OGH 4Ob213/99y

OGH4Ob213/99y19.10.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk und den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei N***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Karl Haas & Dr. Georg Lugert Rechtsanwaltspartnerschaft in St. Pölten, gegen die beklagte Partei Erich V***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Werner Suppan, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung, Widerruf und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren 300.000 S), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 7. Juni 1999, GZ 16 R 70/99b-11, womit der Beschluß des Landesgerichtes St. Pölten vom 28. Jänner 1999, GZ 4 Cg 328/98y-7, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung wie folgt zu lauten hat:

"Einstweilige Verfügung

Zur Sicherung des mit der Klage geltend gemachten Unterlassungsanspruchs wird der Beklagten für die Dauer dieses Rechtsstreites aufgetragen, ab sofort die Veröffentlichung und/oder Verbreitung der Behauptung zu unterlassen, die "N*****" seien mit der Österreichischen Volkspartei verbündet, oder sinngleiche und ähnliche Behauptungen.

Die Klägerin hat die Kosten des Provisorialverfahrens vorläufig selbst zu tragen."

Die klagende Partei hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens vorläufig, die beklagte Partei hat die Kosten des Sicherungsverfahrens aller drei Instanzen endgültig selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Klägerin ist Herausgeberin und Medieninhaberin der "N*****"; diese Zeitung erscheint wöchentlich in mehreren Regionalausgaben, darunter auch im im Bezirk St. Pölten. Die Beklagte ist Medieninhaberin und Herausgeberin der "N***** Stadtzeitung", die wöchentlich in der Region St. Pölten/Krems/Wienerwald erscheint.

In der Zeitung der Beklagten, Ausgabe vom 28. 9. 1998, erschien folgendes Inserat:

Zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs beantragt die Klägerin, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung die Veröffentlichung und/oder Verbreitung der Behauptung zu verbieten, die "N*****" seien mit der Österreichischen Volkspartei verbündet oder sinngleiche und ähnliche Behauptungen; in eventu, die Beklagte schulde ein solches Verhalten im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs. Die Zeitung der Klägerin sei nach ihrem Redaktionsstatut nur an die grundsätzliche Linie des Herausgebers gebunden, sonst hingegen von anderen Institutionen unabhängig. Insbesondere arbeite die Redaktion objektiv, unabhängig und frei von jedem politischen Einfluß. Der Vorwurf, eine mit der ÖVP verbündete Wochenzeitung zu sein, erwecke den unrichtigen Eindruck, die Blattlinie schließe sich der ÖVP-Politik an. Damit werde der Zeitung der Klägerin Empfänglichkeit für Einflußnahme von außen unterstellt. Die beanstandete unwahre Äußerung gefährde Kredit, Erwerb und Fortkommen der Klägerin. Der Artikel, für dessen Veröffentlichung die Beklagte Inseratenhonorar kassiert habe, sei auch zu Zwecken des Wettbewerbs veröffentlicht worden. Es liege ein Verstoß gegen § 1330 ABGB, in eventu gegen § 7 UWG vor.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Sicherungsbegehrens. Der Artikel mit der beanstandeten Äußerung, die nicht als Tatsachenmitteilung, sondern als Meinungsäußerung zu beurteilen sei, stamme nicht von der Beklagten; redaktionell verantwortlich für dessen Inhalt sei die Landeshautpstadt St. Pölten als Auftraggeberin der bezahlten Anzeige. Wiedergegeben werde eine Äußerung des Vizebürgermeisters von St. Pölten in einer Sitzung des Gemeinderats. Die Wiedergabe dieses Zitats sei im öffentlichen Interesse zulässig.

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Die beanstandete Äußerung sei keine Ehrenbeleidigung und werde vom Durchschnittsleser dahin verstanden, daß die Zeitung der Klägerin nur in der gegenständlichen politischen Diskussion betreffend die städtische Mülldeponie mit der ÖVP verbündet sei. Es handle sich um ein bloßes Werturteil des Vizebürgermeisters im Zuge der politischen Diskussion, dessen Verbreitung durch ein öffentliches Informationsinteresse gerechtfertigt sei.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstands 260.000 S übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die neutrale Weiterverbreitung einer fremden Äußerung sei immer dann gerechtfertigt, wenn das Interesse der Öffentlichkeit an ihrer Kenntnis die Interessen des Verletzten überwiegen; dies sei hier der Fall. Ein Interesse der Öffentlichkeit, über den Ablauf einer Gemeinderatssitzung informiert zu werden, bestehe unabhängig davon, ob die Information im Rahmen einer bezahlten Anzeige verbreitet worden sei. Vom Berichterstatter werde nur gefordert, daß es sich um eine wahrheitsgetreue Wiedergabe handle.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Klägerin ist zulässig, weil die Entscheidung des Rekursgerichts von höchstgerichtlicher Rechtsprechung abweicht; das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

Die Klägerin vertritt den Standpunkt, die Beklagte habe über sie eine unwahre Tatsachenbehauptung aufgestellt, die ihre Glaubwürdigkeit und Objektivität angreife; dies sei auch in einer politischen Auseinandersetzung unzulässig. Dazu ist zu erwägen:

Tatsachen im Sinn des § 1330 Abs 2 ABGB (und des § 7 Abs 1 UWG) sind

Nach § 1330 Abs 2 ABGB ist die Verbreitung rufschädigender Tatsachenbehauptungen verboten. Unter Verbreiten ist - ebenso wie im Anwendungsbereich des § 7 UWG - auch das Weitergeben von Behauptungen eines Dritten, ohne sich mit dessen Äußerungen zu identifizieren, zu verstehen. Auch Medieninhaber (Verleger) haften für die in ihren Medien veröffentlichte Behauptungen Dritter (SZ 62/20; SZ 68/136), und zwar ohne Rücksicht darauf, ob die beanstandeten Äußerungen Teil eines redaktionellen Artikels, eines Zeitungsinterviews (SZ 68/136;

MR 1999, 81 - Trottelzeitung) oder eines Leserbriefs (ÖBl 1967, 85;

SZ 62/20) sind. Täter ist in diesem Fall jeder Verbreiter der Tatsachenbehauptungen (SZ 69/113 = JBl 1996, 789 = MR 1996, 146 - Giftanschlag). Für die Ausstrahlung ehrverletzender Äußerungen in Rundfunk- und Fernsehsendungen wurde die Auffassung vertreten, daß sich die Rundfunkanstalt dann unwahre Tatsachenbehauptungen nicht zurechnen lassen müsse, wenn diese im Rahmen von Diskussionsveranstaltungen ("Meinungsforum") geäußert und im wesentlichen kommentarlos wiedergegeben worden seien, trete doch das Unternehmen in solchen Fällen nur als "Markt" verschiedener Ansichten und Richtungen in Erscheinung (SZ 64/36 = JBl 1991, 796 = ÖBl 1991, 161 - Altöl-Skandal). Auch juristische Personen genießen den Schutz des § 1330 Abs 1 ABGB (stRsp MR 1991, 196 - TeleUno III; ecolex 1992, 233 = ÖBl 1992, 51 - Opernball-Demo II; ÖBl 1992, 140 - Politiker als Schnupfer; MR 1993, 57 - Katastrophenbudget; SZ 68/177).

Ein auf § 1330 Abs 2 ABGB gestützter Unterlassungsanspruch setzt voraus, daß der in Anspruch Genommene unwahre Tatsachen verbreitet hat. Unwahr ist eine Äußerung dann, wenn ihr sachlicher Kern im Zeitpunkt der Äußerung nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt (Harrer in Schwimann, ABGB**2 Rz 26 zu § 1330 mwN). Die Wahrheit der verbreiteten Tatsache hat, wenn die Rufschädigung zugleich eine Ehrenbeleidigung ist, der Verletzer zu behaupten und zu beweisen (EvBl 1991/24; ÖBl 1992, 278 - Riedel-Gläser; MR 1992, 205 mwN; ÖBl 1993, 84 - Jubelbroschüre; MR 1995, 16 mwN; 6 Ob 2235/96m ua).

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist die von der Beklagten - in Form eines in ein Inserat aufgenommenen Zitats - verbreitete Äußerung, die Zeitung der Klägerin sei mit der ÖVP verbündet, nicht als zulässige politische Kritik, sondern als Tatsachenbehauptung zu beurteilen; sie ist auch der Beklagten zuzurechnen, weil das Zitat nicht als Teil einer neutralen Wiedergabe mehrerer Ansichten im Rahmen eines Meinungsforums anzusehen ist (vgl 4 Ob 119/99z). Der (im Sinn der Zweifelsregel ganz allgemein zu verstehende) Vorwurf, mit einer politischen Partei verbündet zu sein, richtet sich hier gegen eine nach ihrem eigenen Anspruch und ihrem Statut unabhängige Zeitung. Eine solche Äußerung ist rufschädigend; daß sie den Tatsachen entspräche hat die Beklagte nicht einmal behauptet. Daß aber eine Herabsetzung durch unwahre Tatsachenbehauptungen, die etwa im Zuge eines politischen Meinungsstreits begangen wird, das Maß einer zulässigen (politischen) Kritik überschreitet und auch im Wege einer umfassenden Interessenabwägung oder mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung nicht gerechtfertigt werden kann, hat der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen (NRSp 1992/199; ÖBl 1993, 84 - Jubelbroschüre; MR 1993, 14 - Spitzelakt; MR 1995, 16 - Sauerei). Schon aus diesem Grund erweist sich das auch auf eine Verletzung des § 1330 Abs 1 ABGB gestützte Unterlassungsbegehren berechtigt. Auf die Frage, unter welchen Umständen die Verbreitung wahrer Tatsachenbehauptungen gerechtfertigt wäre, kommt es daher nicht an.

Diese Erwägungen führen in Stattgebung des Revisionsrekurses zur Erlassung der beantragten einstweiligen Verfügung, zumal hiefür bei Verletzung der absoluten Rechte der Ehre und des wirtschaftlichen Rufes auch keine gesonderte Gefahrenbescheinigung erforderlich ist (stRsp SZ 61/193 - Camel; MR 1988, 158 - Lucona; MR 1993, 221 - No Problem Orchester; MR 1995 16 - Sauerei).

Die Entscheidung über die Kosten der Klägerin beruht auf § 393 Abs 1 EO, jene über die Kosten der Beklagten auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 40, 50 Abs 1 ZPO.

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