OGH 10ObS251/99f

OGH10ObS251/99f9.11.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Fellinger sowie die fachkundigen Laienrichter DI Walter Holzer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Andrea Svarc (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Djurdjijanka K*****, ohne Beschäftigung, *****, vertreten durch Dr. M. Alexander Pflaum, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15. Juni 1999, GZ 9 Rs 129/99b-57, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 19. November 1998, GZ 34 Cgs 20/98z-46, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Revision wird, soweit sie Nichtigkeit geltend macht, zurückgewiesen.

Im übrigen wird der Revision nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Unter dem Anfechtungsgrund nach § 503 Z 1 ZPO macht die Klägerin eine angebliche Verletzung ihres rechtlichen Gehörs (§ 477 Abs 1 Z 4 ZPO) durch das Erstgericht geltend und führt aus, dass ihr eine Teilnahme an der Verhandlung am 19. 11. 1998 ohne ihr Verschulden nicht möglich gewesen sei. Der Klägerin sei dadurch die Möglichkeit genommen worden, zu den Ergebnissen des Beweisverfahrens, insbesondere zu den in dieser Tagsatzung von den medizinischen Sachverständigen getätigten Ausführungen, Stellung zu nehmen.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 503 Z 1 ZPO kann die Revision begehrt werden, weil das Urteil des Berufungsgerichtes wegen eines der in § 477 ZPO bezeichneten Mängel nichtig ist. Obwohl diese Gesetzesstelle nur von Nichtigkeiten des Berufungsurteiles spricht, können auch Nichtigkeitsgründe, die dem Urteil und dem Verfahren erster Instanz anhaften, in der Revision mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn sie auch auf das Urteil oder das Verfahren des Berufungsgerichtes wirken und wenn dieser Nichtigkeitsgrund nicht bereits vom Berufungsgericht - nach entsprechender Rüge in der Berufung oder von Amts wegen wahrgenommen - verneint wurde, da in diesem Fall ein berufungsgerichtlicher Beschluss vorliegt, der gemäß § 519 ZPO unanfechtbar ist (SZ 68/195; SSV-NF 1/36 mwN ua). Da eine solche bindende, die Nichtigkeit verneinende Entscheidung des Berufungsgerichtes nicht vorliegt, kann die behauptete Nichtigkeit auch noch in der Revision geltend gemacht bzw sonst von Amts wegen berücksichtigt werden.

Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO liegt dann vor, wenn einer Partei die Möglichkeit, vor Gericht zu verhandeln, durch ungesetzlichen Vorgang, insbesondere durch Unterlassung der Zustellung entzogen wurde. Die Pflicht des Gerichtes zur Gewährung des Gehörs besteht in der Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Zustellung aller wesentlichen Schriftstücke des Gegners und der gerichtlichen Verfügungen und Entscheidungen, in der Ladung zu Tagsatzungen und zur mündlichen Verhandlung und in der Anhörung bei der mündlichen Verhandlung (Fasching ZPR2 Rz 700). Dieser Nichtigkeitsgrund ist nur bei völligem Ausschluss der Partei von der Verhandlung gegeben, nicht aber etwa schon dann, wenn ein Beteiligter zu einzelnen Beweisergebnissen nicht gehört wurde (RIS-Justiz RS0107383; RS 0006002).

Im vorliegenden Fall wurde der Klägerin nicht durch einen ungesetzlichen Vorgang die Möglichkeit entzogen, vor Gericht zu verhandeln. Die Klägerin erhielt die Einwendungen der Beklagten zugestellt. Die Aufnahme der Anamnesen und Befunde erfolgte durch Vertrauensärzte der Österreichischen Botschaft in Belgrad, wobei die Klägerin alle für die Beurteilung ihres körperlichen und geistigen Zustandes erforderlichen Angaben vorbringen konnte. Die von den bestellten medizinischen Sachverständigen erstellten Gutachten wurden der Klägerin anlässlich ihrer Ladung zu der zunächst für den 8. 7. 1998 anberaumten Tagsatzung zugestellt. Die Klägerin hat in ihren schriftlichen Eingaben (ON 37 und ON 40) zu diesen Gutachten Stellung genommen. Die Klägerin wurde zu der Verhandlung am 19. 11. 1998 unter ausdrücklichem Hinweis auf die Möglichkeit der Vertretung bei dieser Tagsatzung ordnungsgemäß geladen und es wurde zu Beginn dieser Verhandlung ihr Entschuldigungsschreiben (ON 40) verlesen. Wenn die Klägerin - wie sie geltend macht - durch die Nichterteilung eines Einreisevisums nicht zur mündlichen Verhandlung vor dem Erstgericht kommen konnte, ist sie durch ein möglicherweise unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis und nicht durch einen ungesetzlichen Vorgang des Erstgerichtes an der Möglichkeit, persönlich vor Gericht zu verhandeln, verhindert gewesen. Davon, dass das erstgerichtliche Urteil und das ihm vorangegangene Verfahren im Sinn des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO nichtig wären, kann daher im Sinne der dargelegten Ausführungen keine Rede sein. Für das Rechtsmittelverfahren wurde der Klägerin über ihren Antrag im Rahmen der Verfahrenshilfe ein Rechtsanwalt zur Vertretung beigegeben. Die geltend gemachte Nichtigkeit liegt daher nicht vor.

Der weiters geltend gemachte Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (§ 503 Z 2 ZPO) ist ebenfalls nicht gegeben. Die Klägerin behauptet einen Mangel des Verfahrens erster Instanz, nämlich das Vorliegen eines ungenügenden Zusammenfassungsgutachtens. Nach ständiger Rechtsprechung können jedoch Verfahrensmängel erster Instanz, die im Berufungsverfahren nicht gerügt wurden, im Revisionsverfahren nicht mehr erfolgreich geltend gemacht werden (SSV-NF 5/120 mwN uva).

Unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung (§ 503 Z 4 ZPO) wiederholt die Klägerin ihre Ausführungen zur Nichtigkeitsberufung, zu denen bereits Stellung genommen wurde. Im übrigen enthielt die Berufung der Klägerin keine gesetzmäßig ausgeführte Rechtsrüge, da sich die diesbezüglichen Ausführungen in der Wiederholung der Mängelrüge erschöpften. Die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes wurde in keinem Punkt ausgehend von den Feststellungen des erstgerichtlichen Urteils bekämpft. Da die Rechtsrüge damit nicht ordnungsgemäß zur Darstellung gebracht wurde, durfte das Berufungsgericht die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes auch gar nicht überprüfen und konnte die Sache daher auch nicht rechtlich unrichtig beurteilen. Eine in der Berufung unterlassene oder nicht ordnungsgemäß ausgeführte Rechtsrüge kann in der Revision nicht nachgetragen werden (Kodek in Rechberger, ZPO Rz 5 zu § 503 mwN ua). Die Überprüfung der Rechtsfrage ist daher im Revisionsverfahren ausgeschlossen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

Stichworte