OGH 7Ob35/99v

OGH7Ob35/99v8.9.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Dr. Huber, Hon-Prof. Dr. Danzl und Dr. Schaumüller als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei O*****, vertreten durch Baier, Böhm, Orator & Partner, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte und widerklagende Partei M*****gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Walter Panzer, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 4,811.175,-- sA (Klage) und S 12,000.000,-- sA (Widerklage), über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 27. November 1998, GZ 2 R 47/98s-134, womit der Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 23. April 1998, GZ 40 Cg 31/98d, 11 Cg 41/98m-129, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluß des Rekursgerichtes wird dahin abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende und widerbeklagte Partei hat der beklagten und widerklagenden Partei die mit S 49.470,08 (darin S 8.245,01 USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekurses binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Klägerin und Widerbeklagte (in der Folge: Klägerin) beantragte von der Beklagten und Widerklagenden (in der Folge: Beklagten) die Zahlung mehrerer Rechnungen und hilfsweise die Herausgabe näher beschriebener Wälzlager.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete Gegenforderungen ein. In ihrer Widerklage begehrte sie die Zahlung von S 12 Mio.

In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am 28. 11. 1989 (ON 50) schlossen die Streitteile folgenden Vergleich:

„Die klagende Partei verpflichtet sich, Zug um Zug gegen Übergabe der Ware laut SV-GA ON 40 im Werte dort von DM 528.263,97 (siehe auch Inventurliste zu ON 40) der beklagten Partei den Betrag von DM 200.000 zu bezahlen und übernimmt es, die beklagte Partei für sämtliche bei der Spedition B***** aufgelaufenen Lagerkosten schad- und klaglos zu halten.

Mit der Erfüllung dieses Vergleiches sind sämtliche Ansprüche zwischen den Streitteilen bereinigt, O***** erklärt jedoch die grundsätzliche Bereitschaft, über einen Rückkauf der an M***** verkauften und bereits bezahlten Wälzlager zu verhandeln.

Dieser Vergleich wird auf beiden Seiten bedingt, wobei der Widerruf bis längstens 29. 12. 1989 bei diesem Gericht eingelangt sein muß, abgeschlossen.“

Mit einem am 9. 1. 1990 zur Post gegebenen, am 10. 1. 1990 beim Erstgericht eingelangten Schriftsatz beantragte die Beklagte, ihr gegen die Versäumung der Widerrufsfrist die Wiedereinsetzung zu bewilligen. Zugleich widerrief sie den Vergleich. Die Klägerin erklärte hiezu, sich nicht gegen die Bewilligung der Wiedereinsetzung auszusprechen.

Mit Beschluß vom 17. 1. 1990 bewilligte das Erstgericht der Beklagten die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zum Vergleichswiderruf und setzte anschließend das Verfahren fort.

Mit Beschluß vom 23. 4. 1998 erklärte das Erstgericht (nach Richterwechsel) den am 28. 11. 1989 geschlossenen Vergleich für rechtswirksam und das seit 1. 1. 1990 geführte Verfahren bei gegenseitiger Kostenaufhebung für nichtig. Eine in einem gerichtlichen Vergleich bestimmte Widerrufsfrist sei nicht restituierbar. Mit ihrem ungenützten Verstreichen werde der Prozeßvergleich wirksam und wirke prozeßbeendigend. Diese Wirkung könne im Prozeß selbst nicht mehr rückgängig gemacht werden. Ein unter Mißachtung dieser Prozeßbeendigungswirkung fortgesetztes Verfahren sei mit Nichtigkeit behaftet. Der Ausspruch über die Wiedereinsetzung sei unwirksam und nichtig.

Das Rekursgericht hob diesen Beschluß ersatzlos auf und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens auf. Es sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Der Meinung Faschings (in LB2 Rz 574), daß die Wiederrufsfrist restituierbar sei, sei beizupflichten, wenn die Restituierung der versäumten Vergleichswiderrufsfrist mit der materiellen Rechtslage in Einklang gebracht werden könne. Da die Beklagte ausdrücklich erklärt habe, sich nicht gegen die Wiedereinsetzung auszusprechen, hätten beide Parteien ihren Willen zum Ausdruck gebracht, daß sie nicht mehr an die bedingt getroffene Vergleichsvereinbarung gebunden sein wollten. Es bestünden daher keine Bedenken dagegen, prozeßrechtlich die prozeßbeendende Wirkung des Vergleiches durch Zulassung der Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Widerspruchsfrist zu beseitigen. Darüber hinaus stehe der angefochtene erstgerichtliche Beschluß mit § 425 ZPO im Widerspruch. Das Erstgericht sei nicht berechtigt gewesen, von seiner eigenen Entscheidung abzugehen. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil die dem Parteiwillen beider Parteien entsprechende Fortsetzung des Verfahrens aufgrund einer Wiedereinsetzungsentscheidung nach verspätetem Widerruf eines bedingten Vergleiches vom Obersten Gerichtshof noch nicht entschieden worden sei.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene Revisionsrekurs der Beklagten ist zulässig und berechtigt.

Die Entscheidung des Rekursgerichtes widerspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, wonach gegen die Versäumung der für einen mit Schriftsatz vorzunehmenden Widerruf eines gerichtlichen Vergleiches vereinbarten Frist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgeschlossen ist. Die Vereinbarung einer Frist für den Widerruf eines bedingt abgeschlossenen Vergleiches ist nicht verfahrensrechtlicher Natur. Es handelt sich vielmehr um eine zwischen den Parteien vereinbarte Ausschlußfrist mit materiellrechtlicher Wirkung (EvBl 1962/39; RZ 1965, 162; JBl 1980, 378; EvBl 1980/125; SZ 68/224; 2 Ob 211/98p). Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach §§ 146 ff ZPO darf nur gegen die Versäumung einer verfahrensrechtlichen Frist bewilligt werden, während sie im Bereich des materiellen Rechts schon gemäß § 1450 ABGB ausgeschlossen ist (SZ 69/224).

Auch Fasching räumt an der vom Rekursgericht zitierten Stelle ein, daß eine Versäumung von Fristen des materiellen Rechts der Wiedereinsetzung nicht zugänglich ist. Seinen nicht weiter begründeten, daran anschließenden Ausführungen, daß die Widerrufsfrist dessenungeachtet der Vornahme einer befristeten Prozeßhandlung diene und als solche restituierbar sei, steht die ständige und trotz dieser Ansicht aufrechterhaltene Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes entgegen. Der erkennende Senat sieht sich nicht veranlaßt, von dieser Rechtsprechung abzugehen (vgl auch Gitschthaler in Rechberger, Rz 8 zu § 296 ZPO mwN).

Auch der Umstand, daß sich die Gegnerin des Wiedereinsetzungswerbers mit der beantragten Wiedereinsetzung einverstanden erklärte, gibt zu keiner anderen Beurteilung Anlaß. Darauf, welche der Parteien den verspäteten Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung stellt, kann es nicht ankommen. Die prozeßbeendende Wirkung des gerichtlichen Vergleiches ist nach ungenütztem Ablauf der vereinbarten Widerrrufsfrist bereits eingetreten und könnte selbst dann nicht beseitigt werden, sollten beide Parteien nach Fristablauf einen Widerruf einbringen. Materiellrechtlich zur Anfechtung berechtigende Gründe wären mit Klage auf Feststellung seiner Unwirksamkeit geltend zu machen; ein Antrag auf Verfahrensfortsetzung wäre in diesem Fall - selbst wenn beide Parteien die Beseitigung des Vergleiches anstreben wollten - unwirksam (EvBl 1992/196).

Ist die versäumte Frist eine materiellrechtliche Fallfrist, deren Versäumung durch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht behoben werden kann, so kann auch eine rechtswidrig bewilligte Wiedereinsetzung die eingetretene Fristversäumnis nicht heilen (1 Ob 665/90; SZ 68/227; vgl auch EvBl 1982/119 und JBl 1983, 493). Das Recht, den Vergleich zu widerrufen, ist mit Ablauf der vereinbarten Frist zum Widerruf erloschen und kann selbst durch eine Widereinsetzung nicht wieder zum Entstehen gebracht werden. Eine dennoch bewilligte Wiedereinsetzung ist daher unbeachtlich (SZ 68/227). Die grundsätzliche Bindung des Gerichtes an seine Beschlüsse (§ 425 ZPO) steht daher dem angefochtenen Beschluß des Erstgerichtes, der die Bewilligung der Wiedereinsetzung unbeachtet ließ, nicht entgegen.

Ein unter Mißachtung der prozeßbeendigenden Wirkung eines Vergleiches fortgesetztes Verfahren ist mit einem Mangel vom Gewicht einer in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmenden Nichtigkeit behaftet, weil ein aufrechtes Rechtsschutzinteresse einer Partei Voraussetzung jedes Prozeßrechtsverhältnisses ist, durch einen das Klagebegehren erledigenden Prozeßvergleich aber dieses Rechtsschutzinteresse aufgegeben wird (JBl 1980, 378 mwN; Gitschthaler aaO, Rz 6 zu § 206 ZPO mwN).

Der zutreffende Beschluß des Erstgerichtes war daher wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Stichworte