OGH 1Ob247/99a

OGH1Ob247/99a28.3.2000

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Reinhard K*****, vertreten durch Pieler & Pieler Partner KEG, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Zuhidija M*****, vertreten durch Dr. Michael Bereis, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 89.563,-- sA infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 29. Juni 1999, GZ 37 R 391/99w-16, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 18. Mai 1999, GZ 26 C 539/98h-13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts insoweit wiederhergestellt wird, dass er zu lauten hat:

"Die Bestätigung der Vollstreckbarkeit des vom Erstgericht am 14. 8. 1998 erlassenen Zahlungsbefehls, GZ 26 C 539/98h-2, wird aufgehoben."

Die klagende Partei, die die Kosten ihres Rekurses ON 14 selbst zu tragen hat, ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 6.086,40 (darin S 1.014,40 USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Begründung

Das Erstgericht erließ am 14. 8. 1998 gegen den Beklagten einen Zahlungsbefehl, der nach zwei erfolglosen Zustellversuchen am 20. 8. 1998 und am 21. 8. 1998 am 24. 8. 1998 beim zuständigen Postamt hinterlegt wurde. Der Zusteller ließ sowohl die Ankündigung des zweiten Zustellversuchs als auch die Verständigung von der Hinterlegung im Hausbrieffach zurück. Dieses gehört auch zu einem im selben Haus befindlichen Kaffeehaus. Der Beklagte hat zum Brieffach keinen Schlüssel. Es wird vielmehr vom Besitzer des Kaffeehauses entleert. Der Beklagte oder dessen Lebensgefährtin holt sodann die Post im Kaffeehaus ab.

Der Beklagte befand sich vom 12. 8. 1998 bis 28. 8. 1998 in Graz auf einer Baustelle und wohnte dort in einem Bauarbeiterquartier. Während seiner Abwesenheit wurden für den Beklagten mehrere Rückscheinsendungen hinterlegt. Nach dessen Rückkehr übergab ihm seine Lebensgefährtin die Hinterlegungsanzeigen, unter denen sich jedoch eine den hier erlassenen Zahlungsbefehl betreffende Anzeige nicht befand.

Das Zustellstück wurde am 9. 9. 1998 unbehoben an das Erstgericht zurückgesandt, das in der Folge die Vollstreckbarkeit des Zahlungsbefehls bestätigte.

Nachdem der Beklagte mit Schriftsatz vom 18. 11. 1998 Akteneinsicht begehrt hatte, stellte er am 4. 2. 1999 die Anträge auf Zustellung des Zahlungsbefehls, Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung und Aufschiebung eines Exekutionsverfahrens. Gleichzeitig erhob er gegen den Zahlungsbefehl Einspruch. Der Beklagte brachte vor, er sei im Zeitpunkt der Zustellung und Hinterlegung ortsabwesend gewesen und habe erst im Zuge des gegen ihn geführten Exekutionsverfahrens von der Existenz des Zahlungsbefehls erfahren.

Nach Durchführung von Erhebungen hob das Erstgericht die Bestätigung der Vollstreckbarkeit des Zahlungsbefehls vom 14. 8. 1998 auf (Punkt 1.) und sprach aus, dass das Verfahren bis auf die Erlassung des Zahlungsbefehls für nichtig erklärt werde (Punkt 2.). Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen und führte zur rechtlichen Beurteilung aus, dass bei Anwendung des § 17 Abs 3 letzter Halbsatz ZustG auf die subjektive Möglichkeit des Empfängers Bedacht zu nehmen sei, die hinterlegte Sendung abzuholen. Finde der Empfänger daher bei seiner Rückkehr an die Abgabestelle keine Hinterlegungsanzeige vor, komme es nicht zu einer Sanierung der Zustellung. Durch die Akteneinsicht des Beklagtenvertreters sei die Zustellung nicht bewirkt worden, weil eine Sendung nur dann tatsächlich zugekommen sei, wenn sie den Empfänger selbst erreicht habe, d.h. wenn ihm das Schriftstück ausgehändigt worden sei.

Das Rekursgericht änderte diesen Beschluss dahin ab, dass es den Antrag des Beklagten, die Vollstreckbarkeitsbestätigung aufzuheben, abwies. Es sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei. Gemäß § 17 Abs 4 ZustG sei die im Wege der Hinterlegung vorgenommene Zustellung auch dann gültig, wenn die Hinterlegungsanzeige beschädigt oder entfernt wurde. Aus dieser Bestimmung lasse sich ableiten, dass die Wirksamkeit der Zustellung nicht dadurch beeinträchtigt werde, dass die Verständigung dem Zustellempfänger nicht zukomme. Die Unkenntnis von einer gesetzmäßigen Zustellung bilde lediglich einen Wiedereinsetzungsgrund. Wenn eine Zustellung durch Hinterlegung während der Ortsabwesenheit des Empfängers erfolge, werde die Zustellung gemäß § 17 Abs 3 letzter Halbsatz ZustG bei Rückkehr des Empfängers innerhalb der Abholfrist mit dem auf die Rückkehr folgenden Tag wirksam. Dem Beklagten wäre die Behebung des Zustellstücks erstmals am 31. 8. 1998 möglich gewesen. Es sei daher davon auszugehen, dass die Zustellung mit diesem Tage wirksam geworden sei. Es sei zwar der Auffassung zu folgen, dass auch auf die subjektive Möglichkeit des Empfängers Bedacht zu nehmen sei, die hinterlegte Sendung abzuholen, unter dieser sei jedoch nicht der Verlust der Hinterlegungsanzeige zu verstehen, sondern Fälle wie etwa Erkrankung oder Handlungsunfähigkeit.

Der dagegen erhobene Revisionsrekurs des Beklagten ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 17 Abs 2 ZustG ist der Empfänger von der Hinterlegung schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in den für die Abgabestelle bestimmten Briefkasten (Briefeinwurf, Hausbrieffach) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus-, Gartentüre) anzubringen. Der Zusteller hat im Rahmen dieser gesetzlichen Möglichkeiten die Wahl, auf welche Weise er die Hinterlegungsanzeige an der Abgabestelle zurücklässt. Es muss aber in jedem Fall die objektive Gewähr gegeben sein, dass die Verständigung den Empfänger erreichen kann (EvBl 1993/196). Die Hinterlegung bewirkt nur dann die Zustellfiktion, wenn sämtliche gesetzlichen Voraussetzungen verwirklicht sind. Es muss daher auch die Zurücklassung der Hinterlegungsanzeige gesetzmäßig erfolgen. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang ausgesprochen, ein Briefkasten, der für mehrere Abgabestellen (dort: zwei Wohnungen) bestimmt ist, sei kein solcher im Sinn des § 17 Abs 2 ZustG. In ihn dürfe eine Verständigung über die Hinterlegung nicht eingelegt werden. Fehle es auch an einem Briefeinwurf oder einem Hausbrieffach, komme nur die Zurücklassung der Verständigung an der Abgabestelle oder deren Anbringung an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus-, Gartentüre) in Betracht (ÖStZB 1990, 341; Gitschthaler in Rechberger, ZPO2 Rz 3 zu § 87 [§ 17 ZustG]). Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsansicht an, ergibt sich doch schon aus der Gleichstellung des Briefkastens bzw des Hausbrieffachs mit dem Briefeinwurf an der Wohnungstür, dass ihr der Gesetzgeber unterstellt hat, auch der Briefkasten oder das Hausbrieffach sei jeweils nur einer einzigen Abgabestelle zugeordnet. Anderenfalls wäre nicht die die Zustellfiktion rechtfertigende Gewähr gegeben, ein durchschnittlich sorgfältiger Empfänger könne nach der Rückkehr an die Abgabestelle in den Besitz der Hinterlegungsanzeige kommen.

Im hier zu entscheidenden Fall hatten der Beklagte und dessen Lebensgefährtin nicht einmal einen Schlüssel zum Hausbrieffach, sondern waren darauf angewiesen, dass ihnen der Inhaber des Kaffeehauses ihre Post ausfolge. Es kam somit nicht auf die Sorgfalt des Beklagten, sondern auf jene eines in den Zustellvorgang vom Gesetz nicht eingebundenen Dritten an. Damit war aber nicht sichergestellt, dass die Hinterlegungsanzeige dem Beklagten zukomme, hing es doch von Zufälligkeiten ab, die der Beklagte nicht beeinflussen konnte.

Die Zustellung durch Zurücklassung der Hinterlegungsanzeige in einem für zwei Abgabestellen bestimmten Hausbrieffach entsprach daher nicht dem Gesetz, weshalb dem Revisionsrekurs schon aus diesem Grunde Folge zu geben ist, ohne dass es auf die Lösung der vom Rekursgericht als bedeutsam bezeichneten Rechtsfrage ankäme. Der erstinstanzliche Beschluss war jedoch unter Ausschaltung des Nichtigkeitsausspruchs wieder herzustellen, weil das Rechtsschutzziel des Verfahrens nach § 7 Abs 3 EO lediglich die Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung ohne Eingriff in das weitere Verfahren ist (vgl 8 Ob 104/97w; 9 Ob 191/98y) und dem Erstgericht nicht unterstellt werden kann, dass es das über die näheren Umstände der Zustellung abgeführte Verfahren als nichtig habe aufheben wollen.

Der Zuspruch der Revisionsrekurskosten im vorliegenden Zwischenstreit (1 Ob 610/93; SZ 71/113) gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

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