OGH 8ObS69/00f

OGH8ObS69/00f30.3.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Adamovic sowie die fachkundigen Laienrichter MR Dr. Walter Kraft und MMag Albert Ullmer als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Parteien

1.) Ing. Adolf D*****, technischer Angestellter, *****, und 2.) Ing. Dieter K*****, technischer Angestellter, *****, beide vertreten durch Dr. Hans Werner Mitterauer, Kammer für Arbeiter und Angestellte für Salzburg, Salzburg, Markus-Sittikus-Straße 10, dieser vertreten durch Dr. Sabine Berger, Rechtsanwältin in Salzburg, wider die beklagte Partei Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen Salzburg, Salzburg, Auerspergstraße 67a, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen Insolvenz-Ausfallgeld (Rekursinteresse hinsichtlich des Erstklägers S 55.104,30 sA und hinsichtlich des Zweitklägers S 50.689,70 sA, infolge Rekurses der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 2. Dezember 1999, GZ 11 Rs 203/99y-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 15. März 1999, GZ 19 Cgs 233/98z-7, teils bestätigt, teils aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Aufhebungsbeschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt:

Das Urteil der ersten Instanz wird wiederhergestellt.

Die klagenden Parteien haben die Kosten des Rechtsmittelverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Seit 16. 10. 1995 waren die Kläger als technische Angestellte bei der Firma I***** I***** EntwicklungsgesmbH (im folgenden Ausgleichsschuldnerin genannt) beschäftigt. Die Kläger waren neben zwei weiteren Gesellschaftern mit Einlagen in gleicher Höhe am Stammkapital von S 1,000.000,-- mit je S 250.000,-- beteiligt. Um konjunkturbedingte Schwankungen im Auftragsentwicklungsbereich auszugleichen, wurden verschiedene Eigenprodukte entwickelt. Im Wesentlichen wurden dabei ca S 5,000.000 für das Projekt "L*****" investiert, welches jedoch nicht in den Fertigungs- bzw Vermarktungsbereich übergeleitet werden konnte. Anlässlich der Bilanzierung für das Jahr 1996 musste schließlich das Projekt samt aktivierten Leistungen mit ca S 1,8 Mio abgeschrieben werden. Auf Grund dieser Entwicklung stellte der Forschungsförderungsfonds einen Kredit in der Höhe von ca S 1,000.000,-- fällig, wodurch es zu Liquiditätsengpässen der Gesellschaft kam. Ab diesem Zeitpunkt hätte die Gesellschaft von einem außenstehenden Dritten keinen Kredit mehr erhalten.

Der Erstkläger erhielt für die Tätigkeit ab 1. 12. 1995, der Zweitkläger ab 1. 4. 1996 auf Grund dieser mangelnden Liquidität des Unternehmens keine Gehaltszahlungen mehr. Beide urgierten die offenen Gehaltsforderungen mehrmals bei der Geschäftsleitung. Die Kläger erhielten zwar nach dem 1. 12. 1995 bzw 1. 4. 1996 noch Zahlungen, diese wurden jedoch auf ältere Gehaltsansprüche angerechnet. Am 18. 6. 1997 erklärten die Kläger den vorzeitigen Austritt. Anfang Juli 1997 wurde der Ausgleichsantrag gestellt. Mit Beschluss des Landesgerichtes Salzburg vom 4. 8. 1997 wurde zu 23 Sa 672/97m das Ausgleichsverfahren über die Ausgleichsschuldnerin eröffnet.

Am 16. 9. 1997 beantragten die Kläger die Gewährung von Insolvenz-Ausfallgeld und zwar der Erstkläger in Höhe von S 269.285,30 netto und der Zweitkläger in Höhe von S 225.310,17 netto.

Der Erstkläger verzeichnete seine Forderungen wie folgt:

Gehalt (1. 12. 95 bis 19. 6. 97) S 183.448,80

Sonderzahlungen

(1. 1. 96 bis 19. 6. 97) S 29.259,20

Kündigungsentschädigung (20. 6. bis

30. 9. 97) S 39.385,20

Urlaubsentschädigung für 36 Werktage S 15.719,10

Zinsen (19. 6. bis 3. 8. 97) S 1.473,--.

Der Zweitkläger schlüsselte seine Forderungen wie folgt auf:

Gehalt (1. 4. 96 bis 18. 6. 97) S 144.156,47

Sonderzahlungen (1. 1. 96 bis

18. 6. 97) S 29.203,70

Kündigungsentschädigung (19. 6. 97

bis 30. 9. 197) S 39.773,60

Urlaubsentschädigung für

25 Werktage S 10.916,10

Zinsen (19. 6. bis 3. 8. 97) S 1.260,30.

Die beklagte Partei hat mit Bescheiden vom 16. 9. 1997 beide Anträge zur Gänze abgewiesen, weil das "Stehenlassen" von Entgeltansprüchen als eigenkapitalersetzendes Gesellschaftsdarlehen zu qualifzieren sei und somit kein aufrechter und gesicherter Anspruch nach dem IESG vorliege.

Das Erstgericht hat die von beiden Klägern gegen diese Bescheide erhobenen Klagen auf der Grundlage des eingangs wiedergegebenen Sachverhaltes abgewiesen.

In der rechtlichen Beurteilung referierte das Erstgericht, von der Entscheidung SZ 64/53 ausgehend, die Judikatur des Obersten Gerichtshofes, unter welchen Voraussetzungen das Belassen offener Gehaltsansprüche im Gesellschaftsvermögen als eigenkapitalersetzende Finanzierungsentscheidung zu beurteilen sei. Die Kläger hätten im konkreten Fall die Kreditunwürdigkeit der Gesellschaft zumindest objektiv im Zeitpunkt des "Stehenlassens" der offenen Gehaltsforderungen erkennen können. Auf Grund der Feststellungen könne ihnen vorgeworfen werden, sich nicht ausreichend über die finanzielle Situation der Gesellschaft informiert und somit die Liquidation der Gesellschaft mitverschleppt zu haben. Der Eigenkapitalcharakter des "Stehenlassens" habe ihnen bewusst sein müssen. Das Haftungsrisiko hier auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds abzuwälzen, würde dessen Zweck widersprechen. Im Sinne des IESG gesicherte Ansprüche lägen daher nicht vor.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger teilweise Folge. Es bestätigte die Abweisung der Klagebegehren im Ausmaß von S 214.181,-- netto sA hinsichtlich des Erstklägers und von S 174.620,47 netto sA, hinsichtlich des Zweitklägers als Teilurteil und gab dem Rekurs im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages im Ausmaß S 55.104,30 netto sA hinsichtlich des Erstklägers und S 50.689,70 netto sA hinsichtlich des Zweitklägers Folge, hob das angefochtene Urteil insoweit auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht. Weiters erklärte es den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig.

In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht aus, die Kläger wendeten sich zu Recht gegen die undifferenzierte Ansicht des Erstgerichtes, als es die aus dem berechtigten vorzeitigen Austritt gemäß § 26 Z 2 AngG abgeleiteten Beendigungsansprüche in gleicher Weise von der Besicherung durch das IESG ausnehme, wie jene Entgeltforderungen, die nach Erkennbarkeit der Kreditunwürdigkeit der Gesellschaft gerade durch das unangemessen lange Zuwarten mit dem Austritt entstanden seien. Damit lasse das Erstgericht schon im Ansatz außer Betracht, dass das einem Fremdvergleich nicht standhaltende atypische Festhalten des Gesellschafters an einem Arbeitsverhältnis, aus dem er wegen der finanziellen Schwierigkeiten des Unternehmens kein Entgelt mehr beziehen könne, eine sittenwidrige Verlagerung des Finanzierungsrisikos des Arbeitgebers auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds begründe. Der zum Anspruchsverlust nach dem IESG führende Rechtsmissbrauch liege darin, dass ein Gesellschafter trotz Erkennbarkeit der aussichtslosen wirtschaftlichen Lage des Unternehmens mit der Beendigung des Dienstverhältnisses unverhältnismäßig länger zuwarte als ein anderer Arbeitnehmer. Solche atypischen Beschäftigungsverhältnisse ohne jegliche Entgeltzahlungen erklärten sich nur auf Grund der besonderen Verbundenheit des Gesellschafters mit seinem Unternehmen. Derartige Verhaltensweisen, die darauf hinausliefen, mit der Gegenleistung aus dem Arbeitsverhältnis einen Dritten zu belasten, seien nichtig, und zwar auch dann, wenn die Absicht des Gesellschafters nicht vordergründig darauf gerichtet gewesen sei, den Fonds sittenwidrig zu schmälern, sondern wenn dies nur mit bedingtem Vorsatz in Kauf genommen worden sei (ZIK 1996, 172; 8 ObS 192/98p; 8 ObS 48/99p). Es müsse daher zur Beurteilung, welche Ansprüche nach dem IESG gesichert seien, im Fremdvergleich geprüft werden, zu welchem objektiven Zeitpunkt ein unselbständig Beschäftigter anstelle der hier klagenden Gesellschafter den vorzeitigen Austritt hätte erklären müssen, um nicht in sittenwidriger Weise den Fonds zu schmälern. Eine Überlegungsfrist von höchstens zwei Monaten erscheine dabei in Anlehnung an die Entscheidung 8 Ob 254/97d (= SZ 70/232) angemessen. Im Falle des Erstklägers habe der Entgeltrückstand mit der Lohnperiode Dezember 1995 begonnen. Der Arbeitgeber sei damit ab 1. 1. 1996 in Verzug gewesen, sodass unter Berücksichtigung des oben erwähnten angemessenen Überlegungszeitraumes im Fremdvergleich spätestens mit Ende Februar 1996 der Austritt aus dem Arbeitsverhältnis zu fingieren sei. Gegenüber dem Zweitkläger sei der Arbeitgeber ab 1. 5. 1996 in Zahlungsverzug geraten, sodass unter Zugrundelegung dieser Überlegungen zum Fremdvergleich von einem fiktiven Austritt aus dem Arbeitsverhältnis spätestens mit Juni 1996 auszugehen sei. Über diesen Zeitpunkt hinaus, in dem ein "unbeteiligter" Arbeitnehmer nicht im Unternehmen verblieben wäre, sondern seinen vorzeitigen Austritt erklärt hätte, könnten im Falle der nachfolgenden Insolvenz des Unternehmens keine Ansprüche gegen den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds geltend gemacht werden. Die Kläger hätten wissen müssen, dass rückständige Lohnansprüche grundsätzlich vom Fonds abgegolten würden. Machten sie diese Ansprüche, auch wenn sie früher dies nicht bedacht und die Schädigung des Fonds damals nicht in Kauf genommen hätten, nunmehr geltend, liege auch darin ein sittenwidriger Versuch der Schädigung des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds (8 ObS 192/98p). Über den 29. 2. bzw 30. 6. 1996 hinaus seien daher die Entgeltansprüche der Kläger aus ihrem Arbeitsverhältnis nicht mehr gesichert. Dies gelte nicht nur für die laufenden Gehaltsansprüche, sondern in gleicher Weise für die davon abhängigen Sonderzahlungen. Im ergänzenden Verfahren werde das Erstgericht daher mit den Parteien die bislang noch nicht durchgeführte Erörterung über die Höhe der geltend gemachten Kündigungsentschädigung sowie über Ausmaß und Höhe der geltend gemachten Urlaubsentschädigungen vorzunehmen haben.

Der Zulassungsausspruch gründe sich auf § 45 Abs 1 iVm § 46 Abs 1 ASGG. Es gebe zwar eine reichhaltige Rechtsprechung zur Frage, unter welchen Voraussetzungen das Belassen offener Gehaltsansprüche im Gesellschaftsvermögen als eigenkapitalersetzende Finanzierungsentscheidung zu beurteilen sei; zur Frage, welche Überlegungsfrist im Fremdvergleich einem unselbständig Beschäftigten einzuräumen sei, seinen vorzeitigen Austritt zu erklären und ob dieser Fremdvergleich sinngemäß auch auf Beendigungsansprüche anzuwenden sei, fehle eine oberstgerichtliche Rechtsprechung.

Nur gegen den Aufhebungsbeschluss richtet sich der Rekurs der beklagten Partei aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und in der Sache selbst dahin zu entscheiden, dass die Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werden.

Die Kläger beantragen, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Zutreffend verweist die beklagte Partei auf die Entscheidung SZ 70/232 = ÖBA 1998, 964 (Schumacher) wonach das Stehenlassen von Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis durch einen Arbeitnehmer der GmbH, der zugleich auch deren Gesellschafter ist, auch bei einer Beteiligung von 20 % als Eigenkapitalersatz zu qualifizieren sei, wenn der Gesellschafter die Kreditunwürdigkeit der Gesellschaft habe erkennen können. Positive Kenntnis sei nicht erforderlich.

Im vorliegenden Fall ist eine Trennung der Ansprüche der Kläger aus einem einheitlichen Beschäftigungsverhältnis in einen Anteil, in dem sie als Gesellschafter durch Stehenlassen ihrer Entgeltforderungen ein eigenkapitalersetzendes Gesellschafterdarlehen der insolventen Arbeitgeberin gewährten, und in einen Teil in dem sie als Arbeitnehmer hinsichtlich eines einem "Fremdvergleich" standhaltenden Verhaltens ihren fingierten Austritt erklärt hätten (vgl 8 ObS 285/98k; 8 ObS 32/99k; 8 ObS 48/99p), nicht möglich und wurde überdies zu artifiziellen Ergebnissen führen. Wenn nämlich einerseits gesellschaftrechtliche Erwägungen zum Eigenkapitalersatz zum Ausschluss der Sicherung nach dem IESG führen (SZ 69/208; SZ 70/232), so kann vom einheitlichen Rechtsverhältnis nicht andererseits ein typisches Arbeitsverhältnis, das einen vom Sicherungszweck des IESG erfassten Austritt rechtfertigen könnte, getrennt werden (zum Schutzzeck des IESG s SZ 64/54; SZ 66/8; SZ 66/124 uva zuletzt 8 ObS 48/99p). Insoweit wirkt die gesellschaftsrechtiche Betrachtungsweise fort und verdrängt allfällige arbeitsrechtliche Ansprüche, denen schon von Anfang an das Hindernis entgegensteht, dass es sich nicht um typische Arbeitnehmeransprüche im Sinne des Schutzzweckes des IESG handelt, sondern um solche von Arbeitnehmer-Gesellschaftern, die wegen ihrer Beteiligung an der als Arbeitgeberin fungierenden GmbH die Befriedigung der ihnen aus ihrem Arbeitsverhältnis zustehenden Entgeltansprüche hintanstellten (vgl 8 ObS 32/99k und 8 ObS 48/99p).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG; ein Kostenersatz für die Rekursbeantwortung, in der die Beteiligung der Kläger als Gesellschafter einfach ignoriert wird, gebührt auch nicht aus Billigkeitserwägungen.

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