OGH 9ObA205/99h

OGH9ObA205/99h13.10.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Erwin Blazek und Alfred Klair als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Erdogan C*****, Arbeiter, *****, vertreten durch Dr. Walter Reichholf, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei M*****AG, *****, vertreten durch Dr. Karl Klein, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 43.681,17 sA (Streitwert im Revisionsverfahren S 21.661,67 sA), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. Mai 1999, GZ 7 Ra 312/98y-33, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 8. Mai 1998, GZ 11 Cga 21/97f-22, zum Teil abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 18.740,16 (darin S 3.122,36 Umsatzsteuer und S 120,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 5.635,68 (darin S 609,28 Umsatzsteuer und S 1.980,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bis 2. August 1996 bei der Beklagten als Handelsarbeiter tätig. An diesem Tag wurde bei ihm beim Verlassen seines Arbeitsplatzes (eines Marktes der Beklagten) im Zuge einer Kontrolle eine angebrochene Semmelpackung entdeckt, für die er keinen Kassenbon vorweisen konnte. Er gab an, die Semmeln von seinem Arbeitskollegen und Schwager O***** erhalten zu haben, der sie gekauft und nach dem Verzehr einiger Semmeln dem Kläger geschenkt habe. Der daraufhin in die Ermittlungen der Beklagten einbezogene O***** behauptete, die Semmeln bezahlt zu haben, wobei er zunächst von einer blonden Kassiererin, dann auch von anderen Kassiererinnen, sprach.

Die von der Beklagten verständigte Polizei führte Befragungen durch und nahm die Generalien des Klägers und seines Schwagers auf. Nachdem sich die Polizisten entfernt hatten, wurden der Kläger und sein Schwager in einen (unversperrten) Büroraum gebracht, in dem zunächst alle an diesem Tag vorgenommenen Bonierungen überprüft wurden. Die Behauptungen des O***** konnten dabei aber nicht bestätigt werden. Daraufhin telefonierte der die Ermittlungen durchführende stellvertretende Filialleiter B***** mit dem Rayonsleiter, der anordnete, mit den Arbeitnehmern einen "freiwilligen Selbstaustritt" zu besprechen. B***** teilte darauf dem Kläger und seinem Schwager mit, dass im Falle der Erklärung einer Dienstnehmerkündigung die Strafanzeige zurückgezogen werde. Beide Arbeitnehmer haben diese Erklärung verstanden. Auf die beiden wurde "kein Druck ausgeübt". "Eine Drucksituation durch Mimik, Gestik oder verbale Einschüchterung" war nicht feststellbar. B***** diktierte den beiden Arbeitnehmern sodann die Selbstaustrittsschreiben Beil ./1 und ./4, nach deren Wortlaut die beiden erklärten, ihre Arbeitsverhältnisse mit 2. 8. 1996 ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist aufzukündigen. Der Kläger unterfertigte scheinbar das ihm diktierte Schreiben, schrieb aber in Wahrheit in türkischer Sprache den (optisch wie eine Unterschrift gestalteten; vgl Beil 1./) Satz "Ich habe nicht verstanden". Es kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger, der auch mit seinem Schwager sprechen konnte, den Inhalt des Schreibens nicht verstanden hat.

Der Kläger begehrt mit seiner Klage von der Beklagten den der Höhe nach nicht mehr strittigen Betrag von S 43.681,17 brutto sA (aliquote Sonderzahlungen, Kündigungs- und Urlaubsentschädigung) und behauptet, die Beklagte habe das Arbeitsverhältnis am 2. 8. 1996 mit diesem Tag - und damit fristwidrig - aufgelöst.

Die Beklagte beantragt, das Klagebegehren abzuweisen. Der Kläger habe nach Rechtsbelehrung mit sofortiger Wirkung seinen Selbstaustritt erklärt.

Der Kläger hielt dem entgegen, keinen Entlassungsgrund gesetzt zu haben und das ihm diktierte Austrittsschreiben nur unter dem Druck der sonstigen Nichtzurücknahme der Anzeige unterschrieben zu haben.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren - abgesehen von der Abweisung eines 4 % übersteigenden Zinsenbegehrens - statt. Es ging im wesentlichen davon aus, dass der Kläger weder gewusst habe, noch habe wissen müssen, dass die ihm von O***** übergebenen Semmeln nicht bezahlt worden seien. Da die Beklagte somit kein Fehlverhalten des Klägers erwiesen habe, sei seine Beendigungserklärung - unabhängig davon, ob er deren Bedeutung verstanden habe - nicht wirksam. In Wahrheit sei der Willensentschluss zur vorzeitigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses von der Beklagten ausgegangen, die - um sich den Ausspruch einer Entlassung und die daraus abgeleitete Geltendmachung von Ansprüchen zu ersparen - den Kläger lediglich unter In-Aussicht-Stellung der Rücknahme der Strafanzeige zu seinem Verhalten bewegt habe. Dafür spreche auch, dass B***** dem Kläger nach Abfassung der Austrittserklärung mitteilte, dass sein Arbeitsverhältnis jetzt beendet sei und er nicht mehr kommen dürfe.

Das Berufungsgericht änderte mit der angefochtenen Entscheidung das Ersturteil iS des Zuspruchs von S 22.019,50 brutto sA und der Abweisung des Mehrbegehrens ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es stellte nach Wiederholung der Beweise den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt fest und erachtete auf dieser Grundlage die Beendigungserklärung des Klägers als wirksam. Die Beklagte habe keinen rechtswidrigen Druck ausgeübt. Die Drohung mit der Strafanzeige bzw. die Argumentation mit deren Zurückziehung sei nicht inadäquat gewesen, weil ein gewichtiger Verdacht gegen die Arbeitnehmer vorgelegen sei. Wenngleich nicht konkret die Entlassung angedroht worden sei, habe für den Arbeitgeber ein plausibler und objektiv ausreichender Grund für eine Entlassung bestanden und damit auch ein hinreichender Anlass, über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Form der Arbeitnehmerkündigung unter Verzicht auf die Kündigungsfristen zu verhandeln. Dem Kläger sei auch ausreichend Zeit zur Überlegung der Situation und zur gedanklichen Überprüfung der Vorwürfe eingeräumt worden, sodass die Vorgangsweise der Beklagten situationsbedingt erlaubt gewesen sei. Die Beendigungserklärung des Klägers sei daher wirksam, sodass ihm nur S 22.019,50 an Urlaubsentschädigung und aliquoten Sonderzahlungen zustünden.

Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil das Berufungsgericht nicht von der Judikatur abgewichen sei.

Gegen den abweisenden Teil dieses Urteils richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Aktenwidrigkeit mit dem Antrag, die Entscheidung im Sinne der vollinhaltlichen Stattgebung des Klagebegehrens (gemeint offenbar: im Sinne der Wiederherstellung des von ihm nicht angefochtenen, ein Zinsenmehrbegehren abweisenden Ersturteils) abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht die Rechtslage verkannt hat; sie ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Eine Kündigung als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung kann, wenn Willensmängel behauptet werden, wie jedes andere Rechtsgeschäft nach den allgemeinen Regeln angefochten werden, weil die Bestimmungen der §§ 869 bis 875 ABGB auch auf "sonstige Willenserklärungen, welche einer anderen Person gegenüber abzugeben sind", also insbesondere auf einseitige Rechtsgestaltungserklärungen entsprechend Anwendung finden (ArbSlg 11.324; ARD 4934/17/98 uva). In diesem Sinne hat der Kläger geltend gemacht, seine Beendigungserklärung nur unter dem Druck des Verhaltens der Beklagten abgegeben zu haben, womit er inhaltlich geltend macht, seine Selbstkündigung sei durch "ungerechte und gegründete Furcht" im Sinne des § 870 ABGB veranlasst worden.

Nach Lehre und Rechtsprechung ist die Drohung mit einem Übel durch dessen an sich erlaubte Zufügung der Drohende sein Interesse wahrt, im allgemeinen nicht widerrechtlich. Die Rechtswidrigkeit ist nur dann zu bejahen, wenn die Drohung als Mittel zur Herbeiführung eines Erfolges dient, auf den der Drohende keinen Anspruch hatte oder wenn Mittel und Zweck für sich betrachtet zwar nicht rechtswidrig sind, aber das Mittel zur Erreichung gerade dieses Zweckes nicht angemessen ist. Entscheidend ist also, ob die Drohung nach Treu und Glauben bzw nach der Auffassung aller billig und gerecht Denkenden als angemessenes Mittel zur Erreichung des angestrebten Zweckes zu werten ist und ob der Drohende einen Anspruch auf Erreichung gerade dieses Zweckes hatte (ecolex 1999, 56; ARD 5013/6/99; ARD 4934/17/98; zuletzt 8 ObA 2/99y).

Kündigt daher der Arbeitnehmer das Dienstverhältnis unter dem Eindruck der Ankündigung des Arbeitgebers, ihn zu entlassen, kommt es - wie das Berufungsgericht ohnedies erkannt hat - entscheidend darauf an, ob für den Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Androhung der Entlassung plausible und objektiv ausreichende Gründe für deren Ausspruch gegeben waren. Ist dies der Fall, kann sich der Arbeitnehmer nicht mit Erfolg darauf berufen, es sei auf ihn ungerechtfertigter Druck ausgeübt worden (ARD 4934/17/98; ecolex 1999, 56; 8 ObA 2/99).

Nichts anderes kann gelten, wenn der Arbeitgeber zwar nicht konkret mit dem Ausspruch der Entlassung droht aber die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses anstrebt und mit der Drohung der Erhebung einer Strafanzeige den Arbeitnehmer zur sofortigen Selbstkündigung auffordert. Auch in diesem Fall kommt es darauf an, ob für den Arbeitgeber zum Zeitpunkt seiner Drohung plausible und objektiv ausreichende Gründe gegeben waren, aus denen er auf ein strafbares Verhalten des Arbeitnehmers und sein daraus abzuleitendes Recht, den Arbeitnehmer zu entlassen, schließen durfte. Ist dies nicht der Fall, ist die zur Erreichung der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Selbstkündigung eingesetzte Drohung, die Strafanzeige einzubringen, im Sinne der dargestellten Rechtslage rechtswidrig. Dies gilt auch dann, wenn - wie hier - nicht mit der Einbringung der Strafanzeige gedroht, sondern eine solche Anzeige eingebracht und für den Fall der Selbstkündigung deren Rückziehung angekündigt wird, weil auch in diesem Fall im Ergebnis die Selbstkündigung durch die Androhung der (weiteren) strafrechtlichen Verfolgung angestrebt wird.

Im hier zu beurteilenden Fall lagen aber für den Arbeitgeber plausible und objektiv ausreichende Gründe für die Annahme eines strafbaren, die Entlassung rechtfertigenden Verhaltens des Klägers nicht vor. Das Berufungsgericht hat seine gegenteilige Meinung damit begründet, dass ein gewichtiger Verdacht "gegen die Arbeitnehmer" bestanden habe. Es nimmt damit eine Gleichsetzung der Situation beider betroffener Arbeitnehmer vor, die durch den Sachverhalt nicht gerechtfertigt ist. Nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben beider Arbeitnehmer war es nämlich nicht der Kläger, sondern sein Schwager, der die Semmeln ohne Zahlung des Entgeltes an sich gebracht hat. Die Beklagte, die dies nicht bestritten hat, hat auch mit keinem Wort behauptet, dass der Kläger davon, dass sein Schwager die Semmeln nicht bezahlt hatte, gewusst habe bzw. habe wissen müssen oder auch nur können. Damit fehlt es aber für den Vorwurf eines strafbaren Verhaltens des Klägers an jeglicher objektiven Grundlage.

Auf - vom Erstgericht nicht festgestellte - interne Regelungen der Beklagten, wonach der Kläger oder sein Schwager die Weitergabe der Ware der Kassenaufsicht hätte melden müssen (so die im Detail allerdings unterschiedlichen Aussagen der Zeugen B*****[S 7 in ON 19] und R*****[S 3 in ON 21]) hat sich die Beklagte nicht berufen, sodass darauf nicht Bedacht genommen werden kann. Zudem wäre auch aus derartigen Regelungen für die Beklagte nichts zu gewinnen. Selbst wenn man nämlich von einem Verstoß des Klägers gegen eine solche Regel ausgehen wollte - nach der Aussage der Zeugin R***** hätte allerdings sein Schwager die entsprechende Meldung vornehmen müssen -, könnte dieser Verstoß weder den Vorwurf eines strafbaren Verhaltens des Klägers rechtfertigen noch - als bloße, vorher nie vorgekommene Ordnungswidrigkeit - einen Entlassungsgrund verwirklichen. An der Rechtswidrigkeit der zur Bewirkung der Selbstkündigung eingesetzten Drohung würde sich daher nichts ändern.

Es braucht daher nicht mehr geprüft zu werden, ob dem Kläger hinreichend Bedenkzeit eingeräumt wurde, ob ihm Gelegenheit hätte gegeben werden müssen, sich beraten zu lassen (RdW 1995, 271; ecolex 1999, 56) und ob die Beil 1./ im Hinblick auf den vom Kläger anstelle einer Unterschrift darauf gesetzten Zusatz überhaupt als wirksame Beendigungserklärung angesehen werden kann. Selbst wenn man letzteres bejaht, ist die Erklärung iS 870 ABGB unwirksam, sodass die Ansprüche des Klägers - dass das Arbeitsverhältnis auch unabhängig von der Erklärung des Klägers mit 8. 2. 1996 geendet hat, ist zwischen den Parteien nicht strittig - im schon vom Erstgericht zuerkannten und der Höhe nach nicht mehr strittigen Ausmaß zu Recht bestehen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO. Bemessungsgrundlage für die Kosten des Revisionsverfahrens ist nur der in dritter Instanz noch strittige Teil der Klageforderung.

Stichworte