorzugehen hat (Arb 5357, 6771; RdW 1999, 223 mwN). Nur haltlose und subjektiv unbegründete Anschuldigungen bilden den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit. Entscheidend ist nämlich die subjektive Vorstellung des Arbeitnehmers bei Erstattung der Anzeige (Arb 6771).

Aus der Bejahung des Rechtes zur Strafanzeige wird gefolgert, dass ein Dienstnehmer auch berechtigt sein muss, einen Geschäftspartner seines Dienstgebers über strafrechtlich relevante Verhaltensweisen seines Arbeitgebers zu informieren (RdW 1999, 223).

Feststeht, dass die, Grundlage der Verrechnung der seitens der Beklagten erbrachten Leistungen bildenden Regielisten über Weisung des Bezirksbauführers und des Zeichenstellenleiters der Bezirksbauführung (beide Bedienstete der Auftraggeberin der Beklagten) vom Baumeister der Beklagten mit Inhalten versehen wurden, die nicht der Realität entsprachen und zunächst den Verdacht des Betruges erwecken konnten. Es wurden Leistungen auch an Tagen verzeichnet, an denen wegen Urlaubs oder Krankenstands keine Leistung verrichtet wurde. Berücksichtigt man, dass der Kläger auf die Unzulässigkeit dieser Arbeitsaufzeichnungen, wenn auch nicht der Geschäftsführung der Beklagten gegenüber, sondern dem Zeichenstellenleiter wie auch dem Baumeister der beklagten Partei hingewiesen und danach die Regielisten nur mehr richtig seinem Arbeitseinsatz entsprechend ausfüllte, so bestand vom subjektiven Standpunkt des Klägers kein haltloser oder subjektiv unbegründeter Verdacht einer strafbaren Handlung, zumal er doch feststellte, dass die objektiv und subjektiv falsch erstellten Regielisten vom Zeichenstellenleiter gegengezeichnet waren und als Rechnungsgrundlage dienten. Ob tatsächlich ein Schaden entstanden ist, was nicht festgestellt werden konnte, ist nicht entscheidend. Es kommt nur auf den Umstand an, dass die Regielisten objektiv und subjektiv falsch erstellt wurden und daher der Verdacht einer strafbaren Handlung nahelag. Wenn auch an außerhalb des Betriebes tätigen Angestellten, die nicht exakt überwacht werden können, strengere Maßstäbe in Bezug auf die Vertrauenswürdigkeit anzulegen sind (9 ObA 213/97g), so begründet das eigenmächtige Ausnützen einer Gelegenheit und das heimliche Kopieren der offenliegenden Regielisten noch keine Vertrauensunwürdigkeit, zumal dieses Handeln im engen Zusammenhang mit der vermeintlichen Aufdeckung strafrechtlich relevanter Tatbestände stand.

Der Dienstnehmer hat in möglichst schonender Form vorzugehen, wobei die Information des Geschäftspartners als ein schonenderes und gelinderes Mittel als die Strafanzeige anzusehen ist (RdW 1999, 223). Ob das Verhalten des Arbeitnehmers durch Strafanzeige oder Information des Geschäftspartners oder durch beide Maßnahmen Vertrauensunwürdigkeit begründet, hängt nicht davon ab, ob das Strafverfahren in der Folge eingestellt wird (Arb 6771), sondern ob die Handlungsweise leichtfertig erfolgte. Denn erst dann wäre nach objektiven Gesichtspunkten die gerechtfertigte Befürchtung gegeben, dass die dienstlichen Belange des Arbeitgebers durch den Arbeitnehmer gefährdet sind. Leichtfertigkeit ist selbst unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger nach seiner Erklärung, "bei dieser Art der Arbeitsaufzeichnung nicht mehr mitspielen zu wollen", die Regielisten in der Folge richtig ausfüllte, nicht gegeben, weil er merkte, dass die falschen Regielisten gegengezeichnet wurden und daher Grundlage der Abrechnung bildeten. Auch der Umstand, dass der Kläger sich nicht an die Gsechäftsführung der beklagten Partei direkt gewendet hatte, sondern lediglich dem Zeichenstellenleiter und dem Baumeister der Beklagten gegenüber seine Bedenken geäußert hatte, begründet keine leichtfertige Handlungsweise. Der Bezirksbauführer und der Zeichenstellenleiter standen in einem Naheverhältnis zur P*****- und T*****, des Auftraggebers der Beklagten. Der Baumeister war Angestellter der Beklagten. Wenn alle diese Personen den Kläger zur Erstellung der falschen Regielisten aufforderten und der Baumeister erklärte, dass dies so in Ordnung sei, so konnte der Kläger objektiv gesehen eine Abstellung dieser subjektiv und objektiv unrichtigen und unkorrekten Vorgangsweise nicht erwarten. Sogar das Berufungsgericht geht davon aus, dass sich die Beklagte dem diesbezüglich (unkorrekten) Wunsch des Bezirksbauführers fügen musste. Das Informieren nicht nur der dem Bezirksbauführer übergeordneten Geschäftsleitung, sondern auch der Staatsanwaltschaft ist daher keine so gravierende Vertrauenserschütterung des Dienstgebers, dass eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für die Dauer der Kündigungsfrist objektiv unzumutbar gewesen wäre.

Die Entlassung war daher unbegründet, sodass dem Kläger die der Höhe nach unstrittigen Klagebeträge zustehen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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