OGH 2Ob82/00y

OGH2Ob82/00y28.4.2000

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gertrude P*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Muchitsch, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei I***** AG, *****, vertreten durch Dr. Jörg Herzog, Rechtsanwalt in Graz, wegen S 1,256.604 s.A. infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 20. Jänner 2000, GZ 6 R 222/99k-84, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 18. August 1999, GZ 23 Cg 205/93s-78, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden hinsichtlich des noch nicht in Rechtskraft erwachsenen Zuspruchs von S 515.531,69 s.A. aufgehoben. Die Rechtssache wird insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Beklagte war Haftpflichtversicherer des Motorrads, mit dem der damalige Ehegatte der Klägerin am 17. 1. 1981 einen Verkehrsunfall verschuldete, bei dem die Klägerin schwer verletzt wurde. Die Haftung der Beklagten für jeden zukünftigen unfallkausalen Schaden (eingeschränkt auf die Haftpflichtversicherungssumme) wurde mit Anerkenntnisurteil des Erstgerichtes vom 30. 11. 1982, 6 Cg 244/82, festgestellt. Daraufhin wurden die Ansprüche der Klägerin bis Ende 1990 bereinigt und verglichen.

Mit ihrer am 15. 6. 1993 bei Gericht eingelangten Klage begehrte die Klägerin Zahlung von Verdienstentgang, Haushalts- und Betreuungskosten sowie der Kosten eines Invalidenfahrzeuges. Zuletzt (1998) dehnte sie ihr Begehren auf S 1,256.604 s.A. aus; sie brachte hiezu unter anderem vor, es sei ihr Wunsch gewesen, ganztägig zu arbeiten; sie hätte auf Grund der Expansion ihres Arbeitgebers auch sicher eine Ganztagesstelle bekommen.

Die Beklagte wendete unter anderem ein, die Klägerin sei im Unfallszeitpunkt nur als Aushilfskraft geringfügig beschäftigt gewesen. Die Unterhaltsleistungen ihres geschiedenen Ehegatten müsse sie sich auf ihren Verdienstentgang anrechnen lassen.

Das Erstgericht sprach der Klägerin S 915.596,69 s.A. zu und wies das Mehrbegehren von S 341.007,31 s.A. ab. Es ging hiebei unter anderem von folgenden, für das drittinstanzliche Verfahren noch bedeutsamen Feststellungen aus:

Die Klägerin war im Herbst 1980 während einer Zeit von sechs Wochen bei der Firma R***** halbtägig angestellt und auch angemeldet. Im Jahr 1981 war sie bis zum Unfall jeweils stundenweise als Aushilfe bei diesem Unternehmen tätig, somit lediglich geringfügig beschäftigt und daher nicht sozialversichert. Im Unfallszeitpunkt hatte ihr stundenweises Beschäftigungsausmaß de facto das einer Halbtagsbeschäftigung erreicht. Die Klägerin strebte jedoch eine Ganztagsbeschäftigung an. Deshalb kam es zwischen ihr und Johann R***** zu Gesprächen, wonach die Klägerin, wenn sie dies wolle, im Falle einer Geschäftsausweitung und eines dementsprechend erhöhten Arbeitsanfalls auch als Fixangestellte bei der Firma R***** arbeiten könne, weil Johann R***** mit der Arbeitsleistung der Klägerin stets zufrieden war. Dies war allerdings noch keine bindende Vereinbarung, aber ein Angebot des Johann R*****. Etwa im September 1981 hätte die Klägerin mit einer fixen Anstellung als Ganz- oder Halbtagskraft rechnen können; tatsächlich hat die Firma R***** zu diesem Zeitpunkt auch zwei Halbtagskräfte benötigt und eingestellt, die dort solange weiterarbeiten konnten, wie sie wollten. Diese Expansion der Firma R***** war im Unfallszeitpunkt schon voraussehbar. Die Klägerin hätte in der Folge jedenfalls bis Ende 1984 weiter halbtags arbeiten können. Ab diesem Zeitpunkt hat sich der Betriebsumfang der Firma R***** weiter vergrößert und die Klägerin wäre auch noch nach dieser Erweiterung beschäftigt worden, wenn sie dies gewollt hätte; überhaupt hätte die Klägerin bei vermehrtem Arbeitsanfall dementsprechend mehr arbeiten können. Langfristig wäre die Klägerin jedenfalls ganztägig bei der Firma R***** beschäftigt gewesen. Nach dem Ausscheiden der Mutter des Johann R***** aus dem Geschäft 1994 hätte die Klägerin auch die Möglichkeit bekommen, an deren Stelle als Verkäuferin ganztägig zu arbeiten. Bei der Klägerin hatte sich der seit der Hochzeit im Jahr 1973 bestehende Kinderwunsch im Zeitpunkt des Unfalls noch immer nicht erfüllt, weshalb diese sich damit abgefunden hatte, keine Kinder bekommen zu können. Auf keinen Fall war es daher ihre Absicht, ihre Berufstätigkeit bald wieder zugunsten der Kindererziehung aufzugeben. Sie strebte im Gegenteil eine Ganztagsbeschäftigung an und wollte so viel wie möglich arbeiten und verdienen.

Rechtlich vertrat das Erstgericht zum Verdienstentgangsbegehren die Auffassung, dass die Klägerin im maßgeblichen Zeitraum bei dem nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge zu erwartenden Geschehensablauf einen Verdienst als Ganztagsbeschäftigte erzielt hätte; somit handle es sich bei ihren Ansprüchen um einen positiven Schaden und nicht bloß um einen entgangenen Gewinn. Die Unterhaltsleistungen ihres geschiedenen Ehegatten brauche sie sich nicht anrechnen zu lassen, weil es sich um einen anderen Rechtsgrund handle.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, dass der Klägerin insgesamt S 751.571,69 s.A. zugesprochen und das Mehrbegehren von S 505.032,31 s.A. abgewiesen wurde. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und führte zur Rechtsrüge unter anderem folgendes aus:

Der Verdienstentgang könne entweder konkret oder abstrakt berechnet werden. Bei der konkreten Berechnung des Verdienstentganges werde mit Hilfe der Differenzmethode festgestellt, welche Einkommensverringerung infolge der Körperverletzung eingetreten sei; es werde also die wirkliche Vermögenseinbuße berücksichtigt. Dabei sei darauf Bedacht zu nehmen, welchen Verdienst der Geschädigte ohne Unfall bei gewöhnlichem Verlauf der Dinge voraussichtlich erzielt hätte. In diesem Zusammenhang könne die Frage, welches Einkommen der Geschädigte bei Ausnützung seiner Erwerbsfähigkeit ohne die Unfallsfolgen erzielt hätte, nur auf Grund hypothetischer Feststellungen über einen nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge zu erwartenden Geschehensablauf beurteilt werden. Verdienstentgang sei nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich positiver Schaden und nicht bloß entgangener Gewinn. Die Erwerbsfähigkeit werde als selbständiges, gegenwärtiges Rechtsgut angesehen. Es werde auch darauf abgestellt, ob der Geschädigte eine rechtlich gesicherte Position auf Verdienst gehabt habe oder der Verdienst zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit erzielt worden wäre. Dabei bestehe der positive Schaden bei Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit nur in der nach Berufsklasse und wirtschaftlicher Situation typischen Vermögenseinbuße. Besondere subjektive Erwerbsmöglichkeiten könnten daher nur beim subjektiv zu berechnenden Interesseersatz berücksichtigt werden.

Nach den übernommenen Feststellungen sei davon auszugehen, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im klagsgegenständlichen Zeitpunkt die Klägerin einer Berufstätigkeit, insbesondere ab 1994 ganztägig als unselbständig Erwerbstätige nachgegangen wäre. Demnach sei der vom berufskundlichen Sachverständigen ermittelte Verdienstentgang zuzuerkennen. Die von der Berufungswerberin zitierte Entscheidung 2 Ob 27/99f sei auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anzuwenden.

Was die Unterhaltsleistungen des Ehegatten betreffe, habe das Erstgericht zutreffend ausgeführt, dass der auf den Rechtsgrund des Schadenersatzes gestützte Anspruch wegen Verdienstentganges, der grundsätzlich in den Rahmen der Ersatzansprüche nach § 1325 ABGB falle, seiner Natur nach etwas wesentlich anderes sei als der gesetzliche Unterhaltsanspruch, was beispielsweise im Falle einer Scheidung sofort augenfällig in Erscheinung trete, weil auch beim Wegfall der auf § 91 ABGB beruhenden Unterhaltsverpflichtung des Ehegatten dessen Verpflichtung zur Leistung eines Schadenersatzes im vollen Umfang weiter bestehe. Die Ansicht des Erstgerichtes, dass von einer Konsumtion des Schadenersatzanspruches der Ehegattin durch deren gesetzlichen Unterhaltsanspruch nicht gesprochen werden könne, sei daher nicht rechtsirrtümlich.

Gegen den berufungsgerichtlichen Zuspruch eines Betrages von S 515.531,69 s.A. richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das über den Zuspruch eines Betrages von S 236.040 hinausgehende Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig, weil die Rechtslage einer Klarstellung bedarf; sie ist im Sinne des Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Die Beklagte macht zusammengefasst geltend, im Lichte der Entscheidungen 2 Ob 27/99f und 2 Ob 270/98i hätte der über die Bezüge einer geringfügig beschäftigten Dienstnehmerin hinausgehende Verdienstentgang nicht als positiver Schaden beurteilt werden dürfen; weiters seien die Unterhaltsleistungen des geschiedenen Ehegatten der Klägerin anzurechnen, weil dieser zugleich Unterhaltsschuldner und Schadenersatzschuldner sei.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu wurde erwogen:

Der erkennende Senat hat in den von der Rechtsmittelwerberin zitierten Entscheidungen 2 Ob 270/98i mwN = JBl 1999, 183 = RdW 1999, 19 und 2 Ob 27/99f = ZVR 2000/17 folgendes ausgesprochen:

Verdienstentgang ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich positiver Schaden und nicht bloß entgangener Gewinn. Die Erwerbsfähigkeit wird als selbständiges, gegenwärtiges Rechtsgut angesehen. Es wird auch darauf abgestellt, ob der Geschädigte eine rechtlich gesicherte Position auf Verdienst hatte oder der Verdienst zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit eingetreten wäre. Der positive Schaden besteht bei Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit aber nur in der nach Berufsklasse und wirtschaftlicher Situation typischen Vermögenseinbuße. Besondere subjektive Erwerbsmöglichkeiten können daher beim subjektiv zu berechnenden Interessenersatz berücksichtigt werden. Wollte man jede Vereitelung einer Gewinnchance als positiven Schaden ansehen, wäre eine Unterscheidung vom entgangenen Gewinn nur von geringer Bedeutung; dies würde dem vom ABGB verfolgten Konzept, die Ersatzpflicht entsprechend der Schwere der Zurechnungsgründe abzustufen, widersprechen.

Im vorliegenden Fall steht fest, dass die Klägerin im Unfallszeitpunkt halbtags beschäftigt war und eine Ganztagsbeschäftigung anstrebte, die sie bei ihrem Arbeitgeber in der Folge auch erreicht hätte. Damit hätte sie die typischen Verhältnisse ihrer Berufsstellung nicht verlassen. In deren Rahmen hätte sie im maßgeblichen Zeitraum zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Ganztagsverdienst erzielt, weshalb sie durch dessen Entgang einen positiven Schaden erlitten hat. Auf die Zufälligkeit, ob die Geschädigte in ihrem Beruf im Schädigungszeitpunkt gerade ganztags, halbtags oder stundenweise beschäftigt (oder gerade arbeitslos) war, kommt es bei der Einschränkung auf die nach Berufsklasse und wirtschaftlicher Situation typische Vermögenseinbuße nicht an. Auch in 2 Ob 27/99f wurde im Übrigen nur der Verlust der Aussicht auf die zugesagte Übernahme eines Bauernhofes als entgangener Gewinn qualifiziert, während der Ersatz der Einbußen aus unselbständiger Tätigkeit auf Basis eines erst für die Zeit nach dem Unfall vorgesehenen Entgelts unstrittig war.

Die Vorinstanzen haben ihren Entscheidungen somit zu Recht den Verdienstentgang bei ganztägiger Beschäftigung zugrunde gelegt, ohne dabei die Unterscheidung zwischen positivem Schaden und entgangenem Gewinn, der nur bei grobem Verschulden zu ersetzen wäre, zu missachten.

Was die Anrechenbarkeit von Unterhaltsleistungen des geschiedenen Ehegatten anlangt, so entspricht es der herrschenden Ansicht, dass der Schadenersatzanspruch bei Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit nicht dadurch gemindert wird, dass ein Dritter dem Verletzten Unterhalt zu gewähren hat (RIS-Justiz RS0022789, RS0031301; Harrer in Schwimann2 Anhang nach §§ 1323 f Rz 10; Koziol, Haftpflichtrecht I3 Rz 10/37). In § 14 Abs 4 EKHG und § 843 Abs 4 dBGB findet sich dieser Grundsatz ausdrücklich. Er wird damit begründet, dass nicht die Entlastung des Schädigers bezweckt wird, wenn ein Dritter auf Grund familienrechtlicher Verpflichtungen Leistungen erbringt, um die unfallsbedingt vermehrten Bedürfnisse des Geschädigten zu befriedigen (RIS-Justiz RS0022789; Koziol aaO; Stein im Münchner Kommentar zum BGB3 § 843 Rz 50 f; Boujong im RGRK § 843 BGB Rz 129, 133; Schäfer in Staudinger12 § 843 BGB Rz 71 ff, 94 ff mwN). Dieser Gedanke kommt aber dann nicht zum Tragen, wenn der Unterhaltspflichtige kein Dritter sondern - wie hier - der Schädiger selbst ist. Soweit dieser unfallsbedingt (mehr) Unterhalt geleistet hat, ist eine Anrechnung auf den Verdienstentganganspruch möglich, weil grundsätzlich nur der entstandene Schaden ausgeglichen werden soll (vgl Koziol aaO Rz 10/33).

Ob und inwieweit solche Unterhaltsleistungen im vorliegenden Fall zu berücksichtigen sind, kann anhand der vorinstanzlichen Feststellungen nicht abschließend beurteilt werden. Die Rechtssache war daher unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile (soweit diese noch nicht in Rechtskraft erwachsen sind) zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.

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