OGH 1Ob130/00z

OGH1Ob130/00z30.5.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Dr. Prückner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Walter H*****, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen 60.000 S sA infolge ordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 24. Jänner 2000, GZ 3 R 248/99g-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Linz vom 30. September 1999, GZ 31 Cg 86/98b-8, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Der Kläger wurde vom 26. bis 31. 7. und vom 1. bis 12. 8. 1995 in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses angehalten. Anlass dafür war das Verhalten des Klägers am 26. 7. 1995, das sich auf Umstände seines Familienlebens bezog. An diesem Tag wurde er "von der Polizei abgeholt und dem Amtsarzt vorgeführt", der "die Unterbringung" nach einer Untersuchung, deren genauer Verlauf nicht feststellbar ist, "verfügte". Am 27. 7. 1995 erstatteten zwei Krankenhausärzte unabhängig voneinander je ein Gutachten. Aus den Expertisen war abzuleiten, dass "der Kläger wegen Selbstgefährdung bzw wegen Selbst- und Fremdgefährdung unterzubringen ist". Die Unterbringung wurde sodann am 31. 7. 1995 "über Vorschlag" des Leiters der Krankenhausabteilung aufgehoben. Das Unterbringungsverfahren wurde am 1. 8. 1995 eingestellt. Weil der Kläger das Krankenhaus noch an diesem Tag "sofort verlassen wollte" und sich "an seine am Vortag geäußerte Behandlungsbereitschaft nicht mehr erinnern konnte, wurde er am 1. 8. 1995 abermals in den geschlossenen Bereich verlegt". Wiederum erstatteten zwei Krankenhausärzte noch am gleichen Tag unabhängig voneinander je ein Gutachten. Danach lag "beim Kläger ein organisches Psychosyndrom durch Substanzmissbrauch" vor, "das zu schweren Merkfähigkeitsstörungen führt". Überdies bestand die Gefahr, dass sich der Kläger "selbst umbringt". Schließlich wurde am 16. 8. 1995 auch das zweite Unterbringungsverfahren eingestellt. Der Kläger litt "während der gesamten Dauer der Unterbringung ... an einem organischen Psychosyndrom" und "es bestand die Gefahr, dass er sich selbst umbringt".

Der Kläger begehrte den Zuspruch von 60.000 S sA als immateriellen Schadenersatz gemäß Art 5 Abs 5 EMRK und brachte vor, rechtswidrig angehalten worden zu sein. Der Einweisung in das psychiatrische Krankenhaus sei "keine korrekte amtsärztliche Untersuchung" vorangegangen. Außerdem seien die "Einweisungs- und Anhaltungsvoraussetzungen während des gesamten Zeitraumes" nicht erfüllt gewesen. Es habe vor der "Einweisung in das Krankenhaus" und "während der gesamten Dauer der Anhaltung" an einer "korrekten Überprüfung der Anhaltungsvoraussetzungen durch einen medizinischen Fachmann" gemangelt.

Die beklagte Partei wendete ein, ihre Organe hätten sich rechtmäßig verhalten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach seiner Ansicht waren die gesetzlichen Voraussetzungen für die Unterbringung des Klägers in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses erfüllt. Der Kläger habe nicht nachweisen können, "dass die Untersuchung durch den Amtsarzt" als Grundlage für die Unterbringung "nicht korrekt gewesen wäre".

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es erörterte einleitend die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Schutzes der persönlichen Freiheit einer Person und unterschied bei der Unterbringung ohne Verlangen zwischen der "Verbringung in die Krankenanstalt" und der "Unterbringung in der Anstalt". Vor der Verbringung habe der "Polizeiarzt" den Betroffenen gemäß § 8 UbG persönlich zu untersuchen und danach die Frage nach dem Vorliegen der Unterbringungsvoraussetzung zu beurteilen. Bejahe er die Notwendigkeit der Verbringung in eine Anstalt, so habe er darüber eine begründete schriftliche Bescheinigung auszustellen, die als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu deuten sei. Eine solche Bescheinigung sei nur die Rechtsgrundlage für die Verbringung des Betroffenen in die Krankenanstalt. Sie entfalte "gegenüber der Anstalt keine Bindungswirkung" und werde "mit der Einlieferung in die Anstalt gegenstandslos". Die materiellen Unterbringungsvoraussetzungen nach § 3 UbG seien erfüllt gewesen. Das Verfahren nach § 10 UbG sei eingehalten worden. Dass der Amtsarzt die Verbringung des Klägers in die Anstalt ohne eine vorangegangene "korrekte persönliche Untersuchung" angeordnet habe, sei nicht erwiesen. Einen solchen Beweis hätte der Kläger zu erbringen gehabt, sodass "die Nichtfeststellbarkeit des exakten Untersuchungsvorganges beim Amtsarzt ... zu Lasten des für die Rechtswidrigkeit der freiheitseinschränkenden Maßnahme beweispflichtigen Klägers" gehe. Die ordentliche Revision sei in Ermangelung einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur "Beweislastverteilung bei einem auf rechtswidrige Freiheitsbeschränkung durch ungerechtfertigte Einweisung in eine Krankenanstalt für Psychiatrie gestützten Schadenersatzanspruch" zulässig.

Die Revision ist unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

1. Gemäß § 8 UbG darf eine Person gegen oder ohne ihren Willen nur dann in eine Anstalt gebracht werden, wenn ein im öffentlichen Sanitätsdienst stehender Arzt oder ein Polizeiarzt sie untersucht und bescheinigt, dass die Voraussetzungen der Unterbringung vorliegen. In der Bescheinigung sind im einzelnen jene Gründe anzuführen, nach denen der Arzt die Voraussetzungen für die Unterbringung als gegeben ansieht.

Eine solche Bescheinigung ist weder als Bescheid noch als Gutachten, sondern, wie schon das Berufungsgericht zutreffend darlegte, als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu deuten (UVS Wien 19. 1. 1999 02/P/13/22/98; Kopetzki, UnterbrR II 541 ff; ders, Grundriss des UnterbrR Rz 177). Mit deren Ausstellung ist die Entscheidung über die Einlieferung verbindlich getroffen. Soweit ist also nicht die Erfüllung der materiellen Voraussetzungen eines solchen Verwaltungsakts von Bedeutung, zieht doch schon allein eine derartige Bescheinigung die Verbringung des Betroffenen in eine Anstalt zwingend nach sich (UVS Wien 19. 1. 1999 02/P/13/22/98). Dieser Verwaltungsakt unterliegt jedoch als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt der nachprüfenden rechtsstaatlichen Kontrolle (UVS Wien 19. 1. 1999 02/P/13/22/98; Kopetzki, UnterbrR II 545 f; ders, Grundriss aaO).

Dementgegen sprach der Verfassungsgerichtshof zu § 49 Abs 1 KAG - diese Bestimmung diente dem Gesetzgeber als Vorbild für die Regelung der Bescheinigung nach § 8 UbG (Kopetzki, UnterbrR II 542) - aus, das "Parere" sei bloß eine formale Voraussetzung der zwangsweisen Einweisung, deren inhaltliche Richtigkeit keiner behördlichen Nachprüfung unterliege (VfSlg 12.544; VfSlg 12.268). Diese Ansicht, der sich etwa der Unabhängige Verwaltungssenat Oberösterreich (14. 8. 1996 VwSen-420112/8/Kl/Ka) anschloss, wurde im Schrifttum zum Unterbringungsgesetz zutreffend als unhaltbar bezeichnet (Kopetzki, UnterbrR II 547; ders, Grundriss Rz 177 f).

2. Der Kläger behauptete nicht, für seine Verbringung in die Anstalt habe es schon an der unter 1. erläuterten Formalvoraussetzung - also an einer zureichend begründeten Bescheinigung nach § 8 UbG - gemangelt. Er stützte das Klagebegehren vielmehr auf das Vorbringen, der Bescheinigung sei "keine korrekte amtsärztliche Untersuchung" vorangegangen und es habe vor der "Einweisung in das Krankenhaus" und "während der gesamten Dauer der Anhaltung" keine "korrekte Überprüfung der Anhaltungsvoraussetzungen durch einen medizinischen Fachmann" stattgefunden.

Nach diesem Klagegrund wird nicht die Frage nach der Einhaltung der formalen Verbringungs- und Unterbringungsvoraussetzungen, sondern die nach deren sachlichen Richtigkeit aufgeworfen.

2. 1. Es steht fest, dass der Kläger "während der gesamten Dauer der Unterbringung ... an einem organischen Psychosyndrom" litt und "die Gefahr" bestand, "dass er sich selbst umbringt". Vor diesem Hintergrund wurde aber die Verwirklichung der materiellen Voraussetzungen für die Unterbringung des Klägers gegen seinen Willen schon von den Vorinstanzen zutreffend bejaht. Daraus folgt aber zwingend, dass auch die materiellen Voraussetzung für die am ersten Tag der Anhaltung ausgestellte Bescheinigung nach § 8 UbG erfüllt gewesen sein müssen.

Waren aber diese Voraussetzungen für eine - auch formal ordnungsgemäße - Bescheinigung gemäß § 8 UbG erfüllt, so stellt sich nicht mehr die Frage nach der Behauptungs- und Beweislast, die für die Zulassung der ordentlichen Revision ausschlaggebend war, bezieht sich doch der Untersuchungsverlauf - unter Zugrundelegung der Klagebehauptungen - nicht auf die Formalvoraussetzungen einer Bescheinigung nach § 8 UbG, sondern nur auf deren Richtigkeit. Diese ist jedoch erwiesen. Der "genaue Untersuchungsvorgang" ist soweit nicht als Selbstzweck bedeutsam, sondern soll lediglich eine richtige Diagnose ermöglichen. Eine Rechtswidrigkeit - und damit auch eine Konventionswidrigkeit - der Verbringung des Klägers in die Anstalt lässt sich somit, wie zusammenzufassen ist, nicht allein aus einem bestimmten Untersuchungsverlauf bei richtiger ärztlicher Diagnose ableiten.

Der Kläger hat überdies, was hervorzuheben ist, nie präzisiert, weshalb der Untersuchungsverlauf nicht "korrekt" gewesen sein soll. Soweit er in den Pkt. 3. und 4. seines Rechtsmittels nach wie vor Tatsachen unterstellt, die wohl seiner Überzeugung, aber nicht den Feststellungen entsprechen, bedürfen seine Wertungen keiner Beurteilung, weil der Oberste Gerichtshof Rechtsfragen nur auf dem Boden feststehender Tatsachen zu lösen hat.

2. 2. Anzumerken bleibt, dass die Revision auch dann nicht hätte erfolgreich sein können, wenn die mangelnde Feststellbarkeit des "genauen Untersuchungsvorgangs" im Anlassfall tatsächlich eine Beweislastfrage aufgeworfen hätte. Die Ansicht des Klägers, "der in das Menschenrecht der persönlichen Freiheit eingreifende Rechtsträger" habe "die fehlende Rechtswidrigkeit zu beweisen", weicht von dem bereits vom Berufungsgericht dargestellten allgemeinen Grundsatz ab, dass der Kläger die als Klagegrund behauptete Rechtsverletzung zu behaupten und zu beweisen hat. Davon ist auch im Falle der Entziehung der persönlichen Freiheit durch eine behördliche Maßnahme keine Ausnahme zu machen, weil es keinen Erfahrungssatz gibt, dass die bloße Tatsache einer solchen Freiheitsentziehung auch schon deren Rechtswidrigkeit indiziert.

3. Der Oberste Gerichtshof ist bei Prüfung der Zulässigkeit der Revision an einen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden. Wie aus den bisherigen Erwägungen folgt, hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage gemäß § 502 Abs 1 ZPO ab, weshalb die Revision zurückzuweisen ist.

5. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 40, 41 in Verbindung mit § 50 Abs 1 ZPO. Der beklagten Parteien sind die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung nicht zuzusprechen, weil sie auf den vom Obersten Gerichtshof ausgeführten Zurückweisungsgrund nicht hinwies und ihr Schriftsatz daher für eine zweckentsprechende Rechtsverteidigung nicht dienlich war. In der bloßen Erwähnung, das Berufungsgericht hätte "die Revision nicht für zulässig erklären dürfen, da zu den hier anzuwendenden Beweislastregeln ausreichend Judikatur vorhanden" sei, ist kein Hinweis auf den wahren Zurückweisungsgrund zu erblicken. Von der beklagten Partei wurde im übrigen auch kein Antrag auf Zurückweisung der Revision gestellt.

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