OGH 8ObS316/98y

OGH8ObS316/98y26.8.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Adamovic sowie die fachkundigen Laienrichter MR Dr. Lothar Matzenauer und ADir Reg Rat Winfried Kmenta als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Peter W*****, Angestellter, ***** vertreten durch Mag. Rudolf Lind, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Bundessozialamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Wien 5, Geigergasse 5-7, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen Insolvenz-Ausfallgeld (S 281.641,10 sA; Revisionsinteresse S 52.762,10 sA), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. September 1998, GZ 7 Rs 114/98f-23, womit infolge Berufungen beider Parteien das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 17. Februar 1998, GZ 15 Cgs 222/97i-13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie einschließlich der unangefochten gebliebenen Teile insgesamt zu lauten haben:

"Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger S 281.641,10 netto an Insolvenzausfallgeld samt 4 % Zinsen aus S 228.879,-- vom 30. 6. 1995 bis 24. 11. 1995 sowie die mit S 27.482,80 (darin S 40,-- Barauslagen und S 4.573,80 USt) und S 10.066,56 (darin S 1.677,76 USt) bestimmten Kosten des Verfahrens 1. und 2. Instanz binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger 4 % Zinsen aus S 52.762,10 vom 30. 6. 1995 bis 24. 11. 1995 zu bezahlen wird abgewiesen."

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, dem Kläger S 4.871,04 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 811,84 USt) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Über das Vermögen der Firma Karl K***** wurde am 24. 5. 1995 zu 3 S 907/95 des Handelsgerichtes Wien der Konkurs eröffnet. Der Kläger war bei diesem Arbeitgeber vom 27. 1. 1964 bis zum 30. 6. 1995 angestellt. Das Arbeitsverhältnis wurde vom Masseverwalter am 7. 6. 1995 zum 6. 11. 1995 gemäß § 25 Abs 1 KO gekündigt. Hätte das Arbeitsverhältnis nicht begünstigt gekündigt werden können, so wäre eine Kündigung frühestens zum 31. 12. 1995 möglich gewesen.

Anläßlich einer Besprechung im Mai 1995 erfuhr der Kläger, daß sein Gehalt ab Juli 1995 nicht mehr vorfinanziert werde. Am 23. 6. 1995 - das Gehalt für Mai 1995 war in diesem Zeitpunkt bereits ausbezahlt worden - erklärte der Kläger seinen vorzeitigen Austritt zum 30. 6. 1995. Der Betrieb des Gemeinschuldners wurde zum 30. 6. 1995 eingestellt. Ab dem 1. 7. 1995 wäre der Gemeinschuldner seiner arbeitsvertraglichen Entgeltzahlungspflicht nicht mehr nachgekommen.

Der Kläger begehrte unter anderem aus dem Titel des Schadenersatzes für den Verlust an Kündigungsentschädigung (Differenz vom 6. 11. 1995 bis 31. 12. 1995) S 52.762,10 netto infolge seines zum 30. 6. 1995 erklärten vorzeitigen Austrittes.

Die übrigen Ansprüche (Urlaubsentschädigung für 132 Werktage) sind dem Kläger bereits teilrechtskräftig zuerkannt worden.

Das Erstgericht sprach dem Kläger S 281.641,50 netto (dieser Betrag hat nach Berichtigung eines Rechenfehlers richtig S 281.641,10 zu lauten) zu und begründete den Zuspruch von S 52.762,10 netto damit, daß der Austritt des Klägers gemäß § 26 Z 2 AngG wegen der Ankündigung der Einstellung der Entgeltzahlung berechtigt erfolgt sei; der Masseverwalter, der anstelle des Arbeitgebers getreten sei, habe nämlich erklärt, das bis Juni 1995 vorfinanzierte Entgelt nicht mehr weiter zahlen zu wollen. Das Vorenthalten des Entgelts sei dem Masseverwalter unmittelbar zuzurechnen, dieser sei an die Stelle des Arbeitgebers getreten und habe zumindest für eine gewisse Zeit den Betrieb fortgeführt. Er sei daher insofern wie jeder andere Arbeitgeber zu behandeln. Jeder Arbeitgeber habe die Folgen eines gerechtfertigten Austritts wegen Vorenthalten des Entgelts zu tragen und müsse daher die Kündigungsentschädigung bis zu dem Zeitpunkt bezahlen, der bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch ordnungsgemäße Kündigung durch den Arbeitgeber hätte verstreichen müssen. Im vorliegenden Fall sei daher nicht die privilegierte Kündigungsmöglichkeit des Masseverwalters nach § 25 KO anzuwenden. Jeder andere Arbeitgeber hätte das Arbeitsverhältnis des Klägers gemäß § 20 AngG nur zum 31. 12. 1995 kündigen können.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei hinsichtlich der Zinsen aus S 228.879 netto (Urlaubsentschädigung) vom 30. 6. 1995 bis 24. 11. 1995 Folge und der Berufung der Beklagten insoweit Folge, als es das Mehrbegehren von S 52.762,10 netto und das Zinsenmehrbegehren abwies. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, der Kläger könne über den 6. 11. 1995 - zu diesem Zeitpunkt habe der Masseverwalter am 7. 6. 1995 das Arbeitsverhältnis des Klägers begünstigt gemäß § 25 Abs 1 KO (idF des IRÄG 1994) - keine weiteren Ansprüche mehr geltend machen. Ein Masseverwalter dürfe diese vom Gemeinschuldner verursachten Entgeltrückstände nicht sofort und vollständig begleichen, weshalb er kein Entgelt "vorenthalte". Der Konkursteilnahmeanspruch des Arbeitnehmers sei rechtlich nicht geeignet, einen vorzeitigen Austritt gemäß § 26 Z 2 AngG zu begründen. Die Austrittserklärung des Klägers vom 23. 6. 1995 zum 30. 6. 1995 habe auf ein bereits in der Auflösungsphase befindliches Arbeitsverhältnis mit einem vorsehbaren Endigungszeitpunkt 6. 11. 1995 getroffen. Die über diesen Zeitpunkt hinausgehenden Ansprüche bis zum 31. 12. 1995 bestünden demnach nicht zu Recht.

Nur gegen die Abweisung eines Teiles des begehrten Insolvenz-Ausfallgeld im Ausmaß von S 52.762,10 netto (ohne Zinsen im Hinblick auf die Fälligkeit nach dem 24. 11. 1995) richtet sich die Revision des Klägers aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das Urteil des Berufungsgerichtes abzuändern und dem Klagebegehren im nunmehr geltend gemachten Umfange stattzugeben.

Die Beklagte beantragt der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Als Austrittsgrund machte der Kläger das ernstlich angekündigte Vorenthalten des Entgelts ab 1. Juli 1995 geltend und waren davon entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes - anders als in dem der Entscheidung SZ 69/106 = WBl 1996, 325 (Konecny) zugrundeliegenden Fall - nicht vom Gemeinschuldner verursachte Entgeltrückstände sondern die für die Zeit nach Konkurseröffnung gebührenden, vom Masseverwalter gemäß § 46 Abs 1 Z 3 KO als Masseforderungen zu erfüllenden laufenden Gehaltszahlungen für den Zeitraum 1. Juli 1995 bis 6. November 1995 umfaßt.

§ 25 Abs 2 KO idF IRÄG 1994 sah nur für den Fall der begünstigten Lösung des Arbeitsverhältnisses durch den Masseverwalter nach Abs 1 dieser Bestimmung eine Schadenersatzforderung des Arbeitnehmers vor, woraus bis zur neuerlichen Änderung des § 25 Abs 2 KO durch das IRÄG 1997 zu erschließen war, daß einem gemäß § 25 Abs 1 KO austretenden Arbeitnehmer nur das für den Fall der Kündigung durch den Masseverwalter bis zum Ende der Kündigungsfrist weiterlaufende Entgelt, nicht aber der etwa durch die Nichteinhaltung des gesetzlichen Kündigungstermins verursachte weitergehende Schaden gebührte.

Zieht man in Betracht, daß es sich beim Austrittsrecht des Arbeitnehmers gemäß § 25 KO um ein von einem rechtswidrigen und schuldhaften Verhalten des Arbeitgebers unabhängiges, zusätzlich gewährtes Austrittsrecht handelte, das den Zweck hatte, den Arbeitnehmer nicht für die Dauer der Kündigungsfrist an den insolventen Vertragspartner zu binden (siehe Denkschrift zur Einführung einer KO, AO und AnfO, 28), dann war es durchaus sachgerecht, den nach dieser Bestimmung austretenden nicht einem vom Masseverwalter gekündigten Arbeitnehmer gleichzustellen. Folgerichtig hat der VfGH in der Entscheidung VfSlg 10.411 gebilligt, daß dem nach § 25 KO austretenden Arbeitnehmer keine über die bis zur fiktiven Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf der Kündigungsfrist (ohne Beachtung des Termins) gebührenden Entgeltansprüche hinausgehenden Schadenersatzansprüche zustanden, aber zum Ausdruck gebracht, daß dies für einen auf Verschulden des Arbeitgebers am Austritt gegründeten Anspruch nach § 29 AngG zu einem verfassungsrechtlich bedenklichen Ergebnis führen würde (siehe auch 8 ObS 2072/96f = SSV-NF 10/90 = RdW 1997, 555).

Gegenstand der Entscheidung VfSlg 13.498 waren sodann Schadenersatzansprüche von Arbeitnehmern infolge Kündigung durch den Masseverwalter nach § 25 KO sowie infolge eines nach Eintritt eines in § 1 Abs 1 IESG genannten Tatbestandes erfolgten Austrittes nach § 26 Z 2 AngG. Der Verfassungsgerichtshof sprach aus, daß es sachlich nicht gerechtfertigt sei, dem Arbeitnehmer - anders als dem Vertragspartner des Gemeinschuldners im Falle der außerordentlichen Vertragsauflösung nach den §§ 21 und 23 KO - einen Schadenersatzanspruch bei vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch außerordentliche Kündigung des Masseverwalters zu versagen und den Schadenersatzanspruch wegen begründeten Austrittes aus Verschulden des Arbeitgebers auf die Dauer der gesetzlichen Kündigungsfrist zu begrenzen und hob § 25 KO als verfassungswidrig auf.

Mit § 25 Abs 2 KO idF IRÄG 1994 trug der Gesetzgeber, wie auch den EBzRV 1384 BlgNR 18. GP 9, zu entnehmen ist, dieser Entscheidung dadurch Rechnung, daß nach dem Vorbild des § 20d AO festgelegt wurde, daß der durch den Masseverwalter vorzeitig gekündigte Arbeitnehmer einen Anspruch auf Ersatz des verursachten Schadens hat und die durch die Kündigung nach § 25 Abs 1 KO verursachte Verkürzung seiner Ansprüche als Konkursforderung anmelden kann.

§ 25 Abs 2 KO idF IRÄG 1994 ist daher nach dem Zweck der Regelung und verfassungskonform dahin auszulegen, daß bei außerordentlicher Kündigung durch den Masseverwalter nach § 25 Abs 1 KO und - zufolge der Verweisung auf die dadurch ausgelösten Ansprüche in den §§ 29 AngG und 1162b ABGB - bei Austritt aus Verschulden des Arbeitgebers der Schadenersatzanspruch nach dieser Bestimmung zusteht (siehe auch Liebeg, Die Änderung der Rechtsstellung der Arbeitnehmer im Insolvenzverfahren, WBl 1994, 141 [143]; Grießer, Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Insolvenz und Entgeltanspruch, ZAS 1994, 188 [195]).

Der erkennende Senat folgt daher der Entscheidung 9 ObA 2276/96p (=

Arb 11.582 = ZIK 1997, 222), in der zu § 25 KO idF IRÄG 1994

ausgesprochen wurde, daß dem wegen Vorenthaltens des laufenden Entgelts durch den Masseverwalter austretenden Arbeitnehmer für den Zeitraum bis zum Ablauf der vom Masseverwalter bei Kündigung nach § 25 Abs 1 KO einzuhaltenden Kündigungsfrist Kündigungsentschädigung und für den folgenden Zeitraum bis zum Kündigungstermin der Schadenersatzanspruch nach § 25 Abs 2 KO zusteht. Die gleichfalls zu

§ 25 KO idF IRÄG 1994 ergangene Entscheidung 8 ObS 3/98v (= WBl

1998/273 = ZIK 1998, 126) steht damit nicht in Widerspruch, da dort

die Berechtigung des Austritts nach § 26 Z 2 AngG deswegen verneint wurde, weil zum Zeitpunkt des Austrittes ein Vorschuß auf Insolvenzausfallgeld bereits mit Bescheid zuerkannt und eine dem Arbeitnehmer zumutbare Zahlungsfrist noch nicht abgelaufen war.

Dem Kläger steht daher entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes der Schadenersatzanspruch nach § 25 Abs 2 KO für den Zeitraum vom Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist am 6. November 1995 bis zum Kündigungstermin 31. Dezember 1995 zu.

Dieser Anspruch ist auch gesichert.

Wie der erkennende Senat zu 8 ObS 294/97m (= ZIK 1998, 134) ausgesprochen hat, gilt die zeitliche Beschränkung des Insolvenzausfallgeldes gemäß § 3 Abs 3 IESG -" ...längstens jedoch bis zum Ablauf der gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen unter Bedachtnahme auf die Kündigungstermine..." - in der hier maßgeblichen Fassung vor der IESG-Nov 1997, BGBl I 1997/107, ungeachtet ihrer aufs erste irreführenden einschränkenden Formulierung - "Wurde ein Arbeitnehmer vom Arbeitgeber... gekündigt..." - auch für austrittsabhängige Ansprüche. Da der Kläger seinen Anspruch nur aus den Bestimmungen des AngG über Kündigungsfristen und -termine ableitet, ist sein ihm gemäß § 25 Abs 2 KO gegenüber dem Arbeitgeber zustehender Schadenersatzanspruch auch gesichert (siehe auch Grießer, aaO, 195).

Der Revision des Klägers war daher im Sinne der Zuerkennung auch des für den Zeitraum vom 6. 11. 1995 bis 31. 12. 1995 gebührenden fiktiven Entgelts von S 52.762,10 netto Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG, wobei der Kostenbemessung die vom Kläger ersiegten Beträge zugrundezulegen waren.

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