OGH 15Os110/99

OGH15Os110/9919.8.1999

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. August 1999 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder und Dr. Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Lokay als Schriftführer, in der Strafsache gegen Horst H***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten gewerbsmäßig schweren und durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1 und 2, 130 zweiter Satzund 15 StGB sowie einer anderen strafbaren Handlung, AZ 5 c Vr 3002/98, Hv 3863/98 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten H***** gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 20. Juli 1999, AZ 19 Bs 237/99 (ON 159 des Vr-Aktes), in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Heinrich H***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Am 29. März 1998 verhängte der Untersuchungsrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien über Horst H***** die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr gemäß § 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO (S 271 iVm ON 11/I); das Schöffengericht erweiterte ihn mit Beschluß vom 25. September 1998 auf lit c leg cit (S 74 iVm ON 73/II). Mehrere Enthaftungsanträge und Beschwerden an den Gerichtshof zweiter Instanz blieben bisher erfolglos.

Das Landesgericht für Strafsachen Wien als Schöffengericht erkannte ihn mit Urteil vom 12. März 1999, GZ 5 c Vr 3002/98-130, des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten gewerbsmäßig schweren und durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1 und 2, 130 zweiter Satzund 15 StGB (drei vollendete Einbruchsdiebstähle zwischen 18. Juli 1997 und 18. März 1998 mit einem Beutewert von ca 320.000 S und ein versuchter Einbruchsdiebstahl am 25. März 1998) sowie des Vergehens nach § 27 Abs 1 SMG (weil er zwischen Mai 1997 und 26. März 1998 wiederholt Kokain in jeweils kleinen Mengen erworben, besessen und anderen überlassen hatte) schuldig und verhängte über ihn eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren; zugleich erging der Beschluß gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO auf Absehen vom Widerruf eines (seinerzeit) bedingt nachgesehenen Strafteils von sechs Monaten unter gleichzeitiger Verlängerung der Probezeit. Gegen das Urteil erhob der Angeklagte Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung; der Staatsanwalt beschwerte sich gegen das Absehen vom Widerruf. Über diese Rechtsmittel hat der Oberste Gerichtshof bisher noch nicht entschieden.

Am 23. Juni 1999 langte beim Erstgericht ein (von Horst H***** allerdings nicht unterfertigter) "Bittzettel" ein, mit dem eine Haftprüfung beantragt wurde (ON 147). Mit Verfügung vom 1. Juli 1999 terminisierte der Vorsitzende die Haftverhandlung auf den 7. Juli 1999 (ON 148) und beschloß nach deren Durchführung die Fortsetzung der Untersuchungshaft "bis auf weiteres" aus dem bezeichneten Haftgrund (ON 150, 151). Einer dagegen vom Untersuchungsgefangenen sogleich angemeldeten (S 448/II) und von ihm persönlich verfaßten, am 14. Juli 1999 beim Oberlandesgericht Wien eingelangten Beschwerde (ON 158) wurde nicht Folge gegeben (ON 159).

Die gegen diesen Beschluß (rechtzeitig) erhobene Grundrechtsbeschwerde, die den dringenden Tatverdacht unbekämpft läßt, ist nicht begründet.

Rechtliche Beurteilung

Dem Beschwerdegericht ist zunächst kein grundrechtsverletzender Fehler dadurch unterlaufen, daß es bei Prüfung der Verhältnismäßigkeit der bis dahin nahezu sechzehn Monate dauernden Untersuchungshaft (somit rund zwei Drittel der im Urteil ausgesprochenen Freiheitsstrafe) die Möglichkeit einer bedingten Entlassung des Beschwerdeführers berücksichtigte, aber letztlich die Ansicht vertrat, daß wegen des "schwer getrübten Vorlebens" (die unter ON 48/I erliegende Strafregisterauskunft weist zehn gerichtliche Verurteilungen auf, darunter drei wegen verschiedener Verstöße gegen das Suchtgiftgesetz zu insgesamt rund siebeneinhalb Jahren Freiheitsstrafe sowie je eine wegen Verbrechens des versuchten schweren Betruges zu acht Monaten Freiheitsstrafe und der Vergehen nach § 125 StGB und § 83 Abs 2 StGB zu Geldstrafen) eine solche Maßnahme nicht zu erwarten sei. Es wies auch darauf hin, daß mit der unmittelbar bevorstehenden Vorlage der Akten an den Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über die Nichtigkeitsbeschwerde zu rechnen sei. Damit nahm es - der Beschwerde zuwider - weder die (nach der Verfahrenslage noch gar nicht mögliche) Entscheidung über eine bedingte Entlassung vorweg, noch verstieß es gegen die Unschuldsvermutung.

Der Gerichtshof zweiter Instanz hat zwar die Frage der Substituierung der Untersuchungshaft durch Anwendung gelinderer Mittel (§ 180 Abs 5 StPO) nicht (neuerlich) ausdrücklich erörtert. Dazu wurde in der Haftbeschwerde auch nichts vorgebracht, sodaß insoweit der Instanzenzug nicht ausgeschöpft wäre (vgl § 1 Abs 1 GRBG). In seiner Gesamtheit betrachtet und im Zusammenhang mit den Vorentscheidungen (ON 64, 77 und 105) läßt jedoch der bekämpfte Beschluß keinen Zweifel daran offen, daß bei dem zuletzt arbeitslos gewesenen, sozial bindungslosen (S 447/II), hoch verschuldeten, mehrfach einschlägig vorbestraften und (nach der qualifizierten Verdachtslage) äußerst rasch (nämlich zwölf Tage nach Verbüßung einer zweimonatigen Freiheitsstrafe) rückfällig gewordenen Beschwerdeführer sowie angesichts der Wiederholung und Schwere der ihm im (noch nicht rechtskräftigen) Urteil angelasteten Straftaten gegen fremdes Vermögen Haftverschonung ausgeschlossen ist.

Damit liegen auch jene im § 180 Abs 2 StPO (gleichermaßen für die Fortsetzung der Untersuchungshaft) geforderten bestimmten Tatsachen offen zu Tage, die konkret befürchten lassen, Horst H***** werde auf freiem Fuß ungeachtet des gegen ihn geführten Strafverfahrens abermals strafbare Handlungen gegen fremdes Vermögen (mit nicht bloß leichten Folgen) begehen, derentwegen er bereits (zweimal) verurteilt worden ist (Verbrechen nach §§ 15, 146, 147 Abs 1 Z 1 StGB; Vergehen nach § 125 StGB), wobei ihm - wie dargelegt - nunmehr wiederholt und gewerbsmäßig verübte gravierende Eigentumsstraftaten angelastet werden (§ 180 Abs 2 Z 3 lit b und c StPO). Indem das Oberlandesgericht auf seine wohlbegründete Vorentscheidung ON 77 verwies (siehe hiezu ebenso die Beschlüsse ON 64 und ON 105) und eine Änderung der Prämissen für den herangezogenen Haftgrund (abermals) zutreffend verneinte, kann von einer (behaupteten) Grundrechtsverletzung in diesem Zusammenhang ebensowenig die Rede sein. Es erübrigt sich somit auf die in der Beschwerde angestellten weitwendigen Erörterungen über Vorteile einer bedingten Entlassung (§ 46 StGB) sowie Spekulationen über Zweck und Wirkung "verhängter Strafen" und "den vollständigen Vollzug der Haft" einzugehen.

Unzutreffend ist schließlich der - erstmals in der Grundrechtsbeschwerde erhobene und in einer gemäß § 35 Abs 2 StPO erstatteten Äußerung bekräftigte - Vorwurf, das Erstgericht habe gegen Art 6 des Bundesverfassungsgesetzes vom 29. November 1988, BGBl 684, über den Schutz der persönlichen Freiheit (PersFreihG) verstoßen, weil es über den am 23. Juni 1999 überreichten Haftprüfungsantrag nicht innerhalb einer Woche - nach Meinung der Beschwerde demnach bis 30. Juni 1999 -, sondern erst (verspätet) am 7. Juli 1999 entschieden habe.

Die im (Art 5 Abs 4 EMRK, der das Recht auf ehetunliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Haft garantiert, wobei es im wesentlichen auf die Zügigkeit des Verfahrens ankommt - Frowein/Peukert, MRK Art 5 RN 144 - innerstaatlich präzisierenden und ergänzenden) Art 6 Abs 1 PersFreihG verfassungsrechtlich verankerte Frist von einer Woche gilt nur für die erstmalige Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges durch ein Gericht oder durch eine unabhängige Behörde (vgl Erläuternde Bemerkungen der Regierungsvorlage 134 BlgNR XVII. GP S 3 iVm dem Bericht des Verfassungsausschusses 667 BlgNR XVII. GP S 7). Diesem verfassungsrechtlichen Rechtsschutzstandard trug der österreichische Gesetzgeber bereits durch das StRÄG 1983, BGBl Nr 168, weitgehend Rechnung; in der Folge erfuhr er durch das StRÄG 1993, BGBl Nr 526, eine noch stringentere Ausformung unter anderem sowohl in Bezug auf die Fristbeschränkungen bei Festnahme und Anhaltung eines Verdächtigen bzw Beschuldigten (§§ 176 Abs 2, 177 Abs 2 bis 4, 179 StPO), wonach der Untersuchungsrichter innerhalb von längstens fünf Tagen über die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges zu entscheiden hat, als auch bezüglich der "Haftfristen" bei fortgesetzter Untersuchungshaft (§§ 181, 193 Abs 5, 194 StPO).

Für die weitere Anhaltung von unbestimmter Dauer verlangt Art 6 Abs 2 PersFreihG hingegen nur deren Überprüfung in angemessenen Abständen (vgl abermals § 181 StPO), was vorliegend geschehen ist.

Gemäß § 193 Abs 5 StPO ist eine Haftverhandlung ohne Verzug anzuberaumen, wenn der Beschuldigte seine Enthaftung beantragt und sich der Staatsanwalt dagegen ausspricht. Dieser auch im StRÄG 1993 vom Gesetzgeber - im Gegensatz zu §§ 176 Abs 2 und 179 Abs 1 StPO - hier ohne Bestimmung einer Maximalfrist übernommene unbestimmte Gesetzesbegriff kann - entgegen der Beschwerdemeinung - nicht mit der einwöchigen Frist des Art 6 Abs 1 PersFreihG gleichgesetzt werden. Er ist vielmehr (verantwortungsvoll) jeweils an den besonderen Umständen des Einzelfalles zu messen und zu beurteilen, wobei oberste Maxime tunlichst rasches Handeln und möglichst kurze Untersuchungshaft sein muß.

Davon ausgehend, ist der Oberste Gerichtshof der Ansicht, daß in dem hier zu beurteilenden Fall insbesondere unter Berücksichtigung der dargelegten Erwägungen zum Fortbestehen des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr, der mangelnden Substituierbarkeit der Haft bei gegebener Verhältnismäßigkeit sowohl zur Bedeutung der Sache als auch zur (vorläufig) ausgesprochenen Freiheitsstrafe sowie einer Mehrzahl vorangegangener, erfolglos gebliebener Haftverhandlungen ohne maßgebliche Änderung der Umstände, der Vorsitzende über den Antrag des Angeklagten auf Haft- verhandlung (Enthaftung) innerhalb von 14 Tagen ohne Verzug entschieden hat und demnach auch insoweit eine Grundrechtsverletzung nicht vorliegt.

Soweit der Beschwerdeführer in seiner Äußerung gemäß § 35 Abs 2 StPO zur Stützung seiner Rechtsansicht, die einwöchige Frist des Art 6 Abs 1 PersFreihG gelte auch für die Erledigung von Enthaftungsanträgen in gerichtlichen Verfahren, auf ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 29. Juni 1995, B 83/95, verweist, ist auch daraus für seinen Rechtsstandpunkt nichts zu gewinnen. Darin sprach das Höchstgericht im Verfahren über eine Beschwerde gegen die Verhängung der Schubhaft an den UVS aus, dieser habe binnen einer Woche zu entscheiden (vgl § 52 Abs 2 Z 2 FRG 1992). Diese Entscheidung kann aber auf die gerichtliche Haftprüfung gemäß § 193 Abs 5 StPO nicht übertragen werden. Denn das Beschwerdeverfahren vor dem UVS entspricht gerade der erstmaligen Prüfung der Haftfrage durch den Untersuchungsrichter gemäß § 179 Abs 2 StPO über die sofortige Freilassung des Beschuldigten (allenfalls unter Anwendung gelinderer Mittel) oder über die Verhängung der Untersuchungshaft.

Daraus erhellt, daß die Verfassungsbestimmung des Art 6 Abs 1 PersFreihG für das gerichtliche Strafverfahren durch § 179 Abs 2 StPO und für den Bereich der Schubhaft durch die §§ 51 ff FRG 1992 (§§ 72 ff FRG 1997) auf einfach gesetzlicher Ebene ausgeführt wird. Demzufolge ordnete § 52 Abs 2 Z 2 FRG 1992 (§ 73 Abs 2 Z 2 FRG 1997) auch die Entscheidung durch den UVS binnen einer Woche an.

Da sohin Horst H***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt worden ist, war seine Beschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

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