OGH 8ObA272/99d

OGH8ObA272/99d11.11.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Adamovic sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Dietmar Strimitzer und Ing. Hugo Jandl als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Walter R*****, Handelsvertreter, *****, vertreten durch Dr. Gerhard Kochwalter, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei F***** SA, *****, vertreten durch Dr. Edwin Morent, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 1,533.880,-- (Revisionsinteresse jeweils S 766.940,-- sA), infolge Revision beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12. Mai 1999, GZ 7 Ra 15/99a-47, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 18. November 1998, GZ 31 Cga 187/96w-40, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Beide Revisionen werden zurückgewiesen.

Die Rechtsmittelwerber haben ihre Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Begründung

Der Kläger war rund 3,5 Jahre bis Februar/März 1994 als alleiniger Handelsvertreter in Österreich für das (deutsche) Unternehmen Wolf S***** Gesellschaft mbH, das als Alleinimporteur die exklusive Sportbekleidung der Firma O***** Frankreich in Deutschland und Österreich vertrieb, tätig. Er baute in Österreich für seinen Vertragspartner einen Kundenstamm von etwa 80 Kunden für O*****-Produkte auf; zuvor hatte es in Österreich keine Kunden für diese Produkte gegeben. Im Frühjahr 1994 übergab O***** die Vertretung ihrer Marke der Beklagten, die dem Kläger im Mai/Juni 1994 die Vertretung der O*****-Produkte in Österreich zu den gleichen Bedingungen wie bei der Wolf S***** Gesellschaft mbH, mit der der Kläger eine 10 %igen Provisionssatz vereinbart gehabt hatte, anbot. Obwohl sich die Streitteile über die schriftlichen Vertragsentwürfe nicht einigten, nahm der Kläger infolge der bevorstehenden Verkaufssaison im September 1994 seine Tätigkeit als Handelsvertreter für die Beklagte auf, von der er eine 10 %ige Provision auf das Inkasso gezahlt erhielt. Er hatte strenge Vorgaben seines Vertragspartners zu befolgen. So war ihm, um die Marke exklusiv zu halten, nur eine beschränkte Anzahl von Händlern gestattet, obwohl er mehr Interessenten gehabt hätte. Er sollte auch die gesamte Produktpalette und nicht nur einzelne Teile vertreiben, was einige Kunden abschreckte. Verschiedene Faktoren führten zu einem Rückgang des Verkaufsumsatzes, wobei dieser im zweiten Halbjahr seiner Tätigkeit für die Beklagte weitaus größer war als im ersten Halbjahr. Der Kläger verlor Kunden durch Ereignisse, die für Handelsvertreter üblich sind, wie Geschäftsauflösungen und Konkurse. Ab dem Jahreswechsel 1994/95 wurde ihm von der Beklagten deren Verkaufsleiter für die deutschsprachige Schweiz und Österreich A***** zur Seite gestellt, der ihn nahezu immer bei Kundenbesuchen begleitete, wodurch die Kunden verunsichert wurden. Sie fragten ihn, ob ihm die Beklagte nicht mehr traue. Eine weitere Verunsicherung der Kunden hatte sich durch den Beitritt Österreichs zur EU und durch die Übernahme der Vertretung durch die Beklagte ergeben, weil die Kunden zur Wolf S***** Gesellschaft mbH ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hatten. Bei einer Sitzung der Streitteile im Dezember 1994 betreffend die Verkaufssaison 1995/96 wurde das (Umsatz-)Ziel einer Erhöhung auf Sfr 2,400.000,-- und auf 90 Verkaufspunkte festgelegt; das war eine 6 %ige Erhöhung im Vergleich zum Umsatz der letzten Saison der Wolf S***** Gesellschaft mbH, von dem der Kläger die Beklagte informiert hatte. Gegen Ende der Saison waren nur mehr 59 Kunden mit einem Umsatz von Sfr 1,032.000,-- vorhanden. Das bedeutete eine Verminderung gegenüber den gesteckten Zielen von 54 %. Während seiner Tätigkeit für die Beklagte verlor der Kläger 29 Kunden und gewann 16 Neukunden. Die Beklagte kündigte am 26. 4. 1995 das Vertragsverhältnis mit dem Kläger zum 30. 6. 1995. Während des Vertragsverhältnisses erhielt der Kläger insgesamt Sfr 191.735,41 an Bruttoprovisionen; unter Zugrundelegung eines Kurses von S 8,-- ergab sich eine Bruttoprovision von S 1,533.880,--. Der Kläger ist in der Lage, anhand von Listen alle Kunden samt Umsatz aus dem letzten Jahr seiner Tätigkeit für die Wolf S***** Gesellschaft mbH und für die Zeit seiner Tätigkeit bei der Beklagten zu benennen. Nach Beendigung seiner Tätigkeit für die Beklagte übernahm deren Verkaufsleiter A***** seine Aufgaben. Im Oktober 1996 wurden die letzten Bestellungen in Österreich aufgegeben; die letzten Lieferungen erfolgten im Mai/Juni 1997. Danach übergab O***** die restliche Kundschaft einem deutschen Importeur, von dem die Beklagte keine Vergütung erhielt.

Die im Besitz der Wolf S***** Gesellschaft mbH befindlichen Kundenlisten für Österreich standen O***** Frankreich nicht zur Verfügung, weshalb sie diese auch nicht dem neuen Vertriebspartner für Österreich - der Beklagten - weitergeben konnte. Die Beklagte hat auch von der Wolf S***** Gesellschaft mbH direkt weder die Kundschaft, noch bereits laufende Geschäfte in Österreich übernommen, noch eine Kundenliste erhalten. Nur die Wolf S***** Gesellschaft mbH und der Kläger sind im Besitz der Kundenliste in Österreich gewesen.

Der Kläger begehrte nach Klagseinschränkung eine Ausgleichszahlung von S 1,533.880,-- mit dem Vorbringen, er sei als arbeitnehmerähnlicher Handelsvertreter für die beklagte Partei tätig gewesen. Aus dem von ihm aufgebauten Kundenstock habe die beklagte Partei nach ihrer Kündigung des Klägers zum 30. 6. 1995 erhebliche Vorteile ziehen können.

Die beklagte Partei bestritt das Klagsvorbringen, beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und brachte ihrerseits vor, der Kläger habe - gegenüber dem vorausgehenden deutschen Geschäftspartner - keine neue Kunden gebracht.

Die Vorinstanzen sprachen dem Kläger die Hälfte des von ihm geforderten Betrages als Ausgleichsleistung iSd § 24 HVertrG 1993 zu und wiesen das Mehrbegehren ab.

Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil eine höchstgerichtliche Rechtsprechung zum Billigkeitsgrundsatz nach § 24 Abs 1 Z 3 HVertrG 1993 fehle.

Gegen das das Ersturteil bestätigende Berufungsurteil richten sich die Revisionen beider Streitteile jeweils mit dem Antrag, ihrem Rechtschutzbegehren zur Gänze Folge zu geben.

In ihren Revisionsbeantwortungen beantragen beide Streitteile, den Revisionen der Gegenseite nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 508a Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG ist das Revisionsgericht bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Berufungsgerichtes nicht gebunden. Rechtsfragen, die nur für den jeweiligen Einzelfall von Bedeutung sind, sind keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 46 Abs 1 ASGG bzw § 502 Abs 1 ZPO sofern das Berufungsgericht zu keinem unvertretbaren Ergebnis gelangt ist (8 ObS 243/99i; 8 ObA 2352/96g; 8 ObA 2280/96v ua).

Die Vorinstanzen haben die Frage des anzuwendenden nationalen Rechtes nicht behandelt; gemäß § 36 IPRG hat der Kläger als Handelsvertreter in Österreich für die schweizerische Beklagte die "charakteristische" Leistung erbracht, während die Provisionszahlungen der Beklagten dem Vertrag nicht das charakteristische Gepräge gegeben. Damit ist österreichisches Recht anzuwenden.

Die in § 24 Abs 1 Z 3 HVertrG 1993 "unter Berücksichtigung aller Umstände (ergänze: des jeweiligen Einzelfalls), insbesondere der dem Handelsvertreter aus Geschäften mit den betreffenden Kunden entgehenden Provision, nach Billigkeit" festzusetzende Ausgleichszahlung ist geradezu ein Musterbeispiel für eine nach dem jeweiligen Einzelfall zu treffende Billigkeitsentscheidung. Unter dem Begriff der Billigkeit ist die dem Einzelfall entsprechende sachgerechte Lösung einer Rechtsfrage zu verstehen, wobei der Gesetzgeber auf die Anführung der weiteren Umstände, außer der beispielsweisen Hervorhebung der dem Handelsvertreter entgehenden Provisionen, verzichtet. Die in § 502 Abs 1 ZPO vorausgesetzte Richtlinienfunktion vermag eine solche Verweisung auf die "Umstände des Einzelfalls" nicht zu erfüllen, weshalb eine Billigkeitsentscheidung - abgesehen von einer krassen Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht - regelmässig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 46 Abs 1 ASGG ist.

Die in den Rechtsmitteln vorgebrachten Einwendungen zeigen keine derartige krasse Fehlbeurteilung auf.

Zur Revision der beklagten Partei:

Gemäß § 24 Abs 1 Z 1 HVertrG 1993 ist maßgeblich, ob und in welchem Umfang der Handelsvertreter dem Unternehmen neue Kunden zugeführt hat. Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass der Kläger den von ihm geworbenen Kundenstock eingebracht hat und es sich daher für die beklagte Partei durchwegs um neue Kunden handelte. Bei dem weiteren Einwand der der beklagten Partei, der Kläger erspare sich enorme Kosten, weil er nicht mehr in Österreich herumfahren müsse, handelt es sich um eine unzulässige und damit unbeachtliche Neuerung.

Der Revision des Klägers ist zu erwidern, dass sein Kundenstock bereits während seiner Tätigkeit für die beklagte Partei so stark schrumpfte, dass gegen Ende der Saison nur mehr Kunden mit einem Jahresumsatz von etwa der Hälfte des der Berechnung des Ausgleichsanspruches zugrundezulegenden Jahresumsatzes verblieben. Dies rechtfertigt im Hinblick auf die anzustellende ungünstige Prognose (vgl Viehböck, Der Ausgleichsanspruch nach dem neuen Handelsvertretergesetz, ecolex 1993, 221 [225 f]) auch bei (fiktiver) Fortsetzung des Vertragsverhältnisses zwischen den Streitteilen eine erhebliche Minderung des Ausgleichsanspruches auch dann, wenn im Rahmen der Billigkeitsprüfung berücksichtigt wird, dass der Rückgang des Kundenstocks zum Teil auf den von der beklagten Partei zu vertretenden Umstand zurückzuführen war, dass die Kunden durch die von der beklagten Partei angeordnete Begleitung des Klägers verunsichert wurden. Darauf hat das Berufungsgericht in seiner Entscheidung zutreffend hingewiesen und ist bei der Bemessung des Ausgleichsanspruches zu keinem unvertretbaren Ergebnis gelangt.

Eine Kostenentscheidung entfällt, weil auch in den Revisionsbeantwortungen nicht auf die Unzulässigkeit der Revisionen hingewiesen wurde.

Stichworte