OGH 10ObS261/99a

OGH10ObS261/99a14.12.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Steinbauer sowie die fachkundigen Laienrichter MR Dr. Werner Hartmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Helmut Stöcklmayer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Heinz H*****, Angestellter, ***** vertreten durch Dr. Gerhard Hiebler, Rechtsanwalt in Leoben, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Anton Paul Schaffer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Weitergewährung der Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8. Juli 1999, GZ 7 Rs 121/99i-32, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom 14. Oktober 1998, GZ 21 Cgs 322/96t-27, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der am 9. 3. 1944 geborene Kläger hat den Beruf des Maurers erlernt und die Lehrabschlussprüfung abgelegt. Er übte von 1973 bis 1994 die Tätigkeit eines Stationsleiters einer Liftanlage aus: Er war verantwortlicher Stationsleiter von Schiliften, die er jährlich von November bis April (6 Monate) betreute. In der Zeit von Mai bis Oktober (ebenfalls 6 Monate) führte er Maurerarbeiten durch; er war der einzige Betriebsmaurer seines Arbeitgebers T***** Fremdenverkehrs-Gesellschaft mbH und in dieser Eigenschaft bei der Errichtung von Betriebsgebäuden (Hotel, Garage für Pistengeräte, Seilbahn- und Liftstationen, Schlepplifte) beteiligt. Die Bauarbeiten dauerten regelmäßig von Mai bis Oktober, gelegentlich waren Fertigstellungarbeiten bis in den Dezember hinein erforderlich. Der Kläger kann auf Grund seines Gesundheitszustandes weder die Tätigkeit eines Maurers noch die eines Stationsleiters von Liftanlagen ausüben. Er könnte aber etwa noch als Botengänger, Aufseher oder Portier arbeiten. Strittig ist im vorliegenden Fall, ob der Kläger überwiegend in seinem erlernten Beruf des Maurers tätig war.

Mit Bescheid der beklagten Partei vom 22. 8. 1996 wurde der Antrag des Klägers vom 9. 3. 1996 auf Weitergewährung der bis 31. 3. 1996 befristet zuerkannten Berufsunfähigkeitspension abgelehnt.

Das Erstgericht wies das dagegen erhobene Klagebegehren auch im zweiten Rechtsgang ab. Es stellte unter anderem fest, dass der Kläger in den Monaten Mai bis Oktober auch Revisions- und Montagearbeiten ebenso wie Holzfällerarbeiten durchgeführt habe, zumal sein Arbeitgeber über eigene Waldbestände verfügte. Er habe auch Holzschlägerungsarbeiten durchführen müssen, wenn Lifttrassen zu verbreitern waren. Es habe aber auch Jahre gegeben, in denen keine Bau- oder Maurertätigkeiten angefallen seien bzw nicht im Ausmaß von Mai bis Oktober. Aus diesen Feststellungen schloss das Erstgericht, dass der Kläger nicht überwiegend, also in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag als Maurer tätig gewesen sei und daher keinen Berufsschutz genieße. Da er keine Angestelltentätigkeiten verrichtet habe, sei er im Sinne des analog anzuwendenden § 255 Abs 3 ASVG verweisbar.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und änderte das Ersturteil im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens ab.

Es ging auf die geltend gemachten Berufungsgründe der unrichtigen Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung und den inhaltlich gerügten Stoffsammlungsmangel nicht ein, weil diese "aus rechtlichen Gründen ohne Belang" seien. Dennoch übernahm es den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt zur Gänze als richtig und legte ihn seiner Beurteilung zu Grunde. Der Kläger hätte nur dann seinen Berufsschutz als gelernter Maurer verloren, wenn er in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag "nur fallweise Maurerarbeiten von untergeordneter Bedeutung" verrichtet hätte. Davon sei aber keine Rede, vielmehr sei das Gegenteil der Fall. Dass er die qualifizierten Tätigkeiten als Betriebsmaurer wenn auch nicht in jedem Jahr und auch nicht regelmäßig von Mai bis Oktober, so doch in einigen Jahren regelmäßig über einen Zeitraum von 6 Monaten verrichtet und darüber hinaus auch gelegentlich bis Dezember noch Fertigstellungsarbeiten geleistet habe, verleihe ihm Berufsschutz als Maurer. Die Maurerarbeit sei "ein integrierender Bestandteil im Erscheinungsbild der vom Kläger jahrelang ausgeübten Berufstätigkeit" gewesen, zumal er zur Ausübung der Maurerarbeit auch in den anderen Monaten verpflichtet gewesen sei und mit solchen Tätigkeiten rechnen habe müssen. Da der Kläger weder als Maurer noch auch etwa als Fachmarktberater arbeiten könne, sei er berufsunfähig.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Sie beantragt die Abänderung im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteils und stellt hilfsweise einen Aufhebungsantrag.

Die klagende Partei beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne ihres Eventualantrages berechtigt.

Unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (§ 503 Z 2 ZPO) macht die beklagte Partei im Ergebnis zutreffend geltend, dass dem Urteil des Berufungsgerichtes keine vollständige Feststellung des Sachverhaltes zu Grunde liegt. Wie oben dargestellt, ist es auf die in der Berufung enthaltenen Ausführungen zur unrichtigen Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung und die inhaltlich geltend gemachte Mangelhaftigkeit nicht eingegangen, hat aber dann doch den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt ohne Einschränkung übernommen, aber bei seiner rechtlichen Beurteilung wesentliche Feststellungen über die Tätigkeit des Klägers während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag wieder ausgeklammert, so insbesondere dass er auch in den Monaten Mai bis Oktober Revisions-, Montage- und Holzfällerarbeiten durchführte oder dass es Jahre gab, in denen überhaupt keine Bau- und Maurertätigkeiten angefallen sind. Ein Mangel des Berufungsverfahrens ist unter anderem dann gegeben, wenn sich das Berufungsgericht mit der Beweiswürdigungs- und Tatsachenrüge nicht oder nur so mangelhaft befasst hat, dass keine nachvollziehbaren Überlegungen über die Beweiswürdigung angestellt und im Urteil festgehalten sind (Rechberger/Kodek, ZPO § 503 Rz 3 mwN).

Es trifft nämlich nicht zu, dass die erstgerichtlichen Feststellungen über die Tätigkeit des Klägers aus rechtlichen Gründen ohne Belang seien. Insoweit ist auch die Rechtsrüge der beklagten Partei begründet:

Wurde - wie hier - eine Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension nach § 256 ASVG aF befristet gewährt, so hängt der Anspruch auf Weitergewährung davon ab, ob der Versicherte nach Ablauf der Frist, für die sie zuerkannt wurde (noch, erstmals oder wieder) invalid im Sinne des § 255 ASVG oder berufsunfähig im Sinne des § 273 ASVG ist; dabei ist ein Vergleich mit den Verhältnissen zur Zeit der Zuerkennung der befristeten Pension nicht anzustellen (SSV-NF 6/17, 8/46). Ein fristgerechter Antrag auf Weitergewährung löst im Falle des lückenlosen Weiterbestehens von Invalidität bzw Berufsunfähigkeit keinen neuen Versicherungsfall der Invalidität bzw Berufsunfähigkeit und keinen neuen Stichtag im Sinne des § 223 Abs 2 ASVG aus (SSV-NF 8/46, 10/98 ua, zuletzt 10 ObS 17/99v); dieser ist daher weiterhin der 1. 6. 1994 (Bescheid vom 12. 7. 1994 über die Zuerkennung der befristeten Berufsunfähigkeitspension ab 1. 6. 1994 bis 31. 3. 1996).

Wie schon das Erstgericht zutreffend erkannt hat, war der Kläger als Stationsleiter einer Liftanlage mangels Ausübung einer Angestelltentätigkeit im Sinne des § 1 AngG lediglich Vertragsangestellter (Angestellter "ex contractu"). Seine Berufsunfähigkeit ist daher nach den analog anzuwendenden Bestimmungen des § 255 ASVG zu beurteilen (stRspr seit SSV-NF 2/57, insbes. SSV-NF 3/2). Da der Beruf eines Stationsleiters einer Liftanlage einem ungelernten Beruf im Sinne des § 255 Abs 3 ASVG entspricht, ist also ausschlaggebend, ob der Kläger Berufsschutz als Maurer besitzt, ob er also "überwiegend" in seinem erlernten Beruf tätig war (§ 255 Abs 1 ASVG). Als überwiegend in diesem Sinne gelten solche erlernten oder angelernten Berufstätigkeiten, wenn sie in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate nach dem ASVG während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag 1. 6. 1994 ausgeübt wurden (vgl etwa SSV-NF 6/73, 12/76). Das Erstgericht hat weder die Zahl der Beitragsmonate in diesem Beobachtungszeitraum noch die Zahl jener Monate festgestellt, in denen der Kläger die Berufstätigkeit eines Maurers ausgeübt hat, es hat lediglich aus verschiedenen Umständen, vor allem wohl weil es Jahre gab, in denen überhaupt keine oder nur eingeschränkt Maurerarbeiten anfielen und der Kläger auch sonst andere Arbeiten wie Revisions-, Montage- und Holzschlägerungsarbeiten verrichten musste, den Schluss gezogen, dass die Tätigkeiten als Stationsleiter in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate ausgeübt wurden, nicht aber die als Maurer. Das Berufungsgericht hat dazu überhaupt keine Feststellungen getroffen, sondern diese aus rechtlichen Gründen für belanglos gehalten. Seine Ansicht, dass der Kläger, der (wie bereits gesagt) als Stationsleiter im Angestelltenverhältnis beschäftigt war, regelmäßig auch in den Monaten November bis April zu Maurertätigkeiten verpflichtet gewesen sei und mit solchen rechnen habe müssen, wurde übrigens weder von den Parteien behauptet noch vom Erstgericht festgestellt.

Da die Frage des Berufsschutzes nach wie vor ungeklärt ist und das Berufungsgericht - anders als das Erstgericht - entsprechende Feststellungen zur Beurteilung des Überwiegens der Tätigkeiten im Sinne des § 255 Abs 2 zweiter Satz ASVG zu Unrecht nicht für erforderlich hielt, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung an das Berufungsgericht zurück zu verweisen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 ASGG.

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