OGH 1Ob325/99x

OGH1Ob325/99x30.5.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Elke V*****, vertreten durch Dr. Utho Hosp, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagten Parteien 1. Josef L*****, 2. Verlassenschaft nach Helmut L*****, beide vertreten durch Dr. Heinrich Schiestl, Rechtsanwalt in Zell am See, wegen S 95.000 sA infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgerichts vom 29. Juli 1999, GZ 53 R 115/99i-41, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Taxenbach vom 12. Februar 1999, GZ 1 C 333/97d-35, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 9.761,13 (darin S 1.626,85 USt) bestimmten Kosten des Verfahrens zweiter Instanz und die mit S 8.105,77 (darin S 3.641,-- Barauslagen und S 744,13 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Erstbeklagte ist Halter eines zur Bewirtschaftung seiner Schihütte unter anderem für Fahrten auf der für den öffentlichen Verkehr gesperrten, zu dieser Hütte führenden Privatstraße zugelassenen Motorschlittens. Dieser ist rund 1 m breit und zwischen 2 und 2,5 m lang. Er erreicht in der Ebene eine Höchstgeschwindigkeit von etwa 30 km/h und bewältigt Steigungen bis zu 40 %. Der Motorschlitten hat in der Mitte seines Aufbaus einen Scheinwerfer, der etwa die Lichtstärke eines PKW-Scheinwerfers hat. Der Scheinwerfer kann auf- und abgeblendet werden und ist, da das Fahrzeug über eine Batterie verfügt, in seiner Funktion vom Betrieb des Motors unabhängig.

Auf der zur Schihütte des Erstbeklagten führenden Privatstraße wird im Winter von der (ehemals ebenfalls beklagten) Liftgesellschaft eine Rodelbahn betrieben, die unentgeltlich von jedermann benützt werden kann. Die Rodeln werden den Gästen vom Erstbeklagten und seiner Ehefrau entweder bei der Schihütte oder bei der Talstation des Sessellifts gegen Entgelt für die Abfahrt zur Verfügung gestellt. Die Rodelbahn wird regelmäßig von Leuten der Liftgesellschaft mit einem 2,3 m breiten Pistengerät präpariert und ist an den Betriebstagen bis 23 Uhr beleuchtet. Zwischen 19 Uhr und 20.30 Uhr besteht die Möglichkeit, für den Aufstieg den Sessellift zu benützen. Am 4. 1. 1996 gingen die Klägerin und ihr Ehemann zu Fuß auf der Rodelbahn zur Schihütte, wo ihnen gegen Entgelt eine Rodel zur Verfügung gestellt wurde. Nach 20.30 Uhr fuhren die Klägerin und ihr Ehemann zu zweit auf einem Schlitten ab. Die Klägerin saß vorne. Beide trugen Moonboots mit gutem Profil. Die Rodelbahn war geöffnet und beleuchtet, die präparierte Schneeauflage der Fahrbahn war hart. An diesem Abend besorgte der mittlerweile verstorbene Sohn des Erstbeklagten, dessen Verlassenschaft nunmehr zweitbeklagt ist, den Rodelverleih bei der Talstation. Er wurde verständigt, dass bei der Schihütte Rodeln benötigt werden. Er hängte daraufhin einige Rodeln an den Motorschlitten des Erstbeklagten und fuhr damit auf der Rodelbahn bergwärts in Richtung Schihütte. An einer steilen Stelle im Bereich der Stütze 4 war die Rodelbahn so eisig, dass der Motorschlitten "hängen blieb". Es war das erste Mal, dass während des Betriebs der Rodelbahn auf dieser mit dem Motorschlitten bergwärts gefahren wurde.

Die zumindest 2,3 m breit präparierte Naturrodelbahn verläuft in mehr oder minder langen Kehren mit einem Gefälle bis zu 30 % talwärts. Sie war im Unfallzeitpunkt beidseitig von Schneewällen begrenzt. Die Klägerin und ihr Ehemann durchfuhren auf der Rodel eine Rechtskurve, an die sodann ein gerades Stück anschloss. Sie hielten eine Geschwindigkeit von 30 bis 40 km/h ein. Bei hindernisfreier Bahn ist diese Geschwindigkeit nicht überhöht. Nach der Rechtskurve gewahrten die Klägerin und ihr Mann in einer Entfernung von rund 30 bis 40 m den hängen gebliebenen Motorschlitten, der mit den angehängten Rodeln die Bahn zur Gänze versperrte. Die im Wesentlichen gerade verlaufende Bahn hatte in diesem Bereich ein Gefälle von rund 30 %. Die Klägerin und ihr Mann bremsten und verminderten so in einem Zeitraum von 7 Sekunden ihre Fahrgeschwindigkeit auf etwa 10 km/h, sie konnten aber den Schlitten vor dem Hindernis wegen der eisharten Fahrbahn und der Steilheit des Geländes nicht mehr zum Stillstand bringen. Im Bereich des Motorschlittens hielten sich auch andere, zuvor abgefahrene Rodelfahrer auf, von denen der eine oder andere gegen den mit eingeschaltetem Scheinwerfer stehenden Motorschlitten geprallt war. Die Klägerin und ihr Mann versuchten während des Bremsens, rechts oder links aus der Bahn hinauszufahren, was ihnen aber wegen der Schneewälle nicht gelang. Bei dem Versuch, den Motorschlitten bergseitig zu passieren, kam es zur Kollision.

Zuletzt war 8 Tage vor dem Unfall eine geringe Neuschneemenge mit einer Auflage von etwa 10 cm gefallen. Am Unfallstag hatte es morgens -4 Grad, untertags war es sonnig. Selbst Anfang Jänner ermöglichen solche Witterungsbedingungen insbesondere bei Windstille ein Anschmelzen des Schnees. Die Unfallstelle liegt auf einem Osthang. Die Rodelbahn führt in diesem Bereich - talwärts gesehen - nach rechts und ist der Vormittags- und Mittagssonne ausgesetzt, wenn keine Beschattung durch Bäume gegeben ist. Dieser Witterungsablauf vor dem Unfallszeitpunkt führte zu einer starken Verdichtung der Schneedecke bis hin zur Vereisung.

Die Klägerin erlitt bei dem Unfall eine ausgeprägte Oberschenkelprellung links mit Muskelfasereinriss sowie eine leichte Unterschenkelprellung links. Sie war bis 29. 1. 1996 arbeitsunfähig und stand bis 8. 2. 1996 in ärztlicher Behandlung. Im Bereich des linken Oberschenkels verblieb eine Muskellücke mit Bindegewebseinlagerungen. Ca 10 cm oberhalb des linken Kniegelenks kam es zur Ausbildung einer "Delle", die kosmetisch störend und druckschmerzhaft ist. Eine Bewegungseinschränkung im Kniegelenk liegt ebensowenig vor wie eine Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin für die Zukunft. Die Klägerin litt zwei bis drei Tage starke Schmerzen, 10 bis 14 Tage mittelstarke Schmerzen und drei bis vier Wochen leichte Schmerzen. Insbesondere bei intensiverer sportlicher Betätigung sind auch in Zukunft noch Schmerzen leichten Grades zu erwarten, die komprimiert mit etwa einer Woche je Jahr anzunehmen sind. Die Klägerin benötigte für rund drei Wochen eine Haushaltshilfe.

Mit ihrer am 4. 7. 1997 beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrte die Klägerin zuletzt, die Beklagten zur Zahlung eines Betrags von S 95.000 schuldig zu erkennen und deren Haftung für sämtliche zukünftige Schäden aus dem Unfall vom 4. 1. 1996 festzustellen. Der Erstbeklagte habe für das Verhalten seines den Motorschlitten lenkenden Sohnes einzustehen. Dieser habe die gebotene Sorgfalt und Aufmerksamkeit außer Acht gelassen und dadurch den Zusammenstoß mit der Klägerin verschuldet. Das Befahren der Rodelbahn mit einem Motorschlitten stelle eine atypische Gefahrenquelle dar. Die Beklagten wendeten dagegen ein, dass die Klägerin das Alleinverschulden am Zustandekommen des Unfalles treffe, weil sie unaufmerksam und nicht auf Sicht gefahren sei.

Das Erstgericht wies das gegen die Seilbahngesellschaft gerichtete Klagebegehren zur Gänze und im Verfahren gegen die (übrigen) Beklagten das Feststellungsbegehren ab. Beide Aussprüche sind in Rechtskraft erwachsen. Darüber hinaus erkannte es die Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin S 95.000 sA zu zahlen. Es führte aus, der Sohn des Erstbeklagten hätte die Rodelbahn mit dem Motorschlitten während des Rodelbetriebs nicht bergwärts befahren dürfen. Es sei davon auszugehen, dass die Klägerin auf Sicht gefahren, es ihr allerdings wegen der steilen, im Unfallsbereich vereisten Fahrbahn nicht gelungen sei, rechtzeitig vor dem atypischen Hindernis anzuhalten. Ein Mitverschulden der Klägerin sei daher nicht gegeben. Der Erstbeklagte hafte gemäß § 1313a ABGB für das Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen, deren er sich im Rahmen seiner Rodelvermietung bediente, wie für sein eigenes. Für die bereits erlittenen Schmerzen sei ein Betrag von S 60.000 gerechtfertigt, für zukünftige Schmerzen ein (Teil-)Betrag von S 25.015. Das Feststellungsbegehren sei mangels verletzungsbedingter, Schadenersatz begründender Dauerfolgen abzuweisen gewesen.

Das Gericht zweiter Instanz änderte dieses Urteil dahin ab, dass es die Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig erkannte, der Klägerin S 63.333,33 sA zu zahlen, und das Mehrbegehren abwies. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es führte aus, der Grundsatz des Fahrens auf Sicht sei auch beim Schi fahren und Rodeln zu beachten. Das Berufungsgericht gehe davon aus, dass die Klägerin gegen diesen Grundsatz verstoßen habe. Insbesondere "auf Grund der Steilheit und Beschaffenheit der Rodelbahn" hätte die Klägerin eine geringere Geschwindigkeit wählen und im Übrigen damit rechnen müssen, dass ein Hindernis in der Bahn liegen könnte, das das "Anhalten der Rodel notwendig" mache. Wesentlich sei auch, dass der Motorschlitten lediglich ein "stehendes Hindernis" dargestellt habe. Bei diesem habe es sich um keine atypische Gefahrenquelle gehandelt, weil nicht vom Vorliegen eines "völlig unberechenbaren" Hindernisses ausgegangen werden könne, zumal der Motorschlitten nicht in Bewegung und bereits aus einer Entfernung von rund 30 bis 40 m wahrnehmbar gewesen sei. Die Klägerin und ihr Ehegatte hätten es in der Hand gehabt, durch verantwortungsbewusste und kontrollierte langsame Fahrweise ein derartiges Hindernis auf der Rodelbahn zu meistern. Dem Berufungsgericht erscheine daher eine Verschuldensteilung im Verhältnis 2 : 1 zu Gunsten der Klägerin angemessen. Die dagegen erhobene Revision der Klägerin ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass das Gebot des Fahrens auf Sicht auch auf Rodelbahnen zu beachten sei. Die Fahrgeschwindigkeit ist auf den in seinen Details nicht vorausschauend erkennbaren Zustand der Rodelbahn auszurichten. Ein Rodler ist wie ein Schiläufer in erster Linie selbst für seine Sicherheit verantwortlich und hat dem der Sportausübung anhaftenden Verletzungsrisiko durch kontrolliertes und daher bestehenden Gefahren Rechnung tragendes Verhalten zu begegnen (JBl 1991, 652; JBl 1993, 315; SZ 69/287). Den Feststellungen der Vorinstanzen kann nicht mit Sicherheit entnommen werden, dass die Klägerin gegen das Gebot des Fahrens auf Sicht verstoßen habe, dass sie durch plötzlich und unerwartet auftretende Eisglätte überrascht worden sei oder dass sie einen Reaktionsfehler begangen habe. Es steht lediglich fest, dass die von der Klägerin eingehaltene, zwischen 30 und 40 km/h liegende Geschwindigkeit bei hindernisfreier Bahn nicht überhöht war. Diese Feststellung lässt aber keinen Rückschluss darauf zu, dass die Klägerin im Sinne der dargestellten Rechtsprechung auch in der Lage war, vor einem Hindernis rechtzeitig unfallverhütend zu reagieren. Der dargestellte Feststellungsmangel erfordert aber nach der besonderen Lage dieses Falles keine Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen zur Ergänzung des Beweisverfahrens: Selbst wenn man unterstellen wollte, dass die von der Klägerin gewählte Fahrgeschwindigkeit in Anbetracht der zur Verfügung stehenden Sichtstrecke überhöht gewesen sei, darf doch das nach dem unbekämpften Urteilsinhalt dem Erstbeklagten jedenfalls zuzurechnende Verhalten des Lenkers des Motorschlittens nicht außer Betracht bleiben. Dieser hat trotz erkennbaren Rodelbetriebs die ausdrücklich auch für Motorschlitten gesperrte Rodelbahn befahren und damit eine wohl als atypisch zu beurteilende Gefahrenquelle (vgl SZ 69/287) geschaffen. Nach ständiger Rechtsprechung ist für die Verschuldensabwägung der Grad der Fahrlässigkeit des Verkehrsteilnehmers und die Wichtigkeit der verletzten Vorschrift für die Sicherheit im allgemeinen und im konkreten Fall ausschlaggebend (ZVR 1972/155; ZVR 1975/212, ZVR 1988/172; ZVR 1989/6 ua). Angesichts der Abmessungen des Motorschlittens, dessen durch die Geländebeschaffenheit und die Vereisung bedingte erschwerte Manövrierbarkeit und der kurvenreichen und daher schwer einsehbaren Strecke muss dieses Verhalten, das geeignet war, in deren Schwere kaum absehbare Folgen nach sich zu ziehen, als im besonderen Maß sorglos und grob fahrlässig erscheinen. Demgegenüber könnte der Klägerin im für sie schlechtesten Fall nur eine relativ geringfügige Geschwindigkeitsüberschreitung oder eine Reaktionsverspätung vorgeworfen werden. Nach ständiger Rechtsprechung hebt aber das weitaus überwiegende Verschulden des Schädigers die Haftung des anderen Teiles gänzlich auf (ZVR 1972/93; ZVR 1983/301; SZ 64/126; 1 Ob 340/99b ua).

In Stattgebung der Revision ist deshalb das Ersturteil wieder herzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

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